wurst ex voto

ex voto#1

(Abb.: „ex voto#1“, 4.1.2023, 70x100cm, Öl auf Karton)
#
„EX VOTO: (…) das mit der schrift und den worten ist schon seltsam. ich denke, ich bin zwischen bild und text hängengeblieben, irgendwann vor langer zeit, als gott mich zunächst andachte und dann schuf und sich kurze zeit später aufgaben überlegte, die er mir wohl geben könnte. eine schleife ist das. eine dauerschleife. ist es denn nun das reine WORT oder das unbefleckte BILD? ich erinnere mich gut an meine innneren kämpfe, als ich mich entscheiden musste vor langer zeit, wofür ich mich denn nun bewerben solle, an der kunstakademie. wie ich damals glaubte, dazwischen, zwischen GRAFIK-DESIGN, wie man sowas damals nannte, und/oder freier kunst. nahm dann die FREIE kunst und bin froh, mich entschieden zu haben mit einem simplen trick: ich hatte heimlich wörter im gepäck von anfang an, für das freie. auch wenn der weg und die rezeptionsgeschichten dadurch nicht erleichtert wurden. wenn man irgendwann alt ist, das glück hat, überhaupt alt zu werden, dann denkt man ja oft „ach, ich bin jetzt eben ich!“. das tu auch ich. aber diese fragezeichen sind nie so restlos ganzgänzlich verschwunden. es ist eben so. ich schreibe etwas dazu ins BILD, wenigstens denke ich mir dies beim schaffen von bildlichkeiten, ob gelungen oder nur dreiviertel, das letztliche bildwerk im finito. und meist ist es erst DANN gelungen (für mich und meine seele), das bildnerische, WENN ich etwas dazuschreibe, malerisch oder collagierend oder fotografisch. obgleich mir zuvor oft jemand abratend zweifelt, bis heute (innere stimmen, höhere wesen etc.), nicht ohne mir später dann zu applaudieren, wenn ich deren einwände trotzig in den wind pfiff, zuallerletzt.

sodann zwinker ich immer dem lieben gott zu und denke ans erlös.

es ist wie mit der bekleidung. alles stimmt, aber die schuhe passen nicht dazu. die werden NIE passen. oder das oberteil. IMMER muss noch eine ecke vom relativ dabei sein. „Lass das doch, Schneck!“, aber das lassen gelingt mir nicht. brüche bilden ja realitäten ab und geben stets ausblicke.

solange irgendwo würste im raum hängen, geht es mir gut. es geht schließlich um die wurst.

ich bin ja nun an dieser frontiére zum WIRKLICH-alt werden. das ist, gelinde, zum (pardon) kotzen. das ist kein spaß mehr, eigenbildlich und vermutet rezeptiv. der moment ist erreicht, an dem man sowas nicht mehr gerne verrät, sollte nachgefragt werden. schon sechzig klingt einfach scheiße. und wenn die leute dann lesen oder hören, „hey, der ist ja schon zweiundsechzig!“. dazu weißhäutig, noch dazu mann und boomer. da muss man schon überlegen, was man WIE raushaut. wenn man sich doch gar nicht so anders fühlt, als noch vor kurzem wie mit 51, wobei aber selbst dieses oft totalsouverän und lustig vorgetragene bonmot sich irgendwann recht schnöde ausleiert. auch körperlich, worüber ich mich aber jeden morgen freue und demütigst dankbar bin. andere gehen dann zum psychiater, ich geh in den wald und schnitz ein herz in den baum, mit datum 62. aber lange schon keine namen mehr. oder vielleicht doch?

den rest fress ich in mich hinein.

oder haue es eben raus mit bildern, selbstgemacht. die frage ist, kapiert das überhaupt noch jemand. wer liest denn noch zwischen den, auch meinen, so verflixt geliebten zeilen.

na, wurst-ex-voto.

an sylvester haben wir zum schluss lange und bis tief in die neue nacht getanzt, alle anwesenden mit mannigfachsten persönlichen historienhintergründen, so unterschiedlich es kaum geht, in einem gasthof auf dem lande. mit einer schönen vintage booster-box von marshall. es war wunderschön! sämtliche beine flogen und verdrehten sich im takt, alles andere auch, die gutgefühle, die hormone, die gelenke, das ganze leben und so weiter. es war wirklich wunderschön. und frau mullah und ich mittenmang.

#

40 jahre kunstmachen (das dachte ich dann in den vergangenen tagen rauhnachtsmäßig, unrasiert und mit schwarzen ölfarbenen händen), das muss man ja auch alles erstmal hinkriegen. mit kinder(N)* und scheidung, div. ehen, fernumzügen, dramen emotional und peripher, sexuellem dingsbumbs, verliebtheiten, sorgen ums kind, pflege der altvorderen bis zum tode, ebenda hanhnebüchene inkontinenzien, seelischen zuwendungen, ärztlichen prognosen und einwänden, umsatzsteuervoranmeldungen noch und noch und die gerüste rauf und runter an und in alten hütten oder kirchen oder sonst schützenswertem kulturgut. immer ja auch ein durchaus konzentriert empathischer dienst für kommende generationen. und dann noch eigene gefühle verwalten und auch mal ebenjene genießen.

und dann die galerien, galeristen, galeristinnen, kuratoren, oft allerlei höchstseltsame menschen allesamt, teils kriminell, die aufbauten und abbauten von ausstellungen. enttäuschungen ebenda über die jahre. genauso auch schönes und verbindungen, bande. diese zigtausende kilometer, die man fuhr und fährt, beladen mit bildern. oder restaurierungsmaterial, beleuchtungen und kalkfässern und kiloweise gebinde von irgendwas, stundenlang abgefüllt in eigens geschaffene behältnisse, zuvor penibel gemischt, das rezept notiert, die kalkbürsten im gepäck. hin und her, vorbereitet, erdacht. diese kalten orte. / oder im hochsommer, die heißen orte, angefüllt mit informationen und geschichten von gerüchen und menschen, die man nie kannte. weil sie lange tot sind und die man dennoch ehrvoll wertschätzt, wie sonst sollte das gehen. und daher dies gerne tut. / oder eben orte, die einen schaudern und von denen man so schnell wie möglich sich wieder entfernen will. nasse dachböden im winter. wo sich leute erhängten. oder vergewaltigten. all dies nur, um baugeschichten herauszutüfteln, durchs eigene kombinationshirn im JETZT, suchschnitte an den richtigen plätzen, um historie zu entdecken und diese niederzulegen.

und danach oder davor abends oder morgens im atelier bilder malen. immer wieder, immer noch, bis heute. dabei weitere ideen auf 1000 zetteln. dies, weil höhere wesen es einem offenbar zudachten. das ist schön!

(*einst dazu das kind oder DIE kinder zu beurlauben, als jene noch richtig klein und jung, schöne touren, bei geburt mit dabeigewesen, dann wickeln, herzen, schieben durchs neukölln der frühen 2000er, und dann paris, quasseln in den kinderwagen. später dann trösten, treppensteigen lernen, fahradfahren lernen, machen und tun und immer eine, bei allem, schöne welt vor augen, die man doch unbedingt so gerne zeigen und damit weitergeben möchte. weil sie es doch so ist, diese welt: schön!)

das alles ALSO tun und getan haben, schon seit jahren. und auch JETZT, wo alles brennt und alle nur noch zweifeln, wenn sie noch nicht gestorben sind irgendwo weltweit. frage mich oft, woher eigentlich diese energie noch kommen mag. aber dann steht sie lachend vor mir und ich umarme. keine ahnung, wen und warum. einfach nur umarmen, mit zuenen augen.

(#wurstexvoto)

ja, DAS muss man ja alles erstmal wuppen. dachte ich mir so, vorvorvorgestern, und klopfte mir altersweise und milde dazu auf meine altherrenschulter mit den schwarzölhänden und grinste mich dann selbst an, im derzeit ungeputzt fast blinden spiegel der atelierwasserstelle, zwischen ausführlich erzählenden siffspritzern vom zahnputz und öl und silikat. auch mal selbstanerkennend, mit kratzendem humor und süddeutsch melancholischer halbtristesse. /1001 falten hab ich im gesicht jetzt, jede steht für minimal EINE ganze geschichte. blöd oder gut, wurst. dabei war ich früher doch so ansehnlich, wenigstens glatt in gesicht und an schenkel und oberhüfte geschmeidig. auch ich war gewiss mal ein echtes schnittchen, wenigstens ganz früher. wie wir ja alle. (…)“

#

Dorf

(Abb.: Dorf, Trost wie immer)

2 Gedanken zu „wurst ex voto“

  1. Ihr empathischer Dienst an den nächsten Generationen erinnert mich an eine Doku über einen Waldbesitzer, der redet und erklärt, was er pflanzt und hegt und pflegt und abhaut, und dann sagt er: Für mich mache ich das ja nicht. Ich mache das für die, die in 200 Jahren hier leben werden. Das fand ich eine in ihrer Demut und Uneitelkeit bemerkenswerte Haltung.

    Mit einer gewissen Beunruhigung stellt sich (mir) manchmal die Frage, wo denn bei uns, also in 200 Jahren, die Suchschnitte gemacht werden, um etwas herausfinden, auch Historie meinetwegen, jedenfalls um es dann niederzulegen. Stelle mir vor, wie jemand mit einem blitzscharfen Skalpell durchs Internet schneidet und plötzlich auf das hier stößt, Seite um Seite freilegt.

    Ihr Ex-Voto hängt jedenfalls jetzt hier, in dieser Inter-Kapelle. Möge Ihr Ansinnen erhört werden.

    1. Maria (und Maryam) haben geholfen! Man muss ja groß und in weitgefassten Zeiträumen denken. Wie die Skalpelle in ferner Zukunft aussehen – koi Ahnig (süddeutsche Sprachstellung für „keine Ahnung“). Dank und herzliche Grüße!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert