vaccine pussy

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Die zweite Mulde steht nun unten an der Straße. Neulich wurden bereits 1,06 Tonnen mit Altholz A I-III abgefahren. Jetzt sogenannter „Baumischabfall, schwer“. Ich frage mich, was geschieht, wenn es regnet oder schneit. Würde eine Durchnässung dann mitgewogen und abgerechnet? Das Altholz hatte ich alleine vom Zwischenlager im Vordergarten – auf dem damals eigens für die wasserfeste Tischtennisplatte aus Eternit mit Betonplatten geschaffenen Podest – in den Container geschafft. Es macht Spaß und befriedet sehr, wenn man die Sachen über die Brüstung der Gartenmauer in den tiefer unten auf dem Parkplatz an der Straße stehenden Behälter schmeißen kann. Oder auch werfen. Manchmal auch Pfeffern, mit Schwung und Zielübungen. Bestimmt haben die Menschen auch schon vor 10.000 Jahren gerne Sachen in der Gegend herum geworfen und sich dabei einfach so gefreut.

Die schweren Wannen mit Schutt und zerbrochenen Fliesen allerdings musste ich heute mit Sack- und Schubkarre den Gartenweg hinunter schaffen und dann über den Rand in die Mulde wuchten. Das ist recht anstrengend, aber ich sage mir immer, es hält mich dann vielleicht ja wenigstens fit und gesund. Im Baumischcontainer sind auch Kabel und Metall erlaubt. Seltsam. Und Kaffeebecher und Pizzaschachteln, ich kenne das vom Zweitberuf. Irgendjemand freut sich immer, auch Passanten, wenn sie ihren Müll in ein solches Behältnis entsorgen können, gerne auch nachts und notfalls mit Transporter. Ich bin gespannt.

Ich weiss auch immer nicht, wie ich mir das Trennen der verschiedenen Stoffe und Materialien dann vorstellen soll. In großen endzeitlichen Hallen werden wahrscheinlich diese Mulden rund um die Uhr angefahren und dann nachts unter Flutlicht von prekären vermummten Arbeitnehmern parallelweltlich handverlesen, die durch große blechern klingende Megaphone von einem in einem erhöhten Glaskarten sitzenden dicken unrasierten Vorarbeiter angetrieben werden, der sein Leben lang schon nach Bier stinkt und seine Feinripp-Unterhosen zweimal im Jahr wechselt. Und wenn eine der armen Seelen unten in der Halle einmal ein asbestbelastetes Stück übersieht und dem normalen Bauschutt zuordnet, dann wird gepeitscht, gekündigt oder abgeschoben.

Oder es wird überhaupt nicht getrennt. So, wie beim gelben Sack. Früher dachten wir ja, moderne Parkbänke würden aus Joghurtbechern und Milchtüten hergestellt. Stattdessen schwimmt alles im Meer vor Malaysia.

In der kommenden Woche fangen die Sanitär- und Heizungsbauer an. Dann geht es richtig los. Mit schwerem Gerät, Bohrhammer, Flex. Alle Heizkörper werden erneuert. Und die Leitungen für Wasser und Wärme auch, wenn sie alt und schwach sind oder nichts mehr hindurchlassen. Ich kann das verstehen, manche Sachen lasse ja auch ich nicht mehr durch mich hindurch. Frau Mullah und ich haben nun die künftigen Armaturen und das Weißzeug ausgewählt, endgültig, bei einem zweiten Termin beim Sanitärausstatter. Man glaubt es ja kaum, welche Fülle an Produkten sich zur Auswahl anbieten. Es ist fast schon beschämend, dieser übervolle Ressourcenluxus. Wie soll man diesen Möglichkeitsreichtum Leuten aus anderen Weltgegenden erklären, deren Rohstoffe hier jenen anhäufen? Ein Wasserhahn ist ein Wasserhahn, sollte man denken. Dachte ich immer. Oder ein Waschbecken ist ein Waschbecken.

Ein Wasserhahn sind heutzutage aber 150 Wasserhähne. Ebenso die Waschbecken.

Und Kloschüsseln auch.

Die Tage des gemauerten Klinkerofens im künftig ehemaligen Esszimmer, den die alte Dame vor vierzig Jahren aus Angst vor einem sowjetischen Einmarsch (wahlweise Atomkrieg etc.) einbauen hatte lassen, sind gezählt. Bis die neue Heizung installiert ist, kann man damit noch gegen ein Einfrieren heizen. Derzeit sehr praktisch: die rückgebauten Nut-und-Feder-Wandbekleidungen können sofort zersägt und umgehend verschürt werden. Ein wunderbarer Kreislauf, ganz nach meinem Geschmack.

Fast alle Angebote sind jetzt da, bis auf das der Trockenbauer. Eine noch ganz unbekannte Größe. Bei Dingen unbekannter Größen und sowieso in dieser Jahreszeit denke ich oft und aber recht süddeutsch-gelöst an den Lauf der Welt so im Gesamten. Vielleicht spielt auch die derzeitige Seuche ein Rolle, das mag sein. Ich finde es jedenfalls immer wieder ganz grundsätzlich erstaunlich, dass man selbst einmal irgendwann geboren wurde. Und damit die Zwangsläufigkeit einer Seele zugewiesen bekam. Sowohl Bürde wie Gelegenheit. Im Grunde jedoch eine Zumutung seitens derer, die einen einst ins Leben warfen, ohne groß zu fragen, in einem Moment ihrer Lust.

Bei den Fliesen sind wir uns sehr einig. Urlaub wäre schön.

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Abb.: Atelier/ o.T., sans titre („vaccine-pussy“), 04.01.2022, Lapislazuli, Gum. Arabicum / Oil on Cardboard, 19×25,5cm / ©

2 Gedanken zu „vaccine pussy“

  1. Ha! Ich könnte Ihnen erzählen, wie das Trennen funktioniert. Schliesslich habe ich während des Studiums in solch einer Halle einen Teil meines Praktikums absolviert. Ich erforschte (ganz ohne Fliessband und Aufseher) die Zusammensetzung des Inhalts von Bauschutt-Mulden. Ein Fliessband gab es aber schon auch. Ihre Phantasie geht also in die richtige Richtung, schiesst jedoch glücklicherweise etwas über die Realität hinaus.

    1. Das klingt ja interessant. Vielleicht erkundige ich mich auch mal bei den örtlichen Entsorgungsbetrieben. Immerhin sind es ja „Wertstoffe“ – und leider auch jede Menge Problemstoffe. Ich bleibe dran ;-)

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