Die düstere Baustelle zieht sich hin. Eine falsche Formulierung eigentlich, denn nicht die Baustelle ‚zieht sich‘, sondern die Arbeit auf ebenjener. Wobei sie sich durchaus zieht, die Baustelle, jedoch ich werde nun bald und mit Gottes Hilfe das Erdgeschoß erreichen. Ich fing ja ganz oben an in Richtung unten. Meter um Meter reinige ich mich nunmehr seit Monaten in Richtung des Erdmittelpunkts, kämpfe, dränge und biege mich durch das enge verwinkelte Gerüst und wühle und taste mich entlang Wandschmutz und gebundenem Feinstaub aus über 50 Jahren hin zu unser aller Magnetkern, Stufe um Stufe dem Hades entgegen. Vor fünfzig Jahren war noch Wirtschaftswunder. Die Gerätschaften dampfen und nebeln, man sieht oft weder Hand noch Tand vor Augen, durch den enormen Druck fliegen einem kleine scharfe Fetzen von Splittern um die Ohren, Schollen wölben sich zischend auf ob der plötzlichen Hitze und Blasen kommen und vergehen in Sekunden wie im Hollywood der Nahaufnahme in Breitband und mit einem willkürlich verzerrten Zeitraffer. Es knistert und ziept und es riecht gefährlich, feuchte warme Materie platzt wie bei kleinen in Miniatur entworfenen Urknallen im Makro für die Puppenstube. Archaische Höllengeräusche einer als „Technik“ bezeichneten Vorgehensweise, die menschliche Überlegenheit gegenüber dem Material suggeriert, ohne dabei zu beachten, dass Materie immer dauernder sein wird als irgendein aus ebendieser zusammengesetzter Mensch. Selbst das Treppenhaus rät zu mehr Demut, ist aber geduldig mit mir.
Ein Treppenhaus kann natürlich keine Ratschläge geben.
Das alles allein unterbrochen hie und da von dieser ungemein lasziv gehauchten Automatenstimme, weiblich und offenbar entworfen für’s Baustellenklischee: „Schön, daß Sie mich starten, ich bin gleich für Sie bereit!“. Dann, nach etwas Brodeln und Aufköcheln im Tank jene wunderbar fast frühlingshafte Nachricht: „Gerät ist betriebsbereit!“. Und ab und an, leicht dominant: „Entkalken!“. Zuletzt, wenn weitere drei Liter hinausgestoben sind und den Atem der Welt benässt haben, die lapidare Feststellung: „Wassermangel!“. In Endlosschleife.
Im Dauerbetrieb werden die Kabel warm. So viel Energie fließt und wird umgesetzt bei diesen Vorgängen der Umwandlungen von Zuständen.
(Wahrscheinlich könnte eine ausgewachsene Person mit dieser Energiemenge nach Mittelfrankreich reisen, um dann dort ihrerseits zu wandern oder im Cafe zu sitzen.)
„Wassermangel“ bedeutet immer auch Pause. Eher ein ‚Päuschen‘. Mit einem großen Eimer zwei Stockwerke in den Tiefkeller, dort befindet sich die Wasserstelle, gleich neben der lange verwaisten Mausefalle mit ranzigem Käse. Hier saßen sie bestimmt auch damals vor 75 Jahren, als das Nachbarhaus getroffen wurde und sie die ganze Nacht lang die Fassade aus den Fenstern des vierten OGs heraus mit Wasser begossen, damit das Feuer nicht übergriff. Ich fülle dann den Eimer, begebe mich wieder hinauf und rauche manchmal noch kurz eine Zigarette vor dem Haus in der gleißenden Frühlingssonne, wahlweise im Regen. Und denke an die alte Dame. Als ich in KW 4 im dritten Stock anfing, da hat sie noch gelebt. Nun ist sie seit zehn Wochen schon unter der Erde. Wie es da unten wohl aussieht jetzt?
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Es gibt da seit ein paar Tagen ein Video, welches mich (und wohl nicht nur mich) beeindruckt. Man muss das ganz ansehen, auch wenn es fast eine Stunde lang dauert. Und auch die kurz erwähnte Tatsache, dass die Anzahl der Wähler zwischen einem Lebensalter von 18 bis 30 offenbar wesentlich geringer ist, als die Anzahl der Wähler über einem Lebensalter von 70 Jahren. Vielleicht sollte man die jüngeren Wählerstimmen, um deren zukünftiges Leben es ja geht, mit 1,5 multiplizieren? Es ist so ein Stillstand überall. So eine gesättigte Trägheit, fast schon eine Lähmung. Mit Prisen ältlicher Arroganz. Weil keiner mehr weiterweiss oder will. Oder weil zu viele ihr Geld retten wollen. Wo doch Klarheit überfällig wäre. Ich fühle mich ziemlich erinnert an’s eigene zornige Aufbegehren vor langen Zeiten.
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Erneut ein paar Päckchen und ein großes Paket nach Übersee mit längst vergangener Korrespondenz und liebevollen Hinterlassenschaften gepackt und zur Post gebracht. Man muss das alles anständig zu Ende bringen. Diese ganzen Auflösungen und Vergänglichkeiten von Geschichten, Dingen, Personen und einst Gedachtem. Aber ich kann beim besten Willen nicht beispielsweise eine kleine schöne Ledertasche fortwerfen, welche die alte Dame noch handschriftlich mit einem erläuternden Zettelchen datiert und verortet hat. Zu groß ist die Aura:
„Diese Tasche bekam ich zur Konfirmation 1941 in Königsberg von Oma Mika aus Pillau geschenkt, wo doch alle damals gar kein Geld für so etwas hatten!“
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Im Dorf gibt es jetzt eine Ampel, aber nur, weil gerade Baustelle ist. Ansonsten gibt es keine Ampel in diesem Ort und das gefällt mir an diesem Ort.