Kalk erfolgreich

Was sind es für Zeiten, wenn es schon als naiv gilt, Kalk überhaupt noch als seinesgleichen zu benennen. Überhaupt, stets ist jemand schuld, aber es ist gut, dass wenigstens das noch so ist. Diese Novembertage zwei mal einen Kalkspritzer im Auge – hatte ich -, schnell also das Gerüst hinunter und mit Wasser ausgespült. Dann wird es endlich warm ums Licht. Meine Augen sind doch mein Kapital. Diese Tage auch einen saftigen Kalktropfer im Mündchen nicht zu knapp. Hatte ich das erste Mal. Das schmeckt eigentlich ganz in Ordnung und soll ja in Maßen gesund sein, bilde ich mir jedenfalls ein. Wie Zahnweiss, nur billiger, enorm. Trotzdem zuletzt abermals schnell das Leiterchen hinunter und den Mund mit Wasser ausgespült. Mein Maul ist doch mein Kapital. So wenig Kalk nur, und so ungleich viel Aufhebens darum.

sonntag.

ein sonntagmorgen, die temperaturen gehen runter, die kirchenglocken läuten und ich weiss die köchin auf der kanzel. im haus daneben die buben im bett oder afghanischen internet, hier am waldrand die kirschkern im schlafanzug. aus ihrem vorhaben, laufen zu gehen, wurde wahrscheinlich nichts, ebensowenig aus meinem. es ist einfach zu sehr ein wetter, das zum igeln einlädt. die alte dame ist vom pflegedienst schon gerichtet, hat wahrscheinlich schon gefrühstückt und schaut nun durch die radikal gemetzelte hecke auf die trüben nachbarhäuser, während sie sich die ersten ungesalzenen erdnüsse in den mund schiebt und kleinere unzerkaubare partikel derselben in richting fernseher spuckt, was ich stets anmahne, woraufhin sie brav nickt. nachher kommen die buben diese zweihundert meter hinaufgelaufen, um mir gegen elf uhr, wenn die glocken erneut läuten zum ende des gottesdienstes, beim wechseln der reifen zur hand zu gehen. danach wird im pfarrhaus unter der schirmherrschaft der köchin gemeinsam gekocht und das fertige großessen dann an den waldrand gebracht zum gemeinsamen sonntagsmahl. ein voller tisch erfreut die alte dame am meisten, so sagt sie, mehr wünscht sie sich eigentlich nicht mehr. sehr langsam schleicht sie sich aus dem leben, so kommts mir vor, so könnte man es beschreiben. um halb zwei ist dann mittagspause und vielfaches schlafen an der reihe, danach übernehme ich die betreuung der alten dame. bis zum abend. in dieser zeit muss ich meinen koffer packen, meine arbeitsränzel schnüren und die immerwährende wöchentlichen abschiede innerlich verwalten. könnte ich vier zeichnungen im monat verkaufen, dann müsste ich nicht mehr reisen. vielleicht gelingt mir das ja irgendwann noch. die jungs müssen später noch hausaufgaben machen, ebenso die kirschkern und abends dann gehen wir alle – also diejenigen, die noch laufen können – vielleicht noch ins kino, der film „willkommen bei den hartmanns“ ist angelaufen. das wird bestimmt lustig, auch wenn es keine afghanischen untertitel gibt. die alte dame wird irgendwann heute noch beteuern, wie sehr sie sich freut, wenn ich wieder da bin. wie jede woche. wenn sie wüsste, wie sehr genauso mir das geht. hauptsache, morgen früh um zehn vor sechs ist nicht allzuviel nebel oder sogar schon glatteis. auch heute noch fallen die blätter im sekundentakt, als hätten sie sich verabredet. /ich mag unser „sandwich-leben“, zwischen jung und alt. zusammen mit frau mullah, ohne die das ja alles gar nicht gehen würde. manchmal kommt es mir vor, als sei dies auch eine zeit der ernte dessen, was wir gesäht haben in irgendwie vielen jahren. auch wenns manchmal recht voll ist. ich mag den herbst und seine schöpfende erschöpftheit. die pinsel liegen schon bereit mitsamt einer bunten fülle von säcken von ideen. wenn die kalte luft ins atelier streicht, dann knacken die terpentinkanister, wenn sie sich zusammenziehen. jetzt aber gleich winterreifen und alte schulkreide zum beschriften.