Ich befinde mich zur baugeschichtlichen Untersuchung eines großen Gebäudes, zu der mich der nette Kollege W. kurzfristig dazugebeten hat zur Mithilfe, gerade hier:
Man könnte ein ganzes Buch füllen mit Aufnahmen der Innereien des Bauwerkes und des Gesamtgeländes. Alles ist noch am Platze in den Zimmern, Großräumen und Hallen, auch die vielen kleinen Details und Spuren von einhundert Jahren Betriebsleben und den Geschäftigkeiten einer ehemaligen „Hauptwerkstatt“. Und schläft Dornröschen. Endgültig verlassen wurde alles vor zehn Jahren. Um 1944 hingegen sah es dort so aus.
Allerdings will ich eigentlich nur wissen, seit wann es Ihrer Meinung nach sog. „Dreifeldertüren“ mit drei gleichformatigen übereinander angeordneten Türblattfeldern gibt. Zum Beispiel eine solche:
Vergessen Sie jetzt mal das Glas im oberen Feld. Könnte auch ohne Glas sein. Höhe 2,13m, Breite 94cm. Diese Türform gilt (wie Sie ja natürlich sofort erkannt haben, Baustilkunde/Grundstudium) als übliche Türform der 1930er (!) Jahre. Logisch. Aber könnte es nicht vielleicht auch sein, dass sich jene Türgestaltung bereits im ausgehenden Jugendstil anbahnte? Also zum Beispiel ab 1910? Und was war mit den 1920er Jahren, dem Art Deco oder dem Bauhaus-Stil zum Ende der 1920er Jahre hin?
Wenn diese Tür nun aber (oder eine ihrer Zwillinge) beispielsweise dann auch noch einen solchen…:
… Türdrücker, also die Klinke, mit zugehörigem, sich nach unten verjüngendem Beschlag aufweist, dazu alles aus Messing, was ließe sich dann sagen in Bezug auf eine genauere Datierung?
Natürlich muss das Jugendstil sein. Eigentlich. Die Rillen?! Ganz typisch. Aber Vorsicht: Sah ich nicht neulich auf der Göringburg von 1939 mehrere Türklinken, dazu aus Messing, die der abgebildeten so sehr ähnlich sahen? Mit Rillen? Und könnte es vielleicht auch sein, dass Dinge und Beschläge ggf. wiederverwendet wurden, zwanzig Jahre später? (Wieso eigentlich schon zwanzig Jahre später?) Oder vielleicht nachempfunden? Oder vorempfunden?
Es geht um den Zeitraum von 1912 bis ungefähr 1935. Also vergleichbar dem von 1991 bis heute. Es ist eine knifflige Sache. Meine zentrale Frage wäre ohne Schnörkel:
Gibt es jene „Dreifeldertüren“ ab ca. 1930 oder schon vorher? Ja oder Nein.
Es ist mal wieder sehr detailspannend an einem besonderen Ort und über Ihre Einschätzungen oder ggf. Sichterfahrungen würde ich mich sehr freuen.
Ich bin kein Kunsthistoriker, noch kenne ich mich überhaupt mit architektonischen Besonderheiten dieser oder anderer Zeiten aus. Was ich aber ziemlich sicher weiß, ist, dass in dem Haus meiner Eltern ebenfalls solche Türen verbaut sind, wenngleich die Klinken nicht so schön sind. Es handelt sich bei dem Gebäude um ein Reihenhaus der Gartenstadt Reform in Magdeburg, die zwischen 1910 und 1922 erbaut worden ist. Da der Bereich, den meine Eltern bewohnen noch relativ nah zu den damaligen Grusonwerken liegt, deren Arbeiter dort wohnen sollten, gehe ich davon aus, dass diese Reihenhäuser mit die ersten waren, die fertiggestellt worden sind, also irgendwann um 1920 spätestens. Bruno Taut war maßgeblich an der Planung und Durchführung beteiligt, das wird Ihnen sicher etwas sagen.
Lieber Herr Shhhh, besten und großen Dank für Ihre Nachricht. Seit heute kann ich diese Einschätzung auch teilen, denn es haben sich noch ein paar Spuren über die jeweilig zeitlich zuordbaren Farbigkeiten/Fassungen ergeben. Im 1.OG konnte ein Violett als erste Fassung der Wände eindeutig nachgewiesen werden (Laufspuren direkt auf dem Putz unter einer abgenommenen, nachweislich bauzeitlichen, Fußbodenleiste), dieses Violett konnte dann unter der Stirnlupe auch an den Rändern auf einem dort eingebauten Türfutter, im Wandschnitt ebenfalls in drei Felder aufgeteilt analog zur Türe – über der ersten Türfutterfassung, einer dunkelgrünen Lasur auf heller Grundierung (nicht untypisch für den Jugendstil) – eindeutig nachgewiesen werden, das sind die Bereiche, wo Bauteile oder Farbgestaltungen „zusammenstossen“ und oft im sehr kleinen optischen Bereich die Abfolgen sichtbar werden, Pinselspuren eben, sodann konnte diese grüne Lasurfassung auch auf der Türe bzw. einigen der fraglichen Türen nachgewiesen werden. Dazu die Form, Größe und Machart der Kloben, die größer sind, als diejenigen der späteren Dreifeldertüren aus den 1930er- Jahren im EG… es geht ja immer ums Nachweisen, um eine Logik sämtlicher Abfolgen und Systeme, das verfolgt einen dann bis in den Abend hinein, wenn man es nicht so richtig geklärt hat, manchmal muss man dann auch loslassen können, aber hier nun hat es sich gelohnt. Plötzlich, nach ein paar Tagen vor Ort, fallen einem da die Schuppen von den Augen, wenn man sich in ein Gebäude „eingesehen“ hat. Auch die Fachliteratur, über die wir natürlich selbstverständlich verfügen… hält sich zu diesem Thema bedeckt, wage erwähnt ist, dass es ein paar Beispiele für die frühere Verwendung von solchen Dreifeldertüren gäbe. Mehr steht dazu nicht im Buch, aber es ist ein sehr lehrreiches und schönes Buch. Und bei der Online-Suche nach Bildern von Dreifeldertüren fand ich keine einzige Abbildung einer solchen. /Na gut. Ein langer Kommentar jetzt, vielen Dank nochmal für Ihre Information, die ja auch eine Bestätigung ist, wunderbar! Ihr Schneck
Leider kann ich so gar nichts zu der Materie beitragen, aber spannend finde ich das, was Sie da schreiben. Eine detektivische Arbeit, und eine ästhetisch schöne dazu.
Ja, das ist sie wirklich, diese Arbeit, detektivisch. Ich mag das, ich mag diese Arbeit, diese verschiedensten Orte, an die man sonst nie gelangen würde, deren Geruch und Gesamtschwingung, dazu in/aus den unterschiedlichsten Zeitfenstern, sei es um 1500 oder um 1939, und überall Relikte in Anschauung und ganz konkret: Fundstücke, menschliche, unmenschliche, in Sachen, Dingen und Anschauung und Ästhetik. Skurril ab und an, manchmal abstossend, schön und hässlich, immer spiegelnd das „Außen“ und „Innen“, oft privat, manchmal geheim, meistens spannend. Da sind Abfolgen zu klären, man muss wachsam sein, alles wahrnehmen und aufnehmen, sich in fremde Gedankengebilde hineinversetzen, den eigenen Standpunkt und die eigene Sicht sehr oft verschieben, um zu kapieren. Im besten Falle klärt man die Baugeschichten und man sollte immer mindestens zu zweit dort wühlen, damit der/die eine „So wars!“ sagen und denken kann und der/die andere „Nö, niemals!“ und dann kriegt man es irgendwann hin, zusammen.
Schon oft haben mir welche gesagt, Schneck, entscheide dich, du musst dich entscheiden, willst du jetzt Bildende Kunst machen oder Schreiben oder Restaurieren oder Fotographieren oder VATER sein? – Du musst Dich entscheiden! – und ich weiss, ich bin eben so (das war auch schon oft ein Bildtitel). Ich mag und will das alles, das bin eben ich, und es ist mir wurscht, was da einst gedacht werden wird, wenn überhaupt, oder schon jetzt. Für mich bezieht das eine aus dem anderen die jeweils fruchtbaren Gedanken, im besten Fall. Ohne meine Arbeit und die Eindrücke und Fundstücke auf den Baustellen, auf denen man, nun ja, auch ganz andere Menschen trifft als diejenigen, die sich normalerweise im oft verwöhnten Hochkunstmarkt der Hauptstadt herumtreiben…, würde meine eigene künstlerische Arbeit versacken. Und so weiter. Ich würde nie im Sumpf irgendwann bequem fehlender Gegensätzlichkeiten versinken wollen, in den Suppen eigener Säfte, und seien es Fünfsternesäfte. Dazu bin ich gottseidank zu wahrscheinlich neugierig, und für diese wahrscheinliche Neugier bin ich zunehmend (ziemlich demütig) dankbar.
Woher Neugier und Demut kommen weiss ich nicht, ich weiss nur, dass die ein Geschenk sind.
/Nun schon wieder ein langer Kommentar meinerseits. Zu diesem Thema. Naja, man darf ja auch mal unverblümt über sich selber schreiben. /Merci nach Kreuzberg-Südost! :-) /Und Vorschlag: Schauen Sie sich doch mal die Wandoberflächen in Ihrer Wohnung genau an. Da kann man vieles ablesen schon mal. Von wann ist das Gebäude, wo befindet sich der Abtritt, welche Wand ist dünn und welche ist eher dick? Ist alles rauhfasertapeziert (wahrscheinlich…), oder gibt es kleine Nischen, Vorsprünge und wo war der Zugang der ehemals Bediensteten vermutlich? Was sagt das Berliner Zimmer? Und wie sieht das Hinterhaus oder das „Gartenhaus“ aus? Wie sehen Ihre Türen aus, alt? neu? Vierfelder, Messing, Beschläge, Rillen? Das muss nicht immer superspannend sein. Aber manchmal kann’s das sein, auch so ganz im Kleinen und wie nebenher. Und vor allem: Es macht Spaß.
Klingt immer noch spannender, und ich sehe gar keine Not, nur das Eine oder das Andere zu machen oder zu sein.
Nur Vater sein geht sowieso nicht,- das arme Kind. Und nur Restaurator ist zwar sicher schön, aber selber zu Schaffen erscheint mir die ideale Ergänzung dazu.
Gerade die Begegnungen mit Menschen, die man sonst nie treffen würde, und das Erforschen der Denkweise früherer Bewohner eines Hauses, in Zusammenarbeit mit einer zweiten Person als Kontrolle und Korrektiv, stelle ich mir wirklich so spannend und auch so befriedigend vor, dass ich fast neidisch bin, nicht missgünstig.
Wenn ich so in meiner Wohnung herumschaue, sehe ich zwar viele Details, wie 2 Rundbögen im Gemäuer, verputzte Wände (alter Putz), Kassettentüren, einflügelige Fenster, und auch jede Menge Mist, wie ein innenliegendes Bad in Trockenbauweise, neue Türen mit neuen Beschlägen, usw. ich weiss aber dann noch lange nicht, was von was und von wem kommt.
Ich kann also Sammeln, aber das Alles ergibt nur ein Gefühl, eine ästhetische Einschätzung, und keine Erkenntnis.
Deswegen freue ich mich, wenn ich durch Sie ein klitzekleines bisschen Einblick bekomme in die Materie.
Eine Bekannte von mir hat vor langer Zeit über mittelalterlichen Mörtel promoviert. Da dachte ich noch: wie öde.
Inzwischen sehe ich das anders.
Schön, wenn das Spannende zu teilen ist! Ich berichte ja immer mal wieder ab und an von den Orten. Und habe aus den Tiefen des Schneck ein kleines frühes Textchen herausgekramt. Vielleicht nimmt mich das alles so gefangen, weil ich ein waschechter Kriegsenkel bin :)
Hier bei Interesse der Text zum Thema ‚Orte‘:
http://schneck06.twoday.net/stories/2712378/
(PS: und was den „Vater“ angeht, Freunde rieten mir seinerzeit, ich solle in B bleiben und die Kirschkern eben ziehen lassen weit weg nach Süddeutschland… was ich nicht gemacht habe und mir hätte auch nie vorstellen können. Ich bin dann halt hinterhergezogen und habe mein ganzes Leben umgekrempelt. Wie die Wege eben so gehen…)
Jetzt habe ich Ihnen einen so langen und persönlichen Kommentar zu dem wunderbaren, klugen, erschütternden und wahren Text, den Sie da geschrieben haben gepostet- verloren, weil ich das Wort da unten falsch geschrieben habe. Das Wort hieß übrigens v i v e, und das neue heisst f e v e r.
Ich hatte etwas über Verdun, über das Sterben usf geschrieben, aber wiederholen kann ich das jetzt nicht.
Ihr Text jedenfalls hat mich umgehauen. Und das Ende ist tröstlich, obgleich ich nicht an Gott glauben kann. Aber an Orte glaube ich. Stellvertretend.
man muss ja nicht gleich an gott glauben, um sich in dem ganzen weltgeschoose heimisch zu empfinden. ich jedenfalls fühle mich, jenseits meiner eigenen belänglichkeiten, stets wohl an orten, von denen ich weiss, das da andere meinesgleichen schon waren und allesmögliche erlebten. da merke ich was. und das verbindet und relativiert gleichzeitig das eigene befinden immens. so wars gemeint und göttliches wahrzunehmen, das liegt (und lag immer schon) in menschlicher entscheidung. „vive“ und „fever“ auf dem plan ist aber nicht die schlechteste mischung, frau tikerschreck! (ich les‘ immer schreck anstatt scherk) ;)