…da warens nur noch drei

beioma

im sommer sagt er, sie hätten das primärteil entdeckt jetzt. er sagt, er hat den kindern gesagt, er brauche ruhe für sich, das sei jetzt mal ein bisschen mehr als nur eine grippe. aber er weiss, er schafft das schon. im november sehe ich ihn zum letzten mal. das darf nicht sein, jetzt, wo es doch erst losgeht mit uns und unserer blöden familiengeschichte. wir hatten uns, meine ersten vier jahre, und seine letzten vier. dazwischen die asche der ehemaligen erwachsenen. im dezember gehen ihm die zeitlebens hinternlangen haare aus. er nimmt´s mit humor. er hatte es ja schon als kind an der lunge. er sagt, ihm sei bei dieser ganzen herumreicherei und ablehnung immer und überall erklärt worden, wer er denn eigentlich sei. er habe lange gebraucht, um das endlich für sich allein herauszufinden. ich weiß schon, ich hatte es da besser. ich war erst vier, als der vater sich verabschiedete, du großer bruder. dann warst du weg, du bei deiner mutter, und ich bei meiner. aus vier mach zwei, über nacht. im februar eine letzte reise nach wangerooge. es ist schon hart, wenn einer am anfang des frühlings schon weiß, dass er das ende des frühlings nicht mehr erleben wird. der ginkgo, den er gepflanzt hat, gedeiht prächtig. das haus und der garten sind mittlerweile schon verkauft. du hast mir gottlob noch ein päckchen mit deiner musik geschickt, carlyto und nick drake und so sachen. morgen vor einem jahr bist du gestorben. schöne scheisse. jetzt liegst du hinter huchting neben irgendeinem baum im wald. und wenn der baum voll ist, dann gibt’s ein kleines schildchen mit sechs namen, aber das kostet dann extra, sagen deine lieben. heute habe ich deine eine tochter getroffen und ihr deine nichte, die du nie gesehen hast, vorgestellt. deine erzählt, sie und ihr vater seien nicht mehr zum versöhnen gekommen. ich frage sie nach dem ginkgo, aber sie weiß nichts darüber, „irgendwann später einmal“ sagt sie und schaut in die luft. sie hat die schule geschmissen und ist jetzt vom zuhause, das keines mehr war, ausgezogen, nach nirgendwo. sie erzählt vom schwarzen block in heiligendamm und fährt jetzt erst einmal mit dem fahrrad nach gibraltar, einen „film drehen über migration“ (deine nichte schielt währenddessen auf das unterlippenpiercing ihrer neuen cousine und denkt dabei wahrscheinlich an ihren derzeitigen wackelzahn). ich glaube sehr, deine jüngere ist ein bisschen wie du, und möge, wer auch immer, sie sehr beschützen. denn warum tragen sich die dinge immer so fort? und warum denn ausgerechnet du? nein, mit familie kann mich der liebe gott nicht mehr hinter dem ofen vorlocken. ich werde mal jedenfalls versuchen, wenigstens ein guter onkel zu sein. ahoi ‚bruderherz‘, so haben wir´s uns, zu guter letzt am telephon, dann immer versprochen.

7 Gedanken zu „…da warens nur noch drei“

  1. „hinter huchting ist ein graben, der ist weder breit noch tief, und dann kommt gleich getränke hoffmann…“ (EOC). einen gruß an herrn promisc und an herrn schein, JETZT kanns sommer werden, und daher muss ich jetzt gleich zu getränke hoffmann…

  2. Ach Schneck,
    nun hast Du sie aus-geschrieben die Geschichte. Gut so. Und mich an meine Brüder denken gemacht. Auch langmähnige Helden. Fühl Dich umarmt. (Heute mal ganz unkryptisch).

  3. Da sitz ich heute da, seine jüngere, ein Jahrzehnt später und bin zu Tränen gerührt. Da sind dann doch immer wieder so blinde Flecken die sich plötzlich aus der „reflektierten“ Oberfläche lösen und mir zeigen, dass einseitige Versöhnung einen letzten warmen Blick, ein Annehmen durch den Vater wohl leider nie voll ersetzen wird.
    Und dann ist da noch dieses leise Gefühl von neuen Familienbanden nach langwährender Fremde.
    Ahoi, Onkel

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