Genre

Genre

(Abb.: *)

Und wieder schneits, wie schön. Die Äpfel Nummer 1 wohl blühend erfroren, die Äpfel Nummer 2 könnten es noch schaffen. Apfel Nummer 3 macht in diesem Jahr offenbar sowieso Pause, weil der erstaunt ist über das viele Licht, das wegen des Heckenmassakers nun wieder zu ihm hindrängt. Weiteres Wachstum vorerst auf Halde gelegt von den Protagonisten der Gartenflora. Wie es wohl den Bienen geht und den Hummeln, die schon flogen.

Die Reifeprüfung nimmt ihren Lauf. Eine lauthalse Erkältung wurde chemisch geblockt, ein geschwollenes Handgelenk wird distanziert betrachtet. Tut nicht weh, ist nur geschwollen, daher egal. Die Kirschkern ist hart im Nehmen. Nun noch Mathematik und Französisch stehen bevor, ersteres schwierig, zweiteres aus dem (geschwollenen?) Handgelenk.

Die Arbeitssituation gänzlich anders als in diversen Vorjahren. Wichtig dabei auch die unverhofften Bilderverkäufe. Dank an alle Sammler. Und hierbei auch einmal wieder an die arbeitsanfragenden Kollegen und Kolleginnen. Es ist mir völlig ungewohnt, so viel Zeit für das Atelier zu haben und zudem jeden Abend daheim zu sein. Ich muss mich daran immer noch gewöhnen, tagtäglich, im glücklichen Glück.

Ein südfranzösisches vermeintlich antikes Fakemöbelchen steht in der Werkstatt, die Wurmlöcher von Menschenhand eingeschlagen, der Kenner erkennt natürlich sofort. Es ist solide gebaut, hat zwei Schubladen, es ist eine Art Flurtischchen für Hüte oder Lederhandschuhe oder eine kleine Anrichte fürs landlustige Wirtschaften aus einer anderen Zeit. Es ist ein schönes Stück und wird nun von gespritztem Orange und Ocker auf gebrochenes Weiss mit „provencegrauen“ Elementen getrimmt. Der erste Anstrich trocknet bereits, natürlich in selbstgemischtem Öl mit Zinkweiss, etwas Ocker und grünlichem Umbra.

Das läuft so nebenher.

Weiterhin werden nun zusätzliche Mathematikstunden wahrgenommen, diejenigen für geflüchtete Jugendliche, es wurde ein schönes und wichtiges Fussballspiel besucht, dort wurde über die massive Präsenz von schwerbewaffneter Sicherheit bei 60000 Zuschauern gestaunt, es wurde die Erde als mögliche Scheibe besprochen, und auch das Hasenfest wurde gemeinsam begangen und sogar ein umfangreiches Eiersuchen im Garten wurde gewünscht und durchgeführt auf ausdrücklichen Wunsch der Kirschkern. Täglich die aufregende und manchmal ja auch holprige Schwelle vom Kindsein zum Erwachsenensein, das ist schon schön, das mitzuerleben und begleiten zu dürfen. Und oft auch witzig. Wären da nicht immer wieder diese zwei bevorstehenden amtlichen Befragungen, die nach wie vor auf sich warten lassen und die doch so wichtig und entscheidend sind fürs zukünftige Weiterverfahren.

Am Arbeitstisch betreibe ich derweil Farbfeldmalerei in bedeckten mischverwandten Tönen. Oder ich kopiere hie und da ansatzweise Gabriele Münter und widme mich einem meiner heimlichen Lieblinge, nämlich der klischeeverwöhnten metasexistischen Genremalerei aus komplett unkomplizierten Zeiten.


* „Genre“, 2017, 21x21cm, Öl auf Pappe, ©VG Bild-Kunst Bonn

Harald Alexander Rogler

Harald Alexander Rogler

Mein Vater hatte es wirklich blöd erwischt im letzten Jahrhundert. Das kann man so sagen. Geboren 1920 in Stuttgart, kurze Zeit nach der Flucht seiner elterlichen Familie aus Südrussland, aufgewachsen in Berlin und Weimar, war er gerade neunzehn Jahre alt, als er sich freiwillig meldete zur Wehrmacht. Manche sagen, er und seine Freunde hätten das Abitur geschenkt bekommen für diese Entscheidung zu Kriegsbeginn. Es folgten fünf Jahre Kriegsdienst, zunächst in Frankreich und dann in Russland. Dann fünf Jahre Kriegsgefangenschaft ebenda in Russland. Er bekam Typhus und allerlei Anderes, aber überlebte und kehrte 1949 zurück. Das waren also zehn wichtige Lebensjahre, die normalerweise zu anderen Identitätsfindungen benötigt werden.

Er heiratete schnell, wurde schnell geschieden und in den fünfziger Jahren dann studierte er Architektur am Weissenhof in Stuttgart. Seine Passion war die Malerei – oft großformatige Aquarelle, sehr expressive Landschaften und Blumenbilder. Er bekam eine Anstellung im Architekturbüro seines Vaters. Er heiratete erneut, mein Bruder wurde geboren, und er wurde erneut geschieden. Wobei er – damals ungewöhnlich – das Sorgerecht für meinen Bruder zugesprochen bekam.

1959 lernte er meine Mutter kennen und kurze Zeit später folgte die dritte und letzte Vermählung. 1961 wurde ich geboren, da hatte er bereits eine Anstellung am Universitätsbauamt der Stadt Tübingen bekommen. Im Malen war er manisch und versunken, so erzählte meine Mutter oft. Er wollte nur noch farbige und „schöne“ Dinge in Bilder fassen, Schlimmes habe er genug gesehen. Die Badewanne im Atelierbereich des Hauses am Waldrand zeugt noch heute davon, diese war nicht zur Hygiene, sondern allein zum Vorwässern der großen Aquarellpapiere eingebaut worden. Neben seinem Broterwerb beim Amt bekam er Kontakt zu einer großen und solventen Kölner Galerie, die ihn förderte und seine Bilder sehr gut verkaufte. Dies – so meine Mutter in Auskunft – war um 1963 der schöne Anlaß, im Geldsegen einen Hausbau zu wagen.

Bereits 1964 zog die vierköpfige Familie – die Eltern sowie mein Halbbruder und ich – ins schnell fertiggestellte neue Haus am Waldrand ein. Dort blieben ihm nur noch zwei weitere Jahre, bis er bereits 1966 im Januar an einem Krebs, von dem die Ärzte später sagten, er sei auf die Mangelernährung während seiner Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion zurückzuführen, mit sechsundvierzig Jahren verstarb.

Ich denke, er war ein Getriebener. Ein Gehetzter. Zuletzt ein Herausgerissener. In Windeseile musste er verlorene Zeiten nachholen, und sicherlich hat er das gewusst oder geahnt. Man spürt das in seinen Bildern. Auch ihn hat das letzte Jahrhundert letztlich um ein wenigstens halbes Leben gebracht. Im Haus, seinem Architektenhaus, entdecke ich auch heute immer noch Zeichen dieser Hast. Diese verweisen, ganz nebenbei, immer wieder auf diese seine Geschichte. Seien es seltsam verlegte Elektroleitungen oder die Wandstellungen in Holzbauweise, die manchmal wenig durchdacht scheinen in bestaunenswerter Machart. In der Nachschau.

Vieles im Hause ist zügig. Und die alte Dame hat später wenig dafür getan, dies zu ändern, wer will es ihr verdenken, sie war ja eine frühe Witwe, die zusehen musste, wie alles überhaupt zu bewahren war.

Sein bildnerischer Nachlass ist einigermaßen wohlgeordnet. Aber er war, aus heutiger Sicht, eben noch nicht genügend im Kunstmarkt etabliert, um seinem allzu frühen persönlichen Sterben seine Bilder hinterherzuwerfen. „Wenigstens“ möchte man dann sagen. Jedenfalls bis heute nicht. Jedenfalls kommt mir das so vor. Auch sein Oeuvre wurde ja jäh abgebrochen. Ich frage mich oft, wieviele solcher Schicksale es geben mag – auch künstlerischer Schicksale. Unentdeckt und irgendwann im besten Fall auf Dachböden und irgendwann vergehend. Wie viele Zufälle irgendwann dann sich hinzugesellen, ob nachgeborene Menschen gefundene Kisten wegwerfen oder öffnen. Wieviele Launen oder Tageszeiten oder Umstände. All diese, wenn überhaupt aufgefunden, zwischen den Seilen hängend von echter Wertschätzung, Auktionshaus oder Altpapier.

Ich will zusehen, dass sein Nachlass nicht verstreut wird irgendwann in alle Winde. Aber es ist eben so, er ist einfach zu früh gestorben. Wegen Hitler, diesem Arschloch.

Ich habe ja schon öfter mal über diese oder jene unwegsamen Familiensachen berichtet. Heute ist Karsamstag, gestern war Karfreitag. Und morgen ist Ostern. Ich glaube, der Karsamstag wird zunehmend mein Liebling dieser Kirchenjahre, wegen des „Dazwischen“. Wegen diesem einen Tag an größtmöglich ernster Bedenkzeit im Jahr. Die Passionsgeschichte mitsamt Ostern und ihre Bilder scheinen mir ohnehin vor vielen Jahren von sehr weisen Menschen so entworfen und niedergeschrieben. Das waren Menschenkenner und Schicksalskenner, die etwas Neues wagen und sagen wollten, um dem immerwährenden ewigen Meucheln der Blutrache endlich einmal etwas entgegen zu setzen. Im Grunde ganz einfach. Bis heute. Schaut man sich die Welt an. So interpretierte ich schon immer. Auch vor vielen Jahren gab es gewiss Kisten auf Dachböden, das beziehen wir sicherlich oft zu wenig ein in unsere Einschätzungen der unsrigen Istzeit. Und unserer Istschlauheit. Auferstehung? Unsere Bilder sind so knapp geworden. Und so angstvoll und unkünstlerisch.

Ich war heute an seinem Grab mit der Kirschkern, „Opa-Himmel“ hatten wir ihn früher immer genannt ihr gegenüber, wir haben die Winterabdeckung aus Nadelholz entfernt, es wachsen schon allerlei Blümchen, wir wollen das zusammen bald mal wieder richten und ein bisschen pflegen. Den Efeu schneiden, der den Grabstein überwächst und die in Granit gemeisselten Buchstaben wieder leserlicher gestalten, vielleicht sogar mit Farbe. Und da ich unter dem Namen meines Vaters in modernen Suchmaschinen noch nie etwas gefunden habe, so möchte ich also hier einmal seinen Namen kurz nennen, nur damit wenigstens ein einziges Mal ein kleiner Eintrag im Internet stattfindet und erinnert, sollte irgendjemand jemals nach ihm suchen. Harald Alexander Rogler war sein Name. Und wünsche herzlich frohe Ostern.

schläger

noch die fussleistchen gestrichen in ganz hellem grau im speißgang, dafür tönchen in öl gemischt und dem wandton angepasst, neuhoelzerne ockrige bodenbretter ebendort mit kaseinlasur nach altgrau gedreht farblich, im türmchen tapetenfehlstellen mit kreide gekittet, dann mit aquarelllasürchen getupft und mit buntstift und spucke sowie wangenfett retouchiert, im zweiten obergeschoß die eingangstüre mit altem leinölfirnis gestrichen, zuvor die dortigen neuhölzer, angebracht vom spezialschreiner zur dichtheit der alten türe gegen rauch aufgrund moderner bestimmungen den schutz vor feuerbrand betreffend, mannigfach auf ALT und dunkel gebeizt, in die jahre gekommene helle lackspritzer mit der kleinen mobilen ölpalette farblich angeglichen ebenda, ein neues türgewände dort aus eiche mit kaseinlasur matt nach eichumbragrüngrau getrimmt, kleine neuverputzte wandpartien ebenda mit kalkfarbe in hellgrau gemäß der barocken stuckdecke gestrichen, die einhundert jahre alten vergoldeten randleistchen der ofenumrahmung im tapetenzimmer wiederangebracht, zu diesem zweck andere vorhandene altleistchen gesägt und mit spitznadeln aus dem nachlass des kollegenvaters und hämmerchen ergänzt, im treppenhaus die kammertüre für besen, allerlei tand und bereits antike feuerlöscher gereinigt, retouchiert und gewachst sowie poliert, die füßeren neuhölzer um die eingangstüre des ersten obergeschoßes herum marmoriert wie ihre bereits im letzten frühsommer fertiggestellte umgebung, die schwere türe selbst, halbalt, halbneu, hat der kollege nun mit schläger und streicher maseriert in fettem öl grün-braunorientiert, habe also den dort noch sich befindenden altbestand vom glänzen her auf seine neuen tiefenlichtrelevanten brillianzvorgaben angeglichen, zuletzt die vierzig farbeimerchen mit kalkfärbchen, alle sorgsam den räumen zugehörig und über zwei jahre lang penibel beschriftet mit edding fürs archiv, in einen anderen keller hinunter getragen und zuletzt dort das licht gelöscht und die verbliebenen pinsel gereinigt, die terpentingetränkten küchenrollenblätter zum ausdampfen in den burghof gelegt, die leinölfirnislumpen tunlichst separiert wegen ihrer möglichen selbstentzündungen, der hof also, in dem vorgestern noch arien von opern herumschallten, große jagdhundähnliche hunde freundlich bellten und buddelten und teilmieter sich durch zufallende türen auf wehrgängen ausgeschlossen hatten, weshalb ich schlüsselmäßig aushalf, damit sie nicht an dachrinnen herunterklettern, junge leute eben, mussten, sie dankten mir sehr freundlich dafür.

kein ding, sag ich.

nun ist dieser bauliche abschnitt nach knapp zwei jahren abgeschlossen. solche restarbeiten, sie sind gewesen ein trepp auf und trepp-ab, hier auf wasserbasis grundieren, dann kann das schon mal trocknen, dann dort in öl vorlegen, morgen ist es angezogen, dann kann man das weiter bearbeiten, dann diese kittungen im schlafgemach und während diese härten, kann ich das wässrige bodenbrett andernorts bereits überarbeiten in öl. ich mag das ja, dies maltechnische glitschen an ungewohnten orten, diese materialorientierten pläne fürs vorhaben, die eigenschaften und trocknungszeiten von zeug einbeziehend. überhaupt: zeug und zeit. und geruch.

7.4.2017

Die Schüssel früh zur Butze gebracht, dicke Bolle wg. Nullgrad, Zichten kaufen nicht möglich, da alle Plunzen noch zuhaben, keine Kleindäuser dabei für Bus, nicht drangedacht, also erst Schrippen kaufen wegen Rausgeld, kleinen Roten geben, überhaupt kein Problem um die Zeit, Schrippen noch warm, aber schlecht, aber freundlich.

Im Bus retour stinken die Medizinstudenten nach Vorabend. Mittags im Kfz dann die Trägheit von Luft bemerken, die einen seitlich anweht im Innenraum in den Kurven, das ist schön, das ist Frühling.

Im Garten über den vormaligen Rasen verstreut jetzt alle möglichen kurzen Blümchen, deren Namen ich nicht kennen will, noch niemals wollte. Blumen und ich sind wie Mohammedaner und Christen früher, man kann Tee zusammen trinken und sich und sein Kopftuch oder 1001Nacht in Ruhe lassen, das ist ja alles Asche jetzt leider.

Auf der Suche nach Tonträger von Andreas Dorau, „70min Musik ungeklärter Herkunft“. Vergriffen.

Am Grasinquisitor ein ungeschliffenes Mäherblatt seit drei Jahren, das wird schon noch mal funktionieren, der vormals Rasen, heute eher Wiese, sie tut mir ohnehin immer leid. Dazu ein Weltgericht aus Stein gereinigt, vor zehn Jahren hab ichs gezeichnet mit Rechner, es ist 700 Jahre alt, fällt mir das Lutherjahr ein und das Konstanzer Konzil ff. und der Versuch, diese zweihundert Jahre vor sechshundert Jahren mindestens auseinander zu schnuppern.

Busfahrer schimpft privat vor sich hin wegen irgendwas Privatem, vor siebenhundert Jahren gabs noch nicht mal Busse oder Privates, also schimpf nicht. Denk ich. So denk ich oft.

Im Bus setze ich mich immer auf genau die Sitze, auf die ich mich eigentlich nie setzen würde wollen, würde mir genug Zeit gelassen. Mir gehen diese allzu schnellen Entscheidungen, die Busfahrten einem heute abverlangen, auf den Senkel. Früher gab es noch alte Frauen in Bussen. Ich sitze dann da, und überlege, was uncooler ist: Sitzenbleiben – oder sich umsetzen. Ich bleibe dann meist sitzen und denke ans Damals, während alle anderen ohnehin auf ihr Mobile starren. Denen ist es vollkommen egal, wo sie oder ich sitzen.

Die Reparatur der Schüssel hat 360 Steine gekostet, das Klima funktioniert jetzt wieder und rechts vorne ist ein Stabilisator ausgetauscht. Überlege, die plastenen Zierblenden der Michelinreifen von Silbergrau nach Schwarz zu verändern, immerhin bin ich als Ästhet nicht ganz unerfahren, dafür müsste ich aber deren Zollmaße recherchieren, wozu ich zu faul bin, alles Lebenszeit. Vielleicht überstreiche ich einfach mit schwarzgrauer Ölfarbe und könnte dann rückseitig signieren, Auflage vier.

Fünfzig Millionen für Rachemarschflugkörper in den Sand gesetzt. Rache und Marsch, ganz meine Omi.

Und kaum sind die letzten Kinder gestorben wird bereits hochkünstlerisch danach gefragt, woher Giftgas stammt. Dazu Boote und Zelte in Übergröße, wie gewohnt, in nicht unbeachteten Betroffenheitshallen und im solventen Etat. Ich überstreiche da lieber Zierblenden mit Ölfarbe und lasse die dann wie Frisbee mit Wucht in den Wald fliegen, wenns keiner sieht. Unsigniert, wütend. Dann kann Welt wenigstens Gras wachsen.