gehoben, Schatz.

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Vor mehr als dreißig Jahren, um das Jahr 1988 herum, verreiste die alte Dame für 12 Wochen nach Nordamerika. Und wie immer vor solchen Reisen plante sie, ihren wertvollsten Schmuck, meist alte Familienstücke, in ihr Tresorfach bei der Kreissparkasse für die Dauer der Abwesenheit zu deponieren – für den Fall eines Einbruchs von gewitzten Dieben, im unbewachten dunklen Waldrandhaus, welches ohne sie ja leerstand in den damaligen Jahren. In jenem Spätsommer jedoch war nicht genügend Zeit mehr gewesen, zur Bank zu gehen und so beschloss sie, das Gut möglichst raffiniert in einem Pappschächtelchen irgendwo im Hause zu verstecken. Was sie tat.

Nach ihrer Rückkehr konnte sie sich jedoch nicht mehr erinnern, wo genau sie das Gebinde voller Goldschmuck in der vorurlaublichen Eile verborgen hatte. Sie konnte es, trotz intensivster Sucherei, einfach nicht wiederfinden. „Im Keller irgendwo…“ – so sagte sie mir immer verzweifelt, in den ganzen folgenden Jahrzehnten. Und dass es so schade wäre, weil doch vor allem so sehr ideell wertvolle Dinge dabei seien.

Verdächtigte dann sogar die liebe russlanddeutsche Reinigungshilfe, in ihrer Gedächtnisnot. Diese Flausen trieb ich ihr empört stets schleunigst aus, bis sie kleinlaut aufgab und oft den Tränen nah zugab: Sie wisse es einfach nicht mehr. Und was für ein Teufel doch die Erinnerung sei.

Immer, wenn ich im Keller war, suchte ich, wenn Zeit war, ein wenig, hob diese Kiste einmal hoch, fasste ein anderes Mal hinter jenes Regal, durchsuchte die Taschen alter Wehrmachtsmäntel, öffnete kaum mehr zu öffnende alte Lebkuchen-Dosen oder begutachtete die beiden alten Milchkannen aus Aluminium in der alten Fluchtkiste aus Cuxhaven. Ich habe seit Jahren schon nach und nach den Keller ausgemistet und immer dachte ich aufmerksam an ihre Worte. Nichts. Nirgendwo. Selbst in ihren letzten Monaten, vor drei Jahren, als vieles schon hinweg dämmerte, kam sie immer wieder darauf zurück. Wo doch der Schmuck sein könnte, herrjeh! Und irgendwann dann, resignierend, ich glaube, es war 2 Monate vor ihrem Sterben, meinte sie angesichts des sich nähernden Todes und seuftzend: „Na gut, ich glaube, der Schmuck, weisst Du, der ist dann eben einfach… weg.“

(‚Das letzte Hemd hat keine Taschen‘, so möchte man hinzufügen. Das sagte sie ohnehin oft, auch als sie noch im Saft war.)

./.

Nach dem Ausräumen und Sichten des Hauses und seiner Innereien habe ich nun mit dem partiellen Rückbau mit schwerem Werkzeug begonnen. Die Kellerräume sind bereits seit 3 Wochen komplett geleert. Ich habe auch nochmals, in Gedenken an den Schmuckschatz, ein paar Öffnungen im fundamentierten Boden aus Stampfbeton („Spanier“ gossen den damals, mit Schubkarren, laut Bautagebuch) freigemacht. Und beleuchtet und gegraben. Nichts. Kein Schmuck im Keller. Also, so dachte auch ich zuletzt, der ist eben einfach weg. Wie gerne hätte ich ihr in den Himmel berichtet.

Gestern demontierte ich eine steinerne Heizungsabdeckung im Wohnzimmer. Der alte Heizkörper von 1964 wird erneuert werden. Die davor fest und schwer installierte Sitzbank aus massivem Teakholz muss dazu abgebaut werden. Als ich die zweite der steinernen Lamellen herausgeklopft hatte, gab das herbstschräge Sonnenlicht eine kleine längliche Pappschachtel, deponiert hinter der Banklehne auf dem seit 1964 verstaubten und mit uralten Spinnweben umflaumten Heizkörper preis. Auf dem Deckel noch lesbar ihre Schrift mit verblichenem, einst, Edding: „Tresor“.

Sofort wusste ich, das kann nur jener Schmuck sein. Und so war es dann auch. Sie hatte – seinerzeit noch beweglich offenbar – das Kistchen von unten unter erheblicher Körperverrenkung und Verdrehung ihres Unterarmes gegenüber dem Handgelenk auf die Oberseite der Heizung geschoben. Kein noch so gewiefter Dieb hätte es da jemals gefunden. Was sich ja, quasi, bewahrheitet hatte.

Ich musste so lachen.

Und herzen. In den Himmel. Wie gerne hätte ich ihr das berichtet – ihr, die zuletzt so unbeweglich nur noch im Rollstuhl saß. Kaum mehr als zwei Meter entfernt übrigens von meiner sonntäglichen Fundstelle. Auf ihrem Wohnzimmer- und Fernsehplatz. Vor 10 Jahren noch ohne Stock im Korbsessel, vor 9 Jahren ebenda mit Gehstock, vor 7 Jahren noch mit Rollator und zuletzt eben im Rollstuhl.

Schade ist, dass sie mir nun nicht mehr erzählen kann, von wem denn die seltsam-schöne amorphe Jugenstil-Brosche ist, ob der schöne Ring (mit den 3 Smaragden?) von Oma Mika aus Pillau stammt, ob das feine Armband, ein wenig Art Deco, aus den 20er-Jahren vielleicht ein Geschenk an sie ist von ihrem Haudegen-Papa oder warum die um 90° verdrehte mechanische Uhr am Goldarmband immer noch genau die Uhrzeit anzeigt, wenn man sie aufzieht, so wie ich das gestern Abend tat. Und von wem die ist. Vielleicht ja ein Hochzeitsgeschenk von meinem Papa an sie, von 1959?

Familiär weiblicherseits jedenfalls wurde schon aufleuchtendes Interesse angemeldet zur neugierig sensiblen Begutachtung der Fundstücke. Schmuck muss schließlich weitergetragen werden. Finde ich. Und nicht im Tresor liegen – oder in kleinen Pappschachteln weitergereicht werden, zur verdeckt diskret düsternen Aufbewahrung, mausoleenhaft. Generationenlang, fürchterlich. So gefällt mir das, besser: würde mir das gefallen. Und meiner ostpreussischen Ur-Oma Mika, über die ich so viel Liebevolles hörte mein Leben lang, soviel ich jedenfalls über sie weiß, vielleicht sicher möglicherweise ggf. – auch.

Es ergibt, am Ende der diesjährigen Herbsttage, schon einen einigermaßen sinnigen Sinn, dass dieser Fund eines außerordentlichen Primärdokumentes am Ende einer großen abendländischen Ausräumerei sowie eines klärenden Wegschmeißens steht.

<3

Harald Alexander Rogler /Malerei, Graphik

Pfingstrosen
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Herzliche Einladung:

Harald Alexander Rogler (1920 – 1966)
Malerei / Graphik / Glasfenster
31.10.2021 – 14.11.2021

Versöhnungskirche Stuttgart-Degerloch, Löwenstraße 116, 70597 Stuttgart / geöffnet Di – Sa 16.00 – 19.00 Uhr

Eröffnung am Sonntag, den 31.10.2021, 10.00 Uhr Gottesdienst zum Reformationsfest, 10.45 Uhr Vernissage

Am Freitag, den 5. November 2021, biete ich um 17.00 Uhr eine Führung durch die Ausstellung an, hierzu ebenso eine herzliche Einladung.

Am Montag, den 8. November 2021 um 19.00 Uhr: V. Saile, Vortrag mit Bildern, „Die Glaswerkstatt – Künstlerische Glasgestaltungen“

Finissage am Sonntag, den 14. November 2021 um 11.00 Uhr

***
(Großen Dank für die Ermöglichung, Organisation und Durchführung dieser Ausstellung an die ev. Kirchengemeinde Stuttgart-Degerloch, Herrn Pfarrer Andreas Maurer und Frau Mirja Kinzler M.A.)

Nacht auf d. Kirmes

H.A. Rogler, 1952

8.10., Werk von meinem Vater, gestern abends einer sehr hinteren Ecke eines Regals vom verstaubten Bilderlager auf dem Dachboden für mich erstmals sichtbar und überhaupt entdeckt. /Pastell- und Ölkreide und Grafit auf Papier, 35x50cm, dat. 1952, „Kirmesszene“ o.ä., schön auch die Dame, die am grünen Wagen entspannt (wahrscheinlich mit Zigarette?) und in irgendwelchen ggf. verheißungsvollen ‚Post-War-Alegorien‘ wartet oder nachdenkt mit Stand- und Spielbeinen, auf und über was auch immer, möglicherweise auf die Geschichten oder das Geld der Ex-Soldaten, gerade erst – als „Verlierer“ – heimgekehrt aus mehrjährigen Kriegsgefangenschaften mitsamt wiederum deren möglicher Prosa über Erlebtes. Oder sie freut sich einfach, wie alle anderen im Bild, übers Wirtschaftswunder. /Auch die weissen Lichterpunkte, wie man sie ja heute auch wieder gerne malt, gefallen mir sehr, vor allem der dominant grüne Hof im linken oberen Zwölftel. Dazu ein wunderbar altmodischer recht breit auftragender Holzrahmen (nicht abgebildet), mehrfarbig zurückhaltend lasiert. Ich möchte das alles säurefrei und -puffernd unbedingt genauso erhalten. Es ist ja auch irgendwie ein fröhliches Pastell, da war er 32 Jahre alt (und hatte noch vierzehn).

6. okt 2021

Alles Mögliche

./. der ostpreußische Humor der alten Dame [r.i.p.] in Bezug auf die Lagerung div. Kleindinge, die man vielleicht irgendwann noch einmal brauchen könnte („Mit Männern kann man nicht sparen!“). Ich habe beschlossen, diesen kleinen Karton unbedingt aufzuheben.

./. seit Wochen bin ich am Räumen. Am Ausräumen, behutsam, eines nur unwesentlich jüngeren Hauses, als ich es bin, welches, ähnlich einer Menschengesamtheit, über Jahre angefüllt wurde mit Sinnvollem und mit Mist. Das Haus aber hatte nie Schlaf und Traum, so wie unsereiner das hat. Insofern wünsche ich allen Häusern viel Schlaf und Traum. Ich kenne solche ausgeschlafenen Häuser, zweitberuflicherseits.

./. dazu auch meine, oft leider, vorhandene Lust und Neugier an allen – ja, wirklich fast allen – Dingen und dem ihrigen Eigenleben. Ich jedenfalls lebe und zehre schließlich zu einem guten Stück auch von den Erzählungen der Dinge. Nicht zuvorderst WIR, sondern die Dinge sollen leben. Wir vergehen, aber die Dinge können weiterleben. Man muss sie ja gar nicht besitzen. Aber man kann sich kümmern, damit sie nicht zerstampft werden, von unseren angeblich Entsorgungs- und Wertstoffstrategien. Die dann im Meer vor Malaysia schwimmen und Seepferdchen ärgern. Es ist wichtig, sich um die Insekten zu kümmern beispielsweise, aber es ist ebensowichtig, die Dinge zu beherzigen. Die Sachen. Alles mögliche eben, und sei es ein Eierbecher aus buntem Plastik oder eine kleine Pappschachtel, in der sich schmerzstillende Medikamente im Angesicht vom Tod aus 1966 befinden. Oder eine äthiopisch beschriftete Colaflasche von 2013.

./. dennoch TRÄUME ich manchmal wild und machtvoll von übergroßen Mischmüllcontainern, in die man einfach alles hineinknallen kann. So wie früher. Wenn die Stunde für die Dinge schlüge, na dann hätten sie eben Pech gehabt. Dann sind sie weg und man überlässt das Bewahren Anderen, endlich. Oder das Verdampfen. Eher letzteres. So geschehen vor einer Woche mit dem unterirdischen Werk eines ewigen Halbkünstlers, einem „Kühlschrank, eine Treppe hinabschreitend“. Die Treppe zum Altmetall, der angesägte Kühlschrank zum Elektroschrott. Seit 1998 hatte ich das aufbewahrt, letztlich auch für ihn. Weil wir auch mal befreundet gewesen waren, in anderen Zeiten, bis er mir später nur noch ohne Begründung schaden wollte. Oder einem Gebetsbänkchen, seinerzeit dem Sperrmüll der Abtei Zwiefalten um 1984 freudig entrissen, zusammen mit einem Holzstuhl aus ca. 1910, auf dem ich noch heute sitze am Ateliertisch. Auch der Doppelsitz an bunt gepolsterten Kinoklappsitzen ist nun vergangen. Oder der alte Biedermeierstuhl vom Opa, mit dem ich nie warm wurde, dem Stuhl.

./. also Räumen und Räumen, alles dann doch noch mal durch Hand und Geist rinnen lassen. Sämtliche Geschichten fliegen nochmals vorbei. Welch Fundus. Was wird aus der Ostpreußen-Bibliothek der alten Dame? Bald schon will ich nur noch meins verwalten. Bin ja Kriegsenkel, aber irgendwann ist auch mal Schluss mit Nachtrag und Verantwortung. Noch eine altmodische Zigarette. Die Kirschkern hat Erasmus in Paris. Aus Kindern werden Leute. Unglaublich, seinerzeit, vor 20 Jahren, wohnten wir dort für sechs Monate an der Cité Internationale des Arts und die Kirschkern passte zum Baden noch in einen Normaleimer. Es war heiß. Die Tricolore-Düsenjäger jagten am Himmel mit Farbstreifen zum Feiertag. Es war ein warmer Sommer 2001. Ich möchte in diesem Herbst vielleicht einmal Eis-Essen gehen auf der Île Saint-Louis, mit der Kirschkern. Und ihr den Spielplatz zeigen, wo wir damals rauf und runter, rauf und runter usf. die Vor- und Nachmittage verbracht haben. Oft zogen wir los durchs Marais und ich nahm in der Kinderkarre, unten im Einkaufsnetz, jedes schöne Stück gefundenes Holz mit, um darauf zu malen und zu schreiben, wenn es denn Nacht wurde und Zeit war dafür. Die Kirschkern zeigte mir, wenn sie etwas passendes sah. Da war sie erst anderthalb Jahre alt. Was für eine reiche schöne Zeit, das Dach von Notre Dame war noch da und die Türme in NY standen noch, zumindest bis September.

./. je leerer aber alles nun wird am Waldrand, umso leichter und befreiter läuft auch der Schall durchs Haus und eckt nicht immer an irgendwelchen alten oder uralten Dramen und Tragiken an. Es ist nun kein Mausoleum mehr. Es hallt anders, fast wie gefastet. Das Haus hat eine nie geahnte Leichtigkeit, die es nach der Renovierung zu bewahren gilt. Das ist wirklich sehr schön. Der große Garten eignet sich hervorragend, um Wertstofftrennung zu betreiben, ein Haufen da -beim Apfelbaum, einer dort -beim Buchs. Dennoch achte ich darauf, dass die Dinge dann auch zügig verschwinden und aus den Augen sind. Der größte innere Berg allerdings steht noch unmittelbar bevor – der künstlerische Nachlass meines Vaters. Dutzende Dutzend von oft großformatigen expressiven Aquarellen und Kisten und Schubladen voller Grafik, Zeichnung, Monotypie und sonstigen Blättern. Sie ist schon auch etwas belastend, diese Verantwortung. Es soll ja Leute geben, die solche Nachlässe an Bildern komplett zum Altpapier geben. Das ist noch schlimmer als Bücherverbrennen, finde ich. Es ist und wäre: Auslöschen.

./. Dann doch lieber auf die Straße stellen, wenn es mal nicht regnet.

./. die Garage ist jetzt beinahe voll.

./. ganz so, wie der alten Dame Pappschachtel für „Alles Mögliche“ – übrigens ursprünglich eine Verpackung der „MONA Strumpf- und Wirkwarenfabrik GmbH 7500 Karlsruhe“ – habe ich nun eine ganze Kiste voller schöner und origineller Geburtstagsgeschenke gerettet. Sei es eine Packung Blättergelatine aus 1967, div. Strumpfhalter, Buntwaschmittel in der Originalpackung von 1971 für DM 2,49, etliche Insel-Bücherei-Bändchen und Metalldöschen aus den letzten 80 Jahren (z.B. „Cenovis Klare Brühe“), Zimtstangen im Glas und Muskatnüsse aus den 1950ern, wunderschöne beschriftete Holzbügel („Hotel Terminus Baden-Baden“), sowie etliche matallene Lufthansa-Löffelchen mit Prägung. Oder auch Rattengift von ca. 1966, noch mit Totenkopf-Aufdruck. Und weiß Gott was alles noch. Aber ich werde das alles im Sinne des Bewahrens von Alltagskultur schon an den Mann und die Frau bringen.

./. der Heizungsbauer ist nun seit gestern beauftragt. Das bedeutet, dieses Abenteuer des Umbaus und der Sanierung kann beginnen. Vorfreude mischt sich mit manchmal Muffensausen, aber Freude und Zuversicht überwiegen. Ich freue mich schon auf die „Eigenleistung“ und Salman und Bahram haben auch ihre Hilfe zugesagt. Wie viele andere. Am Ende des Oktobers soll alles beginnen. Das Heizöl im Gartentank könnte noch reichen bis Dezember. Das Dach soll neu werden im März. Die Angebote für die Ersetzung der noch zweiadrigen Gesamtelektrik sind in die Wege geleitet und die Erneuerung der Fenster ist bereits angeboten. Ich dachte oft, irgendwann lege ich die Füße mal hoch. Aber dann fällt ja der Kopf hinten runter und landet im nebelfeuchten Schoß von Frau Müller, die einen spitzen Gutenachtkuss gibt, allein deshalb, weil es ihr so beigebracht wurde.

./. Überlege noch, ggf. ein Bautagebuch zu verfassen. Aber mit Tagebüchern kann man mich jagen mittlerweile, so viele gibts hier, in irgendwelchen Kisten. Wer soll das alles jemals lesen.