verflüchtigende fensterbilder

"Papa"

(2007 – 2014)

„ich habe die wäsche aufgehangen“ oder „ich habe die wäsche aufgehängt“? ich glaube (nein, ich bin überzeugt davon), richtig heisst es „aufgehängt“. „aufgehangen“ sagt man in der gegend um hannover. dort sagt man auch „ölf“ und nicht „elf“.

Es war alles andere als eine coole Winterpause in den aufgehangenen letzten Monaten. Das Kümmern und ihr, der alten Dame, Zustand. Letzterer hat sich gottlob bis hierher wieder verbessert. Die Beschäftigungen mit Finanzen und Pflegestufen, die tägliche Sorge darum, wie denn alles weitergeht, das Umräumen im Hause und die Vorbereitungen auf kommende Zeiten hier am Platze, demnächst. Damit alles funktioniert, auch mal ohne mich. Mein Leben eben. Das hat viel Dings und Kraft gekostet, auch wenn mir das gar nicht aufgefallen ist. Kein einziges Mal in B gewesen, es ging nicht, ich konnte sie schlicht nicht allein lassen. Glück ist, dass es nicht mehr so ist, wie vor und unmittelbar nach Weihnachten und Glück ist die wahrhafte Zustandseinschätzung des medizinischen Dienstes, der nüchtern und klar beurteilte. Glück ist auch der kleine sehr persönliche Pflegedienst aus dem hiesigen Dorf. Glücklich verlaufen auch ihr Sturz, vorbei um Haaresbreite an einer Tischkante (Herrenzimmer Zehlendorf). Und Glück ist auch die Haushaltsperle, die zur Hand geht auch jenseits des Bezahlten. Ein Netz ist nun so gesponnen, wie in alten Nachbarschaftszeiten und wie oft beschwört von seidenen Funktionären der Gesundheit und des Alters, die vor allem Geld einsparen wollen. Ich will aber nicht meckern, wir können auch anders.

Ein anderer Abschied, die Kirschkern. Alles disappeard, alles verflüchtigt sich. Im Grunde ist das Erziehungsziel erreicht, denn das Kind will selber, und das ganz dringend. The Kind will weg von ihrem Daheim und selber machen. Im nächsten Jahr zudem für sechs Monate nach Frankreich, ganz alleine. Ob es das schon kann, das wird sich zeigen, ich bin mir zwar noch nicht ganz sicher, aber es wird schon werden.

Ein innerer und äußerer Abschied, den ich ja schon ungewollt und verfrüht vor vier Jahren nehmen musste. Hier, am Waldrand, ist sie ja ohnehin schon weg. Und eben war es noch 2007 und wir zogen um nach dem Süden. Als erstes installierten wir diese bunten Fensterbilder. Paritätisch betreuend zunächst bis zu diesem Sonderling meiner privaten Vita, diesem Jahr 2009. Wenn es danach am Anfang höchstens zwei Wochen waren, die wir uns nicht sahen, so ist es mittlerweile selbstverständlich, dass es vier oder fünf Wochen des Sich-nicht-Sehens sind. Vielleicht aber ist das ja mein Vorteil jetzt: Ich habe ja schon loslassen gelernt, loslassen müssen, alles mögliche müssen. Bin also schon einen Schritt vorraus im Durchsickern des ewigen Fortschreitens.

Nun gerade geschieht das auch innerlich ihrerseits zusehends, in kleinen und großen Kleinigkeiten. Gut so. Aber führt es mir diese ganze Geschichte doch noch einmal vors Auge. Es ist eben, so, gelaufen. Ich kann mich auf den Kopf stellen und in den Wald rufen „He Bäume, ich wollte aber nie Wochenendpapa sein!“ und oder „He Du Unterholz der Lebensentwürfe am Bach, ich wollte nie, dass (ausgerechnet) mein Kind so einen Mist erlebt!“ und so weiter. Das bringt sowieso nichts, und schon gar nicht mehr. Nicht mehr.

Ganz schön ist, wenn auch immer noch manchmal seltsam und weh, dass ich das alles auch gar nicht mehr so oft in den Wald brüllen muss. Das Brüllen ist abstrakter geworden. Es ist manchmal so, wie samstags das Altpapier rausstellen. Sie hatte sieben elterngemeinsame Jahre und nunmehr 7 getrennte. In drei Jahren macht sie (vermutlich ggf.) ihr Abitur mit diesem undurchdachten und kindheitsfeindlichen G8 und siebzehneinhalb. Und natürlich grenzt sie sich so ab, wie es auf die Eltern am besten wirkt. Das haben wir ja alle auch so gemacht. Das sind in ihrem Fall nicht etwa rosa lackierte Fingernägel oder Punkmusik. Sondern natürlich die aus dem elterlichen Feinstaub jeweils penibel herausgepickten Spezialwundpunkte. Pubertäre Empathie über elterliche Reflexzonen.

So ganz von ganz weit oben gesehen ist ja aber auch das nicht schlecht: Man muss als Eltern eben dafür herhalten, sich hergeben für dieses Trouble, auch das ist letztlich die zugewiesene Aufgabe. Da muss man hindurch. Ich kenne die Trigger und reibenden Punkte ihrer Kommunikation mit ihrer Mutter und deren Haushalt im Südbadischen nicht. Allenfalls könnte ich ahnen. Ich habe darüber auch keinen großen Austausch mit ihrer Mutter. Manchmal denke ich aber, oder ich hoffe es jedenfalls, wir – die Kirschkern und ich – hatten so viel Gemeinsames und Vertrauen vom Neuköllner Anfang an, von Paris und Schöneberg und dem Gasometer her, dass ich nun fast gerne bereit bin – weit entfernt von ihrem alltäglichen Haushalt – auch alle möglichen Abgrenzungsaufgaben geduldig zu erfüllen, die in ihrem jetzigen Zuhause vielleicht in dieser Form dort nicht möglich sind. Das wäre dann ein vielgepriesener Patchwork-Vorteil. „Kind komm, gib’ einfach mir die kleine Arschkarte, ich hab große gütige Arschkartentaschen.“ Eine Metaebene gibt es da noch nicht wirklich. Aber ich habe ja viel Love, Geduld und Humor. Und ich glaube, die Kirschkern auch.

Nun allerdings zäh erkältet und krank, meine Nase, mein Atem. So wie jetzt über die vergangenen bald zwei Wochen. Das kannte ich lange nicht von mir. Ein bisschen zehrend so langsam, es nervt, allerdings auf dem Weg der Besserung. Sogar mit einem Quantum Fieber, immerhin. Dafür muss es Gründe geben. Die kenne ich jetzt. In denen es mir gerne die Sprache verschlagen hat und ich lieber irgendwelche Fotos hier hereinstelle ins Tagebuch, die bestenfalls sowieso das beschreiben, was ist. Ohne Worte und Schöngeist. Immerhin bin ich ja zunächst ein bildnerisch-positiver Charakter.

Sieben Jahre bald Waldrand, vielleicht ist es ja auch das. Irgendetwas neigt sich. Ich lese selber jetzt schon mal öfters im himmelgrauen schneck06 unter 2007. Oder 2009. Eine Vergangenheit ist es geworden, keine Gegenwart mehr. Der Übergang und mehr, der persönliche Untergang, die Zwischenspiele und das Vergeben. Alles will gelernt sein. Mein neues Leben, von dem ich zunächst nie dachte, dass es das gäbe. Wie konnte ich nur. Und nun gibt es eine Menge Pläne, jenseits – oder vielmehr angesichts – des sich mehr und mehr verflüchtigenden Kindes. Im Privaten wie Beruflichem, es rollen sich die Fingernägel und die Zuversicht überwiegt bei weitem über die Eichhörnchen. Es schnuppert sich Aufbruch. Eine schöne und ungeahnte Begleiterin dabei ist auch die Köchin mit ihren stets blauen Bändern. Gleichwohl ist da abstrakter Abschied. Und auch Trauer. Und es geht darum, einen Platz zu finden, wo dies alles vergraben werden kann mit einer sehr lebendigen Rose darauf. Und Schatzkarte.

Jederzeit zum Lachen bringen mich jenseits all dessen sowieso Formulierungen wie „Ich hab’ mir zum Frühstück ’ne Pfanne in die Eier gehauen“ oder „Unser Schorf soll Döner werden“. Das war auch in den letzten sieben Jahren nie anders, ich glaube, zu keiner Zeit wahrscheinlich.

17 Gedanken zu „verflüchtigende fensterbilder“

  1. Ich bin zwar kein waschechter Hannoveraner, allerdings habe ich hier noch nie gehört, dass jemand die Wäsche aufgehangen hat. Ich jedenfalls hätte die Wäsche aufgehängt.

  2. Trauriger und schöner, mit viel Gefühl geschriebener Text, mit Blick nach vorn und zurück.
    Das Brüllen in den Wald wird langsam abgelöst von dem abstrakten Brüllen, ja, weil man „also schon einen Schritt vorraus [ist] im Durchsickern des ewigen Fortschreitens.“
    Wunderbare Worte- danke!

  3. Danke sehr, dieser Text war für mich wie Medizin, ein wenig schmerzlindernd, weil schmerzteilend… Sie müssen das jetzt auch gar nicht unbedingt verstehen…

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