Nach einer Woche häuslicher schwerer Hustenkrankheit trat beinahe schon Besserung ein, die sich jedoch jäh wieder in Unbesserung verwandelte. In eine Lungenentzündung mündend, jene in Richtung Grundpflege der Umstände tendierend. Einen alten Menschen wirft so etwas auf den Boden, im besten Fall mit Teppich. Heutzutage allerdings nicht mehr, so die gut gemeint freundlich fachlichen Anmerkungen, zwingend ein Todesurteil, ähnlich einem Oberschenkelhalsbruch (als Kind hatte ich mich immer gefragt, wie denn ein Oberschenkel einen Hals haben könnte). Es könne theoretisch auch gut ausgehen, und wenn, dann nur aber eben langwierig.
Morgens öfters Bangen über einen Abschied für immer, abends schreitet wieder Hoffnung in den Raum. Oder umgekehrte Tageszeiten. Bühnenreife Auftritte allesamt der Darsteller namens Leben und Gegenteil dessen, und immer die Fragezeichen, hinter jeder Besserung wie jedem Abfall.
Sie selbst, die alte Dame, wenigstens immer noch klaren Kopfes, ärgert sich in Momenten, in denen überhaupt an so etwas wie Ärger zu reflektieren ist, darüber, dass es sie nun doch noch erwischt hat zum Ende des Winters. Eigentlich war sie ja schon überstanden, diese Krankwelle draußen in der Welt. Und sucht hilflos nach den Schuldigen, die ihr dies ins Haus trugen.
Und währenddessen immer wieder photographieren für eine Ausstellung mit dem Namen „mock.“, müssen und wollen, vor allem wollen.
Vor drei Wochen dann in jenes Klinikkrankenhaus, liegend und voller Sorge nach nochmals durchwachter Nacht. Kein Aufwärts und kein Abwärts. Und nun zur „Kurzzeitpflege“ in einem Heim, in solches sie nie wollte, für Wochen, und bis zu ihrer hoffentlichen Rückkehr ins Hause muss dort alles vorbereitet sein. Eine 24-Stunden-Kraft vielleicht.
Währendalldessen gestaltete ich das Gebäude um, der Kirschkerns Zimmer nach oben, dort unterm Dach wurde vier Jahrzehnte lang nicht gestrichen, und dann die sich angesammelt habenden Sachen und Dinge eines alten Menschen verlagern, verstauen. Oben wohnte ich als kleineres Kind, hatte nachts Angst vor dem Käuzchen und kroch dann zur Mutter unter die Bettdecke im Parterre. Oben war sie schon seit zwanzig Monaten nicht mehr, die Steilheit der Treppe zu arg. Unten ausmisten im Tochterzimmer, es war ja immer noch ein bisschen ein Kinderzimmer, in dem vieles bis in diese Tage an den großen vaterländischen Umzug und jene Zeit mitsamt deren Dramatiken von vor nunmehr acht Jahren erinnerte.
Nur die Fensterbilder mit „Papa“, „Mama“ und „Kirschkern“ habe ich noch nicht entfernt, aber ich glaube, es ist jetzt vielleicht die Zeit dafür. Ich wollte vorher noch einmal die Kirschkern befragen. Aber also auch hier neu gestrichen, entrümpelt, die wegzuwerfenden Dinge stehen nun im Garten, werden dort nassgeregnet und warten auf Abfuhr. Geputzt, entstaubt. Den selbstgebauten Kaufmannsladen in den Keller, mein Gott, was für ein Glück, dass es wenigstens dieses kleine Häuschen am Waldrand gibt, zum variieren, zum umgestalten, zum stapeln nach Bedarf.
Zwei mal täglich war ich im Krankenhaus, ein armseliges Häuflein dort im Bett, angefüllt vor allem mit Angst und ausgestreckter Hand nach der Bettkante und dem Besuch, die Augen meist geschlossen und den zwar nicht herz-, jedoch fast würdelosen Sauerstoff in der Nase. Ganz klein, kleiner geht nicht.
Wie sehr habe ich mir immer ein Geschwister gewünscht und nicht nur einen leider aus rechtlichen Erwachsenengründen abwesenden Halbbruder, der für seine Abwesenheit ja auch nichts konnte. Auch jetzt wieder. Und wie froh bin ich um die Köchin an Seite, auch wenn ich vieles aus ihrer Hilfe manchmal nur schwer annehmen kann – zu groß ist meine vaterlose Geschichte und die vor Jahren errungene Abgrenzung zu ebendieser. Worauf ich ziemlich stolz bin, ein großer Kampf war das gewesen. Niemals hatte mich jemand „Muttersöhnchen“ genannt, mein oberstes Ziel schon mit sieben Jahren oder jünger mit Pfeil und Bogen.
Aber ich hatte ja irgendwann dann doch beschlossen, vor bereits vieler Zeit, dass das, liebes Mutterchen, eben alles >unsere< Geschichte ist. In der Du mich wohlwollend begleitet hast, so gut es Dir eben möglich war, lange Jahre, und ich eben nun Dich. Eine Erkenntnis aus gewiss alternder Reifung, jenseits der ganzen Kämpferei, und dem Wissen, dass man immer Kind ist, solange die Eltern leben, auch wenn man denn 90 wäre. Wir kriegen das schon irgendwie hin, diesen ganz großen Bogen. Das ist mein ganzer Wunsch. Also ein äußerst metasubjektiver Abschnitt von Teilen von Zeit derzeit. Die vergangenen Wochen waren nicht unbedingt unanstrengend, vor allem innen drin. Ein paar untertriebene Restängste gemischt mit Ungeduld, Wunsch, Tatsächlichkeiten, Rasenmähen, Semierschöpfung, viel Übersprung und viel Gefühl. Beim Bewegen durchs plötzlich so leere Haus, in dem alles knackt und knarzt, verweist und verwaist. Aber nicht allein unangenehm, im Gegenteil. Die Käuzchen sind schon seit ein paar Jahren zurückgekehrt, sie rufen mittlerweile ganz ungeniert und frech sogar aus der Dorfmitte beim Pfarrhaus, was mir gefällt. Kein Rückblick allerdings ohne Ausblick: In vier Wochen kehrt die Kirschkern zurück aus F., worauf ich mich schon jetzt sehr freue. Und die dringenden Fotoarbeiten sind heute in Charlottenburg erfolgreich und schön ausgedruckt worden, schon morgen werde ich diese in Neukölln hinter viele Gläser bringen wollen, die vom besten Rahmer Deutschlands in Stuttgart vorauseilend anbereitet und geschnitten wurden und sich jetzt gerade immer noch im Kofferraum unten an der Strasse befinden, welcher hoffentlich nicht heute in der Nacht wertlosbefindend und damit harsch und splitternd ausgeräumt werden wird. Es steht an zudem ein familiäres Fest im Sommer, genauer zwei, und vielerlei schöne Sachen überhaupt, weshalb ich hoffe, dass sich alles nochmals zum Guten, wenigstens zum Wahren und unvermeidlich Unvermeidlichen wenden wird. Und sollte ich jetzt, mitten in der Nacht, noch zu unvorhersehbaren Ereignissen, zum Beispiel zum Sterben, gerufen werden, dann müsste ich ein Taxi nach Süddeutschland nehmen oder diese Nachrichten in den Schlaf hinein ignorieren. Weil die Flasche vom Rotwein nun halbgeleert ist. Was für eine weisheitslose Zeit. --- Und wenn Sie gerade (oder innerhalb der nächsten sechs Wochen) in B sein sollten oder ohnehin hier permanentwohnen, so kommen Sie doch gerne am kommenden Freitag, den 15. Mai gegen 19.00 Uhr hier vorbei, Sie und Ihre Freunde sind sehr herzlich eingeladen.
Ach, Herr Schneck, ich denke ganz fest an Sie und die alte Dame – Sie sind ein guter Sohn, ein guter Vater und überhaupt…
Unvollständig und vergwirxt statt verlinkt, wird später korrigiert…
Danke Katiza, wird schon irgendwie alles werden.
Alles soll gut werden. Alles soll gut werden. Alles soll gut werden. Drücke ganz fest die Daumen für die alte Dame und die Genesung. Und was hat sie für ein Glück mit ihrem Sohn.
(Und am Freitag bin ich in B und sage das höchstpersönlich.)
Ich freu mich sehr auf Freitag!