fundstück, vor dem frühstück (11/98):
„…wir jedenfalls waren mit dem VW-bus der eltern eines oberschwäbischen freundes über oberschwaben nach griechenland gefahren, damals noch entlang jugoslawiens. unvergesslich, die mahnenden autowracks am rande der strasse. unvergesslich, ein nächtlich gefährdendes stauende hinter belgrad, dem laut hupende lastwagen mit großer geschwindigkeit auffuhren in unübersichtlichem gelände! obwohl doch unsere führerscheine erst wenige monate alt waren und wir zu jung zum sterben. unvergesslich, diese plötzlich erwachsene angst, und unvergesslich das konzert von joan baez in athen, dem wir mit ouzoflaschen, an felsen gezwängt, beiwohnen konnten, ohne zu bezahlen, auf den tip hin von lito, einer reicheren und spitzbrüstigen tochter aus piräus. auf chalkidiki badeten wir nackt, schliefen am strand und spielten gitarre und flöte. unvergessen auch die überfahrt mit ihm dann nach mykonos, wo wir schon wieder am strand schliefen, abermals gitarre und flöte spielten und den ganzen tag lang im café den SPIEGEL lasen. unvergessen, auf einem seelenverkäufer sechs stunden lang handsymbolspielchen zu spielen, inmitten von hühnern und ziegen, und das alles in unvergesslichem TIEFROTEM sonnenuntergang, ohne mobiltelefon und ec-karte.
sein schwanz war riesengroß, als ich diesen erstmals am „paradise-beach“ sah, während wir uns als kleine jungen schüchtern und aufgeregt vollständig und neugierig entkleideten. neben menschen und BRÜSTEN, die schon keinerlei aufregung in diesen dingen mehr kannten. die heute seit langer zeit ihren violetten abend irgendwo in südengland oder nordfrankreich geniessen und mit sonnenzerknitterten gesichtern den damals gezeugten patchworkenkeln vom vögeln vor aids in den siebzigern erzählen. deren photoalben jener tage schon dreifach am port-de-clignancourt den besitzer gewechselt haben. wenn sie nicht schon längst von unersättlichen nachkommen dieser tage vielfach weggeworfen wurden. auf dem ein oder anderen bild jedenfalls mögen wir, im hintergrund, abgebildet gewesen sein. er und ich, ganz hinten und ganz klein.
noch unvergesslicher die letzten ferientage irgendwo am rande der akropolis, wo wir cola-dosen vor uns aufbauten, und versuchten, sie mit kleineren steinchen zu treffen, stundenlang und ohne sinn. unvergessen, dies alles mit ihm, der irgendwann zum arschloch wurde, und der nun und heute abend im koma liegt, gleichsam gefangen zwischen leben und tod, zwischen dem vor und dem zurück. wie ein apfelrechner, der hängen geblieben ist inmitten von blättern und wurm und allem sein. den man nur noch durch das ziehen des steckers aus seinem zeitlosen vakuum in einen anderen und würdigeren zustand befördern könnte. ich vermag es nicht, diesen stecker zu ziehen. zu unvergesslich, diese unvergessenen dinge.
vielleicht würde es ihm aber auch gefallen, jetzt, das unvergessliche doch endlich dem restmüll zu übergeben, ungetrennt. und eine schicksalsprosa erst dann zu verfassen, wenn wir alle wirklich gegangen sind. sonst ist das alles unaushaltbar. man muß die dinge nicht mögen, die einen ernähren. das bewahren aber, es ist das eigentliche gift…“