Ich tue mich schwer mit der Arbeit, seit ein paar Tagen. Der Schreibtischarbeit. Eigentlich müsste ich einen Projekttext schreiben. Der wäre auch gar nicht so sehr schwer zu entwerfen, es ist eher ein Ordnen und formulieren. Aber ich sitze da und schaue in die Luft. Oder ich sitze da und lese Neuigkeiten über’s Virus. Oder recherchiere Ölpreise. Oder zähle, wie oft ich mich in’s Gesicht gefasst habe innerhalb von 10 Minuten.
Ich fass‘ mir aber ganz gerne in’s Gesicht. Ist halt so.
„Expotential“, allein schon dieses Wort. Benutzen vielleicht Mathematiker, aber doch bitte nicht welche meiner Zunft. Und aber dann auch Ratio. Begreifen und Gehirn, das sind ja auch künstlerische Dinge. Spüren und Lernen. Und richtig handeln. „Vorrausschau“, seismografisch, immer sehr künstlerisch. Und in Umsetzung zu gebrauchen. Die feinen Dinge. Und neuerdings wohl auch die mathematischen Dinge, jenseits vom goldenen Schnitt. Das „Formale“, oft ein Gespür, auf das ich stets viel gegeben habe.
Bore jetzt absichtlich Nase, nur, um mir in’s Gesicht zu fassen. Vorher natürlich Händewaschen. Nachher auch.
Ich bin statistisch ja nun beginnende Risikogruppe. Hätte ich auch nie gedacht. Frau Mullah grinst. Um die 50 und männlich, haha. „Männer haben oft einen schwereren Verlauf“ lese ich. Kann ich zustimmen. „Mein Verlauf war immer erschwerend…“ seuftze ich mir so in mein Leben und wie smooth das klingt. Und wie dramatisch und unwahr und doch so gerne gespielt. Und dazu lachen wie Frau Mullah, das muss ich. Habe mir darüber schon wieder in’s Gesicht gefasst, Himmel.
Vorhin habe ich ihr Handy mit uraltem Alkohol desinfiziert. Der ist noch im Hause vom Pflegedienst der alten Dame. Die das gottlob nicht mehr miterleben muss jetzt. Während sie, Frau Mullah, mir erzählte, welche Vorkehrungen in ihrem Amt täglich neu getroffen werden. Am schönsten fand ich einen Hinweis, wonach man einfach das Vater-Unser beten soll beim Händewaschen. Anstatt „Happy-Birthday“. Das sind dann auch ca. 20 Sekunden. Und man merkt es sich vielleicht gleich für’s Totenbett. Schon mal üben.
Schon wieder über’s Kinn gestrichen. Mundwinkel, Stirn, Augenwinkel. Alles voller Viren. Seit tausend Jahren. Linker Daumen an Schneidezähne. Schnell jetzt einen Schnaps!
Muss die Tochter noch fragen, ob sie weiß, wie man von Heidelberg notfalls zu Fuss an den Waldrand kommt. So, wie es mich die alte Dame lehrte. Klopapier no problem. Nudeln auch nicht, da hier ja Spätzle, handgemacht. Es reizt mich das Motiv des Schnabeldoktors, ganz bildlich. Werde mich daran versuchen. Währendessen Schauspieler und andere aus dem künstlerischen Bereich mit Absagen und damit Verdienstausfällen eingenebelt sind. Das geht ganz schnell und ist nicht zu unterschätzen. Immerhin sind die Künstler ja auch meist die ersten, die bei Katastrophen umsonst benefitzen. Während wiederum andere umgehend die Preise für Schutzmasken hochsetzen und sich die (ungewaschenen) Hände reiben.
Anstatt sie – im Gegenteil – eher zu verschenken. Beispielsweise. Wäre ja auch mal eine Option von „Handlung“ gewesen. Denke ich so ringsherum. Dann geh‘ ich in den Wald, mich in’s Gesicht fassen, heimlich.
Meine Grübchen und Fältchen abtasten. Und an die derzeitigen Verbrecher der derzeitigen Welt denken. Die Wildschweine fürchten sich vor der Schweinepest. Die ist ungleich tödlicher. Habe mich mit einer kleinen verdichteten bildnerischen Arbeit für einen Kunstpreis beworben, seit langem einmal wieder. 12×18 cm, Öl, Collage und echtem Lapislazuli auf einem altem Buchdeckel. „rebel_rebel“ der Titel. Wie relevant das ist? Ach, Kunstpreise. Lieber fass‘ ich mir in’s Gesicht. Das kenne ich. Lotto war nix. Schade, würde gerade gut passen. Tief im Wald liegt ein Reifen, neu dort, frage mich im vorrübergehen, wer bitte heute noch Reifen im Wald entsorgt. Fällt mir meine Jugend ein, im Wald war die. In den Reifen, die im Bach lagen, wohnten die Salamanderlarven und junge Flusskrebse.
Ich tröste ein paar Wildschweine. Hey, es wird schon nicht so schlimm kommen! Der Arbeitstitel des Projektes lautet übrigens „Dialog mit der Jugend“. Ich beobachtete argwöhnisch die von Stürmchen ‚Sabine‘ geschwächten schweren Äste der uralten Eichen, unter denen ich wanderte. Nicht, dass die mich noch erschlugen, ausgerechnet jetzt.
Oben Bussard, unten Inkontinenzen der bald Sterbenden. Mit Zigarette im Mundwinkel, entgegen Beatmung. Besuche im kommenden Jenseits stärken das große Ganze. Alles geht immer weiter, aber ich bin noch nicht soweit. Schöne Grüße. Morgen in’s Hohenlohische, vorher aber unbedingt Händewaschen und danach in unser Gesicht fassen. Am besten an die eigenen Nasen, das dürfen wir nicht aufhören. Auch nicht übrigens die Plagiatisten, in ihren sehr gekonnt mischverwandten Tönen.
Und ich kann nicht mehr irgendwo sein, wo ich nachts nicht das Käuzchen höre, wenn es denn ruft.
wie man so schön über so beängstigende seltsame Dinge schreiben kann…
Danke, Frau Mützenfalterin, alles Folgen der sozialen Enthaltsamkeit. Herzlich!
Wunderbar, o Schneck, wie deine Sätze gleiten.
2-stufenweise treppauf treppab, solange es mir noch geht, Dank, o liebe Phyllis! ; )
Du bist halt doch ein wunderbarer Poet – ganz leicht und doch so ernst – das gibt uns halt doch nur die Kunst – und über allem: die alten Damen! Das zeigt den Ernst.
Ich hab jetzt ja leider Einreiseverbot – aber werds trotzdem versuchen – in diesem Sinne – bis bald!
Herzlichst
Arnd
Tja, „Einreiseverbot“, wer hätte sowas jemals gedacht? Wenn ich mit U. was helfen kann, dann sag Bescheid, lieber Arnd! Ebenso herzlichst, Dein Schneck