Welt im Gras

Welt im Gras

(„Welt im Gras“, 15.1.2023, Öl auf Karton, 16x23cm, © div.)

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„cave canem“ und „carpe diem“. cave diem und carpe canem. auf der betitelungsliste steht auch noch „Tonband“ (so ein altes hohes, von Revox) und „berufene Münder“. was das nun wieder soll. irgendwo steht auch noch „eher werd ich blind!“.

das ventil vom duschboiler ’92 tropft. in eine plastikwanne in altweiß für kleinwäsche, noch von der alten dame. überhaupt, ein großer anteil desjenigen plastiks, welches in den weltweiten weltmeeren schwimmt, ist bestimmt von der alten dame. via gelber sack an malaysische küsten. ein duales system eben. diese wortschöpfung wäre auch ein bildwerk wert, vielleicht kontrastreich in orange und hellem grün.

den ganzen gestrigen tag lang weitere vorbereitungen für den neuen decken-/bodenaufbau OG getroffen. abermals bohrhammer. dann den rieselschutz aus vergütetem papier zugeschnitten, zwischen den balken angebracht und mit meinem alten wertigen handtacker, noch aus metall, befestigt. ich wollte fertig werden, bin es aber nicht. ich mag es nicht, wenn meine tagesvorhaben nicht zu ende gebracht werden, von mir. dazu noch um ein haar. bei anderen bin ich großherzig, geduldig und sanft.

(„um ein Haar“).

der neuschnee bleibt wenig abgeschmolzen liegen, schön. der waldrand liegt auf ca. 400m ü.NN. bei hornbach (ungefähr 360m ü.NN.) nun auch keine maske mehr übergezogen. wenn es denn sein soll, dann besser jetzt, wo vieles sich noch ruhig anfühlt im neujahr. was ist mit mir, dass ich das C noch nicht hatte? beinahe unheimlich ist mir das manchmal. fresszellenstolz, blutgruppenscham und demut vorm göttlichen. „warum?“, das frage ich auch mäuschen, welches jetzt natürlich friert. die stückchen an brot und käse haben wohl nun auch andere nächtliche tiere entdeckt. keine kleine maus kann so ein brotendstückchen, vergleichsweise üppig, wie ich es ihr immer genehm platziere, so schnell verzehren. vielleicht eine größere maus, eine gartenwühlmaus? eine entlaufene wüstenspringmaus? oder ein eichhörnchen. die roten sind die eingeschleppten aus amerika, die unendemischen, oder waren es die schwarzen? die roten wären mir unsymphatisch, sollten es diejenigen aus amerika sein. ich glaube, es waren die roten.

vielleicht auch ein marder, der es sich am hause neu eingerichtet hat. irgendwo hinter der noch alten außenverschalung ohne installierte marderhemmnisse. aber besser, er frisst brot vom mäuschen, als meine lenkmanschetten vom kfz unten an der strasse. mäuschen wird schon durchkommen, dafür sorge ich.

karma? ach wo, das gibt’s nicht.

spätestens, nachdem ich im spezialoperationsübersprung in den vergangenen monaten unzählige tier- und safarifilme angesehen habe. kleine filmchen, kruger nationalpark und anderswo. löwen gegen wildhunde, geparden gegen leoparden, gebährende gazellen als futter für hyänen. büffeljunge für löwen („könige der tiere“). klar, alle müssen ja von irgendwas leben. das wusste ich ja schon. dennoch, es ist schlimm, komplett herzlos, brutal. es ist wohl eben so.

danach habe ich ukraine-filmchen geschaut. wenn die selbstgebastelten bömbchen von der drone, ausgestattet mit camera, hinunterfliegen in den russischen unterstand, wo gerade welche eine zigarette rauchen und sich vielleicht fragen, was das alles soll. dann eine kleine detonation da unten, unterlegt mit anschwellender orchesterkmusik. natürlich, ein erfolg. man überfällt auch nicht einfach andere länder und bombt vollbesetzte wohnungen weg.

zuletzt habe ich mir dann, im übersprung vom übersprung, eine vielzahl von „car-crash-compilations“ angeschaut, bei kaffeepausen während rückbau oder beim trödeln angesichts dringlich zu erledigender arbeiten. das ist meist harmloser. seltsamerweise stammen die meisten dieser kurzen aufzeichnungen aus den weiten russlands. die fahren dort aber auch wie die sau. oft dachte ich, wenn wieder ein wagen als schrott in den sibirischen winterwald fliegt, „ach mensch, all die schönen LADAs!“

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jetzt aber sehe ich mir keine schlimmen filmchen mehr an. und bevor ich in „Gott ist tot!“-stimmungen verfalle, verfolge ich seit einiger zeit schon, nicht erst jetzt, malerisch ein gemisch aus zunehmend mikroskopischer daseinsdekonstruktion und der bearbeitung bildlich graphischer unsubjektiver äußerungen in minimalatomarer vorlage. schon seit langem denke und ahne ich, dabei einer halbsystematisch systemischen „schöpfung“ auf der spur zu sein. und vielleicht ebendieser eine äußerung zu ermöglichen, durch mich hindurch, sozusagen. die formate werden immer kleiner und deren fertigstellung dauert immer länger.

ich bin stets erstaunt über diese gesetzmäßigkeiten im chaotischen ganzen. es sind jedenfalls auf alle fälle: gesetzmäßigkeiten.

daher auch dies kleines bild, welches lag im garten für’s foto, noch ohne neuschnee, nächst des mäuschens haus übrigens, zunächst betitelt und bedacht als „Welt im Garten“, später dann aber mit „Welt im Gras“. anderswo meinte jemand, es sähe „spielerisch“ aus. ich ließ das unbeantwortet, mir fiel nichts ein außer plattheiten. mitnichten ein spiel, und wenn schon, dann ein tiefernstes. keinesfalls unbeschwert, jedoch heiter und milde. ein schöner ernst vielleicht, mit laune und auch lust, aber niemals lustig.

eine typisch süddeutsche reaktion vielleicht. eine schwäbisch-württembergische. wo doch auch ostpreußisches blut, thüringische verwegenheit, „südrussischer“ gründergeist, korpsverhalten der kriegsmarine sowie berliner witz hier schlummern, im hause, in kalten adern und in aluminiumkisten.

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einmal mehr nun zu bett, nach mittnacht. mäuschen schläft, haus schläft, rieselschutz schläft, bauschuttcontainer schläft, lenkmanschette schläft. niemals könnte ich in einer welt ohne schnee leben.

Journal

Deuxième Printemps
Ungleiches Tal mit grüner Wolke

Abb. oben: o.T. („Deuxième Printemps“), 6.1.23, 16,5x21cm, Öl auf Karton, © div. / Abb. unten: o.T. („ungleiches Tal mit grüner Wolke“), 10.1.23, 16x21cm, Öl auf Karton, (wahrscheinlich noch nicht ganz fertig, probably yet unfinished), © div.

Haben Vögel eigentlich Humor?

Schmetterling

schon wieder nicht endbrauchbar gemalt am abend, anstattdessen nichts gemacht. das scheint gerade wichtig zu sein. nichts machen. diese wertvollen abende. es sind momentan nicht viele. der rand vom brot ohne schimmel fürs mäuschen ist bereits aufgegessen. dafür archivarbeiten, die sonst immer liegenbleiben. alles mögliche bleibt ja immer liegen. das wird niemals aufhören. im persönlichen und bildarchiv verheddert. wozu überhaupt „archiv“? wer könnte interessiert sein, so ganz ohne graben, kratzen und buddeln? ich kenne das ja von mir selber. das graben giert einem und treibt an, danach ggf. aufregende entdeckungen. und wenn dann alles auf dem zerbrechlichen tisch vor einem liegt und vermeintlich geklärt ist, sodann denkt man: erledigt. fortan interressearm. nicht umsonst vergrabe ich ja gerne schätze im wald ab und an, es ist langsam an der zeit, das einmal wieder zu tun. ein schöner weg, mit endlichkeit, dauer, vergangener unendlichkeit und künftigen endlichkeiten (futur2) sachgemäß allumfassend spirituell nüchtern und gleichermaßen blumig im ausgleichend versöhnlichen JETZT umzugehen.

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der letzte schatz war gewesen derjenige.

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da sollte ich mal wieder hin, mit gummistiefeln, zum nachschauen. bewaffnet mit einem großen stock oder einer zweiläufigen schrotflinte. es soll ja jetzt wölfe geben im echten wald hinter dem waldrand, einen steinwurf entfernt. das hätte ich, jugendlich, auch nie gedacht, daß hier wieder wölfe herumstreunen könnten. schon füchse erschienen mir lebensgefährlich und sie verfolgten mich in wiederkehrenden träumen, um mich aufzufressen. und notfalls natürlich verwackelte wolfsbilder in SW machen, die dann in den lokalzeitungen der umgegend erscheinen. bildnachweis: Schneck. der tierarztjugendkumpel SEHNT sich, so verriet er mir vor einem knappen jahr, endlich nach einer wolfsbegegnung. er würde sich dann hinsetzen und den wolf herbeijaulen, um dessen verhalten und erscheinung fachgerecht zu studieren. er ist ein wolfsflüsterer seit kindesbeinen. er hatte seinerzeit auch nach dunkelheit die dicken behaarten hinterleiber der ausgewachsenen kreuzspinnen am aussenlicht gestreichelt, da waren wir vierzehn. das ging mir, bei aller natürlichen bewunderung für freund und tier, doch auch schon damals etwas zu weit. man soll: BÄREN in die augen sehen, sich groß machen und stehenbleiben, glaube ich. also den macker markieren. und wölfen aber NIEMALS in die augen sehen und sich rückwärts langsam entfernen, angstlos am besten. und dabei in die hände klatschen, so daß alle denken, man sei irgendwie blöde.

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oder war es andersherum?

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in langen jahrzehnten habe ich es mir angewöhnt, allen mir unbekannten oder auch bekannten, sowohl gefährlichen wie ungefährlichen tieren aller gattungen, arten oder untergruppen und unterfamilien jemals schlicht in ihre zwei oder mehreren augen zu sehen und sie einfach entspannt sowie freundlich zugewandt friedlich zu fragen: „Na Du, wer bist DU denn?“ so will ich es auch weiter halten, sei’s amsel oder nosferatuweibchen. bin gut gefahren damit alle jahre, nur zecken hören nicht.

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neben der alten kühlkombination in der waschküche/UG, oben schrank /unten gefrier, hat sich ein schmetterling für den winter auf dem estrichboden platziert. als es vor ein paar tagen so unendlich warm war, hat er sich plötzlich aufgeklappt. ich kenne das von den alten häusern oder burgen und schlössern – sie überwintern lebendig, wie wir ja auch. und wenn es warm wird, dann denken sie, es wird frühling. wie wir ja auch. er oder es ist ein normales pfauenauge. oder sie, das weiß ich nicht, ich muss mich nochmals kundig machen. nun hockt er/sie/div. da, abermals zugeklappt seit einer woche. wie tot, aber ich weiß: das stimmt nicht! jedes mal, wenn ich mir ein atelierbier hole aus dem kühlschrank oder den füllstand im pelletstank kontrollieren will im ehemaligen lebensmittelkeller mit steinzeugboden, vermeide ich nun also schwingung, wärme und luftzug. ich kann nur hoffen, dass die heizungs-/saniatärbauer ihn nicht achtlos tottreten. aber die kommen ja eh nicht gerade, obwohl es mehr als dringend wäre.

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die ersten werden jetzt witwen. scheidungen, trennungen und kriege-um-die-kinder und oder kriege-um-die-sachen waren ja schon. jetzt aber also witwen. witwen, die man mit achtzehn kennenlernte. und die man lieben lernte. ihre leben damals im saft VOR ihnen, stets berührt und mitverfolgt, mal nah, mal fern. oder sogar mal zusammengewohnt. aber immer da. und nun sind sie plötzlich witwen. zunächst sterben ja in der regel die großeltern, da ist alles noch so weit weg, dann – wie zuletzt – die eltern, schlimm genug. aber jetzt fangen offenbar lebenspartner an, zu sterben. das ist alles sehr traurig gerade und macht mich sprachlos.

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nein, ich möchte kein witwer jemals sein. lieber möchte ich vorher einem wolf begegnen und dann lebewohl sagen, weil ich die unterschiede der jeweiligen fluchtverhaltenssempfehlungen – vom großmachen, kleinmachen oder rückwärts wild gestikulierend weglaufen – doch leider ungenügend jeweilig zuordnend im kopf behielt. zuvor aber würde ich die geokoordinaten der von mir waldseits begrabenen schätze ggf. dann doch noch fernmündlich kurz preisgeben. allerdings gibt es oft so weing netz im wald.

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das nagelneue vogelhaus, liebevoll gefertigt und gefüllt mit frischen biosonnenblumenkernen und zudem seit nun schon sechs tagen katzenfern aufgehängt in genügender höhe am gerüst beim hause ist bislang beinahe unangetastet seitens der mannigfachen singvögelschar des nahen umkreises. seit jahren schon frage ich mich, nicht nur deshalb, ob vögel eigentlich humor haben.

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01:08 uhr / vielleicht bin ich, mindestens mein drittgefühltes alter-ego, so ein unerkannter ADHS-typ mit resilienzausgereiftesten sublimierungsstrategien. überall höre ich es immer knacken. in meiner mutvollen vorstellung. es knackt einfach immer überall, vielleicht ja tatsächlich. lösche licht hier und da, püsterchen aus, schwänzchen höh‘, alles entlang der wege des rückzuges. ins atelierbett, dann decke, fenster auf, dann schwere in behütetem wohlsein. das hölderlinchen kann mich kreuzweise.

Lippertsreute

Lippertsreute

War im Linzgau gewesen am Raketentag und demjenigen danach, einer überaus unverschämten Gegend. Unverschämt, da sich dort einfach zu viele Landschaftsschönheiten in Gleichzeitigkeit versammeln. Es existiert offenbar eine gottgeschaffene Ungerechtigkeit in Bezug auf die Galanterie von Gegenden. Wahrscheinlich war das Linzgau ein grundschuliges Streberlein, als sich der zweite Tag (Genesis 1,9 sowie 1,10) dem Ende neigte und hatte mit dem Zeigefinger in der soeben erst geschaffenen Luft hektisch „Hier, hier – Ich ich“ gerufen. In der allgemeinen Hektik des Schöpfungsgewusels hatte dann Gott einen goldenen Wurf an geologischer Profildiversität, lichten Höhen, goldenen Schnitten im Dreidimensional, Ausblicken und gelegentlichem Wasser dorthin plaziert. Vielleicht war das Linzgau ja auch eine langhaarige Schöne mit frühlingshaftem Dekolleté und rot lackierten Fußnägeln gewesen, wer weiß. Oder, sollte es sich beim obersten Wesen um eine Göttin handeln, waren es ggf. ein schöner Bizeps mit ebensolch regenbogengleichen Gesäß in Schlagjeans mit Aufnähern „I Love Goddess“ oberhalb der Knie. Wie sich alles nach Süden hin im Panorama von Orient nach Okzident vor einem ausbreitet, steht man in Heiligenberg oder nächstliegenden Ortschaften. Unten dann die spiegelnden Bodenseeflächen hie und da, teils verdeckt von tieferliegenden Klein- oder Mittelanhöhen, eine Vielzahl von hüpfenden und verschieden gefärbten kecken Horizontlinien, soweit man sehen kann. Das alles orchestral hinterfangen, mutmaßlich dann doch eher wohlüberlegt, mit den sich gigantisch aufbauenden Alpenbrocken in bläulich schimmernden Luftperspektiven, aus der Mitte etwas rechts „Eiger, Mönch und Jungfrau“ und die ganzen anderen Achttausender. Die Krümmung der Erde ist von hier aus sehr wohl wahrzunehmen. Wer jemals darauf kam einst, die Welt sei eine Scheibe, hatte die Linzgauerin verpasst oder war besoffen gewesen auf dem Weg von Pfullendorf nach Überlingen, zum Übersetzen über den See, vorbei an bronzezeitlichen Pfahlbauten matriarchalischer Wohlmütter, hinüber in die Schweiz auf dem Weg nach Rom zum Papst. Um dann dort frech zu behaupten, man habe Indien ersegelt.