Roadmovie

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Johnny ist auf dem Weg zurück nach Hamburg. Die eigene Faust in der Tasche. Er wollte, dass sie ihn endlich abschieben, aber Abschiebungen nach Hamburg sind gerade nicht erlaubt, politikseits. Eine Mehrfachironie, prosaisch schon fast, wollte man ein Epos der weltumfassenden Jetztzeit mitsamt Entwicklungsroman schreiben. Also ist er nun alleine los, wie immer im schwarzen Anzug und hellblauem Hemd, sein Markenzeichen, manchmal Krawatte und in der rechten Hand eine schwarze ausgebeulte Aktentasche. Es war im Juni, da hatte er es über Barcelona versucht, aber aus dem Flixbus nach Tanger oder Casablanca holten sie ihn heraus und schickten ihn zurück. Ein paar Wochen später waren es ungarische südliche Grenzer, die ihn heimbefahlen. Dazu muss man wissen, Johnny hat keine Papiere außer einer Duldung im Schwäbischen und einem Abschiebebescheid. Den gekauften Personalausweis hätte ihm seine hanseatische Familie eigentlich schon längst zukommen lassen sollen. Immerhin versprechen die schwäbischen Behörden ja auch ein Rückkehrergeld, zum Neustart in Hamburg.

Nun und gerade ist er in Serbien, also in Nicht-EU. Wie ihm das gelungen ist, das weiß ich nicht. Von dort will er weiter nach Dänemark, also hinein in ein abermals EU-Land reisen, um dann ggf. einen nächtlichen und wenig legalen Grenzübertritt über die Elbe nach Hamburg zu wagen. Frau Mullah und ich wälzen alte Diercke-Schulatlanten über Grenzverläufe. In Erdkunde war ich immer ganz gut: Schon in Zeiten, als es niemanden interessierte, kannte ich den Namen der Hauptstadt Albaniens, nämlich Tirana. Man könnte da heutzutage eigentlich unbedingt mal hinfahren.

Frau Zeeb-Häberle aus dem Nachbardorf hatte noch angeboten, ihn halbkonspirativ im Auto über Luxembourg und Andorra (alles EU) bis an die Hamburger Grenze zu fahren. Getarnt als „Nordsee-Urlaub, Amrum“. Ich hatte dringend abgeraten aufgrund den neuerlichen auch innereuropäischen Kontrollen. Nicht, dass eine solche Tat noch als Schlüpfer-Aktivität geahndet würde. Es kennt sich auch eigentlich keiner mehr so richtig aus mit dem gesetzlichen Migrantentum, hin oder her, vor oder zurück, von oben nach unten oder unten nach oben oder von arm nach reich und zurück. Frau Zeeb-Häberle schlug dann zusammen mit ihrem Mann (Herrn Häberle) vor, sie beide könnten doch im Fond sitzen und bei Grenzübertritten müsse Johnny dann eben im Kofferraum liegen. Aber man stelle sich nur kontrollseits vor: Guten Tag, öffnen Sie doch bitte mal den Kofferraum… an der Deutsch-Luxembourgischen Grenze. Und da läge dann grinsend – und Johnny würde gewiss grinsen in einer solchen Situation! – ein Anzugmann mit einer Dose Cola-Jack-Daniels in rechter Hand und seiner Geschichte im Kunstlederbeutel um die Hüfte.

Gestern Abend konnte ich mal wieder weinen um ihn, Johnny. Zusammen mit Frau Mullah, die sich sehr für ihn eingesetzt hat in den vergangenen 2 Jahren, anders als ich. Ich konnte irgendwann nicht mehr kommunizieren mit ihm, da alles an und von ihm eine minütlich sich ändernde ERZÄHLUNG seinerselbst war. Erfunden und oft Lüge, man konnte nie wissen. Oder wahr? Dagegen Frau Mullah, sie war auf Ämtern, bei Gerichtsterminen, Anhörungen, Krankenkassen, Jobcentern, Vermietern und vieles mehr. Schützendes Sichvorihnstellen. Bitterlich, ich wunderte mich selbst, wieviel Wasser sich da gestaut hatte in meinem Unvermögen und Groll.

/Er ist ein DESPERADO im wahren Sinn des Wortes. Hilflos, väterlich? Pflegeväterlich? Viel eigene Lebenzeit und sehr schönes Erleben sind da in und mit Johnnys Geschichte im Pfarrhaus, zusammen mit Bahram und Frau Mullah und der Kirschkern. Ich habe ihn einfach blöderweise liebgewonnen, auch wenn ich seit vielen Monaten schon nichts mehr reden konnte mit ihm. Er wuchs mir ans Herz, auch wenn ich das verschieben wollte. Einmal Herz, immer Herz.

Weil er so viel gänzlich unlogische Scheisse gebaut hat, dazu am vielfach laufenden Band. Und weil er ein notorischer Lügner ist. Traue nie einem Hamburger! Ich wünsche ihm aber sowieso, trotz allem Mist, alles Glück auf seinem Weg zurück nach – vielleicht endlich – HH. Ein stolpernd banales hypermeta-psychologisches Aquarell mit Collage habe ich dann noch angefertigt gestern, Wind & wuthering to BAQI. Wer soll das vestehen, eine super private Banal-Mythologie, dazu emotional. Ich hoffe einfach, dass er es diesmal schafft, diese endgültige Hamburgreise. Und sollte das gelingen, dann wünsche ich ihm ebensoviel Glück für die Zeit danach, an der Elbe und Außenalster. Man kann ja nichtniemals vor sich selber flüchten und wie gerne würde ich ihn, Johnny, nach vielleicht aller meiner verbliebenen Lebenszeit gerne als Greis, auf der Reeperbahn mit Rollator zufällig einst treffen und einfach in den Arm nehmen. Oder er dann vielleicht mich? Man ist irgendwann verbunden, ob man es will oder nicht. Auch als vormals Pflegevater. Und das ist schon gut so. Weil es eben einfach so ist.

Herr Merz, Herr Lindner, Frau Faeser.

Good Luck NOW, Johnny! Und Belgien liegt links von Belarus und oberhalb von Lybien, ganz weit rechts dann irgendwo Dubai, Kabul oder Istanbul. Unterhalb Afrika, nördlich weiter links davon: Hamburg am Meer.

Und erzähl endlich keinen Mist mehr, Johnny.

/(tbc.)

/Frau Mullah et Consorten

2 Gedanken zu „Roadmovie“

  1. Jessesmariaundjosef, was für eine Geschichte.

    Wie gut ich das verstehen kann, wie sehr die Lügerei, die Geschichten, die sonnigen Wünsche und Hoffnungen, die irre Unvernunft die Helfer beutelt. Möge ihn jemand auf seinen Wegen gehüten, und ein friedliches Nest in Hamburg ihn empfangen, auch wenn dieses Hamburg nicht auf unseren Landkarten zu finden ist. Meine herzlichsten Grüße und Hochachtung auch an Frau Mullah.

    1. liebe frau wiesel, ja, es ist tatsächlich wie in einem spannenden film, genre „action“, in dem eins das andere jagt. möge der traurige held es nach hamburg schaffen und – endlich! – zur ruhe kommen. herzlichen dank und herzliche grüße!

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