Ich habe ja lange nichts oder nur wenig über diesen Teil meines Lebensdingsbums geschrieben, im Gegenteil, ich wollte das ja sogar eher vermeiden. Bloß nichts mit Kunst, bloß keine Eigenwerbung. Und schon gar nicht berufliche Selbstdarstellung. Zunächst bin ich ja immerhin Mensch, wie alle. Und damals, vor drei Jahren, auch so fürchterlich entblößt in jener Ohnmacht gegenüber der Geschehnisse des Privaten. Ganz im Sinne des schönen Ausspruches von MK*, der ganz lapidaren Umkehrung des in der Nachschau recht unsäglichen Beuys’schen Imperatives (…), wonach nämlich, so MK*, „jeder Künstler [auch] ein Mensch sei!“.
(*jaja, natürlich: Martin Kippenberger…)
Da sich nun aber mein letztvierjähriger ganz privater und persönlicher Lebens-Wurm zwar nicht gänzlich abgeschafft, so jedoch etwas beruhigt hat in Aktion, Reaktion und Rezeption und die Sicht und der Blick frisch gestählt sich nun erneut nach vorne richten mögen auf jene eigentlichen Dinge, die mir zum Schaffen gereichen und, jenseits eines oft kuriosen Alltages und des immerwährend geliebten Kirschkernes mir wichtig, ja lebenswichtig (!) und Aufgabe sind, so habe ich nun beschlossen, ab und an auch etwas darüber zu berichten, including the Möglichkeit, auch ggf. einmal etwas Bildliches als grundsätzlich ‚verkaufbar‘ zu titulieren. Denn schließlich – und bitteschön die Titten auf den Tisch! – bin und war ich immer vehement auch eines, nämlich: käuflich!
Ja was denn sonst?
An dieser Stelle übrigens einen großen Dank auch an jene aus dem blogseitigem Zusammenhange, die in den letzten Jahren an mich herantraten, um tatsächlich Werke zu erwerben und damit auch zu meinem (letztvierjährigen) nicht zuletzt finanziellen Ankommen im ’neuen Leben‘ einen guten (und nicht nur lediglich geldwerten…) Teil beigetragen haben. Auch an diejenigen übrigens, die darüber berichteten und Dinge in Wort und ggf. im Bild festhielten.
Und noch etwas: Kunst ist niemals demokratisch. Und auch der (erste) Kunstmarkt ist nicht demokratisch. Geschweige gemeinhin fair. Ganz wichtig aber ferner: Der Künstler ist nicht verantwortlich für den Kunstmarkt! Und der Kunstmarkt ist nicht verantwortlich für den Künstler. Beide werden ja oft und gerne verantwortlich gemacht, vom immerhin geneigten Rezipienten. Aber für was eigentlich? Für dessen Leben? Für ein stellvertretendes Lebensdilemma, welches es bei näherer Betrachtung eigentlich so nicht gibt, geschweige denn gäbe?
Nehmen Sie sich also einen weichen Bleistift (6B) und einen harten Radiergummi und fangen Sie selber an! Kritzeln Sie Ihr Leben auf ein Stück Papier! Vergessen Sie aber dabei um Gottes Willen nicht, gelegentlich zu leben und ab und an einen Blick auf Rettungspakete sowie im Garten spielende Kinder zu haben, zu werfen oder auch mal zu schleudern (insofern die Sonne scheint). Voila! :)
—
Die Frau, das Kind und ich, wir waren also von Berlin aus mit dem voll geladenen französischen Kastenwagen nach Paris aufgebrochen. Im Gepäck die Dinge und dies und das für ein halbes Jahr Leben und Arbeit. Die Wohnung in Neukölln war trockengelegt, die Post umgeleitet und der Schlüssel in treuen Händen von Freund S., denn es war nicht klar, ob wir innerhalb dieser sechs Monate überhaupt einmal nach Berlin fahren würden.
Ich hatte das Stipendium an der sog. ‚Cité Internationale des Arts‘ für das Sommerhalbjahr 2001 erhalten. Alle Länder der Erde sowie auch private Stiftungen o.ä. können dort Ateliers pachten und diese dann – als Stipendium oder gegen Geld – an Kunstschaffende aller Sparten weitergeben. Mein Stipendium war ermöglicht worden durch das Bundesland Baden-Württemberg, welches dort in Paris vier Ateliers unterhält. Das Spannende war nun gewesen, und ausschlaggebend für die Organisation des bevorstehenden halben Jahres, ob es für die Kleinfamilie ein Atelier gäbe, welches kindgerecht (der Kirschkern war gerade eineinhalb Jahre alt) und damit mit einem weiteren kleinen und v.a. separaten Raum ausgestattet wäre. Baden-Württemberg verfügt dort über ein solches größeres Atelier, aber vor unserer Ankunft in Paris, so hieß es vorab, könne keine sichere Auskunft gegeben werden. Und: Bei meiner Bewerbung um dieses Stipendium im Jahr 1999, da war ein Kirschkern auch noch nicht in Sichtweite gewesen. Fest stand jedenfalls, dass wir dieses halbe Jahr zu dritt verbringen wollten. Sollte es kein geeignetes Atelier geben, so der Plan, dann wäre ich eben von Berlin aus gependelt.
Am 2. Mai 2001 kamen wir also abends mitten in Paris an. Und wie groß war die unendliche Freude, dass mir tatsächlich jenes große Atelier (ich glaube, es war die Nummer 2051?), ebenerdig und im ruhigen Hof am Parkplatz nach hinten hinaus gelegen, reserviert worden war. Vor uns lagen also sechs Monate eines fast steten Paris. Man darf ja auch mal Glück haben, nicht?
Die Frau hatte sich Computer und Verlagsprojektarbeit mitgenommen. Wir vereinbarten die Betreuungsübergabe/Kind täglich ab ca. 15.00 Uhr. Ich bin ja sowieso eher ein Abend- und Nachtarbeiter. So zog ich also täglich mit der Kirschkernerin in der Karre durch Paris auf große Entdeckungstour. Oder wir verbrachten die Zeit im Hof mit stundenlangem Treppensteigenlernen an dieser einen kleinen Betontreppe mit den vier Stufen und den scharfen Kanten. Rauf und wieder runter, wieder rauf und wieder runter. Ebenfalls stundenlang, ebenfalls Fangi, stundenlang. Bobbycar, Wickeln.
Nicht zu vergessen auch die spontanen Picknicke in größerer Runde am Seineufer vor der hinter Notre Dame blutrot untergehenden Sonne. Oder das Eisessen auf der Île Saint-Louis, einen halben Steinwurf entfernt. Oder das Sammeln der Volvic-Wasserflaschen, aus denen sich zuletzt riesige Labyrinthe, Türme oder andere moderne Großplastiken herstellen ließen, sehr zur Freude auch des Kindes. Der Sommer war heiß und alsbald war es ein täglicher Brauch, draußen auf dem schattigen Parkplatz zusammen mit anderen Eltern oder auch Kinderlosen frische Melonen zu verspeisen und andere Leckereien, während die Kinder ausgelassen in einfachen Wischeimern plantschten, in die sie damals noch hineinpassten. Was für ein Leben!
Der internationale künstliche Gedankenaustausch funktionierte vortrefflich. Ich habe in dieser Zeit einige Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, zu denen ich auch heute noch regen Kontakt pflege. Ich drehte einen Film zusammen mit dem Baseler Kunstpaar copa & sordes (Birgt Krueger, Eric Schmutz), wir nannten ihn „le voisin“ („der Nachbar“) und freuten uns an der größtmöglichen Annäherung zum für den Betrachter fast Unzumutbaren in Bezug auf Länge und Dauer des banalen Inhaltes.
In einem Projektraum direkt hinter dem Centre-Pompidou, dem ‚Espace Public‘, ergaben sich Ausstellungsmöglichkeiten und ein großes Fest mit Video-Projektionen einiger anwesender Künstlerinnen und Künstler sowie einer Performance des ‚Deutschen Handwerks‘ im Hof hinter dem Hauptgebäude wurde organisiert. Die Performance hieß „Das Deutsche Handwerk beleuchtet Georgette Maag (CH) beim Jodeln“ („LES METIERS D’ALLEMANDS illuminent GEORGETTE MAAG (Suisse) à jodler“). Wir borgten uns den Mercedes-Kombi eines Mitstipendiaten aus Rheinland-Pfalz (Eric Carstensen, zusammen mit Michael Volkmer auch als ‚Superart TV‘ organisiert (x)) und während Georgette (x) nach Einbruch der Dunkelheit hoch droben auf dem Lieferwagen des Deutschen Handwerks stand und ein sehr ernsthaftes Jodeln anfing, kurbelten der Kollege Thomas Raschke (x) und ich mit zwei Wagenhebern die Vorderseite des Mercedes synchron so weit hinauf, bis schließlich die Sängerin im gleissenden Scheinwerferlicht stand und erstrahlte. Später am Abend schenkten wir echtes deutsches Bier aus, welches wir eigens aus Süddeutschland herangeschafft hatten. Beim Zapfen lernte ich dann auch zufällig Gloria Zein (x) kennen, die damals schon seit Jahren in Paris arbeitete und heute in Berlin lebt.
Auch ein anderer Künstlerfreund weilte zu dieser Zeit in Paris. André Phillip Lemke (x) (+ 17.2.2006, von ihm ist der schöne Satz sinngem.: „Ich mache lieber Konzessionen an den Wochenmarkt als an den Kunstmarkt“, er verkaufte (auch) Maronen und anderes auf Wochenmärkten…) hatte eine Ausstellung in der damaligen Galerie von agnès b. (x) aufgebaut und wohnte vorrübergehend in einer ihrer Stadtwohnungen am Place de soundso. Irgendwann im Sommer, es war eine glühende Hitze in der Stadt, gab es dort ein Fest anlässlich der letzten Etappe der Tour de France. Von den üppigen Balkonen konnte man wunderbar den Endspurt des Fahrerfeldes in der Kurve vor dem Einbiegen auf die Zielgerade der Avenue des Champs-Élysées beobachten. Die Radler fuhren direkt unten am Haus vorbei und waren damals natürlich alle noch nicht gedopt.
Ebenfalls irgendwann im Sommer wurde der Hof abgesperrt, für Filmaufnahmen, wie es hieß. Und in der Tat, wir konnten keine geringere als Catherine Deneuve am Set beobachten. Dem Kirschkern verknüpften wir dieses Geschehen mit Frischkäse von Philadelphia (fragen Sie mich nicht, warum…), welchen das Kind sehr mochte. Noch Jahre später sprach sie, wenn sie Frischkäse meinte, von „Catherine-Deneuve-Butter“.
Auch das ‚Interview‘ seitens Madame Bruneau, der Witwe des Gründers der Institution und Grande Dame des Hauses, das jeden Stipendiaten während des Aufenthaltes erwartete, blieb uns nicht erspart. Allerlei Geschichten sponnen sich um dieses 20-minütige Gespräch und auch allerlei schlimme Geschichten, da sie auch dafür bekannt war, mit eiserner Hand zu regieren und den Aufenthalt mit Kindern eher missbilligend – so hieß es – betrachtete, da durch diese die eigentliche künstlerische Arbeit ihrer Meinung nach ins Hintertreffen geriete. Das Gespräch verlief dann aber überraschenderweise sehr vertraulich und nett, der Kirschkern benahm sich anständig und schließlich zeigte sie uns noch einen großen Karteikasten mit den 18000 Namen aller Stipendiaten, die das Haus seit den 1960er-Jahren durchlaufen hätten. Sie könne sich ferner an jeden einzelnen erinnern, teilweise seien schon die Kinder der ersten Künstlergeneration, die sie noch als Babys gekannt hatte, als erwachsene Kulturschaffende im Hause zu Gast gewesen. Außerdem sprach sie ungewöhnlicherweise englisch, ja sogar ein wenig deutsch, was mich als unerfahren im Französischen sehr freute. Zum Abschied schenkte sie dem Kirschkern sogar irgendetwas chinesisches.
Ich selbst collagierte in dieser Zeit wie ein Blöder. / Zum Zeitpunkt unserer Ankunft war gerade eine große Ausstellung zum Thema Pop-Art im Centre Pompidou eröffnet worden, „les années pop“ (x). Es gab einen schönen übergestalteten Katalog, von dem ich sogleich drei Exemplare erwarb, um ordentlich reißen, schneiden und kleben zu können. Meine Überlegung und Lust und Leidenschaft war es gewesen, das Prinzip der Pop-Art endlich einmal auch auf ebenjene anzuwenden, das heißt, das hinterlassene museale Bild-Material zu benutzen, wie es einst die Pop-Art selbst mit den Gegenständen des Alltages getan hatte. Vielleicht könnte man das auch Umkehr nennen, die Umkehr des Prinzip Pop. Oder Rache am Pop. Retro-Pop? Post-Pop? Gar „Neopopdada“? Ich kann es fast nicht mehr hören, bei aller Ehrschätzung, dieses Wort, diese Worte. Jedenfalls nannte ich diese Serie von Collagen daher auch forsch und frech „Korrektur in Paris“.
Weitere Materialien waren vor allem die französische Ausgabe des Magazin „MAX“, welche doch wesentlich freizügiger, gewagter und moderner in Text und Bild war als der deutsche Ableger, sowie ein Klebeband mit der roten Aufschrift ‚FRAGILE‘ auf weißem Grund, welches ich im Kaufhaus BHV (Bazar de l’Hôtel de Ville) in der nahen Rue Rivoli erwerben konnte. Mit den Wochen und Monaten entwickelte ich eine kleine eigene Technik, mithilfe derer ich aus den sieben Lettern recht flink alle Buchstaben des Alphabetes zusammensetzen konnte.
Dazu die Faszination über den Klang der französischen Sprache. „les années…“! Und die Bilder und das Filmische, das im Kopf entsteht. Ich bin da ja oft Schauspieler, auch ganz zweidimensional. Das ist die Stärke des Künstlichen, des Erfundenen. Aus Vorgefundenem, haptisch wie gedanklich, etwas Neues entstehen zu lassen, am besten unter Zuhilfenahme aller einem möglichen Mittel und Ordnungen mitsamt deren Klischees. Sehr wichtig dabei auch: die Sprache, der Klang nicht nur der bildlichen Motive. Zudem ist ja Paris auch eine nicht ganz unsinnliche Stadt. Irgendwo müssen die Kinder ja herkommen.
Mir jedenfalls war es wichtig seinerzeit, die Grenzen der Collage für mich auszuloten, die Grenze jedenfalls, bevor das Resultat entweder langweilig wird oder besser: ein schneller Wurf, ein ‚Gimmick‘ (‚Gimmick‘, was heißt das eigentlich genau?). In jeder Arbeit muss sich ja immer eine Kurve befinden, ein kleiner abgeschlossener Kosmos an möglicher Geschichte oder Anti-Geschichte (dazu, bei klarem Kopfe, ja immer auch noch die Kunstgeschichte, jener manchmal lästige Zeigefinger des Wissens über die Altvorderen oder Neuvorderen und deren Werk mitsamt Einordnung, denen man jedoch auch nicht zu viel Raum im eigenen Wollen einräumen sollte, jedenfalls nicht in dem Moment, wenn man den Stift in die Hand nimmt, allenfalls, wenn man ihn zur Seite legt und das Feuer im Kamin entzündet). Natürlich schöpft man da auch aus dem persönlich Erlebtem, aber das Resultat sollte relativ allgemein verständlich sein, oder – noch besser – auch andere Deutungsweisen ermöglichen, zulassen, ja ich würde sagen, sogar fördern. Diese können ernst aber auch unernst in ihrem gegebenen Autismus sein, das spielt letztlich keine Rolle.
Kleine Bälle eben, Ping-Pong.
Beim Aufräumen und beim Neuorganisieren des Lagers und des Ateliers/-Süd habe ich die in 2001 entstandenen Arbeiten wieder einmal gesichtet. Einige sind verkauft, einige sind noch vorhanden im Depot. Alle Bilder jedenfalls sind betitelt „o.T. (aus Serie ‚Korrektur in Paris‘)“, sie haben im Papier die Maße ca. 27x27cm, alle sind gerahmt, weiß lackiert (Holz, Profil 1,3cm breit, 2cm tief) in französischer Kassette (Rückwand/Passepartout Schrägschnitt 3mm/säurefrei) im Außenmaß 48x48cm.
(PS: London gefällt mir übrigens besser als Paris.)