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anniversaire/editverona

Jetzt also Tübingen auch coronesk, einen Tag später. Gestern noch spottete ich über „Göppingen“. Und „Verona“ reimt sich, wie „Sacco“ und „Monaco“. Das nun betroffene Klinikum befindet sich kaum drei Kilometer vom Waldrand entfernt. Es ist nicht so, dass ich bei solchen Sachen in Panik oder Hudelei verfallen würde. Eher mache ich Witze (noch). Und wie man als Beteiligter der Gattung Mensch denken kann, man sei gefeit immerdar vor einer ja ebenfalls gottgegebenen Natur außerhalb des Menschen, die ja auch nicht schläft in ihrem Fortkommen, nicht? In diesem Falle sind es eben Viren, die gerade ihr Internet entdecken, und nicht Ameisen, Eichhörnchen oder Seegurken. Und es hat für mich auch durchaus (noch) einen Hauch von Exotik und Auserwähltheit, mir vorzustellen, dass sich 3000 Meter entfernt diese kleinen neuen Dingerchen, die so aussehen wie Tennisbälle mit Stehhilfen rundherum, irgendwo befinden. Wer weiß schon, was die Winde so tragen, außer Feinstaub. Im Bild sehen die eigentlich ganz süß aus, wie Kinderspielzeug oder Demokratie-Therapiebälle. Die erwähnten Kliniken heißen übrigens „Crona“-Kliniken. Klingt wie Corona, lustig. Ausgerechnet ein Oberarzt der Pathologie ist nun infiziert. Ich las dazu heute irgendwo sinngem., daß „für Patienten der Pathologie keine Gefahr bestehe, da das Personal der Pathologie keinerlei Kontakt zu Patienten dort habe“. Auch witzig – meines Wissens werden in die Pathologie nur bereits Verstorbene eingeliefert. Aber was sag ich, ich kenne mich doch nicht aus. Mir fällt eher ein, dass die alte Dame seinerzeit bei der letzten oder vorletzten Epidemie, ich glaube, es war die Vogelgrippe, einige Packungen von „Tamiflu“ anschaffte und diese im Speisekeller hortete. „Für die engste Familie“, wenn es schlimm und apokalyptisch werden würde. Sie war ja Kriegsgeneration und rechnete ohnehin immer mit dem Schlimmsten. Ich muss nachschauen, ob es dieses Kontingent noch gibt. Vielleicht kann man das ja bald auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Grippe ist Grippe. Oder tauschen gegen Zucker, Butter oder Zigarretten, unten in der Stadt am Neckar, während der täglichen zwei Stunden ohne Ausgangssperre. Sie hatte mich auch regelmäßig alle ca. zwei Jahre gefragt, ob ich denn wisse, wie man notfalls „zu Fuß in die Schweiz“ käme. Alles wertvolles Wissen. Vielleicht kaufe ich nun übermorgen 24 Liter haltbare Milch, 2 Containerchen Zucker mit Packungen á 500gr und ein paar Dosen Corned Beef aus Argentinien. /Früher konnte man am Blinddarm sterben, das war normal. Heute käme dies einem Drama gleich. Das ist auch gut so. (Ich wäre nebenbei fast noch am Blinddarm gestorben.) Und natürlich ist da das Gefühl einer unbestimmten Bedrohung. Auch bei mir. Und in Gedanken an meine Lieben und Andere. Einfach deshalb, weil es neu ist. Sehr undemütig fast sind diese Nachrichten, „es bräuche noch mindestens 6 Monate, bis ein Impfstoff verfügbar ist“. Diese unsere Gewissheit der Beherrschbarkeit der Dinge, die einstürmen, ggf. nun auch auf uns. Und nicht nur auf die Seegurken. Lange Zeit war es ja fast nur noch ein Meteoriteneinschlag, der „Gott“ (o.ä., wie Zufall, Chaos etc.) verständlich symbolisieren konnte. Oder nun vielleicht noch seit einiger Zeit die Folgen eines unbestimmten, menschlich nur mit großer Ratio greifbaren, Klimawandels. Andere Dimensionen gänzlich, als die üblich menschlichen. Und nun aber plötzlich so ein mikroskopisch kleines Bällchen, was sich unsere Gewohnheiten und Errungenschaften zu Nutze macht. Dazu in einer Geschwindigkeit, die wir kapieren können. Denn es ist unsere eigene. Mitsamt seiner oft schon „vermenschlichten“ Cleverness. Und damit unberechenbaren, auch recht kapitalistischen, Brutalität. Wir reagieren wohl auch so aufmerksam und beinahe fasziniert darauf, weil wir uns selbst darin – in diesem kleinen Bällchen, welches uns ggf. den Tod bringen kann – überaus gespiegelt sehen.

Jetzt also nur noch in die Ellenbeuge husten anstatt die Hand. Muss ich neu lernen, bin anders geprägt. Und keine Hand mehr geben, bin ich auch anders geprägt. Und für übermorgen fehlt noch in nicht handelsüblichen Mengen: Klopapier, Kartoffeln, Schnaps, Schneckenkorn. Wünsche allen Betroffenen schnelle Genesung. Und in die Schweiz laufen sowieso no problem, auf dem Weg kann man getrost in die Landschaft husten.

anniversaire

Anniversaire

gestern abend hergefahren in die region, heute morgen richtung bamberg mit dem kollegen, bamberg ist eine schöne stadt, da sollte man mal mit zeit hinfahren. in einem vorort das zu untersuchende haus, erbaut um 1602, das zeigen die holzbohrungen, die schon vor zwei jahren ausgewertet wurden und eine in sandstein gehauene datierung im keller. fränkische tanne, gefällt im winter, vor johannis, wars nicht so? nirgendwo schnee, das haus und seine räume und geschichten recht geradlinig und wenig verunklärt durch allzuviele spätere zutaten. fast schon leichteres spiel. im obergeschoss, das (heute) nur über eine leiter zu erreichen ist, sind alle räume in ursprünglicher aufteilung erhalten. dort zwei stuben noch mit balken-/bohlen-decke, diese bauzeitlich. beide räume, wie im EG, beheizbar von einer kleinen küche aus. die kaminstellung aus erbauungszeit, heutiger kamin 20. Jh. im fussboden OG sieht man noch die umrisse der alten esse des EG. im OG fast alle lehmfelder der bauzeit erhalten, diese waren stets unverputzt. überall ein rautenmuster mit werkzeug oder fingern in den lehm eingedrückt. auffällig, dass kleinere belichtungen im OG meist erst später in einfacher form in die fassaden gebrochen wurden, ein hinweis darauf, dass es sich bei den räumen im OG wohl überwiegend um lagerräume handelte. die frage wäre nun, ob sich über archivalien die nutzung des gebäudes ggf. herauslesen ließe. seltsam, insgesamt wenig wohnraum. alles ziemlich karg. dekorationen mit schablonenmustern wohl erst ab dem frühen 19. Jh, also die phase um 1830 (dendrochronologisch gebohrt im hinten an das gebäude anschließende rückgebäude, stallerweiterung). später tapeten, badeinbau ca. frühe 1980er jahre, bodenfliesen hell, 1980er jahre. wandabbrüche im 20. jh, aufmauerung recht amateurhaft mit hohlziegeln. südlicher raum ursprünglich stall, massive sandsteinquader. „versteinerung“ der fassade zur straße und angrenzend west/süd mit ziegelmauerwerk, eckquaderungen massiv sandstein im EG, im OG mit mörtel nachempfunden, alles ca. 1830er bauphase. /so könnts alles sein. insgesamt mal wieder fast eine „drecksbude“, aber ganz gute AURA im gebäude. im EG wirklich fürchterlich, die schnellen renovierungen aus den frühen 1970ern und den 1980er jahren. elektrik kreuz und quer, gottlob alles abgeklemmt, denn wenn man da reinhaut, dann sollte kein strom mehr drauf sein. fenster frühe 1970er, vgl. griffe, von „griff-oliven“ keine rede. die planung sieht vor, 4 wohnungen einzubauen, laut plänen auch denkmalpflegerisch richtig wunderbar – nur 2 kleine wände/wandstellung sollen verändert werden. ggf. noch fenster. so solls sein. denn insgesamt ist sehr umfangreich historischer bestand erhalten. alles kaschieren und dann ist’s gut. /rückfahrt gegen 17.30 uhr, kollege lässt mich raus an der BURG. abendessen mit kleiner gulaschsuppe und energiemüttern rechts einen tisch weiter, dazu brot und büro nebenher. 300m heimweg, altstadt, vorbei an dem schönen antiquariat wie immer, angekommen ein paar fotos von vor einem jahr ansehen, am sterbebett, heut vor einem jahr ist die alte dame gestorben. Um 19.05 Uhr. /jetzt noch gläschen wein und dann ist ramasan.

Und Frau Mullah simst vorhin: „Schneck, bleib in Bayern, das erste Corona i. Baden-Württemberg – in Göppingen.“

(PS: ausgerechnet Göppingen!)

22.2.2019

Heute, am 22.2. vor einem Jahr, habe ich das allerletzte Mal mit meiner Mutter Worte gesprochen. Sie lag da, recht wach und entspannt und auf der linken Körperseite und sie meinte beinahe keck und lächelnd zu mir über die Bettschranke hinweg, wie ein Kind fast, dazu versöhnend und mich tröstend: „Muss ich jetzt sterben?

15.01.2020

Fragment

Mit dem Feinputz entlang der Ränder die großen Fehlstellen geschlossen. Die vergangenen zwei Tage ebendies bewerkstelligt an den Spicklöchern, die in den historischen Malputz mit einem Beil eingeschlagen wurden vor der Überputzung wohl gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum Zwecke der besseren Haftung ebendieser auf dem Altbestand. Die Malereien vermutlich aus dem letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts als Wanddekoration eines kleineren Raumes im zweiten OG mit Blick auf den Kirchplatz, vielleicht ein Bibliothekzimmerchen und/oder ein Studiolo. Landschaftsszenen mit Apfel- oder Kirschbaum, sehr graphisch angelegt. Man muss zügig arbeiten, da der Putz schnell seine Feuchtigkeit in den Grund und Unterputz abgibt, also „anzieht“ und damit fester wird. Das Nacharbeiten und Modellieren wird dann schwieriger. Eine duchaus bildhauerische Tätigkeit, die viel Konzentration erfordert. Zunächst, nach dem Antragen des Materials mit Kelle und Stuckiereisen, mit einem kleinen geeigneten Holzstückchen das Abreiben der Oberfläche, sodann mit einem harten und sehr kleinporigen nassen Schwämmchen das behutsame Glätten der Oberfläche in Feinarbeit. Fertig und noch in nassem Zustand sieht das dann immer sehr „lecker“ aus, finde ich. Wie ein wunderbarer italienischer Nachtisch.

g c a d

Baumwiese im Winter

G – C – A – D, seit sehr langer Zeit mal wieder am Klavier gesessen und darüber ein bisschen improvisiert und geklimpert, ich, in der blauen Stunde, es ist ein Hoffmann Piano von 1969, weiss lackiert, alt vertraut. Der Hall im Hause nun ein ganz anderer Klangraum, weil nicht mehr so viel herumliegt hier, bis hinauf in die Dachspitzen und der Kunststeinboden klingt wie tiefgefrorenes Eis, die Töne haben eine sonderbare Schärfe und winterliche Klarheit, draußen ist’s kalt ohne Schnee, leider immer noch.

Heute Dreikönig, die Rauhnächte sind vorbei. Dieser wohltuende Stillstand zwischen den Jahren scheint mir stets gottverordnet. Man soll ja auch keine Wäsche waschen vor dem sechsten Januar, weil sich in den zum Trocknen aufgehängten Hemden, Schlüpfern und Socken etwaige böse Geister fangen könnten. Stattdessen geht man „Stuben“, besucht also reihum Freunde und Nachbarn, um dann die Abende dem Erzählen und allerlei Handarbeiten zu widmen. So sind außerdem abwechselnd das Holz und die Kerzen gespart, heutzutage das Öl und der Strom.

Die Heizung brummt. Und irgendwo hier in den Grundmauern befinden sich Gegenstände, die einst, beim Gießen der Fundamente, von jedem damalig künftigen Bewohner in den nassen Beton gegeben werden mussten. So hatte es mein Vater offenbar bestimmt. Es sollten geliebte Sachen sein, ein ‚Opfer‘ sozusagen, beschwörend die Zukunft und das eherne Sein. Auch wir Kinder mussten so etwas beitragen. Ich selbst kann mich nicht erinnern, ich war zu klein. Meinen Bruder allerdings hat es wohl sein Leben lang beschäftigt. Die durchaus innere Kälte dieser Erwartung. Die Härte des Vaters zu sich selbst, die er von allen anderen ebenso eingeforderte. Selbst von den Jüngsten. Es war wohl sein Lieblingsspielzeug gewesen.

Die Gartenvögel lassen die Hälfte vom gemischten Vogelfutter im Häuschen liegen. Alle Sonnenblumenkerne sind weg, aber der ganze Rest ist noch da. Ich denk‘ mir also, so schlimm kann’s nicht sein mit dem Hunger. Aber wer weiss schon um die Gründe der Vögel. Ich würde auch lieber erfrieren, bevor ich Heuschrecken oder Sushi esse. Viel Rauhreif auf den Stengeln und Büschlein, es ist eine Freude, da hinzuschauen. Wenn die Sonne ins Haus scheint und wärmt, erwachen ein paar lebenserfahrene Fliegen. Um spätnachmittags gleich wieder einzudösen.

Hätte mein Vater länger gelebt, es hätte sicherlich Riesenkräche mit ihm gegeben. Zwischen ihm und mir. Wegen Geschichte, Politik, Militär und allem möglichen Anderem. Er hat aber nicht länger gelebt, daher hat es auch diese Kräche nicht gegeben. Verstanden hingegen hätten wir uns sicherlich bezüglich der Herstellung von künstlerischen Bildwerken. Das war immer sein Fenster gewesen. So wie es meines ist.

Mein schönstes Weihnachtsgeschenk übrigens: Eine Sense. Endlich!

Uebergangshelfer

Wuergeengel

Ich hatte ja irgendwie nie diese eine sichtbare skulptural-reliefartige Super-Ader, da am Bizeps. Auf die die Frauen so stehen. Weder links noch rechts. Wie zum Beispiel, wenn männliche Bedienungen im T-Shirt und besten Alter schwere Tabletts mit angewinkeltem Arm tragen. Habe zwar auch Bizeps und oft auch jede Menge schwere Sachen zu tragen, kein Problem für mich, aber jene Ader war und ist nie so richtig zu sehen. Oder ich seh‘ sie einfach nicht, weil ich nicht die ganze Zeit auf meine Bizepse achte.

Die Krähen denken bestimmt nicht darüber nach, geschweige würden sie es sogar bedauern, warum sie angeblich nicht so intelligent seien, wie Menschen. Auch Igel nicht, noch Spatzen, noch Käuzchen. Nur Menschen denken sich sowas.

Mit den Fingerspitzen der rechten Hand, mit der ich mit einem Spezialschwamm nass die Putzränder der frisch angebrachten Mörtelergänzungen nacharbeite, könnte ich nach einer halben Woche bereits Holz schmirgeln, so rauh und aufgebrochen sind sie vom ätzenden Kalk. Ich unterschätze das immer wieder auf’s Neue. Bebanthen Heilsalbe hilft, ich habe immer ein kleines Tübchen dabei. Noch besser wäre es, einen Handschuh anzuziehen. Aber das ist eben so, alles immer, und wird wohl so auch bleiben, bis ich mich verrente oder abberufen werde.

Die Kirschkern bedankt sich bei mir für die Gene, bezüglich ihrer eher kleineren Körpergröße. Ich entgegne reichlich empört, „Das hast Du natürlich von Mama!“, da ich ja ein nordischer Hüne (mit geädertem Bizeps) bin. / Ein schönes, warmes und lustiges Telefonat. So ein ‚Vater-Telefonat‘, eines jener.

Bahram und Salman haben beide ihre vor einem Jahr begonnene Ausbildung abgebrochen. Bahram besucht nun weiter die Schule, mit dem Ziel des Realschulabschlusses. Salman will endlich selbstständig sein, er hat freiwillig die Jugendhilfe verlassen und arbeitet mit einem, derzeit noch, befristeten Arbeitsvertrag als Lagerist im Baustoffhandel.

(…)

Neulich habe ich gelesen, dass die Deutschen im Durchschnitt 2.632,00 EUR an Weihnachtsgeld bekommen. Auch ich freue mich natürlich auf mein Weihnachtsgeld, dass ich mir allerdings selber ausbezahlen müsste, da ich ja die Firma, also der Chef, bin. Ich befürchte allerdings, das wird nichts. Ich erinnere mich vage, dass ich während des Zivildienstes Weihnachtsgeld bekam, ebenso zu Zeiten meiner praktischen Ausbildung, damals also ungefähr 200 Mark, soweit ich da richtig liege. Ich müsste mal in den alten Gehaltsnachweisen nachschauen. „Weihnachtsgeld“ ist für mich die alte BRD. Mitsamt SPD und solidarischen Systemen und so weiter, lange her. Umso erstaunter war ich, dass es auch heute noch ein durchschnittlich so hoher Betrag ist. Meine Empfehlung daher für Empfänger eines 13./14. Monatsgehaltes: Kaufen Sie Originale, zum Beispiel und am besten von: mir.

Zwei neue Winterreifen gestern, und sie haben beim Montieren auch entdeckt, dass die Bremsen komplett runter sind. „Sollen wir das machen?“ Ja, was soll man machen. Irgendwo muss das Weihnachtsgeld ja hin.

Während des Richtens und Machens wollte ich, wenn ich schon so früh durch die morgentliche Stadt laufe, bei der Krankenkasse nach den Möglichkeiten einer kleinen Kur, einem Kürchen also, für Selbstständige fragen. Die Krankenkasse macht aber erst um neun Uhr auf. Also habe ich einen Kaffee hier getrunken. Und mich an alte Zeiten erinnert, an Hohlstunden und Altgriechisch-Noten. Und Gespräche über Leben, Kunst, Frauen und den nächsten Kaffee.

Und die sturmfreie Bude, während die alte Dame zur Kur war und ich mit Britta in der lauwarmen Badewanne saß, in die ausversehen der Aschenbecher gefallen war.

Bald ist nun Ewigkeitssonntag. Im Gottesdienst wird dann aller im Jahr Verstorbenen gedacht. Also auch der alten Dame. Und damit natürlich irgendwie auch ihrem Mann, meinem Papa. Der mit den großen expressiven Aquarellen. Zwischenrein muss ich aber auch immer mal wieder achtgeben, mich nicht von der alten Dame zu sehr mit ins Reich der Belange der Toten ziehen zu lassen. Gerade im November. Da muss man schwer aufpassen.

Im Atelier-Nord gewesen, ebenda in der komischen Oper gewesen, bei Nosbüsch und Stucke gewesen. Das war schön. Und auch mal wieder im Würgeengel gewesen, mit Frau Mullah. Ist nicht mehr so wie früher hier in der Bar. Leider. Vielleicht liegt es an mir, an uns. Es war immer eine so schöne zeitlose Insel, drumrum der jeweilige und oft belanglose Mainstream. Vor 23 bzw. 26 Jahren verbrachten wir, ein skulpturaler Kollege und ich, in Cowboystiefelettchen fast jeden zweiten Abend dort und sinnierten am Tresen über Leben, Kunst, Frauen und das nächste Bier.

Wir benannten unsere gemeinsamen künstlerischen Vorhaben fortan als DAS DEUTSCHE HANDWERK.

Fast schon eine Liebeserklärung.

Noch eine Liebeserklärung.

Der Chef der Rohbauer ist, einige Zeit nach jenem Unfall am Wiedervereinigungsfeiertag, nun doch überraschend und tragisch verstorben. Eigentlich ging es ihm wohl schon besser und er sollte zu seiner Frau in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Zehn Jahre jünger als ich. Auf der Baustelle hängen Zeitungsausschnitte mit Nachrufen und eine große weiße Kerze steht davor, die manchmal brennt, weil sie irgendeiner heimlich angezündet hat. Ein paar Beileidsbekundungen sind gekritzelt. Aber der schöne Bernd lacht jetzt nicht mehr.

Ein kleiner Text und eine Collage sind im „Jahrbuch der Erotik“ veröffentlicht worden. Darüber freue ich mich. Ist der Verlag doch immerhin im nahen Kreisstädtchen ansässig. „Mein heimliches Auge“, eine ganz wunderbar sündige Buchreihe, und das nun schon über so viele Jahre.

Die Blätter dieses Jahres lass ich wie immer liegen auf dem einstmaligen Rasen. Gute Nacht, ihr Insekten, bis nächstes Jahr. Im Kompost, betonummantelt, noch Asseln, die sich freuen über altes Brot und Eierschalen. Spinnen auch, die freuen sich dann über die vollgefressenen Asseln. Rauhreif auf Stengeln und Ruten, jetzt auch wieder Eiskratzen und Vögelfüttern und bald dann wohl schon wieder Schneeschippen.

Engel seien theologisch „Übergangshelfer“, erklärte mir Frau Mullah. Insofern wäre dann ein Würgeengel ein „würgender Übergangshelfer“.

Na gut, mir soll’s recht sein.

Und ein zeichnender Freund und Kollege, übrigens einer der besten Zeichner der Welt, schrieb mir: „Wieso gibt es nur sowas wie Psyche? Ohne wäre vieles einfacher. Das meiste, was da bei einem im Kopf passiert, führt doch zu nichts.“