Der Organist übte in diesen Tagen ein schönes Stück Musik von Marco Enrico Bossi. Dessen Dramatiken passen zum Wandgeschehen. Ein echter Ohrwurm. /Bei Karstadt habe ich neuwertige Handtücher erworben. Zum ersten Mal im Leben. Ich bin eben einfach so ein Typ ‚Kaufhaustyp‘ (meinte neulich jemand). Gleich mehrere und natürlich keinen Ramsch. Mein SetupUpdate der Grundausstattungen bereitet mir Freude, ich könnte rund um die Uhr einkaufen. (Und wegschmeißen.) /Der neue Wagen steht jetzt neben der anderen Kirche, wohlbehütet. Er ist schon verdammt weiss, noch. Und so rein, auch innerlich. Und er riecht so gut und schnurrt so fein. „Vielleicht ist er ja eine ‚Sie‘?“ (meinte neulich jemand) /Einen Zeck entfernte ich vorgestern frühmorgens mit Karte von der Hüfte, der hatte sich eine Woche lang irgendwo in den Hosenbeinen aufgehalten, ich hab‘ das recherchiert. Unheimlich! Dann hat er (vielleicht ja auch eine ‚Sie‘) sich vorgestern Abend an mich geschmiegt und die Nacht und meinen Schlaf genutzt für seine niederen Zwecke. /Zwischendurch las ich, wie andere Neukölln gezeigt bekommen von Zugezogenen. Richardplatz. Eine Frage der beleuchteten Sichtweise. Hier schob ich Kinderwagen, hier war auch ich reingeschmeckt, machte aber weder Hehl noch Hipp daraus, aus Molle mit Futschi. Warum heisst Tempelhof wohl Tempelhof? Die Prenzlauer entdecken jetzt Rixdorf, man darf gespannt sein, ob Rixdorf widersteht.
Gestern erstmals ein aufgezeichnetes Steinmetzzeichen (um ca. 1470) entdeckt. Normalerweise sind diese Zeichen in den Stein eingehauen. Man geht davon aus, dass dies zu Abrechnungszwecken geschah, denn so konnte jede Werkstatt nachweisen, wie viele Steine und Werksteine zugearbeitet waren beim Kathedralenbau. Die runenhaften Zeichen hatten kaum jene mystische Bedeutung, die ihnen später gerne oft zugedacht wurde. Interessant an der heutigen Beobachtung ist – und diese bestärkt die Profanität der ‚Zeichen‘ – dass das Signum schnell und ohne Allüren aufgekritzelt ist, entweder von einem Handwerker der entsprechenden Hütte oder von einem damaligen Polier. Vielleicht musste aber auch alles nur ganz schnell gehen, an irgendeinem Tag um das Jahr 1470 beim Versetzen der profilierten Werksteine am nördlichen Chorumgang in 16 Metern Höhe, der Altgeselle hatte vielleicht vergessen, das Zeichen seines Meisters einzuhauen (denn seine Frau hatte gerade das 12. Kind geboren, im besten Fall war sie nicht darüber gestorben, die Gassen stanken, die Menschen waren böse, der Tod und der Gott waren allgegenwärtig, das Fahrrad noch nicht erfunden, ebensowenig das Radio, es gab einen Kaiser und die katholische Kirche und vielleicht ein paar wenige Freigeister, die gerade eben dabei waren, das „Ich“ zu erfinden und an der Welt als Scheibe zu zweifeln, bevor man in der Regel mit 38 Jahren verstarb, man kennt das ja aus den historischen Romanen in Broschur.) und mit einem Stumpen fettiger Kreide aus gepresster Knochenasche wurde die Signatur schnell nachgeholt, hingeworfen. Von wem auch immer.
Der neue Wagen macht das Fahren grundlegend zur Entspannung. Man sitzt erhöht und glaubt an sich. Die üblichen Drängler (Audi) haben endlich Respekt. Man kann auch mal schnell auf 150 und dann wieder einscheren. Die Musikanlage mit limousinöser Schalldämpfung der pipiMotorengeräusche (Diesel). So funktioniert Lieferwagen heute. Jedoch ab dem ersten Kilometer der Verfall: Tote Fliegen am Trittbrett, faulende Blütenblätter vom Jasmin bereits in der Regenrinne unterhalb WischWasch, Staubpartikel Hutablage. Das alles gibt ein gotisches Gefühl.
Beim Ausräumen des großen Risses unterhalb Joch 3, knapp westlich von Pfeiler 8, fand sich ein kleiner eingemörtelter Papierzettel, sorgsam gefaltet und mit Juteband wachsverschnürt, der offenbar um 1867 bei einer früheren Reparatur dort und nicht ohne Absicht eingeschoben worden war, bevor der schon damals statisch sehr problematische Schadensbereich geschlossen wurde. In Sütterlin lasen wir nach Feierabend:
„Oh Darling! (…) heb den letzten tanz für mich auf! Halt mir ein nusshörnchen zurück! Save bitte den letzten dance für – mich!
der schmelz meiner zähne soll Dir deine badkeramik sein! deine brotkrumen das futter für die fisch‘ meiner Russischen winter! dein brustschweiß mir Labsal in der trockenheit meiner missratenen ernten! (…) Dein restmüll zierde in meinen ruinen! dein haar soll schwimmen in meiner schamlosen Suppe. lass mich please sein: hey, die pritsche von deinem pickup! baby, save den lasten dance für mich! und lass mich die pritsche von deinem toyotapickup sein! (…)
so, please darling – hey, heb den letzten Dance… für mich auf! (…)“
Ein schöner Fund. Und alles bei (unfinished) Kerzenschein.