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Ab und an im Leben ist es an der Zeit, etwas zu begraben. Einen Schatz zum Beispiel. Mit Dingen, die man selber gerne auch mal finden würde. Oder von denen man denkt, sie könnten irgendwann einmal interessant sein, viel später. Oder uninteressant und banal. Ein bisschen erzählerisch vor allem, etwas dokumentatorisch, aber auch wertvoll natürlich. Immer gedacht aus einer Perspektive, die keine Zeit als Horizont kennt. Mit viel gnädiger Dimension also. Die Vorstellung, etwas solches in einigen Jahrzehnten zu finden, selbst. Oder in zweihundert Jahren, mit – sagen wir – 25 Jahren an eigenem besten Alter.
Oder die Vorstellung, man fünde etwas solches in der jetzigen Zeit, welches um 1800 vergraben wurde. Oder ein wenig später oder bereits viel früher. Nicht allein Münzen und Silberdinge, wobei diese ja auch zu einem Schatz zwingend gehören, sondern erläuternde Kleinigkeiten des Lebens, der Freuden, der Leiden und der Lüste des jeweiligen Jetzt. Einer Jetztzeit, die so oft und immer schon maßlos überbewertet wird und wurde. Die wahren Schätze und Dinge also, die Leben und Denken, Sterben und Hoffen, Lieben und gelegentlich auch das Gegenteil ausmachen. Ein Entwurf gespielten Schicksals.
Mit all meinem konservatorischen Wissen also verpackte und verhüllte ich säurefrei und dergleichen. Und verschnürte mit Hanf. Auch mit Baumwachs. Klebeband, dessen Halbwertszeit ich nur erahnen kann, ich nahm das Gute und Teure. Die Münzen, nun gut. Auch italienische Telefonmünzen, ein paar. Und eine Handvoll Dollar sowie alte britische Pfund, schwer vom Sterling. Dazu Goldschmuck aztekisch. Warum nicht? Allemal besser, als einzuschmelzen zusammen mit Zahngold.
Viel wichtiger jedoch all die anderen Dinge.
In der Dämmerung platzierte ich bereits am Vortag den schweren alten Spaten unter Zweigen im nahen Wald, damit niemand auf die Idee käme, mich zu beobachten und sich zu fragen, was ich denn um Himmels Willen da planen würde mit einem Spaten in der Hand im Unterholz. Am nächsten Nachmittag trug ich einen schweren Sack über meiner Schulter, darin der Schatz, und den kalten Spaten in meiner warmen Hand. Immer tiefer hinein in den Wald, abseits von Wegen und an alten bekannten Orten, Stellen und Plätzen vorbei.
Hier hatten wir, der Jugendfreund und ich, oft den Bach aufgestaut. Ein Bach, in dem Salamanderlarven sich unter Steinen versteckten und kleine Krebse zu entdecken waren. Auch alte Blechdosen oder hie und da ein verrostetes Projektil oder noch metallene Radkappen mit dem guten Stern. Dort gab es früher immer viel Moos, welches wir vor Ostern sammelten für die zu verschenkenden Osternester mit den Schokoladeneiern. Unsere ganze Jugend hatten wir im Grunde im Wald verlebt. Nach der Schule gab es noch eine Stunde lang Hausaufgaben zu erledigen, danach ging es ab in den Wald. Bis die Kirchenglocke aus der Ferne vom Dorf her um Sieben abends zum Essen rief.
Hier träumte ich nachts, der Bach würde von unserem Staudamm überlaufen, das ganz Tal überschwemmen und das Dorf wegreissen. Dort, vom Moos her, verfolgte mich oft ein Fuchs bis zur Haustüre, um mich dann immer zu erwischen und zu beissen, kurz bevor ich die Türe schließen konnte. Ich träumte das so oft, dass ich schließlich im Schlaf gelassen mit dem Fuchs sprach und ihm mitteilte, ich würde ohnehin aufwachen, wenn er mich auffressen würde. Es wäre ja alles nur ein Traum. Das Auffressen hat er fortan gelassen, auch das Verfolgen, ich hatte gewonnen und träumte nicht mehr vom Fuchs, sondern irgendwann von Mädchen und Frauen.
Hier hatte ich einmal, vor sehr langer Zeit, ein initiatorisches Schäferstündchen erlebt, mein viel zu großes schwarzes Jackett vom Flohmarkt als Unterlage gegen die Ameisen und piekende Nadeln, dort saß ich auf dem Hochsitz mit Professor Schiwago und beobachtete durch das Nachtglas die Rehböcke, wie sie auf die Lichtung traten unter die Bäume mit den Misteln. Er hatte die Büchse dabei, ersparte mir aber das Schießen.
Hier schoben wir adoleszent mit unseren Stimmen und unserer Seele glucksend auf den achzig Jahre alten Holzskiern aus dem Keller durch den winterlich verschneiten Wald zum entfernten einsamen Lokal, um dort reichlich Apfelmost zu trinken und kaum mehr den Heimweg zu finden vor Lachen. Dort sammelte ich Jahre später mit der Kirschkern Bierflaschen auf, die aus den Autos der städtischen Ausflügler achtlos in den Wald geworfen waren und in denen, wie wir erst später beim Reinigen feststellen mussten, Mäuse verhungert oder ertrunken waren, weil sie zwar hinein, aber nicht mehr hinaus gefunden hatten. Der Biergeruch hatte sie wohl angelockt. Dabei hatten wir nur unsere Ferienkasse aufbessern wollen über das Flaschenpfand, für unsere allsommerlichen Touren.
Hier waren die Bäume damals klein gewesen. Heute sind sie passabel stattlich. Dort waren sie damals groß gewesen, nun fehlen sie, die geschlagenen Alten, und es ist gelegentlich frisch aufgeforstet. Was es damals noch nicht gab, zumindest nicht in meiner kindlichen Wahrnehmung, das war ein Bannwald. Also ein Terrain, in dem alles den Bäumen selbst überlassen wird. Wenn sie fallen, dann bleiben sie liegen und werden nicht herausgezogen und verwertet. Einzig diejenigen wegen eines Sturmes, wegen ihres Alters oder wegen des hohen Geländegefälles über den tiefen Bach gefallenen Stämme sind mir in schöner Erinnerung. Man konnte auf ihnen von hie nach dort auf rutschigem Bewuchs über den Abgrund balancieren, dazu in einer gewissen sehr reizvollen Gefährlichkeit. Und niemand wusste davon, schon gar nicht die Eltern. In meinem Fall die alte Dame und der Boxerrüde Andor, der sich immer so sehr freute, wenn ich nach Hause kam. Und ich mich so sehr über ihn, wenn ich nach Hause kam.
Schon einmal hatten wir – die Kirschkern und ich – eine gemeinsame Schatzkiste vergraben. Vor ungefähr zehn Jahren an einem mystischen Toteisbecken mit schönem Namen in Ostholstein. Was wohl aus den damaligen Dingen inzwischen geworden ist? Damals konnten wir tief graben.
Der Waldboden jetzt hingegen war sehr trocken von diesem regenarmen Sommer. Tatsächlich war er unter dreißig Zentimetern Tiefe komplett ausgetrocknet. Da kann man nicht mehr viel weiter nach unten schaufeln, zu hart die Erde. Gut war, dass ich mir sicher bin, niemand hat mich in dieser abgelegenen Gegend beobachtet. Das ist ja das Wichtigste beim Vergraben irgendeiner Kiste. Kaum jemand geht ja heute mehr rechts und links vom Weg durch den Wald. Wegen der Wölfe, der Sturmschäden oder der später lehmigen Schuhe. Ich habe Lehm nie als „Dreck“ empfunden, so wie das andere Menschen tun. Und wichtigtuerisch verunklärte Schatzkarten gefielen mir noch nie.
Ich vergrub also die Kiste, die mir zuletzt schien wie ein schönes Adventspaket. Und beseitigte danach die Spuren auf diese und jene Art. Für Wild und Mensch. Möge das Päckchen möglichst lange an diesem so schönen und magischen Ort liegen, vielleicht ja sogar für immer, bis zum jüngsten Tag.
So wunderbare Gedanken! Der Text hat mich sehr berührt.
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