der dorfbüttel kommt mit seinem holder angerast, parkt rückwärts ein und ist erstmal empört, dass er mit anpacken soll. davon habe der ortsvorsteher nichts gesagt. wir also rein ins haus. im keller steht das gute stück, ein lehrerpult aus der alten dorfschule. damals haben sie das mobiliar verkauft und george schiwago hatte das seltene möbel erworben. schiwago selbst ist schon abgereist nach den USA, er wird nicht mehr ins dorf zurückkommen. er ist achtundachzig, seine frau ist gestorben, er verkauft das haus und verschenkt das alte lehrerpult an das dorfmuseum, welches der örtliche kulturverein einzurichten plant. die putzhilfe olga von nebenan hilft, weil der büttel einen bandscheibenvorfall hatte. wir heizen runter ins dorf, er parkt abermals mit dem holder rückwärts ein, obwohl das gar nicht nötig wäre, und wir schleppen das teil in die lagerscheune. schiwago war 1920 geboren worden, in st. petersburg. mit zwei jahren setzten ihn seine eltern in einen zug nach litauen, wo er bei seinen großeltern aufwuchs. seine jüngere schwester, die er nie gesehen hat, starb in den dreißiger jahren an meningitis, die eltern sind später in st. petersburg verhungert. noch während des krieges studierte er in berlin und dann in münchen chemie. er habe viel glück gehabt, sagte er mir im frühjahr beim letzten gemeinsamen tee, zu dem er mich eingeladen hatte. insbesondere, da er nicht zur wehrmacht oder gar zu weit schlimmeren einheiten eingezogen worden war. nach dem kriege promovierten er und seine kroatische frau in innsbruck, übersiedelten danach nach australien und in den sechzigern dann nach chicago, wo er eine professur bekommen hatte. ich lernte schiwago mit acht jahren kennen, als er als untermieter ins seit zwei jahren verwitwete elternhaus einzog. er war gastdozent in der nahen kleinstadt und freundete sich alsbald mit der mutter an. ich erlebte vier schöne jahre mit ihm, schön auch, weil ich spürte, wie gut es meiner mutter ging mit ihm. er war lustig, er trank gerne vodka, wurde dann immer lustiger und sang alte litauische lieder oder den doktor schiwago mit zuletzt immer irgendwie tränen in den augen. er erzählte wilde geschichten von früher. er sagte „gnädige frau!“, was mir imponierte, und die beiden bereisten auf der straße und während einiger kreuzfahrten so allerlei länder. er fuhr einen weißen porsche, er ritt und er focht und alles an ihm roch immer nach leder. er liebte meinen hund, brachte diesem das bellen bei und aus meiner sicht hätten die beiden ein gutes paar gegeben und ruhig zusammenbleiben können. irgendwann dann aber kam meine mutter einer anderen dörflichen liäson auf die spur und das verhältnis kühlte ab. schlussendlich wohnte seine inzwischen angereiste frau für ein paar monate zur untermiete im haus, während ein paar meter weiter ebenjenes entstand, welches nun verkauft wird. frau dr. schiwago hat man all die jahre nie gesehen, keiner. es heißt, sie las den ganzen tag kriminalromane und trauerte auf dem sofa der kuk-monarchie nach. und sie mochte keine kinder. ihr toilettenstuhl steht jetzt noch am bett, im regal die krimis, das grundstück ist mit den hohen bäumen sehr eingewachsen und wirkt ein wenig unheimlich. die ältere schicke nachbarin, die den schlüssel verwaltet und von der ich mir als jugendlicher immer heimlich gewünscht hatte, dass sie mir zeigt, wie der sex geht, die jedenfalls meinte, ich könne alles, was ich haben wolle, gerne mitnehmen, der rest würde ohnehin von der entrümpelung abgeholt. nach anfänglichem zögern habe ich mir also einen echten kleinen perser ausgesucht. eine reitgerte, einen reiterhelm für den kirschkern, einen eins-a zeiss/ikon-diaprojektor, eine unbenutzte nagelschere, ein salzfass von mies van der rohe, ein schönes schnapsglas. den harman-kardon röhrenverstärker habe ich dortgelassen, nicht jedoch die gut erhaltenen lederhandschuhe sowie eine neuwertige packung brillenputztücher, zur erinnerung. das also war mister schiwago, der natürlich nicht schiwago hieß, sondern anders, aber mindestens ebenso schön. möge er also noch lange leben da drüben am großen see.
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naja, frau cara, der hrbscht eben. mir gehts da immer ganz gut eigentlich. ich kann da gut arbeiten. so richtig gut gehts mir dann aber anfang dezember, da gibts geschenke, da verliebe ich mich meistens gleich ein paar mal neu und dann kommt ja eh‘ weihnachten. und sie, sie sind hrbschtkind?
Ich lebte nicht weit weg vom Bauernhof der Porsches. Aber genützt hat’s nix. Nicht mal zu einer Porsche-Design-Brille.
Und eine vom Dorf hat eingeheiratet in die Piiech-Porsche family. Aber lang hat das nicht gedauert, war sie geschieden. Sie ist nun mit einem Psychiater verheiratet.
Ist der Ortsvorsteher der Bürgermeister?
Ahso – Dr. Schneckago sind also Schütze. Waagen kommen mit Schützen gut aus (behaupten die Grenzwissenschaftler). Riabagoischdr, lieber Schneck, daran hab ich mich neulich intensiv erinnert.
Gab mal ordentlich Schelte, weil s’Kend ein Messer aus dem Familiensilber zum Schnitzen derselben verwandte. Der Goischd kam gut, aber das Messer überläbte_nicht_.
(Jetzt soll ich hier „muts“ eingeben – was bedeutet dieses „Wort“ denn bitte? )
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der bürgermeister ist der ortsvorsteher, der nicht mehr bürgermeister heißt, da der ort ‚eingemeindet‘ ist zum nahen städtchen. der jetzige hier ist ganz in ordnung. der frühere, der zu zeiten prof. schiwagos, das war ein ortsvorsteherkotzbrocken. und die eingeheiratete, die durfte doch aber bestimmt ein paar 911er mitnehmen zum psychiater, oder?
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na mensch frau cara, dann haben sie ja jetzt bald, oder? vielleicht am end heute? also, die rübengeister hatten wir auch; sieht man hier aber gar nicht mehr, ist abgelöst durch „gib süßes, sonst gibts saures!“ in ein paar wochen dann. schon seltsam, an die ‚ordentliche schelte‘ erinnert man sich wohl sein läben lang. ich bin ja nicht so leicht zum schelten zu bringen, aber neulich! kirschkern plus freundin im garten, warten auf mich zwecks einradausflug ins dorf. ich komme also raus und was sehe ich: die beiden schütteln am apfelbaum die ganzen noch nicht reifen äpfel herunter, ein riesenspaß! ich rase also wild fuchtelnd hin, die stimme laut mit „spinnt ihr eigentlich?!!!“ und was sie sich eigentlich dabei gedacht haben verdammt noch mal. schweigen als antwort, ein wenig lächeln, ist bestimmt gleich vorbei, werden sie sich gedacht haben, aber ich konnte mich nicht ein, zehn minuten lang, so lange, bis ihre gesichter dann auch wirklich ernst wurden. vor allem dann, als ich sie aufforderte, gefälligst die dinger schön aufzusammeln und in sechs kisten zu legen, ohne dass sie sich gegenseitig berühren, auf dass sie im keller dann weiterreifen können, wenn überhaupt. und sanktion, der ausflug gestrichen. ich denke, das sitzt und bin gespannt, ob sie sich in zehn jahren noch daran erinnern, mal sehen. naja, und ‚muts‘? muts heißt natürlich ’netzmagen‘, ist doch logisch, oder? ;)
gestalten gibt es, die gibt’s nie
mehrwieder!(die brillenputztücher hätte ich auch genommen:)
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es steht sogar noch eine weitere packung dort…
Ich weiß gar nicht, woran es liegt, daß man um die Jahreszeit so gerne solche Geschichten hört/liest. Vielleicht sind sie auch noch schöner als sonst. ;)
Sind Sie auch Herbstkind, Herr Schneck ?
Verzeihung bitte, falls ich Ähnliches schon einmal gefragt hätte. Das Alter macht einen so vergesslich.
Nicht gestern, nicht heute, aber bald, ja, bald .
Danke für diesen schönen Bericht , Herr Schneck. Ich nehme ihn gerne als persönliches Vorabgeschenk.
Meinen Sie, die Äpfel reifen tatsächlich nach ?
Oder könnte man die vermosten ?
Bekannte, deren Namen und Gesichter ich vergessen habe, investierten überschüssige Goldbarren in ein Anwesen in der Normandie. Allein der Äpfel wegen ! (Man brennt Calavados aus eigenen Früchten .)
Jetzt schlage ich im urban dictionnary nach, was „thtch“ bedeutet. Ich mag ja Rätsel und Geheimcodes und solche Dinge sehr.