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Wie schön das ist, wenn die Kirschkern zu meiner über die Stirn geschobenen Brille sagt: „Du, das sieht ziemlich scheisse aus mit der Brille so“ und dann vom einen Ohr zum anderen grinst und ihre silbernen Zahnregulierungsplättchen auf den Schneidezähnen spiegeln blinkernd die Sommersonne.
Wie schön das ist, wenn wir ungefähr 1500 kleine, im 18. Jh. in eine Putzoberfläche geschlagene, Löchlein mit Kalkmörtel schließen, nachdem zuvor aus ebenjenen ungezählten Löchlein die in den frühen 1960er Jahren dort angebrachten gipshaltigen, also den mittelgotischen Malereibestand schädigenden, Kittungen durch uns penibel herausoperiert wurden. Schön auch, wenn man dazu „herauspopeln“ sagen darf.
Und wie originell es ist, dass sich der Ort dieser Tätigkeit, nämlich ein kleines Kirchlein, so fernab jeglicher Zivilisation – also am Arsch der Welt – befand, dass es dort noch nicht einmal eine Toilette gab.
Die Bedienung, diese eine, sagt beim Abräumen des Geschirrs immer noch „Und, haben Sie geschmeckt?“. Irgendwann werde ich sie korrigieren. Aber bis dahin stört es mich nicht. Wie schön das eigentlich ist, diese Nuance.
Und wie schön es ist, dass die Kirschkern zu Beginn der Ferien alleine mit dem Fernbus nach Berlin gefahren ist, um ihre erste Freundin aus Schöneberger Kinderladentagen in Dahlem zu besuchen. Zusammen mit den Zwillingsjungs, auch Kinderladenkommilitonen, waren sie ordentlich unterwegs. Überhaupt, die Kirschkern. Sie blüht. Das ist wirklich sehr schön, das mitzubekommen.
Und wie schön es auch ist, droben neben dem englischen Gruß in der Kanzel des Hubsteigers zu schweben, um an den Pfeilern die höher angebrachten steinernen Heiligenfiguren mit dem Industriestaubsauger und dem Schminkpinsel zu reinigen. Und wie es der Hubsteigerlenker schafft, alles Gewünschte um Ecken und Kanten anzufahren, ohne dabei irgendetwas zu beschädigen. Das ist bewundernswert und einzigartig.
Wie schön es war, das kann ich nicht beurteilen, aber ich habe seit langer Zeit einmal wieder fremdsexuelle Handlungen akustisch miterleben dürfen. Im Geschoß unter meiner Bleibe in der Fremde, die Fenster sommerlich geöffnet. Es war ein Kalaschnikowklatschen, wie in einschlägigen Filmen, in vermuteter Häschenstellung a tergo, da das hochfrequentierte Hinein und Hinaus („rat-tat-tat-tat“ usw.) gewürzt wurde durch peitschendes Backenklatschen, in etwa im Achtsekundenintervall. Ein Rammeln und Hoppeln, der Hinterhof ganz Ohr. Ihr Stöhnen nahm zu, von ihm hingegen waren keinerlei Orallaute zu vernehmen. Der große erlösende Abschluß, dem auch ich zuletzt irgendwie entgegenfieberte, blieb jedoch aus. Vielleicht hatte ein Telefon geklingelt, oder eine SMS hatte ihn oder sie über ein schlimmes Ereignis informiert, einen Wohnungseinbruch etwa oder den Tod einer Nenntante.
Und wie schön es ist, dass nach einem erneuten Sturz der alten Dame, mitten in der Nacht, nichts Schlimmeres passiert ist mit ihr. Ihr Problem ist, sie kann nicht mehr alleine aufstehen. In Würde zu altern. Der Hausnotruf verständigte dann die gelisteten Nachbarn, die sie mit Mühe und Not wieder ins Bett bekamen. Und aber auch sonst, ihre sonstigen Dinge, die gehen ihren Weg. Wie lange alles noch so funktioniert, wie es das jetzt tut, das ist die Frage. Stück um Stück. Ich habe nun überall in der Wohnung Griffe montiert. Ein Rollstuhl steht ins Hause. Und immer diese Würde behalten. Sie hatte nachts nach ihrem Hinfallen kurz überlegt, eben einfach auf dem Schlafzimmerboden zu nächtigen. Man muss das Beste aus Allem machen.
Denn eigentlich hatte ich nach Berlin fahren wollen, zu einer mir sehr wichtigen Ausstellungseröffnung. Und nicht zur alten Dame. So ist das eben. Als ich, besorgt durch Auskunft von Zeugen ihres Zustandes, am Waldrand eintraf, sagte sie mit erhobenen Häuptern zu mir „Wegen mir hättest du nicht herkommen müssen! Mir geht’s gut!“. Die alte Ostpreussin. Ich muss zusehen und achtgeben, dass mich nicht eine erneute Fremdbestimmtheit rechts überholt. Man muss aufpassen auf sich im Verkehr der Generationen. Aber manche Dinge besitzen eine unantastbare Zwangsläufigkeit, die selbstgewählt erscheint und das manchmal auch ist.
Auch das aber kann ja etwas Schönes sein.
P+W bedeutet „Pflege und Wartung“. Und auch sehr schön, dass bald hanseatische Freunde am Waldrand vorbeischauen. Und Besuch aus Mainfrankfurt. Und dass sich das neue Schild unerwartet gut verkauft, ein gänzliches volvic. Sowie eine bevorstehende kleinere Beteiligung, an einer Ausstellung, die sich an alte Schleifen bindet.
Und wie am allerschönsten sie bei allem doch sind, die Sommertage und diese nackt durchtanzten Sommernächte, im Mondlicht, im Atelier.