schwere schlägerei im atelier / fundstück (2)

schötensack geriet, warum auch immer, mit von perlenbach aneinander, mag sein wegen dessen manchesmal allzu glatten bildoberflächen oder einfach, weil der ein malerschwein war, jedenfalls zuerst leise scharf, dann in der stimme drohend und lautstark, und plötzlich wälzten die beiden erwachsenen männer sich, für alle zunächst unfassbar, auf dem mit noch frischer ölfarbe von mir bekleckerten teppichbodenrest neben dem episkop an der malwand beim schaufenster. von perlenbach schrie los, so, wie ich es ihm niemals vorher zugetraut hätte, überrascht und laut und zugleich zornig, sich zunächst unten befindend, obgleich er zu diesem zeitpunkt allein deshalb, weil er schrie, noch nicht der zwangsläufig unterlegene in diesem kampf war.

der beim zeichentisch in unmittelbarer nähe auf einem drehstuhl mit armlehnen sitzende nasch warf sich nach kurzem schreck hoch und bemühte sich nach ob der raserei umgehenden erfassen der situation, die beiden zu trennen, mit heftig lauten und vor allem patriarchalischen, und damit, wie ich wusste, in der vergangenheit in schon manchen momenten friedenstiftenden sätzen um sich schleudernd.

die kuska, die, kleinbrüstig und großgewachsen, einen gewissen neutralisierenden einfluß in solcherlei situationen auf streitende männer vermutlich gewohnt war, versuchte engagiert, nasch von ebendieser gleichmacherei schützend abzuhalten, um dem raufen wenigstens nicht noch neuen zunder beizumischen. beide, von perlenbach und schötensack, schlugen nun wechselnd aufeinander und nasch ein, wie, wenigstens von von perlenbachs seite, kaum zu erwarten gewesen war.

bauer/dussmann, der bislang auf einem noch am frühen abend herbeigeschafften behelfsstuhl vor dem materialschrank saß, solidarisierte sich nun umgehend und schützenderweise mit den frauen im raum, wobei er, ebenfalls adrenalinbeschleunigt, die situation vor innerem auge passieren ließ und keine weiteren männlich zugewiesenen aufgaben ausmachen konnte, diese ja auch nie erlernt hatte, insofern es sie in seinem leben denn überhaupt jemals gegeben hatte. bauer/dussmann also, nun stehend in sich zurückgezogen in der nordwestlichen raumecke an meinem schreib- und computertisch, das handgemenge beobachtend hin zur gegenüberliegenden atelierzone als nichtraucher, bot, in dieser prekären situation, erstmals seit jahren aufsaugend das spektakel der sich im kampf windenden körper in realität, frau von schlippenbach, der astrologin, unvermittelt dadaistisch das „du“ an.

ein fehler! diese gab ihm daraufhin eine laut knallende ohrfeige, gänzlich unerwartet und auch in der nachschau der darauf folgenden stunden und nach ausführlichen erläuterungen am krankenbett des schlafend siechenden bauer/dussmann, verstand dieses verhalten letztlich niemand, selbst mir erschien diese reaktion, trotz meiner wachsenden abneigung gegen den späteren patienten, etwas zu vehement.

schötensack, von perlenbach und nasch jedenfalls hielten einen moment lang erschrocken still, dies mag vielleicht ein weiser und der eigentliche grund für den schlippenbachschen gesetzten schlag gewesen sein. die keilerei wäre wohl tatsächlich zu diesem zeitpunkt nicht weitergegangen, hätte sich nicht lena kuska, nach neuerlichen schlichtungsmöglichkeiten suchend und die eigentlichen gerechtigkeiten übersehend, mit monika von schlippenbach generationsübergreifend vollständig solidarisiert, was dazu führte, daß sie, die kuska, sich plötzlich schreiend durch den raum auf bauer/dussmann stürzte, der zu boden ging und dessen kopf an die stirnseite der ateliertür zum flurchen und zur toilette hin schlug, und dessen augen sich sodann merkwürdig und in einer von mir bis dahin noch nie beobachteten weise verdrehten.

inken böttcher, die vorerst und überrascht nicht eingegriffen hatte, sondern mit florian schmidt womöglich, für mich in solcher lage ungewohnt, die rechtliche situation der situation erörtert haben könnte, vielleicht ja auch als quasi ehemalige hausherrin, konnte sich nun nicht mehr länger halten und stieß die kuska, der sie, wenn nicht an körpergröße, so doch an alter und kampfmasse überlegen war, weg von bauer/dussmann.

in diesem moment wurde die tür mit einem schlag vom danebenliegenden flurchen aus unglücklicherweise ein weiteres mal gegen den kopf von bauer/dussmann geschlagen, und ulrike schwaig und der photograph hans mellenthin, die im nebenraum fachgespräche über photographie geführt hatten, betraten heftig den raum, um nachzusehen, welchen ursprungs die geräusche waren, die sie in ihrer simpelei gestört hatten. ulrike wirkte verstört, hatte sie doch in mellenthin zum einen den geduldigen zuhörer für ihre beruflichen erfolgsmeldungen gefunden, und vermutlich zum anderen, ihrem gespür folgend, die möglichkeit einer kostensparenden werksdokumentation ausgemacht.

mellenthin jedenfalls war verwirrt ob dem, was sich seinen augen bot, und konnte gerade noch der in solchen dingen ungeübten rechten faust von RA schmidt ausweichen, der sich nun seinerseits gedrängt fühlte, einzuschreiten, und der in seinem ausgeprägten gerechtigkeitsgefühl den am boden sabbernden bauer/dussmann, mit mittlerweile einigem recht als übermäßig benachteiligten ausmachte, jedoch vorsatz und unglück des mellenthin/schwaigschen türöffnens so schnell nicht voneinander trennen konnte.

die schmidtsche faust landete statt dessen am ohnehin schon verschobenen unterkiefer von ulrike schwaig, die rückwärts in das flurchen kippte und im fall die dort in einem von mir eigens für diese raumsituation gebauten regal gelagerte luftpolsterfolie und die aufbaukiste mit nagelkästchen mitriss, welches dann leider beim aufschlag aufsprang.

mellenthin, als kavalier, sah sich einen moment zu lange nach schwaig um, um noch der ersten von lena kuska, obgleich in umklammerung von meiner lieben exfrau, die nun das schlimmste für den fortgang des abends befürchtete, geworfenen bierflasche, ausweichen zu können. gottlob traf die flasche härtere regionen des wuchtigen knipserschädels, dennoch schrie mellenthin vor plötzlichem schmerz, ging zu boden und wälzte sich dort hilfesuchend und mit den starken armen rudernd neben der wie immer nichts verstehenden ulrike schwaig, die sich den kieferknochen betastete und weinte.

diese ersten tränen des abends bewogen eine solch innere empörung bei anwalt schmidt, daß dieser nun mit wucht nach der kuska trat, obgleich sie ihm eigentlich als kleinspitzbrüstige junge frau gefallen musste, wie ich aus anderen weit friedlicheren einzelgesprächen annehmen konnte. er traf sie am großen muskel eines oberschenkels, kein gelenk, aber der schmerz muss groß gewesen sein, denn sie schmiss ihren kopf an den hals von inken, die sie immer noch festhielt, mittlerweile beinahe mütterlich beschützend, aber die solidarität zwischen frauen hat, wie ich finde, oft etwas sehr unbestimmt gefährliches und ist nichts, worauf ich mich verlassen würde.

jedenfalls rief nun seinerseits der heftige tritt von schmidt nach einer jungen frau den unter schötensack und von perlenbach liegenden nasch auf den plan, auch deshalb, weil ihn mit der kuska eine zwar vergangene, aber neunmonatige intime beziehung verband. er schleuderte einige herumliegende größere pinsel in richtung des rechtsanwalts, welche neben monika von schlippenbach auch ebenso unbeabsichtigt und hauptsächlich einige kleinere, noch nicht getrocknete ölmalereien an der westlichen wand trafen, die daraufhin teils herunterfielen, da ich sie zum trocknen normalerweise lediglich mit kleinen stahlnägelchen befestige.

schötensack griff, obgleich die genetisch verankerte nascheske frauenbeschützende moralität mit diesem teilend, sofort in dessen werfende arme, um ihn an der teilweisen zerstörung meiner neueren werke zu hindern und um mir solidarität zu zeigen. diese verschleierte verbrüderung bemerkte nun von perlenbach sofort, und tat durch wildes seitliches einschlagen auf schötensacks schulter die seine gegenüber nasch kund, allerdings ohne damit schötensack, dem alten recken, wirkliche schmerzen zufügen zu können. der letzte von nasch noch in richtung der anderen gruppe um schmidt, kuska und böttcher und andere geworfene marderhaar-flächenstreicher traf nun die brust von ruth mueller-hesse, die bis dahin ruhig und seltsam unbeteiligt dem tumult beigewohnt hatte.

für mich völlig unvermutet bückte sie sich pfeilschnell und mit plötzlich rasendem blick nach dem am boden liegenden pinsel, und schlug ihn von hinten an die rechte schläfe von RA schmidt, der völlig überrascht strauchelte und in folge und mitsamt nahezu neunzig kilogramm körpergewicht über bzw. auf dem zwischen tür und schreibtisch verkrümmt eingeklemmten bauer/dussmann zu boden ging und unglücklicherweise und völlig unbeabsichtigt im fall die die ganze zeit über leicht geöffnete tür an die stirn des sich im flurchen inzwischen wieder aufrecht erhoben habenden photographen mellenthin schlug.

dieser, wie viele große und korpulente männer an und für sich und im gemüt friedliebend, stieß nun um so heftiger die tür seinerseits ins atelier auf und schob damit den wohl zu diesem zeitpunkt schon mindestens ohnmächtigen bauer/dussmann erneut mit dem kopf gegen die kante des tisches und seine verdrehten beine in den raum, weshalb nun auch die immer noch in sich verkrallten böttcher und kuska über die in sich verschränkten schmidtschen und bauer/dussmannschen unterschenkel stolperten, gleichermaßen zwar ohne sich selbst zu verletzen, wohl aber mit dem gesäß und der wucht des fallens zweier ausgewachsener frauen auf ebendiese unterschenkel fallend. das sich aus diesem unglück ergebende geräusch wird keiner der gäste jemals vergessen. selbst die im flurchen sich bis dahin immer noch heulend in den nägelchen meiner aufbaukiste wälzende schwaig hielt einen moment lang inne, bevor ihr mellenthin, mit roter stirn, die hand zum aufstehen und ein papiertaschentuch reichte.

die von schlippenbach war es, als älteste anwesende, die darob als erste den überblick wieder zu gewinnen schien, denn sie begann nun, mit weit ausgebreiteten armen, tröstende worte zunächst gegenüber den ausnahmslos weinenden weiblichen beteiligten auszusprechen. nasch, von perlenbach und schötensack entwirrten sich, nicht ohne sich beim aufstehen, bei dem sie sich teilweise gegenseitig halfen, stoßweise stöhnend, die kurz zuvor noch vorhandene aggressivität herunterregelnd, zwar böse, aber eben auch verzeihend und mit ratlosigkeit anzusehen.

inken böttcher half dem anwalt schmidt, sich über und von bauer/dussmann zu erheben, und die kuska, die sich den durch ihre stoffhose sichtbar geschwollenen oberschenkel hielt, ging ihr in einem meer von tränen dabei zur hand. müller-hesse umarmte den dann stehenden schmidt und tupfte unbeholfen mit einem umherliegenden atelierlumpen die von ihr mit meinem flächenstreicher verursachte verletzung an seiner schläfe. hans mellenthin und die schwaig lagen sich, wie schon kurz zuvor, im flurchen in den armen und sammelten nun aber im übersprung handelnd die nägelchen vom boden auf, um sie, wie ich später feststellte, natürlich ohne jede ordnung in den verbogenen nagelkasten zurückzulegen.

in diesem moment hielt der krankenwagen vor dem schaufenster.

8 Gedanken zu „schwere schlägerei im atelier / fundstück (2)“

  1. ja wie geil ist das denn????
    ich fall vom glauben ab…
    grande…
    ein herrlicher text…
    und …. also ich mußte kegeln mit einer gruppe neulich… das macht auch muskelkater…. und ist nicht halb so lustig wie eine schwere schlägerei in ihrem atelier. veranstalten sie solche events häufiger herr schneck? ich wäre dann gern mal dabei.

  2. mit diesem tableau vivant haben sie der wiedergeburt
    der historienmalerei aus dem geiste des slapstick zwingenden
    vorschub geleistet. was für ein furioses atelierschlachtgemälde…
    ich bin völlig endbegeistert !!!

  3. REPLY:
    auch ihnen besten dank, dr. schein. ich werde aber bei meinen schmalen leisten bleiben und doch lieber die pinsel weiterquälen. ich sei nämlich ein „kippenbergerimitator“ meinte neulich eine schwontkowskiimitatorin, und aus so einem vorteil muß man ja was machen…;-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert