PK 50

Vespa PK 50

(…)

Heute abgeholt. Getauscht gegen ein Bild. Bin noch völlig vernebelt im Glück. Es ist das erste hobbyistische Eigenevent seit langer Zeit. Der erste Luxus gewissermaßen, herrlich überflüssig im Grunde, jenseits von Familiensachen, Kunstsachen und Erwerbssachen. Weitab und fern von Notwendigkeiten. Getauscht gegen ein Bild, eine Zeichnung, vielleicht zwei Zeichnungen, die es wahrscheinlich schon gibt, aber die noch nichts wissen von ihrem italienischen Glück. Gute Freunde machen möglich. Ich freu’ mich riesig über so ein Salz.

Die stand lange in einem überdachten Schuppen, der jetzt ein wenig entrümpelt werden soll. Ist einwandfrei angesprungen nach Jahren und hat heute schon ein paar illegale Runden hinter sich, aber immerhin mit einem geliehenen Helm. Modell und Baujahr sind mir schleierhaft, ich glaube, das ist ein zusammengeschustertes Exemplar. Vielleicht ein modifizierter Import. Ich hatte mir damals, mit sechszehn, von der über Jahre aufgelaufenen Halbwaisenrente eine Vespa 50 Spezial gekauft, das war 1977, die hatte aber schon einen rechteckigen Tachometer und Blinker an den Enden der Lenkstange. Dafür waren die Kotflügel noch weichförmiger, wie in den 1960er Jahren. Das jetzige Exemplar scheint eher um 1980 produziert zu sein, einige Teile sind schon aus Plaste, dennoch hat sie aber einen runden, also älter anmutenden Tacho. Aber jegliche Blinker fehlen, trotzdem ein Blinkgeber vorhanden ist.

Als erstes müssen die Reifen mitsamt Schläuchen erneuert werden. Dann muss das mit den Blinkern geklärt werden, das braucht einen Spezialisten, der sich auskennt mit Baujahren und Bestimmungen. Ich denke, ich möchte wieder welche haben. Dazu Helmkauf, ich habe schon lange keinen mehr, für mich und die Kirschkern. Die Köchin hat noch einen, sagt sie, die Köchin ist sowieso ein echter Vespa-Typ. Ich freu mich schon auf die erste Fahrt mit ihr in die gepflegte Umweltzone der naheliegenden grün regierten Fahrradstadt. Zum Cafetrinken, mit Zweitaktstinker, mitten rein.

Dann gibt es ein Problem im mittleren Drehbereich, irgendwie säuft sie kurz ab bergan, man muss die Kupplung feinfühlig betätigen, sehr hochtourig, dann zieht sie aber wieder. Der Tank zeigt innen etwas Rost, aber bisher läuft noch alles. Mittelfristig muss wohl über einen neuen Tank nachgedacht werden, der dann aber auch nicht die Welt kosten würde. Das Schloss der Rückbank mitsamt Verriegelung ist malade, aber das gäbe es alles im Ersatzteilhandel. Sagt der Freund. Und so weiter. Vieles sind Nebensächlichkeiten.

Das nächste ist demnächst dann die Anmeldung. Kein TÜV, nur Versicherung. Die Papiere sind rührend, abgegriffen von mannigfachen Besitzerwechseln, unvollständig und weisen mit Fahrgestellnummer ins Baujahr „1985“, was ich aber (dito) nicht ganz glaube.

Die Kirschkern schielt natürlich auf die Farbe. Ich denke, Ihr wäre es am liebsten, das Ding erstmal umzulackieren oder bunt anzumalen. Vielleicht schielt sie auch auf das Ding an sich. Sie ist 14, wird bald 15 und dann natürlich auch irgendwann ein Jahr nochälter. Mit sechzehn dürfte sie sowas fahren. Aber nur mit Führerschein, welche „Klasse“ das heute ist, das weiss ich nicht. Damals wars die Klasse 4. Mit Rotkreuz-Kurs und Prüfung, an die ich mich keineswegs erinnere, nur daran, wie mit auf der Strasse gezogenen Handkarren umzugehen sei, oder mit Kutschen oder Pferden, vorfahrtstechnisch, und mit Rentnern ohne Rollator.

Einmal bin ich mit meiner blauen Vespa, die ich schon sehr bald „Bardulf“ getauft hatte, über Landstraßen nach Zürich gefahren. Einen ganzen Tag lang, via Schwarzwald. Um einen Freund mit Scheidungshintergrund der Eltern zu besuchen anlässlich irgendeines „Sommerkongresses für Psychotherapie“, das war ca. 1980. Man badete teils halbnackt im See zu Bob Marley und schaute v.a. nach den freizügigen Psychotherapeutentöchtern.

(und) Einmal war ich nach Grundremmingen gefahren zum dort naheliegenden Kernkraftwerk, um nach den Freundinnen der Betreibertöchter zu schauen, die mittlerweile komplettnackt in den Altwässern der vom Kraftwerk schön erwärmten Donau badeten.

/Und einmal noch war ich nach Deggendorf im Bayerischen gefahren. Auch dort waren es wieder die Baggerseen, jene Baggerseen. Aber der Berührungen waren zuviel, für mich in dieser Zeit, mit den Freundinnen der Töchter des Bürgermeisters oder Oberlehrers. Die sich rücklings von weither mit Mokick angereisten vermeintlichen Verehrern in wunderbar schamlosem Hautkontakt an Land tragen liessen, nächtens im Mondlicht im warmen Baggerwasser. Zur Empfängnis bereit, denke ich heute. Alles war da im Saft. Alles war so ungeheuer fruchtbar.

Ich hingegen wollte erstmal Vespa und vor allem Zeit, vielleicht auch hatte ich das alles noch nicht ganz verstanden, und auch wenn überwiegend ich mich für blöde hielt ob der ggf. unterlassenen sexy Gelegenheiten im nachhinein, es stimmte und war stimmig und ich vergaß nicht, mir meine Teile zu denken, zu legen und zu stellen. Für später. In München war dann Straßenmusik mit Blockflöte, die immerhin 34 Mark abwarf, genug fürs Gemisch 1:50 und die Rückfahrt.

Gemisch gäbe es immer noch an Tankstellen, sagt der Freund, und seine Frau betont, dass es EINE Zeichung sei als Preis fürs Gefährt und aber auch EINE, andersherum, für meine noch zu erledigenden Reparaturarbeiten als Folge ihrer Übereignung, sie demzufolge mir noch eine weitere, nämlich die zweite, abkaufen bzw. demzufolge erstatten/ankaufen müsse. Drauflegen. Und dann lacht sie dazu.

Sagte ja schon, gute Freunde. Mir fällt das vor allem jetzt ein, weil einen die Kinder ja immer am Kleinhirn kitzeln. Und die Kirschkern sich nun erheblich und unaufhaltsam jenem Alter nähert, aus dem die beschriebenen Dinge sich nähren.

Vespa also. Ehrlich in der Funktionsweise, klar in der Kommunikation. Dazu in der Formgebung heutesichtig genderneutral. Politisch noch aus Zeiten der geliebten Solidargemeinschaften. Persönlich subjektivistisch Teil meiner Prägung während der Hochzeiten des Beginns des Versuches von Meinungsvorgaben des Pillepalle-Mainstream. Irgendetwas ist wunderbar polarisierend an so einer Maschine. Und versöhnend gleichermaßen.

/Zunächst nun erstmal ein Reifenwechsel, das alles macht froh und schön aufgeregt. Und immer Schleifpapier in der Tasche wegen Zündkerze.

Obstmarkt in Bozen

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(…#1)

Dann kriegen die schon irgendwann raus, was wahrer Efeu ist, jeder zahlt selber.

Frage: „Warum zahlt jeder selber?“

Antwort: „Das hat zunächst einen privatbefindlichen Neuköllner Hintergrund, teils prekär in der Grundaussage, sodann transformiert nach Metaliebling und angesichts der derzeitigen Sachen für mich nicht stirnfaltenarm aktualisiert. Im Ursprung allerdings sehr banal und weltlich, da ich unter einer solchen Prämisse „neuköllnisch“ meinen vorletzten rundlichen Geburtstag in der Eckkneipe unter einer Wohnung Ecke Braunschweiger/Karl-Marx feierte und diesbezüglichst kiezgemäß einlud. Futschi kostete gerade noch um die 1 Mark, Kirschkern war frisch gewickelt. (NATÜRLICH habe ich am Ende des Abends die ganze Gratulationsrunde eingeladen, aber selbstverständlich!)

/Später und kurz seinerzeit bat ich eine iranische Kinderladen-Mitmutter, mir diverse kulturwestliche Slogans (zum Bsp. auch „lieber Maler male mir“, „Generation Golf“, „Geiz ist geil!“ und eben auch „Jeder zahlt selber“ u.v.m.) handschriftlich ins Persische zu setzen. Diese Vorlagen übertrug ich ans Papier oder Holz in Cadmiumrot-Orange im Aquarell (oder Öl) auf charmantem Format. Es gibt ja viele Fahnen derzeit, eine wahre Renaissance, oft schwarz, in ähnlichem Schriftbild, diese wirken aktuell meist eher grundsätzlich zunächst semibedrohlich, was eigentlich schade ist. Jenes nun nehme und nahm ich als Anlass für eine rückgeworfene Koketterie, da mir Schriften ganz basisch gefallen und die Arabischen mithin ganz besonders, jedenfalls noch. Weil ich sie nicht verstehe, sondern sie nur – SAGEN WIR – erfühlen kann, am besten meistens am Abend eher und mit dem großen Herzen und Wurf.

Ich würde ja gerne ein solches Schriftbild auch einmal wieder positiv besetzen. Auch, weil ich an die Macht, die Wahrheit und den Trug von Bildern glaube, wenn man sie denn richtig liest. Von deren Freiheit ich selbstverständlich natürlich grundüberzeugt bin, mittlerweile sogar wehrhaft aggressionsethnologisch, und an Auratik bzw. deren übertragener Verständnisse keine Zweifel mehr verhege, nach gottermöglichten Lenzen des Sehens, Denkens, Hassens und Liebens. Und gleichermaßen, ebenso, von geburtsgegebener Ratio überzeugt bin, welche vorhandene oder gedachte Bilder menschlicherseits menschengedacht zu erklären und zu verharmlosen vermag.

Das alles wollte ich auch schon 2003 ff., da die Flugzeuge in den brennenden Hochhäusern noch präsenter waren, von „Bilderverbot“ kann übrigens also wenig Rede sein bei denen, die jene mit menschlichem Fluch belegen und bestreiten (vgl. hierzu auch Bildgruppe Steinigung/Enthauptung/Massaker etc.), warum auch. Und das ist auch gut so, weil es eben offenbar jetzt so ist, dass es so ist. Und dann ist wenigstens alles schon mal bewiesen für später, dann. Die Kehrseite des Selfie ist und bleibt sein Kopf. Alle Wetter und Kanonen befinden sich im unausweichlichen Postpopregen. Damals bestritten sich ja noch Imperialismus und Faschismus, mittlerweile hat der Faschismus klar gewonnen, immerhin offenbar eine Jugendbewegung.

/Ich hatte zu dieser Zeit dann auch ein paar Abbildungen umstrittener Kopien nordischer Zeichnungen gesehen, ich glaubte, es war auf dem Obstmarkt in Algier, die den meinigen bildnerischen Arbeiten äußerst nachempfunden waren in Tempo, Esprit und Couleur. Plagiate also, dazu unverschämt betitelt („Obstmarkt in Bozen“, „Obstmarkt in Algier“), was mich schon zur Genüge empörte. Einfach nur so blickte ich auf diese Obstmärkte, wie sie dort hingen, dazu zum halben Preis geboten, zur Betrachtung der cadmiumorangenen Orangen, und fotografierte. Ich zuzelte aus unbelehrbarem Reflex, wie es ja so schön ist, dieses an Brüsten und Spitzchen zu tun. Um zu erfahren NUR, wie es sich anfühlt, wenn soetwas, nämlich ein Bild, eine solch furchterregende Ohnmacht erhalten mag im Vakuum des Intellektes fehlender Grundbildung angesichts von Gestaden höherer Missdeutungshoheiten.

/Drehte mich also um, auf dem Weg über den Fluss, ich blickte zurück, obwohl es mir verboten worden war, um die Gründe dieser Bildrelevanzen zu ergründen, zu verstehen gar, sollten sie sich manifestieren. ./. Sie haben sich mittlerweile manifestiert, wir befinden uns im WK III und ich bin Stein. /Darum also „zahlt jeder selber“. Wollten Sie DAS jetzt wirklich wissen?“

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(…#2)

skrip: /Um fünf nach losfahren, jetzt schon nebel auf landschaft und den rückspiegeln, dunkel und distanziert. Und meinem dämmernden gemüt. Selbst morgens matschäpfeljagen, meinen unbelehrbaren kinderchromosomen geschuldet wahrscheinlich. am boris-palmer-roundabout rechts abbiegen, „roundabout“, das internationalste an dieser überwiegend weltfernen universitätssiedlung. Dann durchs zone-dreißig-strassendorf, immer ein drängelfritze hinter einem, der sich freut, wenns beim vorfahrer blitzt, dann irgendwann endlich die autobahn, rauf auf die. Ein gepfrimel um minuten so früh, ein gedrängele um halbmeter, ein weggeschubse und verachtung, geschuldet wohl der immergleichen verhältnismaschine von erwerb, glück, schicksal und stand. Nach kilometer 28 schon schweiss auf der, meiner, stirn mitsamt dem sog des soges des mitmachens (dann eben ist das so). Des teilens.

Auch ich könnte ja schlecht drauf sein so in der früh, wenn ich mich nicht wehren würde gegen diese große bequeme unwahrheit seit dekaden, und wenn ich einen schlitten mit motor hätte, mit dem ich solche wie mich wegdrängeln könnte morgens um halb sieben, WENN ich denn schlecht drauf wäre, weil ich mein haus unbedingt abbezahlen muss bei guter miene zu meinen ebensolch situationierten kumpeln und rivalen, von denen ich keine mehr habe und auch keine mehr haben will (etc.).

Und eigentlich auch selten welche hatte.

Bei böblingen biegen immerhin ein paar mehr, mehr als ein paar, rechts ab, geben natürlich noch gas auf dem abbieger, hormone zeigen. Die sind dann einfach weg. Gut so. Es folgt die einfädelei auf die A8 in richtung KA, da fliesst das ebensolche adrenalin, denn dort befinden sich diejenigen, die in gleicher lebenssituation schon ein paar aufgeheizte kilometer mehr im stiefel haben. Die haben schon den albrand hinter sich, den eichelberg, wenn und wo sie immer an ihre AICHELN denken und übers abstandbeschneiden juchzen, des gegenfahrers. Ein achseltanz.

Allein die lastwagen, sie sind geduldig, auch wenn nach ein paar wenigen meilen sich alle nach rechts begeben, (da, wo sich die A8 und die A81 wieder scheiden lassen), die schnellsten natürlich noch, nicht ohne überholt zu haben den zweitschnellsten, im abbiegen. Nach rechts. Zweispurig, versteht sich. Alpha ist, wer noch einen audi um vier meter gutmacht. Ich wär so gerne frau auf autobahnen, mit Hänger und blond.

Dann, nach weiteren 3 kilometern, /es sind theaterlängen./. die einfahrt in den tunnel des ENGELberges. Da ist es dann meist zwanzig vor. Alle wissen, alle dulden oder sie rennen. Immergleich, tag für tag: wer ist der erste, der nach links zieht, die anderen ausblinzelnd, um dann mit 50sachen mehr als maschinell gestattet die nase vorn zu haben. Und immer wieder mit PASSION, immer noch, ob des ganzen selbstveranstalteten gerases, die lkw.

Im tunnel krächtzt der verkehrsüberblick. Genau auf den punkt meiner ahnungslosigkeiten, in der kerbe meines vorrausahnenden schicksals. Da steht 80 und alle fahren 120. Hinter dem tunnel schalte ich um auf radioklassik, ich weiss, bis zum SWR2-tagesgespräch muss ich am nächsten kreuz (in der regel) sein, dem kreuz weinsberg. Bei marbach am neckar sinkt bereits die wahrscheinlichkeit meines fahrbahntodes um wahrscheinlich ein vielfaches. Es wird zwar nicht leerer, aber nicht mehr ganz so mittelstandsaggro. Manchmal fehlt mir dann sogar was, denn jetzt erst wäre ich so richtig bereit dafür, wach für diesen kampf.

Wenn die anderen schon am ziel sind.

Seit etwa zwei stunden ich jetzt wach. Ich, normalerweise nachtmensch. Es ist kurz vor sieben.

Die ausgedehnte rechtskurve (tempo 100) nutzen dann erneut viele aus der gepumten golfklasse, um nochmal ihren willen zu bekunden. Ich aber verfolge jetzt dort das SWR2 tagesgespräch, ein müder politikprofi am telefon, am schönsten, wenn rudolf geissler die bohrenden fragen stellt, und freue mich schon auf das wort zum tage, mal katholisch, mal reformiert, wenn und bis ich die landesgrenze passiert haben werde, das aber dauert noch ein weilchen, erstmal muss ich jetzt das ausgedehnt hohenlohische hochebenenland vorbeiziehen lassen. Ich schalte um auf autopilot und geniesse im meta.

*porsche zuffenhausen, *landesgrenze feuchtwangen *auf-wiedersehen-in-baden-württemberg, das wären noch stichwörter – jetzt schon B5-aktuell im radio, aber ich wollte ja noch das wort zum tage abwarten, meist in etwa beim rasthof frankenhöhe mit limit 120, an das, auch hier, hauptsächlich ich mich halte, ein ruhepol sind diese tempobeschränkungen, weniger die anderen, weil irgendwer muss ja immer noch ein wenig schneller fahren, überall.

Wieso hat bayern eigentlich eines der vielfältigsten und hochwertigsten radioprogramme? Wieso gibt es das nicht im badenwürttemberg der jetztzeit? Und wieso gibt es auf SWR2, dem kultur-, gesellschafts- und politikkanal usw. des südwestrundfunks, keine verkehrsnachrichten? Fahren kulturell und politisch interessierte menschen nicht im kfz? Wissen diese nicht, was ein stau ist? Wird davon ausgegangen, dass dieser menschengruppe staus egal sind? Was für ein akademisches menschenbild, im klischee geborgen.

/notiz: Ilshofen-wolpertshausen. Eine schöne gegend. Ich bin nun bereits seit 24 wochen in diesem jahr auf reise. Zwei mal gab es die unterbrechung von einer woche. Einmal ostsee, einmal kirschkern. Montags, abfahrt 6.00 uhr. Ich könnte auch zug fahren, aber das würde mich 3 arbeitsstunden kosten. Oder ich könnte am Sonntag abend anreisen, das würde mich einen heimischen abend und eine übernachtung mehr kosten. Das jahr hat 55 wochen.

Die sonne geht auf jetzt im oktober in MESZ bei schwäbisch-hall. Demnächst dann bei ansbach mit MEZ. Einmal habe ich die A6, offenbar mein schicksalsteer, aus dem flugzeug von berlin nach xxx gesehen. Es war morgens und ergreifend. Von schwabach bis heilbronn eine kleine silberne schlange duch berge und täler mit kleinen lastwagen darauf, einer hinter dem anderen. Ganz hinten, ich befand mich über schwabach in etwa in 10.000m höhe, die lieblich dampfenden kühltürme bei heilbronn. Und irgendwo dort unten musste ilshofen-wolpertshausen liegen und der abzweig A7 nach würzburg oder ulm. Und meine tante in SHA würde wahrscheinlich gerade mit meinem onkel, dem weitgereisten entwicklungshelfer (kenia, sumatra, pakistan etc.) ihren ersten kaffee trinken und danach den alten goldenretriever um die feldecken ausführen zum morgenschnuffel.

Ich bin ein hisschen durch jetzt für dies jahr. Ein hisschen, ein bisschen. Hisse die weisse fahne. Ich mag nicht mehr. Das immer weg-sein, stets planen, weit vorraus, minutiös, wann und wo die kirschkern, die alte dame, arzttermine ebenjener und wann war noch dies und das, die winterreifen, die wäsche, wann muss was trocken sein, der chorausflug, die neuen lehrer der kirschkern, die abrechnungen mit der kirschkernmama und die gartenschläuche und die äpfel. Und die atelierarbeit.

Vorvorgestern habe ich schnupfen bekommen, selten ist sowas, geht ja auch gar nicht, ich bin doch selbstständig, ich begab mich nach hause gegen 18.00 uhr, gegen 18.40 uhr begann ich zu niesen und zwei stunden später, nach unaufhaltsam zunehmender nieserei, stellte ich fest, ich bin erkältet und zwar: schnupfen. Eine wunderbar klare sache. Das hatte ich so noch nie.

Erlebt. Taschentücher waren auch keine da.

[Natürlich dachte ich umgehend an ebola. Und daran, wie eine weltbildbelehrende falschmeldung nun lauten könnte, nämlich „EBOLA befällt jetzt ausschließlich nur noch saublöde nahmittelost-terroristen und ihre saublöden schwarzen witwen“. Aber auch das ist ja so eine sache, die sache mit den brechungen und der ironie. Das Ding mit dem gut und dem böse. Ich verweigere mich nun künftig informationen des grauens. Sagte ja schon, ich bin durch für dies jahr. Ich würde mich jetzt gerne vollständig zur ruhe setzen, die speicher prall gefüllt. Und endlich Ruhe, Liebe, Glaube und Hoffnung.]

Beim reinfahren nach N, so gegen zwanzig vor neun, klingele ich dann noch telephonisch bei der alten dame hindurch, die sich im gesteigerten angstmodus befindet, grundsätzlich seit einigen jahren und seit 6.00 uhr im SPEZIELL (das alter, das hohe), und teile mit, dass „ich gerade wohlbehalten nach N einfahre.“ Einfach, damit sie nicht hinfällt vor aufregung. Zu diesem zeitpunkt habe ich bereits einen vollen arbeitstag hinter mir, gefühlt, ginge es nach meinen körperlichen paradigmen. Normalerweise würde ich dann erstmal einen kaffee trinken, gott für unversehrtheit danken und schlafen gehen, ob all der vielfachen reize.

Kaum geparkt vor der kirche empfängt mich jedoch ein zurecht arbeitsorientierter kollege, frisch und voller tatendrang, der dann freundlich sagt: „Guten morgen! Gute fahrt gehabt? Schön, also komm, dann legen wir jetzt mal ordentlich los.“

Das ganze dann bis, natürlich, 18.00 uhr.

Der Schnupfen ist weg.

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(Gruselheimer2, vorher vs. nachher)

Hypothetische Rekonstruktion unter Einbeziehung der (bis dato miserablen) optischen Gesamtsituation, den Wünschen der Kirchengemeinde daher mit Verständnis zugeneigt, ebenso einer reversiblen Technologie (Buntstifte, wegradierbar, reversibel also, jederzeit.), dazu den 6,50 Metern Betrachtungshöhe und all das unter Wahrung der Charta von Venedig. Der Kollege hat mich den ganzen Tag lang „Guck mal, ein Fälscher, hahaha!“ genannt. Mich schamlos veräppelt, dazu grinsend.

Aber Irgendwer muss es ja machen. Die Drecksarbeit.

Ich finde aber, es ist irgendwie dennoch ganz gut geworden, schwierige Aufgabe immerhin, gleichwohl natürlich supersubjektiv, völlig losgelöst der üblichen Arbeit an Wandmalereien. Angelehnt jedoch stets überall an das Vorgefundene (das „Original“), wie auch das Ursprüngliche, wo es denn noch zu sehen war und erhalten ist, auch im Makrobereich, also im Mikrobereich. Tatsache ist, dass der „Original“-Begriff sich sehr erweitert hat, also auch sämtliche Zutaten über die Jahrhunderte mit einbezieht. Was generell sehr richtig und wichtig ist. Auch wenn damit unbedachte und unreflektierte Schrulligkeiten wie auch nachlässiger Umgang mit der Substanz dann sonderbar wertgeschätzt werden, als Zeitzeugnis.

Das Alles übrigens ursprünglich aus 1583 circa, eine damals sicherlich wunderschöne und sehr gekonnte a-secco Temperamalerei, grob freigelegt um 1953, dabei ist garantiert vieles verlustig gegangen und zu Boden geblättert, und dann noch einmal höchstbedenklich kunststofflich und malerisch ergänzend äußerst wurstig restauriert in 1983. Wurschtig, sehr.

Nun aber sieht man wenigstens wieder was. Seit vergangener Woche. Wenigstens irgendwas. Die Kirchengemeinde wollte endlich mal wieder ein paar Augen erkennen im vormals luftballongleichen Gesichtsbereich von sechs Aposteln im Kartoffelgewand und mit ebensolchen Nasen. Habe dann noch ein paar Münder und Bartansätze verfeinert und behutsam Wangenknochen und Schläfenlinien angedeutet. Tagesform. Ganz wohl ist mir immer noch nicht dabei.

Aber Spaß hat das schon gemacht, ich gestehe. Auch im übertragenen Sinne. Ich wurde sogar immer lockerer. Hätte noch 24 weitere Apostel oder sonstwas stricheln können. Gerne auch irgendwelche barocken oder gotischen Frauen im Krieg und Frieden. Oder Gewehre und irgendwelche Waffen mit Frauen und Männern und Flugzeugen und Helikoptern.

Man muss eben auch mal Stellung beziehen, wie im richtigen Leben.

Gegen diese momentane Ohnmacht angesichts der Weltgeschehnisse, speziell der Weltgeschehnisse an der südtürkischen Grenze jetzt gerade in Echtzeit. Aber auch vor allem den Entscheidungsträgern des Gesamtweltgeschehnisses gegenüber, jenseits von Nobelpreisen. Die Genfer Konventionen sind eine ähnliche Errungenschaft wie die Charta von Venedig.

Ich sollte unbedingt wieder öfter Realzeichnen, das macht gute Laune.

gruselheimer

Der Heilige S. befand, man solle ihn nach seinem Tod auf einen ochsengezogenen Karren legen und die Ochsen mit Wagen ziehen lassen. An jenem Ort, wo sie anhielten, dort solle man eine Kapelle zu seinem Gedenken errichten. Die Ochsen hielten an in Poppenreuth vor zwölfhundert Jahren.

Von der Kalten Herberge nach Hinterzarten waren wir gelaufen. Eigentlich ein Tagesmarsch, aber da war dann noch Zeit für ein sonniges Tretboot in Seenot auf dem Titisee gewesen. Unterwegs auf dem Wasser viele Araber mit Burkafrauen im Boot, die freundlich seemännisch grüßten. Wahrscheinlich wegen der Gesamtsituation, oder einfach nur, weil sie auch mal Spaß haben wollten, wie alle Menschen in der Regel. Auch die Chinesen, die sich ausnahmslos Elektroboote gemietet hatten mit riesigen Sonnenbrillen. Nur Europäer (und offenbar Araber) sind so blöd und treten noch selbst.

Nebel, ganz viel Nebel, das ist logisch, im Tal, morgens. Tagsüber dann aber schöne Sonne, die immer noch braun macht und der Himmel blau und die Bäume grün und die Berge hellgrau. Sonnige Höhen und sinnliche Hochstände neben grünen Beerenbüschen. Ich freue mich jetzt allerdings langsam auf den ungemütlichen Herbst, diese mir geliebte matschige Superproduktionszeit.

Im Garten riecht es gerade wie in einer riesigen Mosterei. Und Milliarden von Fruchtfliegen, die selbst die neuen Kollektorenlämpchen am Weg verdunkeln, nachts. Alles ist Biomasse derzeit, Gedanken wie Umwelt, klein und groß, weit und fern, enthauptet oder noch mit Kopf.

Eine Edgar-Walace Wirtin war dann da in einer Ich-weiss-was-Du-im-letzten-Sommer-getan-hast-Pension. In Leichtbauweise hölzern und erschwinglich bis unters Dach aus ungefähr 1970, die düstere Variante mit viel Bauchemie. Öffnete die Tür und musterte kühn.

Die Wirtin also: Ein franz. Gendervorname. Schlüpfend, Cabaret und ungewiss in der Hose, sexuell eher undefiniert. Im Schritt. Schmale Hüften hatte sie, auffallend, und um die 70 war sie. Und natürlich launisch. Ihre Geschichte mag sein ein sicherlich gepflegtes Rätsel, ebenso, wie und warum sie ausgerechnet hier am See hängenblieb einst. Sie kicherte derbe über sich selbst und wusste um ihre Wirkungen, ihren und unseren Unheimlichkeiten zugeneigt und diese fördernd. Last Exit: Original (eine stete Patentlösung). Und wie „die Sonne schon wieder meine Augen kaputtgemacht hat!“, das sagte sie ein paar mal, nachdem sie in die Sonne geschaut hatte, dabei sie ihre Tränen auswischte in’s mit unbekannten Zeichen bestickte Sacktuch und ihre Sonnenbrille daraufhin kurz abnahm, öfters innerhalb zehn Minuten, um diese zu betrachten und währenddessen zu sprechen und zu kichern, abwechselnd zum Fluchen und Lächeln und zum mutwillig herbeigeführten Gedankenwechsel. Zu putzen dann die Augengläser mit knöchrigen Fingern unlackierter Fingernägel, ein wenig hornstark und gelblich im Anflug, und um danach wieder mit halbdeutbaren Pfeilen aus ihren fast geschlossenen Augen blitzend jenes aufzusetzen, das Gestell.

Eine Alphaversion von Mensch.

Kurz noch überlegte ich ein spontanes Storno, entschied dann aber für’s Abenteuer und ungewisse Schauspiel. Leider war diese Entscheidung mir übertragen worden mitsamt der Anmeldung für die Kurtaxe und die Lebensdaten. Die anderen hatten es einfach nicht mehr ausgehalten und waren dankbar geflüchtet, ins Licht und die Luft, „Mach Du das mal, wir laden schon mal das Auto aus, ja?“ hatten sie gesagt, mir mit großen Pupillen und Gesten zulächelnd, sich dann verdrückt und mich mit diesem Wesen alleine sitzengelassen in einem Bureau-sous-terrain ohne Funknetz und mit einem Schiffsmodell aus Streichhölzern im Maßstab 1:50.

Später allerdings, nach der Bootsfahrt dann und nachts, nach einer russischen Pizza, deren Bäckerin uns endlich das sowjetische Wort für „Messer“ verriet, später also allerdings dann hatten wir durchaus viel angespannte Vorfreude beim Heimkehren nach dorthin. Die Kirschkern, die Köchin und ich. „Geh Du mal vor!“ Und keinen Mucks. Wir schlichen hinauf. Das Zimmer gleich abgeschlossen, schnell verriegelt doppelt. Die Hand vor dem Mund gegen das gepresste Gefühl eines verzweifelten Loslachens. Jene sinnvoll schöne Spannung, die sich Luft macht, wenn alles gut zu werden scheinen könnte. Beim Vorstellen von Grusel und dem großen Sieg des Antigrusels. Ewig. Das Zwerchfell im Blick zähneputzend, und in die Schreie der Wände dieses grausamen Platzes hineinhorchend. Nach Geschichten popelnd in der Quersumme eines Ortes und der eigen gespiegelten Seele. Nicht neu, nichts Besonderes, ein Archetypus, mal gelinde, mal schwer. Diesmal natürlich gelinde.

Vermutet.

Sowas ist dufte. Wir alle schliefen unerwartet gut. Ich habe dann am nächsten nebligen Morgen ein Bild auf den Kopf gedreht dort im Pensionszimmer. Aus kleiner Alpha-Rache. Leider wird wohl das keine Sau je bemerken. Umso bedeutender das Geheimnis. Eine selbstbestimmt reaktionäre soziale Intervention, ein Rosenbild.

Im Frühstückszimmer saßen ganz normale Menschen beim Marmeladebrötchen. Und die Wirtin gab mir etwas, was sie gefunden hatte am Vorabend im Garten, was ich dort verloren hatte, worüber ich mich sehr geärgert hatte, da mir das sonst nie passiert. Ausgerechnet, hier.

Am Tag nach dem Einheitstag legte sich die Kirschkern auf einen Ochsenkarren in Titisee und ich befahl den Ochsen, loszulaufen und dann wennmöglich behütet dort anzuhalten, wo bereits ein Münster gebaut war. Das hat geklappt. Immer wieder ist dieser Abschied einer der eher Schwereren, aber Abschiedsgeschichten tragen ja meist die schönsten Früchte.

Das alles war vor drei Tagen und jetzt, heute Abend, stürmt und regnet es in Poppenreuth.