Kannten, bis ich was sagte

Rechtenstein

Tageb. 30.7.2022/ mir fällt es schwer derzeit, zu schreiben. etwas zu ende zu schreiben. geschliffen auf meine art zu formulieren, und damit zu denken zu ende. etwas niederzulegen, ab zu legen, zu bannen in dies oder das. ähnlich verhält es sich mit dem bildnerischen. mein atelier wird fremdbelegt von vorrübergehend ausgeräumten dingen, mit materialien für die renovierung oder mit temporären verlagerungen des archivs in die arbeitszone oder sozialpausen. ich habe in diesem jahr keine gedankenplätze und privaten höhlen, die ich doch so brauche. lediglich der samstag abend ist etwas reserviert hier, also heute. aber wer kann schon von 0 auf 100 bildnern oder formulieren, geschweige ordnen. ich hätte das so nicht gedacht. wie es ist ohne die schöne private sphäre, in der ich tun und lassen kann, normalerweise. im atelier trinken handwerker nun derzeit ihren kaffee, das ist ja auch vollkommen in ordnung so, der umbau geht voran, was schön ist. selbst am samstag kann es jedoch sein, dass jemand plötzlich im hause ankommt, um etwas zu tun. was ja prinzipiell gut ist. aber ich habe keine schöpferische schutzzone mehr, wie schwer das ist, auch mit dem wissen, es geht vorbei, das hatte ich nicht bedacht. der kopf ist voll, aber nichts kann derzeit hinaus, so, wie ich es sollte und wollte. stattdessen fragmente, in bild und worten, oder zerstreute aufschreibsel, ungeendet, roh, nicht wirklich gut geschliffen oder gemalt oder eingefangen. das nahezu einzige, was möglich ist, sind andeutungszettel, am besten fotografisch. oder schnoddrig, ggf. obszön. ich wollte eigentlich, so dachte ich im februar, im garten große rotzige dinge malen im lauf der renovierungsarbeiten. und wenns draufregnet, dann ist es auch egal. jetzt wo ich das schreibe, denke ich, ich sollte genau das nochmals probieren, sommerlich. ich habe textlich forsche und grundlegend emanzipatorische entwürfe über das sog. „gemächt“ abgelegt, über meinen mittlerweiligen fast-hass auf SUVs und daimlers politiken oder audis elektropanzer, natürlich aber auch bauseitige schöne beobachtungen mannigfach sowie anmerkungen zum allgemeinzustand des sozialen zusammenseins, regional wie gesamtweltlich. all diese planvollen dinge mitsamt kleinen abstrakten malereien sind jedoch in diesem jahr aufs gedimmte eis angelegt. alle energie fließt gerade in den umbau mit allen seinen details, derer es immer mehr werden, je mehr alles voranschreitet. und es ist ja SCHÖN, dass es das tut, es ist spannend, aufregend, alles das erste mal! dazu dann aber noch dieser neofaschistische krieg, dazu immer noch dieses latentcorona mit infizierten kollegen, dazu das wissen, dass man häuser eher mit 40 als mit 59 umbauen sollte. aber dennoch zu wissen, immer und zuversichtlich, wie schön das hier werden wird, wenn es einst fertig ist. ich meine, andere legen mit 59 die beine hoch. ich will aber nicht die beine hoch legen, um es mal so zu sagen. ich kann mir gar nicht vorstellen, irgendwann mal nur noch die beine hoch zu legen. denn worauf sollte ich meine füße hochlegen, auf was denn bitteschön diesweltlich? ausser vielleicht, ab und an mal, in ligurien, maloja oder in grau d’agde oder an der ostsee. in privaten räumen wie schöpferischen ecken – die es aber eben ja nicht gibt gerade, wenn die mir wildfremden heizungsbauer meinen heiligen (!) maltisch-stuhl mit cola und döner fürs mittagessen belegten und meine privatesten ladekabel benutzten. die jungen kennen da nix. das war früher anders. /Kannten, bis ich was sagte!

(Bild zeigt malerische Miniatur vom Juni des letzten Jahres 2021 / Maße: klein, Öl auf Pappe, Titel: „Rechtenstein a.d.Donau“, im Hintergrund das Kloster Obermarchtal, rechts davon der höchste Berg Oberschwabens, der Bussen. Ich kenne kaum schönere Orte und Gegenden, allerhöchstens wollte ich das Bild demzufolge an Ausgewählte verschenken, oder für 5.000,00 EUR oder mind. eher mehr verkaufen.)

24. Juli

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MO., 18.7.2022 /die holzbauer sind mittendrin mit dem dach. ich kam vor 10 tagen ans haus und die eine seite war im nu abgedeckt von ihnen, Rolf berichtete, sie seien zu sechst in paar stunden fertig gewesen, alle alten dachziegel schon im container unten auf der strasse. es war seltsam, auf dem gerüst von oben in die räume zu sehen. wie in ein lebensgroßes modell hinein, auch ins modell meiner jugend und herkunft. mein herze lachte und freute sich. mittlerweile ist schon die neueindeckung vorbereitet, in den nächsten tagen wird das wohl passieren. der dachüberstand ist nun größer als bisher, da ja noch die aussenverschalung erneuert werden wird, mit 7cm mehr an dämmung. dann gibt es tiefere fenstereinschnitte, die neuen fensterbretter für außen sind auch schon eingemessen und bestellt. der sehr nette und kalk- und lehmaffine solostukkateur, Rolf sein name, im innenbereich macht tolle arbeit. die oberflächen werden wunderschön, geglättet mit hand, bürste oder rolle, schöne grade wände, ohne tapeten oder dispersion, stattdessen mit weisskalkhydrat und weißem lehm. die lokalitäten der zugesetzten ehemaligen türdurchgänge sind nicht mehr zu erkennen, das ist witzig, manifestierte veränderung, sowie die alten steinernen fenstersolbänke innen wurden von einem kompetenten steinmetz aus der umgegend neu zugesägt und angefast und es freut mich, diese wiederverwendung. in der künftigen küche hat rolf eine dieser werkstücke bereits neu eingebettet, unter das neue fenster. die fenster sind der maserati unter den fenstern: holz/aluminium. alles energetisch tip-top. ich bin jeden tag am waldrandhaus. es ist jetzt hochzeit der abstimmung der verschiedenen gewerke, wir sind sehr froh, das WAS GEHT in diesen zeiten. der elektriker taucht immer wieder auf, um weiter seine kabel zu verlegen und immer wieder gibt es detailfragen, welche steckdose wo, hier ein schalter oder dort, wie soll die neue decke der küche hergestellt werden – gipskarton im trockenbau oder schilfrohrmatten nass kalkverputzt, welche deckenhöhe, wie der schallschutz zwischen OG und EG in künftigem gästezimmer und bad oder küche. wer bricht wann das neue fenster im bad durch, wer mauert das halbe fenster der bibliothek zu, möglichst bald, wann können die heizkörper final angebracht werden, zunächst muss dort ja schon die wand gestrichen werden, und so weiter. es ist mords was los. morgen, so die holzbauer, werden die neuen dachfenster eingebaut, sie liegen schon im garten herum. morgen kommt auch der vertreter der dachziegelfirma und schaut sich dach und lokalität an, wegen der menge der ziegel und der abladung. Rolf besorgt morgen diverses material, um die mauervorblendung im großen „wohnzimmer“ unter dem panoramafenster für den dort zu installierenden heizkörper zu schaffen. „damit alles atmen kann“ ist seine – richtige – devise. gipskarton sei ein quasi halbtotes material und da hat er irgendwo auch sehr recht. die bauzeitliche haustüre (1964) ist mittlerweile schon ertüchtigt, auch das freut uns, dass das ging – dichtungen, schlurfschutz, verglasung und sicherheit. ein neuer bauschuttcontainer steht schon wieder an der straße, ich bin ständig am befüllen, bahram hat sehr viel geholfen beim weiteren abbruch des kleinen aussenkamines aus den 1980er jahren. nun sind es nur noch ca. 1,5m nach unten, die restlos entfernt werden müssen. auch zum zwecke der schuttentsorgung habe ich mir eine neue schubkarre gekauft, ausgeschildert als „profi-garten-schubkarre“. ich habe sie 29 euro billiger bekommen, weil falsch ausgeschildert bepreist. als ich sie dann glücklich zum KFZ schob auf dem baumarktparkplatz, fand ich noch hingewehte zehn euro. die ich sofort einsteckte. ich denke ja immer, wer so blöd ist, sein geld zu verlieren in scheinen, der hat es nicht besser oder anders verdient, dass es den besitzer wechselt. /nun ist es spät, frau mullah meldete sich aus W, wo sie an einer schulung teilnimmt. wie gerne würde ich sie begleitet haben dorthin. aber ich muss arbeiten in einer kirche, deren turm seit jahrhunderten absackte. bis zum vergangenen jahr, als viele tonnen an beton in den gipskeuper und v.a. darunter, in den fels, gepresst wurden, um diese dauernden senkungen – endlich – zu beenden. die schäden im kircheninnern müssen nun behoben und hunderte risse, die wie wunden die wände überziehen, mehrfach geschlossen und unkenntlich gemacht werden, nachdem sie zunächst geöffnet und gesäubert werden mussten. wie eine große dramatische verarztung. bin teil davon.

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FR., 22.7.2022 /und immer wieder diese bewundernswerte deutsche Sprache: „Du reistest nach Wien“, so begann es. Es drängt sich auf das Doppelwörtchen in die Sinne, zunächst lapidar: „Du reistest nach Wien zum Reistest“. /Sodann als Frage: „Du reistest zum Reistest?“ / Vorwurfsvoll: „Während ich hier auf die Kinder aufpassen musste, reistest Du – natürlich – zum Reistest!“

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SA., 23.7.2022 /inzwischen sind die neuen dachlatten über einer grünen bahn montiert. es hatte am dienstag heftig geregnet, aber alles ist gottlob dicht. die neuen dachfenster sind eingebaut, im „neuen“ zimmer im OG unter der dachschräge herrscht ab jetzt ein wunderbares licht, dort, wo bisher nur ein kleiner abseitiger dachboden als stauraum genutzt wurde. den sturz für das dortige talseits neu geplante fenster zum dorf hin und der schwäbischen alb haben die hervorragenden zimmermänner als echte allrounder kurzerhand selbst gegossen, nachdem vorgefertigte stürze aus beton nicht lieferbar sind. im bad haben ebenfalls sie mit dem ausbruch der fensterversetzung begonnen, hier ergeben sich probleme ebenfalls mit dem sturz, der ja auch dachtragend ist. ein neuer längerer sturz aus holz muss dort eingepflegt werden. zudem tauchten in der massiven wand alte entlüftungsrohre fürs bad im UG auf, die – laut heizungs- und sanitärbauer – bleiben müssen und damit den standort des neuen badfensters mitbestimmen. /Rolf hat inzwischen auch die vormauerung unterhalb des panoramafensters gemauert. ytong, kalk und lehmputz, mich freut die schaffung von oberflächen, die diffusionsdurchlässig sind und ein gesundes raumklima pflegen. alles muss ja raus und reinkönnen. und bei allem den 1960er charme räumlich und raumästhetisch beibehalten. bei LEHM denkt man ja immer an jahrhunderte alte bauernbutzen mit krummen wänden. ist nicht so, völliger quatsch. das neue „halbe“ bibliotheksfenster sitzt, heute habe ich noch die inzwischen flink (durch ebenfalls die zimmermänner!) getätigte zumauerung der anderen hälfte am unteren rand ausgespitzt, damit die auch hier aus altbestand neu bemaßt herausgesägte solbank von Rolf gesetzt werden kann. so geht es auch in der bibliothek weiter. für die dort nach unten vergrößerten fenster zum garten hin müssen wir nun dringend die einbauregalplanung anschieben. ebenso, wie die küchenplanung, aber hier gibt es nun den plan für die elektriker, so dass die ihre schlitze ziehen können, bevor Rolf die letztendlichen oberflächen herstellt. am vergangenen dienstag kam auch ein weiterer netter photovoltaik-bauer vorbei, offenbar sehr erfahren. lieferschwierigkeiten, wie überall derzeit ja beklagt und als grund für massive preiserhöhungen angeführt, gebe es eigentlich keine, „nur die preise für speicher und schaltungsmedien“ seien momentan „schwankend“. das angebot sei in einigen wenigen tagen dann fertig. das dronenfoto, was er „gleich noch machen würde vom dach“, täte er uns gerne noch als zuckerle (selbstverständlich) zusenden. wir sind gespannt, sowieso auf alles. /morgen, sonntags, gilt es, einmal wieder einen kassensturz zu tätigen. angebote und geleistete abschlagszahlungen einmal nebeneinander legen und listen und spalten anlegen, auch für das, was noch kommt und rein und rausgeht. eine ungeahnte erbschaft wäre schön, aber alles ist bislang im rahmen. /da fällt mir ein: die elektriker müssen noch leer-rohre unters dach legen für die photovoltaik und die zimmermänner noch öffnungen im dach schaffen für den rauchabzug eines geplanten zimmerholzofens im „wohnzimmer“. mit so einem garten hat man immer holz zum verheizen, es wäre schändlich und fahrlässig, auch angesichts DES putins (des „russen“ also) und der weltlage, so etwas zu vergessen. /die zimmermänner haben sogar auch schon die hölzerne schwelle von „wohnzimmer“ zur neuen küche (übrigens das bauzeitlich elterliche schlafzimmer und in der folge das ewige schlafzimmer der alten dame, bis zuletzt) herausgeschnitten. der neue boden in der neuen küche wird linoleum sein, dieser dann über den durchbruch und damit die ehemalige schwelle in balkenbreite verlegt werden und mit einer metallleiste zum kunststeinboden der 1960er-jahre des „wohnzimmers“ abgedeckt und vermittelt werden. /schon vorbereitet seitens der elektriker ist die anbringung eines irgendwie passenden und fulminanten decken-hänge-leuchters im „wohnzimmer“ ab 4m über bodenniveau. manche bezeichnen als „candelaber“. man findet die aberwitzigsten leuchtskulpturen, auch aus den 1960er-jahren im internet. stolze preise. der raum eignet sich jedoch tatsächlich für so etwas. wie geschaffen. für irgendeinen schrägen WURF. unangeberisch gegenüber dem üppigen voluminösen luftraum, jedoch diesen nutzend, was sonst. ein vorschlag meinerseits lagert seit einem halben jahr in der garage. ein ehem. kirchenleuchter, entworfen vor erst zwanzig jahren, lichtmodernisierend für eine alte hochkirche, einer von vielen seinesgleichen in gotischer umgebung und veräußert seitens der kirchengemeinde für einen guten zweck.

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DO., 21.7.2022 /Rolf, der competente solostuccateur, bringt fast jedesmal seine kleine süße hündin HEDDA mit auf die baustelle. ich hab sie gleich ins herz geschlossen. sie ist irgendwie wie ihr herrchen. mittlerweile verteidigt sie das grundstück und bellt, wenn es an der gartentür geräusche herannahender handwerker oder bauherren gibt. sie ist knapp ein jahr erst alt und nagt an allem, was herumliegt, gerne auch plastik. ich glaube, selbst die zimmermänner haben sie mittlerweile – immer irgendwo herumliegend oder einen jeden freudig begrüßend – akzeptiert. auch bei terminen mit dem architekten und allen sonstigen adhoc-besprechungen ist sie stets aufmerksam dabei. egal, ob im UG, OG oder EG. oder im garten. Rolf erzählt beim Rauchen, sie würde nichts mehr essen. dann beichtet er mir, der tierarzt habe gemeint, sie dürfe nicht so verwöhnt werden, v.a. von ihm: mit leckerli vom tisch zu hause, wann immer und wo immer. frauchen (also frau von Rolf) habe jetzt daraufhin strikte änderungen zuhaus’ eingeführt: futter für Hedda jetzt nur noch an einem essplatz, dort stünde dieses 15min, danach würde es abgeräumt. damit sich HEDDA regelkonform gewöhnt. ich finde auch, das wäre ganz einfach. sie ist eine wirklich zuckersüße, ich bin hundeseits sehr bestechlich, wenn ich sympathie bemerke, hunde- oder hündinnenseits. die umliegenden singvogelfressenden katzen hingegen kacken immer noch, trotz belebter großbaustelle, an ihre gewohnten notdurftplätze im unteren garten (sogar die zimmermänner haben kleine plastikfolienstücke auf diese häufchen gelegt, um nicht jedesmal beim materialholen ebenda hineinzutreten).

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es IST viele baustellen, gleicher zeit. fühle mich einen deut, einen tick, nochmehr im leben als bspw. 1985, 1988, 1997, 2003, 2010, 2014 und dergleichen. wie gießt man eine tomatenpflanze im tomatenproduziermodus? von unten, von hinten, von oben oder von vorne?

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ein bild verkauft, jedenfalls zusage. manche würden sagen, es sei ein hässliches bild. ist es aber nicht, meinerseits im gegenteil. steht getippt drauf, oben am rand, neben nacktem weiblichem körper von schräghinten voyeurhaft am strand mit brustwarze, haupthaar und schamhaar: „red head hairy european feminist MILF on beach“. dahinter ewig ausgetüftelt und veränderter malerisch schnoddriger, wie zufällig, horizont mit ebensolchem breitpinselstrand. wie mich diese gewoketen lebensbildwelten traurig machen, bestürzen oft wegen der weglassungen, mitsamt sämtlichen bild- und damit inhaltsunterlassungen, wenigstens drohender an- und abmahungen, vor allem den verboten von menschweisheit und erkenntnis in mannigfach nuancierter durchgenudelter empirie.

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man muss, als alter ego mindestens, immer den unbedingten verweigerungen auf der spur bleiben lebenslang, damit kann man sich oft die ein oder andere cola mitsamt schuss verdienen und zuletzt wenigstens aufrecht in die grube fahren.