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Diesen berührenden Brief bekam ich vor ein paar Tagen zugeschickt. Ich habe mich sehr gefreut. Und ich dachte, was, wenn nicht ein solcher Brief, ist doch etwas zum Teilen in einem Weblog. Gerade jetzt, zu Weihnachten. Ich habe nachgefragt, ob ich das darf. Ich darf. Großen Dank an A.B.! / Ich wünsche herzlich frohe Weihnachten und immer eine Handbreit Zuversicht unterm Kiel.
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„Bonjour cher S.R.,
sehr berührt habe ich, auf der Suche nach „anderen“ Bildern Ihres Vaters – oder Spuren seines Lebens – Ihren Blog gelesen. Zu ihm und ihrer Mutter. „Anderen“ Bildern, da ich selbst ein Bild mit mir durch das Leben führe, weitere mir gut vertraut sind. Ebenso wie der Name ihrer Eltern. Sie waren Freunde meiner Eltern. Mein Vater war Kurt Maschmann, ein Hamburger Journalist… seine Frau Judith. Sie ist in diesem Jahr 98 geworden… Mein Vater ist leider schon 1981 verstorben. Laut meiner Mutter, haben sie Ihre Eltern „wann immer es ging“ auf (Dienst)reisen in den Süden besucht. Mein Vater war damals stellvertretender Chefredakteur der Hamburger Morgenpost.
Das Bild ist aus meinem Elternhaus in Hamburg mit nach Berlin, und dann viel weiter mit mir nach Südfrankreich, in die Cevennes gezogen. Es ist kein heiteres Bild. Sehr mysteriös, sehr feurig, mal beängstigend. Mal sehr beruhigend… vielleicht, weil ich es aus so vielen Lebenssituationen kenne. In Hamburg hing es Jahrzehnte im Wohnzimmer meiner Eltern. Neben seinem „Schwesterbild“ (nur wg. dem Format), drei grosse aufspringende „Blüten“ in hellen Blautönen… auch gibt es ein kleineres Bild mit Sonnenblumen. Eines zeigt Stiefmütterchen.
Oft habe ich es schon als Kind von der Couch aus betrachtet… es hat alle Stimmungen mitbestimmt. Die heiteren und entspannten, z.B. wenn meine Eltern am Abend ihr Glas Whiskey (mit Wasser) genossen nach einem langen Redaktionstag, die Sonntage mit Frühschoppen mittags im Fernsehen, die klappernde Schreibmaschine – der Schreibtisch stand auch mit im Wohnzimmer. Im Grunde war es auch das Esszimmer. Wir hatten eine Haus. Aber es war eng. Mit Grossmutter und drei Kindern.
Die beschwertesten Tage waren die, als mein Vater krank lag. Viele Magenleiden. Und ein Gehirntumor hat ihn aus dem Leben gerissen. Mit 61. Mein Alter heute. Ein seltsamer Gedanke. Mein Vater wurde im gleichen Jahr geboren wie Ihr Vater. 1920. Er hat sich ebenfalls ohne Zurückhaltung zur Wehrmacht gemeldet. Er war zuletzt in Berlin stationiert. Im Wachregiment Grossdeutschland. Er war stolz darauf. Nicht schön zu lesen in alten Briefen. Aber er war wie viele, die es dann bereuten. Wie furchtbar. Wie blind.
Er ist in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Im Ural. So schrieb er dann, das er dies nicht bereut hat… sondern das es ihm die Augen geöffnet hat. Er hat überlebt. Er hat viel Entsetzen gesehen. Von dem er aber nie viel sprach. Er ist 1948 nach Hause gekommen. Er hat sein ganzes fortdauerndes Leben seine Blindheit bereut, dem System gefolgt zu sein. Er hat sich nie verziehen eine Gruppe junger Soldaten, so sagte er (wenn ich mich recht erinnere) direkt in die Hände der Russen geführt zu haben. In die Gefangenschaft, in den Tod…
Er war nicht gläubig. Aber in seiner Weise spirituel. Er hat einen Seelenfrieden (wenn er ihn denn je hatte) durch die Arbeiten als Freimaurer gefunden. Und in der Anleitung junger Journalisten, immer die Meinungsfreiheit zu verteidigen, Kritikfähigkeit zu lehren und zu bewahren, … er gründete 1972 in Hamburg die Akademie für Publizistik, deren Leiter er bis 1980 sein konnte.
Er hat die Krankheit am Ende auch als eine Art Bestrafung für seinen falschen Weg, Hitler zu folgen, empfunden. Er hat am Ende seines Lebens mit dem Pastor unserer Gemeinde gesprochen (den er trotz seiner atheistischen Haltung schätzte), auch mit dem Neurologen, der sein Freund war, ja mit allen Brüdern der Loge. Er war Humanist. Er hat das Theater geliebt. Er wollte Regisseur werden. Das war sein Traum. Zerstört durch den Krieg. Seine zweite Leidenschaft war das Schreiben. Zurück in Hamburg begann er schnell für den Wandsbeker Boten zu schreiben. Meine Schwester wurde 1949 geboren. Es musste schnell Geld verdient werde. In Russland soweit ich es weiss, und das ist nicht viel, hat er mit Mitgefangenen eine Theatergruppe gegründet, sie haben „bunte“ Abende gestaltet. Sie haben geschrieben, Schach gespielt (ich habe ein wunderbares Schachspiel, das ein Mitgefangener gedrechselt hat. Mit meinem Vater spielte ich oft an Sonntagen). Mein Grossvater hat ihm Theaterstücke ins Lager geschickt, als es möglich war.
Das alles nur kurz (naja), zur Beschreibung seiner Persönlichkeit. Ich habe meinen Vater nicht so früh verloren, wie Sie den Ihren. Und doch gibt es so viel Unbekanntes. Nie Gefragtes. Nie Beantwortetes. Nie Erzähltes. Typisch auch für die 50ziger-70ziger Jahre in Deutschland. Viel Tabu, viel Verdrängen. Vielleicht hätte er wohl geantwortet. Aber ich war auch zu jung für die richtigen Fragen. Vielleicht habe ich auch gefragt. Aber einige Antworten vergessen?
Meine Mutter lebt noch. Sie hat in ihrem hohen Alter zunehmend Lücken, vorsichtig gesagt. Sie ist müde. Zu müde für manche Fragen. Es muss nicht mehr sein. Und auch sie kennt die Antworten nicht. Sie hat viel verdrängt. Das Leben hat es verdrängt. Sicher ist, sie kannte Ihre Mutter… wie gut vermag ich nicht zu sagen…
Und war es das, war es die Kriegsgefangenschaft, die unsere Väter zusammengebracht hat? Oder kannten sich unser Mütter zuvor? Aus Hamburg? Aus Thüringen? Heute Abend stelle ich mir diese Frage. Antworten meiner Mutter sind nun leider heute nicht mehr zweifelsfrei „richtige“ Antworten. Es überfordert ihr Gedächtnis… es nicht mehr zu wissen, macht sie traurig und verwirrt. So bedränge ich sie nicht mehr.
Meine Mutter ist in Thüringen in Apolda aufgewachsen. 1923 geboren. Sie war Kinderpflegerin. Ist 1943 von Berlin nach Wangerooge (einer ihrer Brüder war dort verheiratet und stationiert) … dort traf sie auf meinen Grossvater, der sie wiederum so charmant fand, das er die Brieffreundschaft zwischen ihr und meinen Vater initiierte (!) … was schnell in Verliebtheit und zur Heirat noch 1945 führte. Mein Vater brachte sie nach Hamburg-Volksdorf in sein Elternhaus… und dort lebte sie zwischen Bangen und Hoffen, die Jahre bis zu seiner Rückkehr. Dort lebt sie noch heute. Mit meinem Bruder, seiner Familie. Sie war lange autonom. Nun pflegt sie mein Bruder aufopfernd. Sie kann leider nur noch sehr schlecht sehen. Sie hat früher leidenschaftlich gerne gezeichnet und gebastelt. Sie hatte Talent. Sie hat uns Ostern und Weihnachten mit Karten beschenkt. Sehr fein bemalte Ostereier. Ostern und Weihnachten, Geburtstage, das waren ihre Fixpunkte im Jahr. Und der grosse Garten. Den sie „jetzt“ meinem Bruder übergeben hat. In Wahrheit ja schon vor ein paar Jahren…
Warum schreib ich das alles? Zum einen, weil mich der Text zu Ihrer Mutter so berührt hat. Ich war … ja, tatsächlich bestürzt zu lesen, das sie nicht mehr lebt. Ich kannte sie ja gar nicht. Und doch, da ist diese Verbindung zu meiner Mutter. Ich nenne meine Mutter auch übrigens immer noch „Mutti“. Während mein Bruder längst zu „Oma“ übergegangen ist. Wegen der Kinder. Sie ist „Oma Ju“ geworden.
Im zweiten Moment war ich froh, das ihre Mutter ein schönes Alter nach einem reichen Leben erreicht hat. Im dritten Moment dachte ich, wie sage ich es nun Judith, das Ingeborg nicht mehr auf dieser Welt ist? Aber das ist nur mein Problem, Judith hat schon lange gelernt damit zu leben, die „letzte“ zu sein… auch wenn sie es seltsam und kaum verständlich findet, wie sie immer wieder betont. Ich habe es ihr am Telefon erzählt, und da hat sie sich gerne erinnert. An die Reisen, Begegnungen … auch ihr Haus. Irgendwie kamen Bilder in ihr zurück.
Ich schreibe, weil ich denke, das es Sie vielleicht freut – ich hoffe es – zu hören, das das „Schreiben des Namens Harald Alexander Rogler im Internet“ tatsächlich nun dazu führte, das durch „Zufall“ Gedanken zu ihm gehen und seine Bilder ganz und gar nicht in Vergessenheit in einer Kiste gelandet und verschwunden sind. Im Gegenteil. Und auch ein Teil der Geschichte, die Menschen verbindet, nicht einfach sich ins Nichts auflöst. Dank dieser Bilder.
Und auch dank einer Kiste… noch dazu! Ja, dies nun noch am Schluss dieser Zeilen: Eine wahrhafte Erinnerungskiste! Ich besuchte meine Schwester Angela, die ebenfalls hier in Südfrankreich lebt. Ich erzählte ihr von meinen Fundstücken im Internet. Las mit ihr noch einmal den Text zu ihrem Vater. Und sie erinnerte mich an das, was ich vergessen hatte: sie hat von unserem Vater, als sie noch auf die Werkkunstschule in Hamburg ging, der Armgartstrasse, eine grosse schöne Holzkiste mit Ölfarben geschenkt bekommen. Es waren die Farben Ihres Vaters! Sie weiss nicht mehr, in welchem Jahr es war. Sie weiss nur, das unsere Eltern sie von einer Reise mitgebracht haben. Sie hat die Kiste noch heute. Meine Schwester ist eine Hüterin. Sie bewahrt sie. Es riecht gut, wenn man den Deckel öffnet… und die vielen Tuben betrachtet … (Ölmalerei hat sie nie richtig erlernt). / Beide waren wir der Meinung, das alles sollten sie erfahren! Wir schicken ihnen mit Freude die Fotos : )))
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inzwischen – seit diesem Gedanken – ist leider Zeit vergangen, viel zu viel, ein paar Wochen. Das tägliche Leben hat zu sehr gefordert und abgelenkt. Es ärgert mich… zumal ich es noch nicht geschafft habe, ein gutes Foto des Bildes, das mich begleitet, aufzunehmen. … wir haben in unserem Haus im Herbst alles auf den Kopf gestellt, die Wände isoliert und renoviert … so wurde das Bild abgehängt und wartet auf dem mezzanine noch auf seinen neuen Platz. Heute von diesem Bild nur ein Foto in unserem Salon… entfernt sieht man es wie es noch am alten Platz über einem Kamin hing. Actuellement bin ich gerade noch ein paar Tage in Hamburg … meinem Bruder, der Familie ein wenig bei der Pflege meiner Mutter zu helfen, ….so finde ich auch endlich die Zeit und Ruhe diesen Brief zu Ende zu schreiben … und auch Fotos der Bilder hier im Hause dazuzugeben … ich schicke ihnen das alles mit großer Freude und hoffe, das es ihnen eine ebensolche bereitet. Ein bisschen wie Weihnachten vielleicht …
Herzlichst,
Annette Bonnefont (Maschmann)“