jahr

denk
dorf
Ritter
pilota
letzte bitte schöne grüße
barcola

babyphon stöhnt „juck mich! kratz mich!“, zwei kleine bälle (wie Tennis) blank wie üblich mit geföhntem busch und schmückchen im glas vor grossfenster zu landschaft, schnee ist erwartet und im schnitt 730 mal kleiner tod mit geschichten vor rauhreif, vor gefegten garagen könnte man sagen. jede geschichte aber, wenn sie gut sein soll, muss aufhören irgendwann, sonst ist sie nicht gut. Ausblicke sind lüge. wir leben allein von der Ungewissheit, das sollte endlich mal klar rüberkommen.

Mutti

jacke anziehen, einmal nach links (jacke runterstopfen), einmal nach rechts (jacke runterstopfen), einmal nach vorne (jacke runterstopfen), „hihi, rechts und links – siehste, das weiss ich alles noch!“, und lacht. nusskrümelchen wegmachen, vorsicht beim händewaschen, haut wie papier, könnte sich auflösen. rollstuhl ohne rennen, achzig kilo erst mal den berg hinauf, und „huiiii“ wieder hinunter, schön wärs. frühstückstoast gedrittelt als reiterchen, auf den linkesten bitte vorne drauf die tablettchen in den honig einbetten. endlich frischer kaffee („ah, schmeckt das gut – frischer heisser kaffee!“), danach an meinen platz im wohnzimmer bitte, ach schön, jetzt sieht man wieder was so ohne hecke und bitte jetzt noch die zweite tasse kaffee, oder ist das noch die erste? ist jetzt morgens? wird schon wieder dunkel, herrjeh. nein alte dame, deine mutti ist meine GROSSmutter, wir sind keine geschwister und H ist dein mann gewesen, ich bin der sohn von euch beiden und nicht H., H. ist vor fünfzig jahren gestorben und die kirschkern ist deine enkelin. – wirklich? („ich hab doch nur spass gemacht!“) / „ich trage einen großen namen“ auf SWR, um wen gehts grade, mutti? weiss ich nicht, aber bitte seid still, ich will doch die sendung mitkriegen! „mensch, du kannst dich nicht nur von nüssen ernähren…!“, doch, ich hab doch immer gar keinen hunger mehr, aber diese kleinen tomätchen esse ich gerne, sind das weintrauben oder tomätchen? unsere eigenen vom balkon, oder? die grünen sind weintrauben, die roten tomätchen und es ist WINTER, da gibts keine tomätchen mehr auf dem balkon, mensch Mutti! / und jetzt aufstehen vom rollstuhl, ich halt dich fest keine angst, auf 1-2-3 und rüber ins bett, mutti. geschafft! beine hoch und mit schwung. jetzt noch bonbons ins kistchen (nimm 2), wasser ist auch da, babyphon ist an, ich hör dich, radio kriegste alleine an, wärmflasche kommt gleich. „Mir ist immer so kalt.“ ich hab von papa geträumt und von ostpreussen, wir waren alle am strand und oma mika war auch mit dabei, ach war das schön!

Die alte Dame wird zur sehr alten Dame. Es ist vieles einfach traurig, aber so ist das eben, das muss man aushalten. Müssen alle aushalten. Alle Werte sind ok, nur die Fingernägel müssten mal wieder geschnitten werden, meint der Pflegedienst. Draussen wirds schon wieder dunkel und es kommt eine neue lange Nacht.

als wie

leg mich nieder auf grauliege kunstleder labor, unterlage papierrolle reisst wie immer, ekg kleberdatsch aus sprüh mit fingernagel lang manikürt farblos lackiert macht „pfft-pfft-pfft…“, frau schwarze haare sagt „jetzt wirds kurz kalt“, wird kurz kalt, frau lacht, „ist immer so“ sagt sie, auch im sommer, dann die bepper mit kabel dran, die machen „tschlip-tschlip-tschlip“, ekg ok, alles wieder wegmachen, „können sich jetzt wieder anziehn“, frau sieht aus wie schwägerin, nur größer, seh ich erst, als ich wieder aufsteh, frau die aussieht wie schwägerin nur viel größer sagt, „jetzt waage“, wir ziehn immer zwei kilo mit klamotte ab, ok sag ich, bin schon drei zentimeter kleiner als wie im PA steht, reden über herbst in grau oder sonne und kalt, wie jetzt grad, ich sag, mich nervts langsam, diese sonne und kalt, sie sagt, ja, ist schön wenns auch mal grau in grau ist, stimmt, sag ich, da kann ich immer gut arbeiten, wenns grau in grau ist, frau sagt ja, dann buch lesen und nicht raus müssen am wochenende, ich sag, ja nicht raus müssen unter der woche, doc sagt, nächstes jahr impfpass nicht vergessen, schreib ich mir hinter die ohren sag ich, doc sagt alles ok, ich sag „super alles ok“, niere ok, leber ok, magen ok, pipi ok, zucker ok, cholesterin ok, innereien ok, „alles ok bei dir?“ frag ich doc, doc sagt alles ok, frau die aussieht wie schwägerin nur viel größer und größer als ich sagt „bis nächstes jahr“, ich sag ja hoffentlich, jetzt kann weihnachten kommen, ich sag tschüss, doc sagt tschüss, frau die aussieht wie schwägerin nur erheblich größer sagt tschüss.

Herpés

Die Nachbarin bemerkte diplomatisch und freundlich über die Straße, es war ein Fehler vielleicht, die Hecke so radikal zu beschneiden, da ihre Singvögel keinen Schutz mehr finden würden und nun ein Turmfalke sich ab und an eine Singvögelmahlzeit gönne. Ich bin mir nicht sicher mit dem Turmfalken, kenne ich doch deren Ruf von der Arbeit in Kirchen und an Türmen und ich habe noch keinen solchen hier am Waldrand gehört. Vielleicht sind es eher die vielen Katzen, die dann ein Häuflein Federn übriglassen. Die Elstern sind ja auch wieder in den Wald gezogen, ich glaube, sie konkurrieren mit den Turmfalken? Wer weiss das schon genau. Vielleicht hat die Nachbarin recht, aber der Heckenschnitt ermöglicht es nun der Sonne und dem Licht, endlich wieder das Haus zu erreichen und andersherum dem einen verbliebenen Auge der alten Dame, ihren Monoblick übers Land und hin zur fernen blauen Mauer, der schwäbischen Alb, schweifen zu lassen. Im Frühling wächst ohnehin alles wieder dicht.

Ein Beistelltisch ist ein Tisch, den man einem Haupttisch beistellt. Ein zweiter Ring am selben Finger demzufolge ein Beistellring. Dieser möglicherweise hat vorgestern Schlimmeres verhütet bei einem partiellen Treppensturz nach Verzehr von teilweiser Gans. Vielleicht war’s auch der liebe Gott, eher sogar der.

Denken ja, Reden eigentlich nicht mehr. Beistellreden vielleicht noch.

Ich bekam in diesem Jahr das erste Mal in diesem Jahrtausend einen Adventskalender mit vierundzwanzig kleinen Päckchen geschenkt – Die Kirschkern! Und ich habe das erste Mal in diesem Jahrtausend vier Adventskalender mit jeweils vierundzwanzig kleinen Päckchen zusammengebastelt, das macht zusammen sechsundneunzig kleine Päckchen. Alle mit Tesa und Bändchen. Nicht, dass mir das keinen Heidenspaß machen würde.

Schmecke ferner noch in diesen Tagen das Atelier auf der Zunge und in der Nase auf der Insel in Schöneberg beim Gasometer, während alles erstarrte und die Zellen an Arm und Bein beschlossen hatten, sich für einige Zeit vorsichtshalber nicht mehr zu teilen, klar war, dass da Dinge und Sachen kommen würden, die Zellen wussten wahrscheinlich schon Bescheid, nicht jedoch ich. An der Malwand hingen große irgendwie fertige Malereien und auf eine noch unfertige schrieb wurstig ich „Pause“ in Kobaltblau, Schnee war keiner, aber die Anderen hatten schon frischen Herpes. War vor zehn Jahren.

Und wie gut es geht nun. Mit Pfiff, Danke!