Schon lange wollte ich ja eigentlich einmal wieder etwas Erotisches niederschreiben, irgendwie erotisch jedenfalls, vielleicht vom Strand bei Büsum, in irgendwelchen Dünen, sogar mit nackten totalrasierten polyamourös teilmasturbierend gegenderten Heimlichbeobachtern um 1983. Nun aber kam mir heute in dies schillernde Anliegen profanmental ein Stuttgarter Szenegalerist dazwischen, hineingegrätscht, ein überaus dümmlicher Depp, noch nicht mal wahrscheinlich mit funktionierender Bindegewebsrosette im anständigen Hauptganglion eines Mindestmaßes an Geschäftsgebahren. Einkreisend unverschämt. Dabei wollte ich lediglich einen verliehenen Keilrahmen zurückhaben./ Also Stuttgart, das wird wohl nichts mehr mit uns. Und schließlich waren da ja vor Jahren auch genügend Gründe, wegzuziehen. Ich werde Dich von nun an nicht mehr in Schutz nehmen, so wie ich das lange Jahre furchtlos und treu getan habe, bis gestern noch, sogar im Hurricane der immerwährend blöden Berliner Herkunftsverleugnung.

reif

erstaunt über meine abwehrhaftigkeit gegenüber einem möglicherweise vorgegebenen blindenwarenverkäufer am gartentor. misstrauischer blick ihm nach beim wagenladen. wie ein hofhund. knurrend. verachte schlendernde rentner, die mir meinen flinken weg versperren. menschen, die wahrnehmungslos im weg rumstehen. die roten ampeln nehmen mir die kraft fürs alltägliche. verachtung gegenüber der eigenen gehetztheit. dasselbe bei der gereiztheit. träume von gestapelten kurven. als ob man kurven stapeln könnte. niedergang der diskussionskultur, als ob man diskussionskulturen stapeln könnte. und wo könnte ich mir eine burka kaufen. was kostet eine burka. ich bin für die wiedereinführung von grenzkontrollen, allein schon deshalb, weil das früher immer so spannend war vom rücksitz aus. kind sein, musik aus, freundlich schauen, schon zwei kilometer vorher die pässe bereithalten. man hat dann das alles ganz anders wahrgenommen, diese länderübertritte. anderes geld, umrechnungen. fremd sein. höflich sein. man war ja gast. auch heute noch empört es mich besonders, wenn ein wagen mit beispielsweise schweizerischem kennzeichen die geschwindigkeit übertritt. diese reaktion als exzerp von werten, für die generationen vor uns ihr leben liessen. der erste reif auf dem rasen, igel, versteckt euch bald im blätterhaufen.

205,00

205 euro sind mir gestohlen worden. aus meinem stets behüteten geldbeutel, während er in meiner hand festgehalten war. gezogen offenbar in einem kleinen moment der unachtsamkeit, von dem ich glaubte, es hätte ihn gar nie gegeben. 3 stunden später wollte ich an anderem ort einige getränke bezahlen und da waren keine scheine mehr dort, wo sie – immer – sind. zuvor, vor dem diebstahl, war ich noch am bankautomaten gewesen, um mir einhundertfünfzig abzuheben, für tank und logie und mitbringsel. in der rekonstruktion des ereignisses kann es nur einen moment gegeben haben, nämlich denjenigen, als ich die alljährlichen skalpellklingen kaufte und bezahlte. es gibt auf dem nürnberger herbstmarkt immer einen schönen stand mit medizinischen geräten und dergleichen und dort erwerbe ich im herbst jeden jahres 20 skalpellklingen, 10 kleine und 10 größere. sie sind dort immer vorrätig, in apotheken hingegen haben sie oft nur diese einmalklingen oder sie müssten eigens bestellt werden. dort, an diesem stand, muss es also passiert sein, gegen 18.30 uhr, morgen vor einer woche. es muss ein meister der zauberei gewesen sein, oder eine meisterin. magie, beinahe anerkennenswert. nichts habe ich bemerkt, obwohl ich meinen linken daumen immer schützend über den scheinen, die im fach stecken, halte. wenn ich den beutel, so auch vergangene woche, in der linken hand halte. und nicht mal ein markgedränge war es, rempler – zieher – abdecker. eher war es leer gewesen, da der markt um 19.00 uhr ohnehin schließt. die sache gleicht einem kontrollverlustigem tagtraum mit anhängseln. dazu: es sind die teuersten skalpellklingen, die ich jemals erworben habe. ich werde sie hüten und schätzen.

Die Kirschkern erzählte, sie müsse nun unbedingt ihr Vorderlicht am Fahrrad reparieren, aber vor Ende der Woche würde sie gewiss nicht dazu kommen, leider. Tja, Termine. Morgens ist es nun dunkel, wenn sie zur Schule fährt, abends auch, wenn sie von dort kommt. Sie könne das aber nicht ändern, nein, vor nächstem Wochenende wäre einfach keine Zeit fürs Licht. Und dann grinst sie dazu, ein Schelm. Auch einen Helm aufzusetzen weigert sie sich nach wie vor. Sieht scheisse aus und überhaupt, die Haare. Sogar meine Finanzierungszusage für etwas Feines oder Ausgefallenes (aus England?) für den Kopf lehnt sie voll großer Güte und Geste ab. Und auch der ernste Hinweis auf die ebensoernste Tatsache, dass eine Person aus ihrem näheren Umfeld wegen eines Fahrradunfalles, bei dem die Verunfallte keinen Helm trug, nunmehr seit 3 Jahren im Koma liegt, hilft offenbar wenig. Gleiches gilt für das angedachte und kommunizierte Stornieren von Taschengeldzahlungen und/oder das Streichen von Urlauben und dergleichen Keulen. Hier und so entsteht wohl also jene sich entkernende fluoreszierend adoleszierende Selbstbestimmtheit, an und für sich ja etwas sehr Wertvolles und wichtig schnörkellos Schimmerndes. Jetzt muss sich dann nur noch die Reife dazugesellen. In der Zwischenzeit hoffe ich auf ihren Schutzengel bzw. den lieben Gott. Da kann man wohl nichts machen. Oder anders: Was will man da machen?

Vielleicht hat sie das ja von mir. Oder von ihrer Mutter. Oder ihrer Oma.

Bei Retouchierarbeiten in einer schönen alten Kirche an der Autobahn 9 bei G. krabbelte mir heute die ganze Zeit eine Blattwanze im angeblichen Tageslicht der Lampe hinterher. Ich überlege nun, ob es sich bei dieser um die vielleicht inzwischen reincarnierte schöne Marlene handelte, einer gebürtigen G’erin, die mir einst mein Herman-Brood-T-Shirt abreden wollte, was ihr aber nicht gelungen war. Damals fuhr ich einen dunkelblauen Lada-Kombi ohne Dachreling.

bsp. Tautreten

Die paar wenigen Nächte nun, wenn die Grillen noch zirpen einerseits, bevor sie sich in die Aufzugschächte der Krankenhäuser und Sterbebereiche von Pflegeheimen zurückziehen, dagegen ein paar Hunde schon aus der Ferne bellen und es hat 4 Grad, wie im Winter, so ein spezieller klargläserner Klang, obwohl doch noch Bienen fliegen, dann riecht man nicht Schnee, aber schon Eis oder das, was kommt. In diesen kalten Nächten jetzt fahren auch die Kleinbusse aus der Ostmark (Kriegsenkel) und laden ihre stets versicherten Frachten aus, mal haben sie mehr Herz, mal etwas weniger, und morgens bedrängt eine tiefschräge Sonne, dann kann man herrlich erfrischend Tautreten nach Abenden in Kneipen (oder auch nicht), oder man könnte jedenfalls, mit einer Tasse fair gehandelten äthiopischen Kaffees in der Hand, bevor man später nur beispielsweise ein Seminar über die vorrübergehende Beherbergung minderjähriger alleinreisender Flüchtlingskinder besucht oder – ungleich wichtiger – eigene Rechenfehler ebenso eigener Rechnungen korrigiert, voll mathematisch alleinreisender Grundgram, oder sich in Listen zur Organisation der Aufsicht von Ausstellungen hineinschreibt. Wesentlich ist immer, dass man was zu erzählen hat, wenn man – z.B. oft beispielhaft – erzählt.

FritzFranzFriederich

Die Kirschkern sagt „Papa, Du siehst aus wie ein alter Hund.“ Die K. isst mallorcinische Schweinefüße als Vorspeise (schon im Juni). Beides darf ich nicht ins Internet schreiben, sagen sie, beide. Es heisst „Brezel“ und nicht „Breze“. Das Hantieren mit Buchstaben und Wörtern. Seiten wären füllbar, oder auch nicht. Die Kirschkern hat der alten Dame deren bereits vor bald zwanzig Jahren handschriftlich verfasste Memoiren abgerungen und nach der Tortursiedlung mitgenommen, um diese dort abzutippen. Sie ist bereits auf Seite 22. Wunder, dass sie die großmütterliche Schrift lesen kann, halb noch Sütterlin gemischt mit ‚Deutsch‘. Und ich bereue die mir fehlende Anonymität. Große Dinge, kleine Dinge. Die Hände sind mir verbunden für das, was ich gerne umschreiben und schmücken wollte, ggf. an die Wände malen, nicht lichtecht, dennoch ziemlich wahr. Aber neu und ungemein beruhigend, ein paar Sachen, im Jetzt, im Damals und vielleicht auch im Morgen. Ohne Grauen, keines mehr da. Späte Genüge. Wie kleinlich. Oma, die alte Dame, ist Zeitzeugin der aussterbenden Sorte, da sind wir uns einig. Und der Spruch mit dem „alten Hund“, der gefällt mir. Da stimmt was dran. Nach ausführlichem Studium der Vaporetti zu Venezia ist mir endgültig klar: Als echter Mann musst Du vor allem ein Schiff fahren können. Ich wär ein guter Busfahrer in V., da bin ich mir sicher, ich könnte schon morgen anfangen: Das Ansteuern der Haltestelle, dann dort etwas zurücksetzen, damit der zweite Mann (oder die zweite Frau) den Tampen überwerfen kann, danach weiter ein bisschen zurück in Viertelskraft, damit sich die Leine festzurrt von alleine, und dann Ruder entgegen der Ausstiegsstelle mit Fünftelskraft, auch je nach Seegang und Wellen. Ab und an einen Ellenbogen greifen, auf dass nichts zwischen Bordwand und Ponton gerät, Kinder, Alte, Kranke, Blöde, Dumme. Und alles Diesel. Die Kirschkern erzählt, in Frankreich habe sie einmal Spätzle gemacht für die Gastgeberfamilie, woraufhin diese meinten, das seinen „Nudeln“, woraufhin sie korrigierte, „Nein“, das seien keine Nudeln, das seien „Spätzle!“. „Aha, also Nudeln?“ und sie: „Nein, Spätzle!“ Mehrfache Korrektur diesbezüglich, das gefällt mir. Beim ersten Tor gegen Polen boxte mir Ivona gegen den linken Oberschenkel und lachte laut und verzweifelte fast. Entschuldigte sich sogleich mit ehrlichem Schalk fürs Boxen, sie sei immer sehr emotional beim Fussballschauen. Während die alte Dame aus ihrem verbliebenen Auge heraus aufs Sofa herüberplierte. Ivona hat ein wirklich sehr großes Herz, die alte Dame eine gedachte Augenklappe, jedenfalls bei mir, ihr kaputtes Auge wird langsam irgendwie dunkelfarbig, wie bei Agatha Christie. Wir müssen tatsächlich irgendwann über eine Augenklappe nachdenken. Von der anderen Seite her boxt mich oft die Köchin, wenn ich sage „Und Du, Du hast Schweinefüsse gegessen! Unglaublich!“ Die Kirschkern sitzt oder saß daneben auf dem zweiten und letztverbliebenen Rattansessel (Bj. 1971), kaute an Mangoschnitzen von Alnatura und freut sich in ihrem Gemütlichschlafanzug meist oder oft an der Gesamtszenerie. So scheint mir. Wir sehnen uns jetzt alle nach dem Herbst und Winter, wenn wir wieder dreimal hintereinander „Tanz der Vampire“ ansehen können an einem Abend. Oder ‚Türkisch für Anfänger‘ oder ‚Der Tatortreiniger‘. Und wenn Oma ein Name fehlt, bezüglich einer männlichen Person, dann sagt sie immer „Na, Du weisst doch…, nu sags doch…! Der… FritzFranzFriederich!“

Immer dann, in solchen Momenten, nehme ich, von allen Anderen unbemerkt, der Köchin Hand in die meine und flüstere ihr zärtlich leise ins Ohr: FritzFranzFriederich.