wir Halbwesen

„… diese Herrenreiterin des Kleingeists in ihrem schwäbischen Singsang, …“ (Georg Diez).

Und wieder ist es das Schwäbische. Ich habe mir eigens ein paar Takte einer Sprachaufzeichnung angehört. In der Tat, ein gewisser mir bekannter Sprachklang im zunächst sanften abgeschliffenen Dialekt, der gleichsam autoritäres Denken dahinter vermuten lässt, eine sich auswachsende machtorientierte Selbstgefälligkeit, die ich seit frühester Jugend von drohenden Hausmeistern, sanktionierenden Lateinlehrern oder unverschämt hämischen Vertretern des Kreiswehrersatzamtes her kenne.

Aber wieso immer das Schwäbische, wieso immer „die Schwaben“? Wieso setzen prominente Vertreter dieser Region mit wiederkehrender Regelmäßigkeit alles daran, die Ressentiments gegenüber einer Sprach- und Kulturregion zu bestätigen, die doch auch durchaus recht viel Gutes, Wegweisendes, Schönes, Freigeistiges, Künstlerisches, Sinnvolles – weit jenseits eines Mercedes – hervorbrachte und -bringt? Das Gute ist stets leiser, das ist ja überall so, aber hier ist es besonders leise. Mir scheint, aus ewig regionaler Scham.

Wenn die Menschen nicht mehr zurechtkommen mit ihren Erfindungen, wenn ihnen das alles zu viel und zu anstrengend wird, dann fangen sie an, sich selbst zu hassen. Dann wünschen sie sich ihre Grenzen zurück und dann reden sie so. Und dann wollen sie uns Halbwesen die Onanie verbieten. Gute Idee.

Man sollte es möglicherweise so handhaben, wie in Bezug auf Herrn Putin aktuell geopolitisch vorgeschlagen (so las ich es gestern irgendwo): Man sollte diese Menschen vielleicht besser umarmen, anstatt sich ein ums andere Mal über sie zu empören und ihnen damit in ihren Augen Recht, Bestätigung und Aufmerksamkeit zu schenken. Man sollte sie – Verzeihung – „zuscheißen“ mit entgrenzter Liebe und damit ihre Angst und den daraus erwachsenen Kleingeist zerdrücken. Bevor ihre teils menschenverachtenden Ideen als offenbar salonfähig und diskurswürdig aufgegriffen werden.

Überhaupt sollte man Vieles derzeit viel mehr ins Leere laufen lassen.

20 Gedanken zu „wir Halbwesen“

  1. solche Leute mit entgrenzter Liebe „zuzuscheißen“, wie Sie es ausdrücken, las ich gestern bereits etwas anders formuliert (aber nicht in Bezug auf Putin). Und ich fragte mich, als ich das las, ob es bei den echten Diktatoren der Geschichte wohl auch gewirkt und einiges verhindert hätte. Kann ich nicht recht glauben, aber uns fehlt ja in der Geschichte noch eine aussagekräftige Versuchsanordnung dazu. Und man sollte durchaus jede Möglichkeit ins Auge fassen, solchen Menschen friedlich das Handwerk zu legen.

  2. Ich finde, Mitleid ist auch eine unterschätzte und viel zu wenig angewandte Reaktionsmöglichkeit. Und ich meine damit nicht das Mitleid aus Häme, sondern einfach geradeaus empfundenes.

  3. Wenn das Facebook wäre, würde ich „liken“.

    So kann ich nur sagen: wer mir das Onanieren verbieten will, der gönne ich ein langes, frustriertes und unbefriedigtes Leben.

    Das steht zwar im Widerspruch zum oben Gesagten, aber da kann ich halt nicht über meinen Schatten springen.

  4. ins Leere laufen lassen. und dann die leere umarmen?
    wie sieht wohl so eine mit liebe zugeschissene leere aus ;-)
    (übrigens hieß das passwort, das ich eingeben musste heme. nicht ganz richtig geschrieben, aber irgendwie… als wäre es ein kommentar zum artikel…

  5. Ja, das kann einen beschäftigen. Wovor haben Sie eigentlich Angst, gute Frau?, möchte man sagen und ihr ein niedliches Halbwesen auf den Schoß setzen. Was sie da von sich gegeben hat, ist hässlich. Und die Empörungsrituale laufen routiniert durch. Nächste Woche mal wieder Matussek.

  6. Ja, ein Rätsel. In B erlebe ich erfolgreiche Kulturschaffende, die tunlichst verheimlichen, dass sie bspw. in Nagold geboren sind und/oder bspw. an der Filmakademie BW in Ludwigsburg studierten. Als Kenner erkennt man sie dennoch an den leise verschluckten „e-r“-Endungen. Da ist viel Pille-Palle. /Das sag‘ ich, der ich ja nicht mal regionalecht bin.

  7. Mit der Häme (nicht der Ironie), das ist ja eh so ein Ding. Aber diese Sache jetzt ist – jedenfalls mir – gewiss zu ernst und grundlegend. /Mitleid, ja, auch. Auf jeden Fall bestenfalls geradeaus.

  8. Die Angst.

    Es ist aber gerade auch schwer: Im wilden Arabien gibt es bärtige Männer, die noch Hammel und ihre Feinde zerlegen können und wissen, wie man mit Frauen kopuliert, umgeht und diese notfalls steinigt. Im Osten ist es moderater, dort trägt der Mann zwar oft keinen Bart mehr, dafür aber wenigstens noch Goldkettchen, hat Haare am Sack und verbietet Schwulsein, worüber sich sogar die dortigen Schwulen freuen. Überall also sind die Dinge klar definiert.

    Nur im Europa der sich selbstauflösenden Werteweicheier ist mittlerweile alles queer, lesbisch oder schwul, die Kinder kommen werweisswoher und keiner penetriert mehr normal, sondern alle lassen sich unverhochzeitet auspeitschen oder gehen zum Biertrinken und Onanieren in Swingerclubs. Und dazu: Niemand will mehr auf andere schiessen. Wie soll man das alles noch verstehen?

    Bislang waren es ja vornehmlich alte Männer, nun auch alte Frauen, die damit lautstark nicht mehr zurechtkommen. Übrigens nicht zu vergessen die leiseren Jungen, die sich dem anschließen. Da muss der Himmel helfen. Und ja, nächste Woche mal wieder Matussek. Und die Empörungsrituale – das wäre noch ein ganz eigenes Thema.

    Es hat ja aber auch nie jemand behauptet, Freiheit wäre einfach.

  9. 1.
    Vielleicht hat sich die „Herrenreiterin“ vor ihrer irritierenden, völlig verquer[-verspult]en Rede ein paar Dosen Crystal Meth reingezogen!?

    2.
    Als nicht assimilierte, neigeschmeckte Bajuwarin frage ich mich seit Jahren,
    warum sich die Schwaben immer klein machen, warum sie alles und jedes klein denken und kleinreden und woher das mangelnde, schwäbische Selbstbewusstsein kommt??
    Und das, wo die Schwaben eigentlich so viel Gro[e]ße[s] in so vielen Bereichen [Literatur, Erfindungen, Patente usw usf] [hervorgebracht] haben!!
    Es bleibt mir ein Rätsel!

    :-/

  10. Neun zu eins, das Verhältnis der selbstbewussten zu den nicht selbstbewussten Schwaben. Allerdings ist das hier der Exilquotient.
    Die, die abgehauen sind, sind angenervt von kleinen Karo der Heimat, aber den Arbeitsethos, die Freude an der Kurzphilosophie und am Essen, die haben sie mitgenommen.
    Also, wenn das Essen besser wäre hier im Rheinland, dann wäre alles toll.
    Meiner Theorie nach leben die Schwaben einfach zu dicht nebeneinander. So sieht man eben gleich, was beim Nachbarn los ist. Und unkommentiert kann man das keinesfalls lassen.
    Und nachgeben geht auch nicht. Also Missgunst und Verdruss.
    Ein bißchen rheinisches Levve und levve losse!
    („Leben und leben lassen!“) täten allen gut.

  11. Was auch nie schadet:
    Mer muss och jünne könne!
    („Man muss auch gönnen können.“)
    Sei weder neidisch noch missgünstig!

  12. dank für ihren ausführlichen kommentar. ich denke einfach mal, grundmenschliche verhaltensmuster (wie auch deren ggf. karogemusterte rezeption) lassen sich kaum regional fest- oder aufklopfen. manche bleiben, manche gehen, manche sind laut und manche sind leise, manche kommentieren und manche nicht, manche leben zu eng und manche mit zu viel platz. das ist in bayern nicht anders als im rheinland oder an der waterkant. ich kenne strunzdoofe düsseldorfer und symphatischste thüringerinnen, und zwar zu gleichen teilen. jedes grüppchen aber – das eint alle horden – braucht eben seine schwaben. ich (als gruppe) nehme mich da nicht aus. oder waren’s die ostfriesen? ein stetes abgrundranking, ein immerwährend angstvoller blick nach unten, sehr bissig dorthin. und alles wegen des dialektes, so mein behauptendes wahrnehmen. aber wurscht. lang lebe die mecklenburg-vorpommersche lässigkeit!

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