Harald Alexander Rogler

Harald Alexander Rogler

Mein Vater hatte es wirklich blöd erwischt im letzten Jahrhundert. Das kann man so sagen. Geboren 1920 in Stuttgart, kurze Zeit nach der Flucht seiner elterlichen Familie aus Südrussland, aufgewachsen in Berlin und Weimar, war er gerade neunzehn Jahre alt, als er sich freiwillig meldete zur Wehrmacht. Manche sagen, er und seine Freunde hätten das Abitur geschenkt bekommen für diese Entscheidung zu Kriegsbeginn. Es folgten fünf Jahre Kriegsdienst, zunächst in Frankreich und dann in Russland. Dann fünf Jahre Kriegsgefangenschaft ebenda in Russland. Er bekam Typhus und allerlei Anderes, aber überlebte und kehrte 1949 zurück. Das waren also zehn wichtige Lebensjahre, die normalerweise zu anderen Identitätsfindungen benötigt werden.

Er heiratete schnell, wurde schnell geschieden und in den fünfziger Jahren dann studierte er Architektur am Weissenhof in Stuttgart. Seine Passion war die Malerei – oft großformatige Aquarelle, sehr expressive Landschaften und Blumenbilder. Er bekam eine Anstellung im Architekturbüro seines Vaters. Er heiratete erneut, mein Bruder wurde geboren, und er wurde erneut geschieden. Wobei er – damals ungewöhnlich – das Sorgerecht für meinen Bruder zugesprochen bekam.

1959 lernte er meine Mutter kennen und kurze Zeit später folgte die dritte und letzte Vermählung. 1961 wurde ich geboren, da hatte er bereits eine Anstellung am Universitätsbauamt der Stadt Tübingen bekommen. Im Malen war er manisch und versunken, so erzählte meine Mutter oft. Er wollte nur noch farbige und „schöne“ Dinge in Bilder fassen, Schlimmes habe er genug gesehen. Die Badewanne im Atelierbereich des Hauses am Waldrand zeugt noch heute davon, diese war nicht zur Hygiene, sondern allein zum Vorwässern der großen Aquarellpapiere eingebaut worden. Neben seinem Broterwerb beim Amt bekam er Kontakt zu einer großen und solventen Kölner Galerie, die ihn förderte und seine Bilder sehr gut verkaufte. Dies – so meine Mutter in Auskunft – war um 1963 der schöne Anlaß, im Geldsegen einen Hausbau zu wagen.

Bereits 1964 zog die vierköpfige Familie – die Eltern sowie mein Halbbruder und ich – ins schnell fertiggestellte neue Haus am Waldrand ein. Dort blieben ihm nur noch zwei weitere Jahre, bis er bereits 1966 im Januar an einem Krebs, von dem die Ärzte später sagten, er sei auf die Mangelernährung während seiner Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion zurückzuführen, mit sechsundvierzig Jahren verstarb.

Ich denke, er war ein Getriebener. Ein Gehetzter. Zuletzt ein Herausgerissener. In Windeseile musste er verlorene Zeiten nachholen, und sicherlich hat er das gewusst oder geahnt. Man spürt das in seinen Bildern. Auch ihn hat das letzte Jahrhundert letztlich um ein wenigstens halbes Leben gebracht. Im Haus, seinem Architektenhaus, entdecke ich auch heute immer noch Zeichen dieser Hast. Diese verweisen, ganz nebenbei, immer wieder auf diese seine Geschichte. Seien es seltsam verlegte Elektroleitungen oder die Wandstellungen in Holzbauweise, die manchmal wenig durchdacht scheinen in bestaunenswerter Machart. In der Nachschau.

Vieles im Hause ist zügig. Und die alte Dame hat später wenig dafür getan, dies zu ändern, wer will es ihr verdenken, sie war ja eine frühe Witwe, die zusehen musste, wie alles überhaupt zu bewahren war.

Sein bildnerischer Nachlass ist einigermaßen wohlgeordnet. Aber er war, aus heutiger Sicht, eben noch nicht genügend im Kunstmarkt etabliert, um seinem allzu frühen persönlichen Sterben seine Bilder hinterherzuwerfen. „Wenigstens“ möchte man dann sagen. Jedenfalls bis heute nicht. Jedenfalls kommt mir das so vor. Auch sein Oeuvre wurde ja jäh abgebrochen. Ich frage mich oft, wieviele solcher Schicksale es geben mag – auch künstlerischer Schicksale. Unentdeckt und irgendwann im besten Fall auf Dachböden und irgendwann vergehend. Wie viele Zufälle irgendwann dann sich hinzugesellen, ob nachgeborene Menschen gefundene Kisten wegwerfen oder öffnen. Wieviele Launen oder Tageszeiten oder Umstände. All diese, wenn überhaupt aufgefunden, zwischen den Seilen hängend von echter Wertschätzung, Auktionshaus oder Altpapier.

Ich will zusehen, dass sein Nachlass nicht verstreut wird irgendwann in alle Winde. Aber es ist eben so, er ist einfach zu früh gestorben. Wegen Hitler, diesem Arschloch.

Ich habe ja schon öfter mal über diese oder jene unwegsamen Familiensachen berichtet. Heute ist Karsamstag, gestern war Karfreitag. Und morgen ist Ostern. Ich glaube, der Karsamstag wird zunehmend mein Liebling dieser Kirchenjahre, wegen des „Dazwischen“. Wegen diesem einen Tag an größtmöglich ernster Bedenkzeit im Jahr. Die Passionsgeschichte mitsamt Ostern und ihre Bilder scheinen mir ohnehin vor vielen Jahren von sehr weisen Menschen so entworfen und niedergeschrieben. Das waren Menschenkenner und Schicksalskenner, die etwas Neues wagen und sagen wollten, um dem immerwährenden ewigen Meucheln der Blutrache endlich einmal etwas entgegen zu setzen. Im Grunde ganz einfach. Bis heute. Schaut man sich die Welt an. So interpretierte ich schon immer. Auch vor vielen Jahren gab es gewiss Kisten auf Dachböden, das beziehen wir sicherlich oft zu wenig ein in unsere Einschätzungen der unsrigen Istzeit. Und unserer Istschlauheit. Auferstehung? Unsere Bilder sind so knapp geworden. Und so angstvoll und unkünstlerisch.

Ich war heute an seinem Grab mit der Kirschkern, „Opa-Himmel“ hatten wir ihn früher immer genannt ihr gegenüber, wir haben die Winterabdeckung aus Nadelholz entfernt, es wachsen schon allerlei Blümchen, wir wollen das zusammen bald mal wieder richten und ein bisschen pflegen. Den Efeu schneiden, der den Grabstein überwächst und die in Granit gemeisselten Buchstaben wieder leserlicher gestalten, vielleicht sogar mit Farbe. Und da ich unter dem Namen meines Vaters in modernen Suchmaschinen noch nie etwas gefunden habe, so möchte ich also hier einmal seinen Namen kurz nennen, nur damit wenigstens ein einziges Mal ein kleiner Eintrag im Internet stattfindet und erinnert, sollte irgendjemand jemals nach ihm suchen. Harald Alexander Rogler war sein Name. Und wünsche herzlich frohe Ostern.

19 Gedanken zu „Harald Alexander Rogler“

  1. Eine berührende Geschichte, danke dafür. Und schön, daß Sie uns und dem Vater eine Erinnerung gönnen. Ich unterhielt mich zufällig am Samstag mit einem Galeristen über dieses Thema, wo all die Sachen wohl bleiben, wenn man nicht so bekannt und etabliert ist, vielleicht keine Familie hat, die mit kreativen Hinterlasenschaften umzugehen weiß und es auch kann. Immerhin dies scheint Ihrem Vater gelungen. Aber 46. Das ist… bitter wenig. Und nun länger her als er gelebt hat… Hoffentlich bleiben unsere Geschichte(n) irgendwo. Vielleicht in diesem Internet. Frohe Ostern Ihnen!

    1. Das mit den künstlerischen Nachlässen ist gerade oft ein Thema, auch in diversen Verbänden. Letztlich kann man aber vieles nur dem geneigten Zufall übergeben, so scheints mir. Und Zufall ist ein gigantisches chaotisches System und unbestechlich. Loslassen können wollte schon immer gelernt sein und manchmal, wenn es gelingt, stellt sich dann ja eine überwältigende Leichtigkeit ein. Jedenfalls bei mir. Und Sie haben Recht: Dies Internet ist wie ein großer spannender Dachboden. /Apropos Ostern: Hier schneits jetzt… und ich hab die Winterreifen schon runter. Super. Herzliche Grüße an die Waterkant, lieber Herr Kid!

  2. wunderbar Dein Text, aber wunderschön auch der Name Deines Vaters, mein lieber Herr Sebastian :)). Danke. Ich werde einen kleinen Auszug zum Thema „Malerei“ und „zu wenig Zeit haben“ usw. gleich mal kopieren und morgen mit in die Uni nehmen. Da machen wir nämlich am Vormittag eine Diskussion zum Thema „Malerei“, mit meinen tollen beinahe 60 Studenten des diesjährigen künstlerischen Abschlußlabors und mit zwei eingeladenen Malern, ehemaligen Studenten, beide großartig. So werden werden wir auch Deinem Vater noch ein ganz klein wenig mehr ein Minidenkmal setzen :)))

    1. Vielen Dank, liebe Frau Gesangsverein! Auch fürs Mitnehmen an die Universität – das ehrt und freut mich wirklich sehr! Und sollte mal ein etwas in die Jahre gekommener Maler und Collageur als Gast benötigt werden – ich stehe gerne jederzeit zur Verfügung! : )

      Ganz herzliche Grüße nach Venedig!

  3. Hallo Herr Rogler,
    wir haben bei der Wohnungsauflöung meiner jüngst verstorbenen Mutter Bilder gefunden von einem Maler Rogler, allerdings eher etwas düstere Blumenbilder in Öl. Dennoch passt Ihre traurige Geschichte zu der meines Vaters,18jährig Ende des Krieges , er hat auch in Stuttgart Architektur studiert und ist später mit uns nach Köln gezogen.. Die Bilder hingen in meiner Erinnerung lange im Haus meiner Eltern und wurden dann mit den Werken meines Vaters Werner Mittmann auf den Dachboden der neuen Wohnung gelegt, da sich meine Eltern auf Grund der Krankheit meines Vaters verkleinern mussten.. Vielleicht haben Sie Interesse das ich Ihnen mal Fotos schicke ob sie tatsächlich von Ihrem Vater sind?
    mit freundlichen Grüßen, Eva Mittmann

    1. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Ja, das kann nur mein Vater sein. Ich hab‘ Ihnen eine Nachricht geschrieben. Herzliche Grüße!

  4. Gesucht und gefunden! Wir wohnen und leben seit 44 Jahren mit dem Ölbild „Herbstwald“ Ihres Vaters, gekauft nach einer Ausstellung. Ich möchte es nicht missen. Aber das Problem der „Dachboden-Nachlässe“ beschäftigt mich auch. Nach dem Tod meines Mannes werde ich mich in absehbarer Zeit von einem Haus voller Bilder, meist lokaler oder regionaler Künstler trennen müssen. Was dann? Die Kinder wohnen entfernt mit bescheidenem Wohnraum. Danke für die Erinnerungen an Ihren Vater.

    1. Liebe Frau Mall, ja – das Internet! Schön, dass Sie hierher gefunden haben. Das muss die Ausstellung 1977 in der KSK-Ehingen gewesen sein? / Ich melde mich via Email. Herzliche Grüße!

  5. Lieber Basti,
    leider hat es uns zu einem Besuch der Ausstellung nicht gereicht, wir sind glücklich, einige Bilder deines Vaters zu besitzen und denken noch gerne an die schönen Stunden bei euch in Pfäffingen und dann im eurem schönen Haus , mit Bildern aus allen Phasen. Wenn deine Mutter bei uns war sagte sie immer nach dem Kaffeetrinken „jetzt muss ich mal ins Roglerzimmer gehen“ .

  6. ‚Rittersporn‘ von 1960 befindet sich seit vielen Jahren in Zürich. Vormals war es bei BAUKUNST – KöLN – THEODOR -HEUSSING-RING 7. Ich durft dieses Kunstwerk von Harald A. Rogler bei einer Haushaltauflösung – Auktionshaus wollte nur Chagall, Erni etc. – mitnehmen. Umstand sei DANK !! FREUDE HERSCHT !! Dank, das zum Leben des Malers nun etwas bekannt wurde. Meiner Meinung nach sollte das WIKIPEDIA damit gefüttert werden, das es für alle Zeit bestand hält im Internet.

    1. Das ist ja schön, dass Sie hier eine Nachricht hinterlassen. Ja, „Rittersporn“ war ein Motiv und auch die Galerie Baukunst in Köln ist wohlbekannt. Immer wieder tauchen nun Nachrichten auf bzgl. H.A.Rogler. Vielleicht sollte ich tatsächlich einen Wikipedia-Eintrag veranlassen. Sollte weiteres Interesse Ihrerseits an Leben und Werk bestehen, so lassen Sie es mich gerne – am besten via E-Mail – wissen. Dank und herzliche Grüße nach Zürich!

  7. Hallo
    ich habe von meinem Vater auch ein Rittersporn Bild Ihres Vaters geerbt und habe noch ein paar Briefe von Ingeborg Rogler. Falls Sie Interesse haben. Liebe Grüße

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