„Wählt!“

Wählt!

„Wir begutachteten also, bewaffnet mit Herz, Maske, Hirn und dem kleinen Untersuchungsbesteck die bauzeitlichen Farbigkeiten einer Ansammlung von Mietshäusern für den sozialen Wohnungsbau, gesamtkörperlich erstellt in den Jahren 1924 bis 1929. Die Fassaden, Fenster und Eingangstüren hatten wir schon vor Corona in der Kiste, gestern nun waren die Treppenhäuser und alle inneren Bauteile an der Reihe. Sehr spannend und polychrom alles, gepaart mit Mut zur Farbe. War ja alles noch vor den Dreißigerjahren gewesen. In Ermangelung einer Toilette sieht man sich dann in der Gegend um, wo denn ein schneller Austritt möglich sei. Eine alte Sandsteinmauer trennt dies Wohnquartier über die Straße von den etwas dahinter liegenden Gleisen der Fernbahn, eine Ansammlung von Mischwinkeln mit Gebüsch, ein paar Parkplätze, das alles wenig frequentiert und wenn, dann hauptsächlich offenbar von Hundebesitzern auf der Suche nach Orten für’s große Geschäft der Vierbeiner oder abendlich besoffenen Stehpinklern, ggf. Übergeben. Nachts zudem eine dunkle Ecke für Vergewaltigung und Meuchel und ein passender Ort, um gerade geschaffene Leichen abzulegen. Ich war also so mutig, mich auf den metallenen Zehenspitzen meiner Sicherheitsschuhe kurz dorthin zu begeben am hellichten Tag, um schnell mal zu pinkeln. Und schaute beiläufig auf diese Wand, diese Mauer, auf der ich dann nach und nach Buchstaben, einst mit wahrscheinlich Ölfarbe oder einem frühen Kunstharzlack in dunklem Englischrot in wohl seinerzeit nächtlicher Eile aufgepinselt, wahrnahm. Und traute meinen Augen kaum. Dort steht – bis heute – „Wählt H…..“. Ich bin mir sicher. Auch nach meiner verblüfften Nah- und Nachschau. Sicherlich war auch noch ein Ausrufungszeichen hinten angefügt. Die Mauerfugen dienten als Schreiblinie, wie praktisch. Den ganzen Rest des Arbeitstages beschäftigte es mich, dass also dort, an diesem kleinen verwunschenen Ort, seit spätestens 1933 bis heute auf einer alten Mauer steht „Wählt H(…)!“ und niemand hat es in all den Jahren und nach Millionen von Toten irgendwann einmal für nötig befunden, diese Botschaft zu entfernen. /Vielleicht aber ist es ja auch richtig so. Es ist immerhin ein Primär-Dokument, das überliefert und nicht zerstört ist. Das ist ähnlich, wie bei anderen Denkmalen, die kamen und gingen über die Jahrhunderte. Halte wenig, abgesehen von ein paar Ausnahmen, von äußerlichen Bilderstürmen, wie sie gerade ja wiederentdeckt werden. Ich war auch stets westvehement gegen den Abriss des Palastes der Republik, was für ein Fadenschein vor 15 Jahren. Die Fähigkeit rationalen Denkens sollte sich der Möglichkeit, vergangene Dinge und Geschehnisse „auszuhalten“ und einzuordnen, doch an die Seite gesellen. Ich glaube, nur so lassen sich Verbrechen wirklich bekämpfen. Auch wenn auch ich mich manchesmal schwertue. Man muss ja keine Blumen niederlegen vor Mördern. Aber ich bin kein Richter. Wer tot ist, wird verherrlicht. Auch ein toter Richter. Wer aber gefangen weiterlebt, muss Taten und Weiterleben angesichts ertragen. Auch Statuen aus Bronze. Mitsamt aller Anbetenden. Die Rache allerdings, ihr Gefühl über sich, die ist schon groß. Ich kenne das. Und je mehr passiert, desto größer wird sie. Ich weiß allerdings nicht, ob mein Vater noch etwas von meiner Rache für ihn hätte. Das ist eben das Ding. Und seit Dekaden empfinde ich denkmalpflegerisch.“

dirty Weekend.

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13.6.2020 / greife mir selber an die brust, um meine aerosole zu spüren, bevor ich sie ausatme. damit sie niemand anders einatmen muss. und meine Nase. Meine geliebten beloved Aerosole.

Aerosole, überall Aerosole. Killer, im Grunde. Heutzutage. Wenn man sich jetzt, angesichts, so überlegt, was man all die vergangenen Jahre und Jahrzehnte, sein ganzes Leben, so alles eingeatmet hat – es ist schrecklich. Fürchterlich, diese Aerosole und Dünstungen fremder Lebendkörper mitsamt deren Auswürfen, Behaftungen und Flüssigkeitsrückständen. An Händen, Füßen, Nasen, Zungen und allem, was Körper eben so zu bieten haben an Verstecken. Allein die Augen. Alles ja Schleimhäute. Es ist unglaublich widerlich, was man alles schon sehen und schmecken musste und dies zu tun vom zeitgenössischen Leben verdammt war. Und hochansteckend dazu über Dekaden, sämtliches Schmiergefink. wie wir nicht erst seit heutzutage wissen. man müsste dagegen anwaltlich vorgehen.

meine schöne nase, meine Nüstern, deine schöne nase! die NÜSTERN meiner verblichenen jahre, ob weiblich männlich, wie ja nun fordernd zur Klärung gewünscht. So ein Pifff.

Wie sehr ich das heimlich alles mag. Diese Geschmäcker, die Körpersoßen, das Schmecken, Kosten und Riechen. Und so hässlich seit Jahrhunderten diese steten Ablehnungen, die uns irgendwelche unsinnlichen Viren aufzwingen mitsamt grotesken Weltbildern.

Auf der derztg. Baustelle sind und befinden sich natürlich auch jede Menge Aerosole. Vor allem komischerweise von den Elektrikern. Diese riechen nach sinngemäß GUCCI, PACO RABANE oder GAULTIER oder billigen Ersatzprodukten, offenbar auf Weibchensuche, ggf. sämtlich ganztägig. Ich kann das ja verstehen, lebensaltermäßig. Sie fragen mich, wie lange ich denn noch brauche in diesem oder jenem Raum. Ich sage: „Ich weiß es nicht“, weil ich es nicht weiss, noch nicht. Immer, wenn ich sie rieche, dann graut mir, obwohl sie ok sind, so rein menschlich. Sie verriechen auch durch Stockwerke hindurch. das ist schlimm. Fast alle vermitteln Lebensabschnitsprobleme in ihrer Arbeit und an Orten, wo man diese nicht überkreuzt vermitteln sollte. An die ich mich wohlwollend erinnere, natürlich, aber ich handhabte das sicherlich anders, seinerzeit. Und denke wandernd durch Zeiten „Corona“, derjenigen Capo sagt „Covid19“ und lacht speiend, sophisticated macht vieles sichtbar. Und unsichtbar. Freuen tu ich mich darüber nicht, jedenfalls nur zur Hälfte. mein angedacht zärtliches Überleben war stets hälftig. Und ich bin immer GUT damit gefahren. Mit viel Liebe. /Wandern, laufen, irgendwo in Landschaften, egal, wo sie sich befinden. Ob auf der Schw. Alb oder in Moabit. Oder in Schöneberg zu Berlin.

In den unterschiedlichen Stockwerken ist es mitunter etwas schwierig mit den Abstrandsregeln. Alle Treppen und Gänge sind schmal. Ich habe mich also darauf verlegt, die Luft anzuhalten, wenn ich flink am Heizungstechniker vorbeigehe. Alle geben sich große Mühe. Es ist gut belüftet. Und oft bin ich alleine dort. Es sind natürlich alles HARTE Männer auf Baustellen, die natürlich alle über ein funktionierendes und damit ebenso baustellenhartes extremmännliches Immunsystem verfügen. Mannigfach bekundet, selbstbezeugt. Wo also ist das Problem? Und wie sollte man dieses lösen, wo es doch das gar nicht gibt. Auch mein Immunsystem ist natürlich hart, superhart und eloquent. Gestählt. Versteht sich. Stelle mir einen darbenden Gesellen vor, im besten Alter eigentlich. Ich möchte mir das nicht vorstellen. VIEL würde dann über DEN erzählt werden, und nur natürlich Gutes. Der Gerüstbauer hustet, ist aber gesund, logisch.

wer weg ist, ist weg. Über die Verblichenen hörte ich oft: „Der hat’s jetzt auch hinter sich.“

Umso schöner ein Wochenende auf der schwäbischen Alb. Mit jeder Menge Feldlerchen. Dem Geräusch meiner und unserer Jugend, feststellten wir. Es gibt sie gottlob noch. Flimmernde Flächen. Sogar den ganzen Tag über und wiederkehrend langdauernd. Wir liefen dann weiter und weiter und freuten uns über ganz normale analoge Fahrradfahrer, diejenigen noch ohne Lithium unterm Sack. Mit Satteltaschen ohne allzu bunte Kleidung, die an uns händisch vorbeitreppelten und ggf. freundlich grüßten, weil wir dies ebenso taten. Oder andersherum. Die hatten jenes Pfeifen bestimmt AUCH gehört (so dachten wir jedenfalls) und eine überwiegend glückliche Jugend über belassenen Agrarflächen – möglicherweise – ebenso erlebt, dazu gehakt/geharrt und gekarrt. So dachten wir uns das schemenhaft sommerlich und bestens gelaunt.

Mit Natür-Pfiff. So ein „jessas“-Pfiff, unbeschönigend, jedoch wohl und naturig (Wiese, Wald, Wurst). /mit Pfiff eben.