Auf einem Kirchturm in der alten Türmerstube zum Herrichten der Türmerstube. Verbrachte ich meine letzten Tage. Eigentlich sind es drei Türmerstuben. In Fachwerkkonstruktion mit verputzten Ausmauerungen, darauf ornamentale Malerei und ggf. Blütenranken als Erstfassung und eine Vielzahl von Inschriften auf verschiedenen darüberliegenden Tüncheschichten. Das UV-Licht macht es sichtbar. Ein schöner Ort, das fanden auch schon andere. Und eine schöne Baustelle, Dank der Kollegin Dr. J.F., auch für die UV-Aufnahme.
Dort ist Outlet-City, die Kirche heisst Martin und sie hat einen rundumlaufenden Turmbalkon, der mit steinernem Maßwerk der Renaissance geländert ist. Man kann hinaustreten und hat eine schöne Sicht über die Stadt und das Land.
Unten können alle, die nicht mehr so viel auszugeben haben, dennoch am Konsum teilnehmen und kaufen einen Martinsmantel oder Jesuslatschen. Tragen dann zufrieden und stolz die Käufe in Markentüten mit Aufdruck durch die Stadt zum Kaffee nach dem Einkauf, so wie ich das auch tun würde. Überall Markentüten. Auch wenn man kurz vor arm ist, kann man hier noch irgendwie PRADA oder PUMA und so weiter. Das ist ein schlimmes Spiel. Dass das so funktioniert. Immer gibt es zwei Sichten und aber immer nur ein Leben. Und einen grandiosen Mechanismus des Kapitals. Bösartig und raffiniert in seiner Gnade. Die ganze Stadt ist eine einzige Boutique. Bestimmt allerdings wurden dadurch Arbeitsplätze geschaffen und die Steuern und Abgaben für die öffentliche Hand kommen der Allgemeinheit zugute. Spielplätze, Kinderhorte, Alte, Bordsteine, Randgruppen. Es ist also alles gut und es ist alles schlecht. Und es beschreibt eine Spur, die Unbestechlichkeiten schon oft raffte.
Hunderte Fliegen versammeln sich hier oben. Durch das eine Fenster fliegen sie hinein und durch das andere wieder hinaus, immer im Kreis dem Licht nach. Wovon sie sich ernähren, ich weiss es nicht. Turmfalken beäugten unsere offene Türe zum Umgang, wir stören sie, sind wir hier oben doch fehl am Platze. Die Falken haben einen seltsam aufgeregt hellen Ruf, fast ängstlich, der so gar nicht zu einem Raubvogel passt. Wahrscheinlich wissen sie nicht, dass sie eigentlich Raubvögel sind. Wahrscheinlich wissen auch wir nicht, dass wir eigentlich Menschen sind. Gestern nun hat sich wohl endlich ein Paar gefunden, kurz saßen sie flatternd aufeinander, danach flogen sie in Herzpirouetten gemeinsam zu einem alten Schornstein hinüber. Im trockenen Gewölle auf der Brüstung liegen verdaute kleine Mausezähnchen und allerlei interessante Sachen.
Das Schmutzwasser konnte man in den Regenwasserabfluß des Balkons schütten. Neues Wasser oder anderes Material (zum Beispiel Kalkspatzenmörtel) muss man von unten herauftragen, was jedesmal ziemlich anstrengend und mühsam ist. Man überlegt doppelt, was vonnöten, weiss aber wenigstens, dass es gesund sei. Der Blick auf den nahen Rand der schwäbischen Alb (hier ist es kein wirklicher ‚Trauf‘) mit den jetzt erblühenden Obstwiesenhängen entschädigt jedoch sehr. Dazu der warme Wind und die Sonne, ich hätte schön Farbe im Gesicht abbekommen, meinte die Köchin.
Das große Glockengeläut am Mittag lässt den gesamten Turm schwanken, man merkt das in den Knien und gleich am Rand vom Bauch. Man verspürt es. Wundert sich aber dann beim zweiten Mal schon gar nicht mehr so sehr. So geht das mit der Gewöhnung. Unglaublich, was solch ein Mauerwerk und eine Turmstube an Schwingungen aushalten muss. Es ist ohrenbetäubend und folgenschwer, aber nicht schlimm, da inzwischen vertraut. In einem Turm steht man ja meist über den Dingen.
Für neue Sommerschuhe und deren Ankauf werde nun auch ich vielleicht bald schon dorthin fahren und dann aber gewiss die Markenaufdrucktüte (TIMBERLAND, LLOYDS etc.) doch lieber irgendwo heimlich ohne angstvollen Ausruf entsorgen. Bis dahin sind die Fliegen vielleicht schlauer geworden (das schaffen die nie, das wollen die gar nicht) und die Falken haben hoffentlich Junge.
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(im Februar. wars da noch kalt.)
Erinnere mich an Gewühle wie die Bekloppten in einer Art Halle. Gab es da nicht mal einen Film, irgendwas mit Teufel? „Im Vorhof der Hölle gibt’s Prada“ oder so ähnlich. Bin da nur selten. Wird’s mir schwindlig im armen Herzen – nicht so, sicher, Ihnen auf dem Turm (was für eine schöne Oberebene in Ihrem schönen Text, Herr Schneck, und was für eine schöne Arbeit, denk ich mir mal so). Der Bergsportausrüster des Vertrauens hat dorten auch ein ‚Outlet‘, aber zum Glück am Rand, quasi am Outlettrauf. Manch solide Felsenhos‘ zu vernünftigem Preis, bleibt noch was übrig für Kaiserschmarrn auf der Hütte.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen
S.
„Der Vorhof trägt Prada“, so hieß der Film. Und ja, das ist schon immer wieder auch eine schöne Arbeit. Der letzte Akt der Lieblingskirche ruft schon. Der Sonntag war schön, Ihrer hoffentlich auch. Mit Dank, Herr Speed -und auf ein Zötler-Bier am Einödsbach!
Da könnte man sich fast einmal treffen oder gar verabreden. Auch eine gemeinsame Erklimmung des unweiten Schnecks könnte man sich amal überlegen! Oder so was. Je steiler es war, desto besser schmeckt ja der Hopfen! Und nachher was Schönes bloggen.
könnte man. ich nehm‘ den hubschrauber.
Gut. Ich geb‘ Ihnen dann Rucksack und Getränke mit.
und Liegestühle!
oh vielen dank. ich glaube aber, es ist immer alles zu durcheinander, was mir freilich gefällt, weil ich es ja will. („freilich“, ein wörtchen wie „indes“). schlawinerwörtchen. /PS: hat geklappt!
Sie sind ein Meister des atmosphärischen Erzählens.
Diesen Kommentar versuchte ich schon mehrmals und durchaus etwas genauer formuliert abzusenden.
Vielleicht klappt es heute.