bsp. Tautreten

Die paar wenigen Nächte nun, wenn die Grillen noch zirpen einerseits, bevor sie sich in die Aufzugschächte der Krankenhäuser und Sterbebereiche von Pflegeheimen zurückziehen, dagegen ein paar Hunde schon aus der Ferne bellen und es hat 4 Grad, wie im Winter, so ein spezieller klargläserner Klang, obwohl doch noch Bienen fliegen, dann riecht man nicht Schnee, aber schon Eis oder das, was kommt. In diesen kalten Nächten jetzt fahren auch die Kleinbusse aus der Ostmark (Kriegsenkel) und laden ihre stets versicherten Frachten aus, mal haben sie mehr Herz, mal etwas weniger, und morgens bedrängt eine tiefschräge Sonne, dann kann man herrlich erfrischend Tautreten nach Abenden in Kneipen (oder auch nicht), oder man könnte jedenfalls, mit einer Tasse fair gehandelten äthiopischen Kaffees in der Hand, bevor man später nur beispielsweise ein Seminar über die vorrübergehende Beherbergung minderjähriger alleinreisender Flüchtlingskinder besucht oder – ungleich wichtiger – eigene Rechenfehler ebenso eigener Rechnungen korrigiert, voll mathematisch alleinreisender Grundgram, oder sich in Listen zur Organisation der Aufsicht von Ausstellungen hineinschreibt. Wesentlich ist immer, dass man was zu erzählen hat, wenn man – z.B. oft beispielhaft – erzählt.

FritzFranzFriederich

Die Kirschkern sagt „Papa, Du siehst aus wie ein alter Hund.“ Die K. isst mallorcinische Schweinefüße als Vorspeise (schon im Juni). Beides darf ich nicht ins Internet schreiben, sagen sie, beide. Es heisst „Brezel“ und nicht „Breze“. Das Hantieren mit Buchstaben und Wörtern. Seiten wären füllbar, oder auch nicht. Die Kirschkern hat der alten Dame deren bereits vor bald zwanzig Jahren handschriftlich verfasste Memoiren abgerungen und nach der Tortursiedlung mitgenommen, um diese dort abzutippen. Sie ist bereits auf Seite 22. Wunder, dass sie die großmütterliche Schrift lesen kann, halb noch Sütterlin gemischt mit ‚Deutsch‘. Und ich bereue die mir fehlende Anonymität. Große Dinge, kleine Dinge. Die Hände sind mir verbunden für das, was ich gerne umschreiben und schmücken wollte, ggf. an die Wände malen, nicht lichtecht, dennoch ziemlich wahr. Aber neu und ungemein beruhigend, ein paar Sachen, im Jetzt, im Damals und vielleicht auch im Morgen. Ohne Grauen, keines mehr da. Späte Genüge. Wie kleinlich. Oma, die alte Dame, ist Zeitzeugin der aussterbenden Sorte, da sind wir uns einig. Und der Spruch mit dem „alten Hund“, der gefällt mir. Da stimmt was dran. Nach ausführlichem Studium der Vaporetti zu Venezia ist mir endgültig klar: Als echter Mann musst Du vor allem ein Schiff fahren können. Ich wär ein guter Busfahrer in V., da bin ich mir sicher, ich könnte schon morgen anfangen: Das Ansteuern der Haltestelle, dann dort etwas zurücksetzen, damit der zweite Mann (oder die zweite Frau) den Tampen überwerfen kann, danach weiter ein bisschen zurück in Viertelskraft, damit sich die Leine festzurrt von alleine, und dann Ruder entgegen der Ausstiegsstelle mit Fünftelskraft, auch je nach Seegang und Wellen. Ab und an einen Ellenbogen greifen, auf dass nichts zwischen Bordwand und Ponton gerät, Kinder, Alte, Kranke, Blöde, Dumme. Und alles Diesel. Die Kirschkern erzählt, in Frankreich habe sie einmal Spätzle gemacht für die Gastgeberfamilie, woraufhin diese meinten, das seinen „Nudeln“, woraufhin sie korrigierte, „Nein“, das seien keine Nudeln, das seien „Spätzle!“. „Aha, also Nudeln?“ und sie: „Nein, Spätzle!“ Mehrfache Korrektur diesbezüglich, das gefällt mir. Beim ersten Tor gegen Polen boxte mir Ivona gegen den linken Oberschenkel und lachte laut und verzweifelte fast. Entschuldigte sich sogleich mit ehrlichem Schalk fürs Boxen, sie sei immer sehr emotional beim Fussballschauen. Während die alte Dame aus ihrem verbliebenen Auge heraus aufs Sofa herüberplierte. Ivona hat ein wirklich sehr großes Herz, die alte Dame eine gedachte Augenklappe, jedenfalls bei mir, ihr kaputtes Auge wird langsam irgendwie dunkelfarbig, wie bei Agatha Christie. Wir müssen tatsächlich irgendwann über eine Augenklappe nachdenken. Von der anderen Seite her boxt mich oft die Köchin, wenn ich sage „Und Du, Du hast Schweinefüsse gegessen! Unglaublich!“ Die Kirschkern sitzt oder saß daneben auf dem zweiten und letztverbliebenen Rattansessel (Bj. 1971), kaute an Mangoschnitzen von Alnatura und freut sich in ihrem Gemütlichschlafanzug meist oder oft an der Gesamtszenerie. So scheint mir. Wir sehnen uns jetzt alle nach dem Herbst und Winter, wenn wir wieder dreimal hintereinander „Tanz der Vampire“ ansehen können an einem Abend. Oder ‚Türkisch für Anfänger‘ oder ‚Der Tatortreiniger‘. Und wenn Oma ein Name fehlt, bezüglich einer männlichen Person, dann sagt sie immer „Na, Du weisst doch…, nu sags doch…! Der… FritzFranzFriederich!“

Immer dann, in solchen Momenten, nehme ich, von allen Anderen unbemerkt, der Köchin Hand in die meine und flüstere ihr zärtlich leise ins Ohr: FritzFranzFriederich.