Abb.: Keramik, 1930er Jahre; (…)
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(…) Übersprungsbeitrag, Grundrauschen, besser Grundknistern, noch besser: partielle Grundtrauer, heute ist’s mal wieder… schlimm, aber morgen dann auch schon wieder gut, ja?!. So ist das, so geht das, wenn das Kind ganz woanders lebt, weit weg, das knabbert eben manchmal. pardon.
/DIESE VASE also hat mein einer großvater, über den ich erst neulich erfuhr, er habe sich vehement freiwillig am kapp-putsch beteiligen wollen jahre zuvor (!), aus dem thüringer atelier des bauhausnahen keramikers otto lindig herausgekauft, in seinen (des opas) jahren als stadtbaumeister von weimar, unterm hakenkreuz. diese seine mischung von weltanschaulichem und ästhetischem, ich werde sie nie so recht verstehen oder nachvollziehen können. das muss man aber ja vielleicht auch gar nicht. ich denke, er war hineingeboren ins zeitalter der großen visionen und er hat da alles mögliche durcheinandergemischt, ganz nach seinem gestalterischem gusto. er starb leider, als ich ein jahr alt war. er hat überlieferte 80 zigaretten am tag geraucht und er hat die wilhelm-gustloff-siedlung in weimar gebaut, später hieß sie dann rosa-luxemburg-siedlung, ich war einmal dort, als die DDR noch DDR war, man aber schon einfach so hineinfahren durfte, gebaut wie ein wilder also hat er, neben einigem anderen dort in weimar und anderswo, so zur olympiade in berlin 1936 anscheinend auch etliche pavillons, aber dann auch beispielsweise die „mustersiedlung braunschweig-mascherode“, die ich mir unbedingt bald auch einmal ansehen werden muss, da diese offenbar erhalten.
im haus am waldrand lagert eine menge an planmaterialien, skizzen und alten plattenfotographien, ich werde beizeiten und ggf. versuchen, diese unterlagen an ein möglicherweise ggf. interessiertes archiv zu übergeben, nahe läge ein/das stadtarchiv von weimar oder anderes dort, vielleicht aber auch irgendetwas in berlin.
er war in „südrussland“ nahe odessa geboren und daher östlicher dolmetscher in den letzten kriegsjahren des zweiten weltkrieges. in ehingen an der donau schließlich wurde er zur entnazifizierung im französischen gefängnis untergebracht, wo ihn laut erzählung alle tage zu fuß meine tante und seine frau besuchten, um bei den französischen menschen um seine entlassung zu fürbitten. schließlich lebten sie, die familie, vorrübergehend unweit im flecken rechtenstein an der donau, bevor er in stuttgart um ca. 1950 herum abermals ein architekturbüro gründete und weiterhin siedlungen und großzügige privatanwesen plante und baute. in rechtenstein/donau, nahe dem kloster obermarchtal, habe ich einmal in der donau einigermaßen verliebt gebadet. ich kann das und diese gegend nur sehr empfehlen! ebendort kam dann übrigens auch mein vater 1949 mit diesen handschuhen aus der russischen kriegsgefangenschaft nach hause und stritt sich (-überliefert) sogleich und trotz heftig abgemagerter statur (ruhr etc.) um die schönsten mädchen im dorfe mit den einheimischen ‚bauernjungen‘.
/der großvater ist auf dem friedhof in rottenacker/donau, nahe munderkingen, begraben. seinen bunten morgenmantel pflege ich und trage ihn gerne. dem kirschkern habe ich im letzten jahr jene originelle reliquarische immobilie gezeigt (es war ein schöner tag!), der großvater hatte den hof um 1957 herum günstig erworben. er war eben so ein blut-und-boden-mensch offenbar, vor allem der boden, weniger vielleicht das blut. BIO würde ihm bestimmt gefallen, aber stuttgart21 würde er sicher rigoros ablehnen, allein schon deswegen, weil er ein Bonatz-schüler war. das visionäre an diesem projekt hingegen, das würde ihn wahrscheinlich interessieren, diese tunnel, das monumentale und die neuen gesellschaftlichen welten da oben und unten.
es heisst, er habe, als er vom lager buchenwald nahe weimar erfuhr, seinen kumpel, den gauleiter (für den er ein haus mitsamt mobiliar geplant und realisiert hatte) zur rede gestellt und protestiert. dieser habe dann, als kumpel, von schlimmeren konsequenzen abgesehen, ihm jedoch bedeutet, dass er sein amt als stadtbaumeister sofort niederlegen müsse. daraufhin wurde er offenbar zum wiederaufbau der bereits zerbombten stadt sindelfingen abkommandiert. ich bin kritisch gewillt, diese historie zunächst zu glauben, werde aber noch verifizieren.
/So, Fertig der Übersprungsbeitrag, alles wieder gut.
Gut ist. Alles. Gut Nacht.
In Hannover wohnend überraschte mich die Mustersiedlung unbekannter Weise. Gegoogelt und dann nicht gefunden, weil mir die böse Suchmaschine immer Braunschweig statt Hannover vorschlug. Scheint aber in Richtung Gartenstadtkonzept zu gehen, oder?
danke. genau, alles ist gut.
Sie haben recht, das ist nicht in Hannover, das ist in Braunschweig. Habs oben schon korrigiert, merci.
Bin zwar zu spät, weil alles wieder gut ist, trotzdem: „Ach weh, lieber Schneck!“
ach wo, das alles macht einen ja nur noch HAERTER. ;)
gut
Gründliches Ablenkungsmanöver, aber geglückt scheinbar.
Das Väschen ist doch ein gelungenes Werkstück.
In dem Eintrag hab ich jetzt nicht auf die Schnelle begriffen, ob vom Keramiker oder vom Großvater die Rede ist, wo es biographisch wird. Auf jeden Fall kann man sich schon damit beschäftigen, worin die Faszination des Monumentalen lag und liegt. Das ist ganz legitim und auch ein Akt der Empathie, Verständnisforschung. Oder so. Ich mag das auch gerne auseinanderdividieren, denn das wird zu wenig gemacht. Die Fasziniation von gewaltiger Ästhetik, die wie eine Intro vom Donnergott persönlich daherkommt hat auch mit der Sehnsucht nach Ekstase zu tun. Intensität spüren. Wenn man es auseinanderdividiert, die Spreu vom Weizen trennt, darf man zum einen die Ästhetik wieder mögen (wenn auch leider oft der Witz, die Brechung fehlte) und kann umso herzhafter, das destruktive Drumerhum der faschistoiden Auswüchse geißeln. Was ich tue!
Mit freundlichen Grüßen!
Gaga Riefenstahl
ohja, gut!
Liebe Gaga Riefenstahl,
ja, das „Väschen“ ist nicht allein gelungen, es ist geradezu Inbegriff von Vase! Ein raumgreifendes Stück.
Das Biographische bezieht sich auf den Großvater. Und ebenso – Sie benennen es ganz richtig – die „Verständnisforschung“. Gewaltige Ästhetik muss auch nicht groß sein, um monumental zu wirken. Es sind die Verhältnisse der Größen. Es gab ja vorher bereits die Futuristen, die Surrealisten, die Dadaisten und alle haben fleißig ihre Manifeste geworfen in dieses Zeitalter der unbedingten und visionären Dogmen, ich denke mal, das war ein zwangsläufiger industrialisierungsfolgender „Versuch“, offenbar eine Konsequenz im Denken in vielerlei Hinsicht, die dann sehr speziell pervertierte hinein in’s weltanschauliche Grauen mit Millionen von Toten.
Wenn man sich übrigens die Architekturen der damaligen Pariser Weltausstellung ansieht, man bemerkt schnell, alles ist dort monumental gebaut worden, ganz gleich, welcher Pavillion welchen Landes und aus welcher tradierten oder neuer staatlich verordneter modernistischen Weltanschauung. Es sollte überall der Mensch KLEIN und die Idee GROSS gehalten sein. Ich bin ganz froh, nicht in jene Zeit hinein geboren worden zu sein.