Archiv der Kategorie: Allgemein

gruselheimer2

P1130202
P1130203
P1130195
P1130196
P1130197
P1130199
P1130200

(Gruselheimer2, vorher vs. nachher)

Hypothetische Rekonstruktion unter Einbeziehung der (bis dato miserablen) optischen Gesamtsituation, den Wünschen der Kirchengemeinde daher mit Verständnis zugeneigt, ebenso einer reversiblen Technologie (Buntstifte, wegradierbar, reversibel also, jederzeit.), dazu den 6,50 Metern Betrachtungshöhe und all das unter Wahrung der Charta von Venedig. Der Kollege hat mich den ganzen Tag lang „Guck mal, ein Fälscher, hahaha!“ genannt. Mich schamlos veräppelt, dazu grinsend.

Aber Irgendwer muss es ja machen. Die Drecksarbeit.

Ich finde aber, es ist irgendwie dennoch ganz gut geworden, schwierige Aufgabe immerhin, gleichwohl natürlich supersubjektiv, völlig losgelöst der üblichen Arbeit an Wandmalereien. Angelehnt jedoch stets überall an das Vorgefundene (das „Original“), wie auch das Ursprüngliche, wo es denn noch zu sehen war und erhalten ist, auch im Makrobereich, also im Mikrobereich. Tatsache ist, dass der „Original“-Begriff sich sehr erweitert hat, also auch sämtliche Zutaten über die Jahrhunderte mit einbezieht. Was generell sehr richtig und wichtig ist. Auch wenn damit unbedachte und unreflektierte Schrulligkeiten wie auch nachlässiger Umgang mit der Substanz dann sonderbar wertgeschätzt werden, als Zeitzeugnis.

Das Alles übrigens ursprünglich aus 1583 circa, eine damals sicherlich wunderschöne und sehr gekonnte a-secco Temperamalerei, grob freigelegt um 1953, dabei ist garantiert vieles verlustig gegangen und zu Boden geblättert, und dann noch einmal höchstbedenklich kunststofflich und malerisch ergänzend äußerst wurstig restauriert in 1983. Wurschtig, sehr.

Nun aber sieht man wenigstens wieder was. Seit vergangener Woche. Wenigstens irgendwas. Die Kirchengemeinde wollte endlich mal wieder ein paar Augen erkennen im vormals luftballongleichen Gesichtsbereich von sechs Aposteln im Kartoffelgewand und mit ebensolchen Nasen. Habe dann noch ein paar Münder und Bartansätze verfeinert und behutsam Wangenknochen und Schläfenlinien angedeutet. Tagesform. Ganz wohl ist mir immer noch nicht dabei.

Aber Spaß hat das schon gemacht, ich gestehe. Auch im übertragenen Sinne. Ich wurde sogar immer lockerer. Hätte noch 24 weitere Apostel oder sonstwas stricheln können. Gerne auch irgendwelche barocken oder gotischen Frauen im Krieg und Frieden. Oder Gewehre und irgendwelche Waffen mit Frauen und Männern und Flugzeugen und Helikoptern.

Man muss eben auch mal Stellung beziehen, wie im richtigen Leben.

Gegen diese momentane Ohnmacht angesichts der Weltgeschehnisse, speziell der Weltgeschehnisse an der südtürkischen Grenze jetzt gerade in Echtzeit. Aber auch vor allem den Entscheidungsträgern des Gesamtweltgeschehnisses gegenüber, jenseits von Nobelpreisen. Die Genfer Konventionen sind eine ähnliche Errungenschaft wie die Charta von Venedig.

Ich sollte unbedingt wieder öfter Realzeichnen, das macht gute Laune.

gruselheimer

Der Heilige S. befand, man solle ihn nach seinem Tod auf einen ochsengezogenen Karren legen und die Ochsen mit Wagen ziehen lassen. An jenem Ort, wo sie anhielten, dort solle man eine Kapelle zu seinem Gedenken errichten. Die Ochsen hielten an in Poppenreuth vor zwölfhundert Jahren.

Von der Kalten Herberge nach Hinterzarten waren wir gelaufen. Eigentlich ein Tagesmarsch, aber da war dann noch Zeit für ein sonniges Tretboot in Seenot auf dem Titisee gewesen. Unterwegs auf dem Wasser viele Araber mit Burkafrauen im Boot, die freundlich seemännisch grüßten. Wahrscheinlich wegen der Gesamtsituation, oder einfach nur, weil sie auch mal Spaß haben wollten, wie alle Menschen in der Regel. Auch die Chinesen, die sich ausnahmslos Elektroboote gemietet hatten mit riesigen Sonnenbrillen. Nur Europäer (und offenbar Araber) sind so blöd und treten noch selbst.

Nebel, ganz viel Nebel, das ist logisch, im Tal, morgens. Tagsüber dann aber schöne Sonne, die immer noch braun macht und der Himmel blau und die Bäume grün und die Berge hellgrau. Sonnige Höhen und sinnliche Hochstände neben grünen Beerenbüschen. Ich freue mich jetzt allerdings langsam auf den ungemütlichen Herbst, diese mir geliebte matschige Superproduktionszeit.

Im Garten riecht es gerade wie in einer riesigen Mosterei. Und Milliarden von Fruchtfliegen, die selbst die neuen Kollektorenlämpchen am Weg verdunkeln, nachts. Alles ist Biomasse derzeit, Gedanken wie Umwelt, klein und groß, weit und fern, enthauptet oder noch mit Kopf.

Eine Edgar-Walace Wirtin war dann da in einer Ich-weiss-was-Du-im-letzten-Sommer-getan-hast-Pension. In Leichtbauweise hölzern und erschwinglich bis unters Dach aus ungefähr 1970, die düstere Variante mit viel Bauchemie. Öffnete die Tür und musterte kühn.

Die Wirtin also: Ein franz. Gendervorname. Schlüpfend, Cabaret und ungewiss in der Hose, sexuell eher undefiniert. Im Schritt. Schmale Hüften hatte sie, auffallend, und um die 70 war sie. Und natürlich launisch. Ihre Geschichte mag sein ein sicherlich gepflegtes Rätsel, ebenso, wie und warum sie ausgerechnet hier am See hängenblieb einst. Sie kicherte derbe über sich selbst und wusste um ihre Wirkungen, ihren und unseren Unheimlichkeiten zugeneigt und diese fördernd. Last Exit: Original (eine stete Patentlösung). Und wie „die Sonne schon wieder meine Augen kaputtgemacht hat!“, das sagte sie ein paar mal, nachdem sie in die Sonne geschaut hatte, dabei sie ihre Tränen auswischte in’s mit unbekannten Zeichen bestickte Sacktuch und ihre Sonnenbrille daraufhin kurz abnahm, öfters innerhalb zehn Minuten, um diese zu betrachten und währenddessen zu sprechen und zu kichern, abwechselnd zum Fluchen und Lächeln und zum mutwillig herbeigeführten Gedankenwechsel. Zu putzen dann die Augengläser mit knöchrigen Fingern unlackierter Fingernägel, ein wenig hornstark und gelblich im Anflug, und um danach wieder mit halbdeutbaren Pfeilen aus ihren fast geschlossenen Augen blitzend jenes aufzusetzen, das Gestell.

Eine Alphaversion von Mensch.

Kurz noch überlegte ich ein spontanes Storno, entschied dann aber für’s Abenteuer und ungewisse Schauspiel. Leider war diese Entscheidung mir übertragen worden mitsamt der Anmeldung für die Kurtaxe und die Lebensdaten. Die anderen hatten es einfach nicht mehr ausgehalten und waren dankbar geflüchtet, ins Licht und die Luft, „Mach Du das mal, wir laden schon mal das Auto aus, ja?“ hatten sie gesagt, mir mit großen Pupillen und Gesten zulächelnd, sich dann verdrückt und mich mit diesem Wesen alleine sitzengelassen in einem Bureau-sous-terrain ohne Funknetz und mit einem Schiffsmodell aus Streichhölzern im Maßstab 1:50.

Später allerdings, nach der Bootsfahrt dann und nachts, nach einer russischen Pizza, deren Bäckerin uns endlich das sowjetische Wort für „Messer“ verriet, später also allerdings dann hatten wir durchaus viel angespannte Vorfreude beim Heimkehren nach dorthin. Die Kirschkern, die Köchin und ich. „Geh Du mal vor!“ Und keinen Mucks. Wir schlichen hinauf. Das Zimmer gleich abgeschlossen, schnell verriegelt doppelt. Die Hand vor dem Mund gegen das gepresste Gefühl eines verzweifelten Loslachens. Jene sinnvoll schöne Spannung, die sich Luft macht, wenn alles gut zu werden scheinen könnte. Beim Vorstellen von Grusel und dem großen Sieg des Antigrusels. Ewig. Das Zwerchfell im Blick zähneputzend, und in die Schreie der Wände dieses grausamen Platzes hineinhorchend. Nach Geschichten popelnd in der Quersumme eines Ortes und der eigen gespiegelten Seele. Nicht neu, nichts Besonderes, ein Archetypus, mal gelinde, mal schwer. Diesmal natürlich gelinde.

Vermutet.

Sowas ist dufte. Wir alle schliefen unerwartet gut. Ich habe dann am nächsten nebligen Morgen ein Bild auf den Kopf gedreht dort im Pensionszimmer. Aus kleiner Alpha-Rache. Leider wird wohl das keine Sau je bemerken. Umso bedeutender das Geheimnis. Eine selbstbestimmt reaktionäre soziale Intervention, ein Rosenbild.

Im Frühstückszimmer saßen ganz normale Menschen beim Marmeladebrötchen. Und die Wirtin gab mir etwas, was sie gefunden hatte am Vorabend im Garten, was ich dort verloren hatte, worüber ich mich sehr geärgert hatte, da mir das sonst nie passiert. Ausgerechnet, hier.

Am Tag nach dem Einheitstag legte sich die Kirschkern auf einen Ochsenkarren in Titisee und ich befahl den Ochsen, loszulaufen und dann wennmöglich behütet dort anzuhalten, wo bereits ein Münster gebaut war. Das hat geklappt. Immer wieder ist dieser Abschied einer der eher Schwereren, aber Abschiedsgeschichten tragen ja meist die schönsten Früchte.

Das alles war vor drei Tagen und jetzt, heute Abend, stürmt und regnet es in Poppenreuth.

199

P1130131

früher gab’s 3 briefkästen im dorf, ausserdem sogar eine poststelle mit schalteröffnungszeiten und personal, heute nur noch einen briefkasten. früher gabs 2 metzgerläden im dorf, mit wursträdchen über die theke für die kinder, heute keinen mehr. und einen edeka und einen rewe, in steinwurfweite, früher, heute gerade mal noch eine bäckerei mit ein wenig zusätzlichem.

früher gabs zwei bankfilialen, heute immer noch, aber die eine hat seltsame öffnungszeiten. früher gabs kein internet im dorf, früher gabs ja sowieso gar kein internet. heute gibts internet, auch im dorf. früher gabs keine bankomaten, heute zwei. im dorf. früher gabs zigaretten beim bäcker an der theke, heute nicht mehr, schon lange. früher gabs 7 zigarettenautomaten im dorf, heute noch zwei. bis letzte woche noch drei. den beim italiener im sportheim und den in der schwäbischen küche im unterdorf nicht mitgezählt.

früher gabs noch einen bürgermeister im dorf, heute gibts einen ORTSvorsteher. früher hat im automaten am halben ende der strasse die packung camel 2 mark gekostet. und früher gabs noch einen feldschütz im dorf, den man ärgern konnte, wenn man über die wiesen lief, während diese hoch standen. früher konnte man vom waldrand aus noch die schwäbische alb sehen, heute ist das alles zugebaut. früher gabs auch keine pfarrerin im dorf, sondern einen pfarrer.

früher gabs nur eine bushaltestelle im dorf, heute zwei, die zweite im neubaugebiet, welches auch schon lange nicht mehr NEU ist. früher gabs eine dörflich genossenschaftliche molke im dorf, da ist man abends als kind hingeschickt worden mit märkchen, um die milchkanne füllen zu lassen. dann, später, wars ein automat irgendwann und spezialmünzen zum einwurf und keine molkefrau mehr, die die kanne füllte. früher hat man dann als kind angst gehabt bei heimweg mit der milchkanne, weil irgendwann die strassenlaternen aufhörten am RAND vom dorf. ich hab dann immer gepfiffen gegen die angst vor den bösen männern und frauen. und dann war die molke ganz weg und überall gab es tetrapack und strassenlaternen.

als aldisüd aufgemacht hat, nein, ach was, schon lange vorher. in der zeit, als es noch keine (früher) fruchtjoghurts im supermarkt gab. und wenn, dann naturjoghurt und im gläschen aus glas, haltbar drei tage, mehr nicht. als es früher überhaupt noch gar keine supermärkte gab sowieso.

früher gabs auch noch eine mülldeponie am ortsausgang, wo man im vorbeifahren die mülltüten reingeworfen hat. einfach so. früher gabs auch noch keine mülltrennung. früher gabs auch noch kühe und schweine im dorf. früher gabs auch noch schranken im wald, damit nicht jeder dackel da durchfährt. Heute fährt da jeder dackel durch. früher gabs noch einen förster im forsthaus im dorf, der hatte alle schlüssel zu allen schranken im wald.

dafür gabs früher keinen italiener im sportheim und keine flutlichtanlage, keine bankomaten und kein internet. Heute befinden sich auf dem alten försterhaus solarmodule. Die gabs früher auch nicht.

Telefonzellen gabs früher auch im dorf, heute keine mehr.

Früher durfte man noch ordentlich lindan in die holzschutzfarbe mischen, weshalb die verschalung vom haus am waldrand noch vollkommen in ordnung ist (bis auf die wetterseite). HEUTE (hingegen) fault jedes holzteil nach 6 jahren durch, dafür gibt’s heute auch wieder wanderfalken und schmetterlinge. Früher durfte man noch wespennester unter den dachpfannen mit einem wunderspray wegmachen. Oder sogar hornissennester.

Dafür gibt’s heute ein geburtshaus in der exkneipe gegenüber der kirche. Geburtshäuser gabs früher auch nicht. sowieso. geburtshäuser und käuzchen gibt’s heute wieder. Die käuzchen waren zwischenzeitlich verschwunden.

Früher gabs mich auch ohne internet, heute gäbs mich nicht mehr, gäbs kein internet. zumindest hier im dorf. Früher wurden die äpfel im herbst zu most verarbeitet, heute liegen die auf der strasse herum und man kann sie matschen mit den autoreifen im geschickten vorbeifahren. Oder, wie früher, sie wie eine kegelkugel in richtung der steil herabführenden strasse werfen, damit sie 150m weiter unten auf den bordstein klatschen und spatzen oder den alten bertold erschrecken. Früher wie heute: das macht den größten spass.

Früher gabs auch keine blausilbrig lackierten lederschuhe, dafür heute. Ich überlege käuflich. Als ersatz. für und als manifest gegen die bunten turnschuhe überall. Als launisches herbstgeschenk gegen alles weltlich zu erwerbende stellvertretend. Und dann würde ich deren mehrwertsteuer absetzen als berufskleidung Für die ewigen affen. Die braucht die gesellschaft heute. Auch wie früher. Ich bin ja gern einer von denen, aber das muss auch ORDENTLICH bezahlt werden. Früher hätt ich das nicht gekonnt, das absetzen. Nicht gewollt. Früher wäre ich nicht mal draufgekommen auf sowas.

früher gelatine, heute pixel und paste mit sinn.

Wenn man also jetzt (meine frühere zählung) 38 mal „früher“ zählt, dann kämen bei 2 euro pro hier verlautbartem „früher“ circa 76 euro+ in die FRÜHERKASSE. Wofür diese kasse verwendet werden wird, das ist noch nicht klar. Früher wär man dafür wahrscheinlich ordentlich irgendwie saufen gegangen. 

Man müsste sich wahrscheinlich auch gedanken machen über eine „wahrscheinlich“-kasse, oder eine „irgendwie“-kasse. Oder eine „man“-kasse. Das hätte man früher wahrscheinlich irgendwie auch nicht SO gemacht. diese gedanken sich.

schpfg.

In den Pausen beim Rauchen denke ich oft an die Schöpfung. Die Falken sind wieder da und lassen den Rest ihrer Mahlzeiten von ihrem Fressplatz aus – hoch oben am Südturm – wie immer vor das südliche Westportal herunterfallen, allerlei Flügel ohne den Rest, Fragmente von Fusskrallen, mal beringt mit einer gravierten Mobilnummer des verlustig gegangenen Züchters, mal unberingt, oder ausgehöhlte Torsi von Amseln, Tauben und ähnlichen Beutetieren. Die hübsche Bettlerin vor dem Haupteingang, auch sie ist wieder da und die Eichelhäher sind auch wieder da, was erstaunlich ist, denn im letzten Jahr waren durch einen Kapitalfehler der Eltern bezüglich der Wahl ihres Brutplatzes hinter dem steinernen Laurentius an der Südseite durch die Sommerhitze die drei gerade flügge gewordenen Jungen wahrscheinlich vor Durst ums Leben gekommen, ich hatte besorgt noch ein Töpfchen mit Wasser an den Boden platziert, erfolglos, und der Mesner brachte dann den letzten Jungvogel, der noch lebte, zur nahen Polizeistation, wo sie ihn sicherlich weiterreichten zur Vogelstation, aber ob er das wirklich geschafft hat, ich weiss es nicht, ich glaube es nicht, ganz ehrlich gesagt. Und auch ich bin ja wieder da (hier: als Teil der Schöpfung), ebenso der Kollege, die forschen Bauforscher, die Architektin, die Holzleute, die Bratwürste, die Glasfrau, die Steinleute mit dem Jäger R. und seinen beiden Haralds. Die alte Frau allerdings mit den langen grauen Haaren im kunstvoll geflochtenen Zopf, die in den letzten Jahren jeden Morgen ehrenamtlich im Innern staubsaugte, stets freundlich in Allem und ebenso grüßend, ist nun nicht mehr da, ich fragte den Mesner heute besorgt nach ihr, ja, sie lebt gottseidank, aber sie würde jetzt am Rollator gehen, wegen einer alten wiederkehrenden schlimmen Borreliose, weshalb sie leider nicht mehr staubsaugen könne und freundlich sein. Er müsse sie dringend mal wieder anrufen, sagt er. Und auch das ganze Material, was wir benötigen und verarbeiten: Es ist wieder da. Anders in diesem Jahr ist, dass ich mir für die zu erledigenden Putzergänzungen aus Heißkalkmaterial nun sehr diszipliniert Einmalhandschuhe aus der Apotheke überanziehe, damit die Haut meiner Hände sich auch weiterhin einigermaßen zur Schöpfung dazugesellen kann. Man mag kaum glauben, wie sehr und vor allem schnell das Kalkwasser eines sich gerade erst selbst gelöscht habenden Kalkes angreift und Greisenhände mit offenen Stellen verursacht, deren kleine und größere Krater und Furchen dann suppend Wochen benötigen, um auszuwachsen und abzuheilen. Nicht ganz und gar schlimm, aber auch alles andere als ganz und gar gut. So ähnlich verhält es sich bislang in diesen Halbwochen, Tagen und Stunden mit den sonstigen Vorkommnissen. Es ist eben Zwillingszeit. Da gehen die Daumen nach oben und nach unten, so schnell kann man nicht denken.

Busen und Bussen

Auerbach/Opf. und Michelfeld/Opf., in einem Haus des Barock eine andere Welt, seit fünfzig Jahren im Schlaf, zunächst der Bauhof des Klosters und dann säkularisiert eine Fabrikationsstätte von Zirkelkästen oder Zigarrenkisten auf vier engen später schlampig eingebauten Stockwerken, staubig, unbeheizt und gerade so, dass man stehen konnte, dazu das Fabrikantenzimmer, dort eine zurückgelassene Melone, mit einem alten bemalten Safe, den keiner mehr wegbewegen will, genausowenig wie das uralte Klavier, zwar schön, aber auch nichts mehr wert. Ein schöner verwunschener Ort, ein Dornröschen, welches nun gottlob ein Liebhaber wachzuküssen sich offenbar gefunden hat. # Bei der Rückkehr durchgeknallte Erzieher und denen Nachhilfe geben müssen im Urheberrecht, Energiesauger und klebrige Aufmerksamkeitsbinder, die das alles auch noch lustig finden oder nichts anderes zu tun haben, wie ich das verabscheue, vor allem, wenn halbpädagogisch verlautet, man habe ja „genau diese Diskussion erreichen wollen“, diese unsäglichen und längst abgehandelten Sachen zu Handschrift, Autorenschaft, Aura und der Umkehrung all dessen, die Künstlerstilisierung mit Anzug und Herrschaft, Salon und Generalschauspiel, da man ja nicht darauf angewiesen ist, sondern Beamter, was man selbstverständlich weglässt, wo es nur geht. Diese Arten eines zynischen Kunstmissbrauchs, verachtensreife Auftritte, vor allem auch, wenn sie im Saft der finanziell gehobenen Mittelschicht einer dünstenden Kleinstadt vollzogen und mit mutmaßlich eigenveranlassten Lexikoneinträgen selbstverliebt beworben werden. # Schwamm drüber. Im Grunde wohl ein guter Kerl. Die Abschüttelung jenes Grundzornes vom Lindenblatt meiner Seitenlinie gelang gelungen und wertezügig. Musste mir auf die Schulter klopfen, die während des Klopfens schon vergessen hatte, was eigentlich das Thema gewesen war. Nicht zuletzt auch wegen eines wunderbaren Tages der Väter und einer Bollerwagenfahrt in eine Herzensgegend seit jeher, die unendlichen Weiten des oberen Landes mit der jungen blauen Donau, schönen Haufendörfern, einem kompakten Käsekuchen ohne Sahne und einer Dialektnuance, die ich doch so sehr mag. Von der höchsten Erhebung Oberschwabens waren die umsäumten Spitzen der Alpen zu erkennen, davor lasziv hingestreckt der Federsee und im Rücken den Busen des Bussen mit schwäbischer Alb am erfahren geschnürten Korsett der sagenumwobenen Klifflinie. Den Abschluss bildete eine Forelle und eines der besten Biere der Welt. Das Retour sodann durch leere Gegenden und Ortschaften, da alle anderen Väter bereits betrunken im Bett lagen und traurig an diejenigen ihrer Kinder dachten, die ihnen einst abhanden gekommen waren.

DSC00153

(würzig, herrlich!)

ich ich ich

DSC00026

(letztes Jahr)

DSC00041

(dieses Jahr)

Bei Norma/Rodi passiergelaufen auf meinem Weg zu Mandy, Steiff und Calida im Schlafanzug an der Ecke. Und forsch im Vorbeigehen am Discounter die monumentalen hochauflösenden Werbefotos im Schaufenster mit 1. Fleisch, 2. Salat und 3. Brot betrachtet. Nächst handgemachten Bratwürsten. Irgendwo auf der Welt also sitzt ein Mensch, der von sich behaupten kann, er habe diese Fotos gemacht. Oder besser, weit feinfühlender: Da sitzt vielleicht ein Mensch, irgendwo auf der Welt und der kann sagen von sich: „Ach, das ist ja jetzt nett, es freut mich sehr, dass Sie nachfragen, wo Sie den langen Weg hierher zu mir sich nicht scheuten, um mich zu finden, jaja also, ich bin derjenige, ich bin DIEjenige, derdie die monumentalen hochauflösenden Werbefotos von Fleisch, Salat und Brot für Norma/Rodi gemacht hat, mit denen die seinerzeit Auftragenden ihre Schaufenster nun allwerblich zuklebend ausstatten.“

Alles, die ganze wunderbare Welt, trägt jetzt fast unvermittelt und wie auf ein Kommando aus dem Hinterhalt sehr farbige Turnschuhe zum Bauch. Oder den Beinen, durch die man hindurchpusten kann. Sogar diejenigen, die schon Rente beziehen. Überhaupt Grundfarben. Auch Unterwäsche jetzt in strengem Gelb. Oder lustigem Nurblau, ouvert. Ich verweigere das Thema. Auch meinen kürzlichen Halbwunsch nach silbernen Turnschuhen muss ich nun züchtigend überdenken.

Mir ist eine weitere erotische Geschäftsidee. Diesmal hochpreisig und ggf. paartherapeutisch mit Esprit. Ein sehr wertvolles Großmöbel wäre das, überaus speziell. Baltischer Ahorn, geölt von wissenden Händen. Einen Schreiner hätte ich schon, wenn jetzt noch der Vertrieb klappt, dann bin ich ein Gemachter.

Wie der Schreiner kanns keiner. Der Organist gestern in der Kirche war ein Spaßvogel. Ich mag keine Organisten, die Spaßvögel sind, wenn sie arbeiten, während ihr Instrument kaum fünf Meter neben mir hängt, nicht jedoch sie, weil sie zwanzig Meter unterhalb den Tisch bedienen und dabei an ihre Freundin oder an Pizza denken. Alles wurde angebissen und aber die Birnen nicht zu Ende gegessen bis zum Gehäuse.

Die Gesamtmaschine, ich muss sie herunterfahren. Dabei ist sie doch vergleichsweise ohnehin so klein. Das Zeug weg, Gebilde weg, das Auto weg, das Benzin, der Diesel, die Asche, das Sammeln, die Notizen. Die Bäusche der Infrastruktur abschmecken und die Zungen zergehen lassen. Und zwar mit allen Anhängseln.

DANN werde ich auf meiner Vespa 200 mit schmalem Lederrucksack, Stahlhelm und Skibrille auf die immer entlegeneren Baustellen fahren und im Zelt am Fleckenrand auf einer Gemeindewiese neben Streuobst schlafen, welches schon lange keiner mehr erntet. In evangelischen Gegenden würde ich abends gelegentlich in der Wirtschaft mit der womöglich alleinstehenden Pfarrerin flirten, nur, damit ich WOMÖGLICH alle drei Tage im Pfarrhause morgens duschen darf im Tausch gegen eine kleine Zeichnung auf dem Bierdeckel einer ländlichen Privatbrauerei des jeweiligen Vorabends mit sinnstiftenden Motiven und dazu vielleicht dem ein oder anderen Busen dargestellt darauf mit SPD-Kugelschreiber oder ein anderes liebevoll graphisch umgesetztes Geschlechtsteil, angedeutet oder konkret bei Gewitter (mit Fürbitte).

Diese bemalten Deckel werde ich dann später alle zurückkaufen.

Und würde dabei Schwierigkeiten haben, die jeweiligen Adressen, Namen und Provinienzen wiederzufinden, was mir allerdings zu guter Letzt sicherlich gelingen würde. Dank der Köchin.

Wer eigentlich und wieso hatte einem dieses ICH einst zugemutet? Unter einem Himmel, der mal weiter und breiter wurde und dann wieder sich zusammenzog, wie es doch versprochen ward am Beginn aller gedachten Anfänge. Kleiner und überschaubarer, im Wissen und in der Erkenntnis IMMER zunehmend, zunehmend. Wer war das. Der schon wusste: Die alte Dame, die geht. Die Kirschkern, die beginnt, zu leben.

Es ist so ein Hormonwetter. Und dazu auch noch so plötzlich.

agip

tgbch.; italiener und spanier mit nebenstehend einheimischem unterhalten sich in englisch, neben mir, neben mir ein bier, lauter kunstschaffende, eine eröffnung ist das, sie unterhalten sich über das berliner blau und den zeitpunkt der erfindung in berlin, ich schalte – was ich sonst nie tue – mich ein, grätsche freundlich mitteilsam dazwischen und erkläre, dass es ein wettlauf war zwischen berlin und paris meines wissens, ein künstliches blau erstmals herzustellen, irgendwann anfang des 18.jhs und dass beide chemiker beinahe zeitgleich es gefunden haben, das rezept (miloriblau), und dass es deshalb, dieses blau, auch pariser blau heisst, neben preußischblau und berlinerblau. dass es aber nur drinnen angewendet werden konnte, weil es nicht kalkecht ist, suche nach dem verdammten englischen wort für kalk, es fällt mir ums verrecken nicht ein und der typ neben mir – eher ein bildhauerisch arbeitender, wie er vorher auf die freundliche frage des einheimischen geantwortet hatte und dass er gerade nicht reden wolle über sein werk, maniriert etwas, er sei „so erschöpft“ – schaut mich genervt an, zumindest bilde ich mir das ein, genervt über meine besserwisserei, dabei war es doch nur auskunftsfreude in einem mir gut bekannten terrain. aber die anderen danken artig, wirklich eine nette episode, ich sage immer „chalk“, aber das heisst doch kreide, schließlich, schon auf dem weg hinab vom berg fällts mir ein – „lime“, das ist es, fand ich immer schon komisch, denn leim heisst doch „glue“, das ist ein sprachkreisverkehr, ein komischer. und so weiter. und erst mitte des 19.jhs erfindet BASF near of mannheim, also „in the south of frankfurt“ das synthetische ultramarin, woraufhin alle alles an der wand und im aussenbereich erstmal blau streichen, so toll war das. dass das plötzlich erschwinglich nicht nur für die könige und die kirche war. die einzige zeichnung, die ich hätte kaufen wollen bei dieser ausstellung, ist diejenige, die plötzlich verkauft ist. auch recht, geld gespart, welches ohnehin nicht anwesend.

immer wieder diese blau-geschichte.

heute eine jungsche gesehen auf der strasse, die sich die haare grau gefärbt hatte. mein erstes mal, sowas zu sehen. muss gefärbt gewesen sein. ein paar schritte später hauen mich zwei studentinnen an, sie würden kunst studieren und hätten jetzt so ein project, dass sie passanten ansprechen, um jene um etwas, einen mitgeführten gegenstand oder ähnliches mitsamt dessen geschichte zu bitten. ich gab ihnen meine notstreichhölzer, ein bedrucktes zündholzheftchen von AGIP aus dem jahr 1974, damals waren die alte dame und ich mit einer tante im alten peugeot durch italien gefahren bis hinunter in den golf von neapel. die beiden waren beeindruckt und bedankten sich sehr. mir hat das auch freude gemacht, man muss ja auch weiterreichen die dinge, die schöneren.