bohren

bohren

also gut. man sollte nicht nach einem neunzehn-stunden-tag und drei bier und zwo wein noch nachts sexfotos posten und „lockerbie“ darüberschreiben, in der hoffnung, dass das künstlerische daran auch jeder kapiert. so ein blog ist ja eben doch kein atelier, jedenfalls fast nicht. die strafe war ein nie erlebtes kopfweh und übergeben (kotzen) am vormittag. ich bin ja eigentlich kein kotz-typ (hrhr…), das letzte mal liegt ungefähr ungelogene fünfundzwanzig jahre zurück, aber vielleicht wars ja auch mal wieder zeit für so was. / immerhin die tage nicht spannungsarm. mit dem kollegen auf wanderschaft im oberfränkischen, wo es galt, die baugeschichte eines wohn- und stallhauses zu klären, und obgleich das häuschen als nichts besonderes im neunzehnten errichtet, also für unsereinen ja quasi ein neubau, zauberten wir eine seltene bauinschrift hervor, im kuhstall vor hundertsiebzig jahren mit dem finger in den lehm der decke gedrückt, der die viecher warm halten sollte. mit dem kollegen bereitet derlei detektivarbeit eine menge an spaß und heimfahrend beschworen wir uns gegenseitig, dass selbst ein geknackter jackpot uns nicht von ebendieser oft vehement feinstaubenden arbeit abhalten könne. und man lernt ja nie aus, denn zwischen einem ‚türstock‘ oder einer ‚türzarge‘ befindet sich das ‚türfutter‘ und zum raum hin dann ggf. eine profilierte ‚türbekleidung‘, deren beschreibung denn auch für den ‚begleitenden‘ franken sprachlich probleme bereitete. ansonsten dort keine fundstücke, kein gold im keller (dafür einen brunnen), keine pornohefte unter der abgehängten decke, keine reste lebendig eingemauerter katzen, kein jüdisches ritualbad im schuppen und keine verbuddelten nazi-insignien unter bodenbrettern (auch keine handgranaten). / und dann der lieblingskirche in die innereien gekrochen. eine spiegelung ins innerste der romanischen turmfundamente, und das bereits um acht uhr morgens. so viel spannung erträgt kein mensch. und alles nur, weil in der westlichen krypta eine sauna herrscht, eine sauna, die den apostolischen pinseleien am kryptischen gewölbe seit jahren das überleben streitet. der heilige sebald war tot und sein letzter wille war es, dass dort eine kapelle errichtet werden solle, wo die ochsen am sargkarren stehen bleiben, blieben, geblieben. sie blieben und dort steht seither. die spezialstuccateure hatten horizontal vier meter tiefe löcher gebohrt, in welche sich eine kamera begeben sollte um dinge zu sehen, welche normalerseits niemals eines menschen zu angesicht werden können. hohlräume? vermauerte treppen? wasser? anwesend also die dombaumeisterin, der typ vom rohrreinigungsnotdienst („HALT DEIN ROHR SAUBER! familienbetrieb seit dreißig jahren!“), schneck und kollege. entspannend gleich zu beginn die trockene bemerkung des kollegen, das sei „hier ja wie bei einer darmspiegelung, haha!“. man möchte in der tat nicht wissen, wie viel an scheiße die spezialkamera tatsächlich schon gesehen hat, gestern jedenfalls muss es ein abwechslungsreicher tag für sie gewesen sein, von dem sie ihren spezialkamera-kolleginnen noch lange wird berichten können. eine bohrung also in den arsch der romanik, aber leider schon wieder keine hohlräume mit silbermünzen. zu sehen war nichts besonderes, wenn man davon absieht, das es aus meiner sicht etwas besonderes ist, einen vier meter tiefen einblick in eintausend jahre altes mauerwerk zu erhalten, einfach so. / hernach noch am weltgericht nachgereinigt. im november bei nebel ist außenarbeit immer etwas besonderes. man denkt beispielsweise an wärmendes kaminfeuer, an sex oder aber auch an lockerbie. der hauptverdächtige, der in schottland hinter gittern seine zeit verbringt, er hat jetzt krebs und soll den rest seiner haft vielleicht in lybien verbringen dürfen. ich habe diese nachricht nicht weiterverfolgt. mir ist dagegen cindy eingefallen, die ich flüchtig in einem einsamen haus an der ostküste der vereinigten staaten kennenlernte. ihr mann saß einst in jener maschine. wozu also noch sexfotos posten und „lockerbie“ darüberschreiben.

3 Gedanken zu „bohren“

  1. Warum eigentlich hat bisher Keiner etwas zu diesem Text gesagt ?
    Sind doch nicht alle Ihrer Leser so sprunghaft wie ich und so scheinbar (nur scheinbar!) treulos in ihren Besuchen !?
    Mich berührt alles daran. „Bohrungen in den Arsch der Romantik“ – mon Dieu!
    Schon deswegen müsste jemand doch etwas gesagt haben.
    Ich musste an Thomas Bernhard denken, beim Lesen. Es erinnerte mich an Ereignisse und an seinen Stil überhaupt. Zunächst.
    Dann habe ich überlegt, welche Sexfotos Sie wohl gepostet hatten, und wo überhaupt der Eintrag mit der Überschrift „Lockerbie“ wohl gelandet sein mag.
    Gelöscht ? Ausradiert ?
    Es ist schwierig, Assoziationen zu schaffen, ganz ohne Bilder, nähere Beschreibungen dazu gibt es auch keine, vielleicht könnte man aus den Bildern etwas heraushören, etwas, das beide „Ereignisse“ verbindet oder sonst irgendwie in Beziehung setzt.
    Der Künstler könnte ein wenig helfen, beim Sehen und Erkennen, manchmal ist die Fremdsicht besonders spannend und aufschlußreich. Also kotzen Sie sich bitte aus, Schneck, erzählen Sie nicht nur, daß es Ihnen hinterher schlecht ging, das reicht nicht – oder hat es Ihnen schon gereicht ?
    Beim Nachlesen über den Anschlag bin ich auf *Dark Elegy* gestossen, eine Arbeit der Bildhauerin Susan Lowenstein, deren Sohn Passagier des Fluges PA 103 war. „Die Arbeit besteht aus 43 Statuen nackter Frauen: Ehefrauen und Müttern, die ihr Kind oder ihren Ehemann verloren“ heißt es in der Beschreibung.
    Hatten Sie sich darauf bezogen ?

    Den BBC-Bericht v. 21.Oktober über den Gesundheitszustand des Attentäters habe ich jetzt auch gelesen und überlege, ob ein langsamer Tod etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat und was ein
    ein „Akt der Menschlichkeit“ ist.

    Mehr weiß ich nicht.
    Aber wenig ist es nicht, was Ihr Blogeintrag bewirkt hat.
    Jedenfalls bei mir.

  2. REPLY:
    liebe frau cara, das „lockerbie“ hat sich wieder verschlossen, ebenso wie das pornografische bildchen. es wird irgendwann wieder auftauchen, und sei es in einer zeichnung. ich bin ein durch und durch philanthrop eingestellter mensch, obgleich ich mir oft mehr hass und arroganz herbeiwünsche. insofern gehören sämtliche äußerungen menschlicher höhen und tiefen letztlich ins große herz meines welt- und menschenbildes. humor hält mich am leben und stellt mir gleichermaßen seine beine in den weg. und – ich schrieb ja schon einmal darüber – ich befinde mich derzeit in einer situation, in der ich erstmals in meinem leben einige dinge ganz und gar nicht mehr verstehen kann, was nicht schlimm wäre, wäre es nicht so schlimm und könnte ich einzig für mich alleine handeln und entscheiden. dadurch bin ich immer wieder mit recht extremen stimmungen konfrontiert, die an die grenzen meiner rationalen, ja sogar emotionalen fähigkeiten der einordnung ebendieser gehen. ohne übertreibung könnte ich behaupten, dass es jemanden gibt, der ohne weiteres billigend meinen ‚tod‘ in kauf nehmen würde. will sagen, einen solchen angriff hatte ich so noch nie. und nun geht es darum, nicht dasselbe zu tun. das ist ungemein schwer. ich bin im sandkasten und im wald aufgewachsen. im sandkasten und im wald gibt es eine ‚moral‘, eine ‚fairness‘, ’spielregeln‘, ’sportsgeist‘ und ein gespür für gut und böse. man könnte auch ‚anstand‘ oder ‚kinderstube‘ dazu sagen. alle diese dinge sind ausgehebelt, aber ich rechne immer noch damit, dass sie mir entgegengebracht werden. dies nicht mehr zu tun und mich dennoch an diese prinzipien zu halten, das scheint eine meiner aufgaben, vielleicht gehe ich endlich restlos erwachsen daraus hervor. / so also könnte es sie verwundern, wie manchesmal sprunghaft meine beiträge sich hier gestalten. nein, mir geht es nicht mehr „schlecht“, wie vor einem jahr. mir geht es vielleicht manchmal nicht gut, wenn ich wieder die unschuldige frontscheibe meines kfz angeschrien habe mit verwünschungen gegenüber dem arschkalten herz auf dem rückweg vom schulweg, das in seiner negation alles schönen und frohen möglichst vieles mit hinein in seinen linksdrehenden strudel ziehen will, in einen abgrund ohnegleichen. wahrscheinlich auch deshalb war es neulich einmal wieder zeit, sich zu übergeben. vielleicht verwundert auch manchmal meine berichterstattung über den kirschkern, allzu ausführlich, allzu liebevoll. was soll jemand denken, der drei kinder zuhause sitzen hat? nein, ich will damit nicht neuväterlich kokettieren, sondern dies entspricht dem tatsächlichen verhältnis zur tochter, die ich von anfang an intensiv begleitet habe und die ich mit diesem strudel jetzt umso mehr nicht im alltag alleine lassen will. früher bin ich oft einfach weitergeritten. dass das jetzt nicht geht, entspricht nicht meinem selbstbild, und das scheint wohl auch so eine aufgabe zu sein. / wir sind ja alle erwachsen. also schreiben wir alle über geld, liebe, krankheit, autos, religion, sex, die steuer, schicksal, hunde, ausbildung, essen und ggf. kinder. die einen mehr dies, die anderen mehr jenes, dritte über alles. leben eben, teuer und billig, groß und meistens anstrengend schön. meine künstlerische arbeit bewegt sich jenseits dieses blogs. allerdings vermischen sich die dinge manchmal, was mir zunehmend gefällt. derzeit mag ich es, mich mit diesen kleinen filmen über die dingwelt zu beschäftigen. es gibt auch aus vor-digitalen zeiten einiges an filmmaterial, aber das studium der gebrauchsanleitung meiner fotocamera sowie abendliches probieren am filmschnittprogramm meines computers öffnen neue wege. ich mochte es schon immer basic, einfach und klar, bin ja zeichner, nicht maler. / ich möchte auf keinen fall ins kotzen verfallen. martyrium lehne ich ab. hingegen möchte ich schreiben, schildern und verleiten. für große und laute provokationen sind andere geschaffen. / großen dank für ihren kommentar! herzlich, ihr schneck

  3. „Wohltat“ weil : das ist doch der Schneck, wie man , also ich jetzt, ihn verehrt.
    Danke, danke vielmals für Ihre Antwort !

    Ich bin so froh und dankbar über ernsthafte Dialoge, oder auch Megaloge – gerne alles, was etwas zu bedeuten hat.
    Damit ich etwas mitnehmen kann, deshalb lese ich, etwas, das mich trifft, weil es mich be-trifft, in welcher Form auch immer.
    Man muß ja nicht immer kommentieren, was einem gefällt, man kann auch schweigend betroffen sein, erfreut oder geschockt oder schmerzlich getroffen – egal.
    Manchmal lese ich in Blogs Kommentare, die mich nerven, weil sie so nichtssagend sind, so beliebig, daß sie problemlos unter einem anderen Text stehen könnten, gleichermaßen „unwirksam“, unverbindlich , austauschbar.
    Das mag ich nicht, das vertreibt mich oft.

    Ich habe auch nicht immer den Mut, so radikal und so offen zu sein, wie Sie das grade sind.
    Man macht sich auch angreifbar und verletzbar mit der Schonungslosigkeit.
    Aber das ist allemal besser als das oberflächliche Spiel, besser als eine Endloskomödie, in der einem das Lachen irgendwann auch vergeht, weil immer wieder die gleichen „Gags“ auftauchen, längst bekannte Szenen, immer die gleichen Protagonisten, nur gelegentlich in anderer Besetzung.
    Da tut sich doch nichts! Da wird alles und Jeder austauschbar – und wer sollte das denn wollen, auf die Dauer und überhaupt ?

    Also bitte, lieber Schneck, seien Sie weiter radikal , schonungslos, provozieren Sie das Volk, damit sich etwas bewegt !
    Ich verlasse mich auf Sie, so wie wie ich mich überhaupt darauf verlasse, daß die Künstler und die Kunst an sich noch etwas bewegen kann, auf diesem Weg. Nur so.

    Ich habe auch manchmal Heimweh nach den Wäldern. Sogar dann, wenn ich dort bin, oder besonders dann. Man möchte oft zurück, in die Stille oder in die Leichtigkeit oder back to the roots.
    Manchmal funktioniert es – für ein Weilchen, aber dann muß man wieder weiter.
    “ The woods are lovely, dark and deep, but I have promises to keep and miles to go, before I sleep, and miles to go, before I sleep.“

    Der gute Robert Frost. Den mag ich ja auch.
    Und jetzt gehe ich und höre Apocalyptica und denke über „Reflections“ nach und Spiegelbilder .

    Epilogue(Relief) ist schön. Kennen Sie das ?
    http://songza.com/z/71m8nq

    Herzliche Grüsse,
    Ihre Cara

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