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REISE: im baltikum waren wir gewesen. das liegt alles nördlich von kaliningrad/königsberg, jener speziellen region, die ja keiner mehr kennt, die ich aber, dank der perestroika und michail gorbatschow, mit der alten dame vor dreißig jahren besuchen konnte. ihre vorfahren stammten von dort (…)
der weite himmel im baltischen mit den flüchtigen sehnsuchtswolken (oft wölkchen) ist der gleiche wie in ostpreussen. sehr eindrucksvoll war nun alles, kaum zu beschreiben, ein dichtes programm, welches die prälatur reutlingen (der SPRENGEL) vorbereitet hatte. er selbst, der prälat, also der regionalbischof, hatte einige jahre selbst dort gelebt und gearbeitet und verfügt auch jetzt noch über gute kontakte und freunde ebenda. es gab vielerlei treffen mit ev. luth. kirchenoberen von estland und gemeinden in lettland, eine audienz beim deutschen botschafter in riga, oft bewegend die verflochtene geschichte der baltischen staaten mit europa, auch den deutschsprachigen landen, weit in eine lange europäische geschichte hineinreichend. tallin und riga sind hansestädte mit einer langen tradition des wirtschaftlichen und damit kulturellen austausches zu anderen orten der hanse. man befindet sich nicht etwa am rande, sondern in der mitte europas, trotz der weit östlichen geografischen lage – das war eine erstaunliche (und schöne) erkenntnis. alle zeichen dort zeigen aufbruch, freude über die zugehörigkeit zu diesem kontinent und bemerkenswert viele junge leute, auch international, die diese offene zukunft feiern, so hatte ich den eindruck.
es gibt ein okkupationsmuseum in riga. die okkupation von lettland dauerte fast länger an, als seine unabhängigkeiten, wenn ich richtig rechne. und geschichtswisseneinnerung ist oft und dicht gefordert, ja, dieser verbrecherische hitler-stalin-pakt war da ja mal gewesen und die baltischen staaten wurden sogar noch vor dem offiziellen beginn des zweiten weltkrieges von russland besetzt, das war der deal. als der pakt dann gebrochen wurde deutschenseits rückten ebenjene ein. und als der krieg verloren wurde, sodann wieder die sovjetrussen. irgendwie so war es gewesen. so viele verbrecher, damals wie heute, und die länder und menschenschicksale spielball von geschichte, vertreibung, deportation und mord. anscheinend gab es bis 1956 in den weiten wäldern lettlands noch partisanengruppen, die gegen die russischen besatzer aufbegehrten. das war mir kaum zu glauben.
umso erstaunlicher – oder eher unerstaunlicher – nun ganz aktuell die aktivitäten im umkreis der botschaft der russischen föderation in riga: vis-a-vis, an der fassade des medizinhistorischen museums, wurde ein PTN_halbtotenkopf als großplakat angebracht und die strasse, in der sich die botschaft befindet, also die postadresse, in sinngemäß STRASSE DER UKRAINISCHEN UNABHÄNGIGKEIT umbenannt, so dass jeder diplomatische brief das personal der russischen vertretung an die ist-situation erinnern mag. so etwas gefällt mir. die realitäten benennen. sollte sich hierorts, mittlerweile tief im westen, müdigkeit ob des ukrainischen kriegsthemas einstellen, so empfehle ich eine reise ins baltikum, bei der man feststellen könnte, wogegen derzeit eigentlich gekämpft wird im osten europas. und geopfert. gestern erst las ich, dass offenbar verschleppte ukrainische kinder in russland unter veränderten namen und geburtsdaten zur adoption freigegeben werden. grüße an sarah wagenknecht und die AfD. -sic…
frau mullah hielt eine diesbezüglich bewegende morgenandacht in der petrikirche in riga, über schlußplädoyers von alexei navalny, die er, als zuvor verurteilter (und letztlich ermordeter), vor gerichten zum schluß der verfahren vortragen durfte. dort geht es auch um den GLAUBEN. in herleitung, möglichkeit und gewissheiten.
das wetter war gemischt. die sonne ging in tallin (früher rauchten wir bisweilen REVAL ohne filter und schnippten in den gulli, lässig) gegen 23.30 unter. tallin befindet sich breitengradig auf der höhe von stockholm. eine sehr nette ältere stadtführerin in riga bemerkte, in lettland sagt man: SOMMER IST, WENN DER REGEN WARM WIRD. ihre ausführungen wunderschön begleitet mit rollendem R und dem oft verwendeten ostischen kürzel zwischen zwei sätzen oder inhalten mit: …NU JA – … / dazu die geschriebene sprache. zum beispiel KINOZÄLE, termoss-pudele und dergleichen – da muss man erst mal draufkommen. ich war vielerlei begeistert und gleich verliebt. eigentlich sowieso in die ganze gegend und das personal dort.
die dort vorbildlich vorreitende digitalisierung einen alten mitteleuropäer überfordernd, vieles ist genial gedacht und eigentlich so einfach und erleichternd. jung eben, zukunftig. das macht mut. / der rückflug reichlich verspätet, ich saß links im flieger am fenster und wollte doch schauen, ob man die kurische nehrung vielleicht sehen und ich der alten dame einen ostpreusengruß in den himmel schicken kann. leider nein, ich hatte die erdkrümmung nicht bedacht. dafür dann berlin von oben. so klein alles. da hinten das tempelhofer feld, ein paar strassen weiter mein atelier-nordost, links davon der tiergarten, vorne spandau und havel. das war sehr schön, dieses berlin von ganz oben.
NOCH schöner als berlin von oben diese reise, für deren möglichkeit der verbandelten begleitung von FRAU MULLAH mit mich ich mir herzlichst bedanke. ich denke mal, wir kommen garantiert wieder. /und eines bleibt mir auch dorthin nun ewiglich verknüpft in erinnerung (sehr vom subjekt her), nämlich, dass ich erstmals von einer unbedeutend jüngeren mitreisenden gefragt wurde, ob ich schon IM RUHESTAND sei. oder noch arbeitete?
Vielen Dank für diesen bewegenden Bericht.
vielen dank fürs interesse! ;-)