Quellenlagen

Die ewige Restmelancholie der westlichen Welt geht mir auf den Wecker. Manchmal. Auch ich gehe mir manchmal auf den Wecker. Andererseits hat ja der Winter das Denken hervorgebracht. Die Vorratshaltung. Andere wieder sagen, es sei die andauernde Wärme des Südens gewesen, welche die geistigen Kapazitäten jenseits eines Überlebenskampfes freisetzte. Die ältesten bekannten organisierten Stadtsiedlungen befinden sich meines Wissens im Libanon und in Syrien. Sie sind rund zwölftausend Jahre alt. Bärtige Männer gehen mir durch den Kopf. Hinterrücks. Die zwei zivile Lastkraftwagen anhalten und die Fahrer, nur weil sie Alewiten sind, am Straßenrand hinrichten, einfach so. Und das ganze dann auch noch filmen. Stolz, hinterhältig. Aber man sollte lieber nicht irgendwelche Filme ansehen im Internet, zumal spätabends, zumal das Gesehene ja auch ganz anders sich verhalten hätte können. Es fehlen ja immer auch die Verifizierungen von Quellenlagen. Vielleicht waren das Schauspieler. Bestimmt waren das nur Schauspieler. Raffiniert, perfide. Wenn ich manchmal alt werde, dann sehne ich mich nach dem völligen Zusammenbruch des Internets. Nach dem Komplettversiegen des schon lange über die Ufer getretenen Informationsflusses. Nach einem Zustand, in dem nicht jeder zu jeder Zeit alles – ob Wahrheit oder Unwahrheit – mitteilen kann aus Eigennutz. Auch ich nicht. Man würde dann bei Kerzenschein abends zusammensitzen, ein Glas Wein trinken und sich Geschichten erzählen von fremden Ländern und zwölftausend Jahre alten Siedlungen, in denen schon Hochkultur und Restmelancholie gepflegt wurde, als bei uns noch bärtige Männer in langen Gewändern andere einfach so ermordeten von hinten.

17 Gedanken zu „Quellenlagen“

  1. sehne ich mich manchmal auch. Für sich allein kann man ja recht gut Abstand vom Internet gewinnen, wenn man ihn braucht. Aber mit der ursprünglichen Geselligkeit ist es nicht weit her, wenn die Hälfte der Anwesenden dabei auf ihrem Smartphone herumsurft. Doch ich glaube auch, möchte glauben, daß es immer mehr Menschen, ja sogar jungen Menschen so geht, und daß man sie finden kann. ;o)

  2. Solange Sie nur manchmal alt werden, ist, denke ich, noch alles in Ordnung. Nur bei den bärtigen Männern, die Ihnen durch den Kopf gehen, da dachte ich zuerst an Weihnachten, schade.

  3. Der Winter, das ist vielleicht auch die Zeit der aufkommenden Internetmüdigkeit. Und, wer weiß, vielleicht gelingt es den Generationen nach uns, aus dem Internet etwas zu machen, das sich anfühlt, wie alte bärtige Männer, die mit alten weißhaarigen Frauen und einer Horde Kinder um ein Herdfeuer sitzen…

  4. Das Werkzeug ist nicht schlecht, allein was wir damit machen ist mitunter fragwürdig.
    Information an sich, gut, na ja, meist mangelt es an Inhalt, es sei denn, man mag Katzenfotos.

    Bärtige Männer in langen Gewändern haben wohl schon seit sehr langer Zeit von hinten gemordet, Briten haben indischen Webern die Daumen abgeschnitten, Christliche Mannen Andersdenkenden auf grausliche Weise das Leben genommen, und…

    Heut wird irgendwas ins Lich gerückt, wird Thema, und schon spricht die Welt darüber, mit einer sehr kurzen Halbwertszeit.

  5. war ich in der Wüste von Syrien. Damals habe ich plötzlich begriffen, warum die Menschen in der Wüste anno dazumal nach Gott zu suchen begann. In dieser Weite ist es leichter an etwas ganz Abstraktes zu glauben als im Durcheinander des Waldes. Ob es die Menschheit glücklicher macht, bezweifle ich allerdings.

  6. Gut möglich. Vor allem nachts, wenn dann auch noch das Universum blinzelt. Allerdings sind mir Waldgeister oft viel lieber, als etwas großes Abstraktes. Wobei ja auch die Waldgeister Teil des großen Abstrakten sind.

Schreibe einen Kommentar zu schneck Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert