Der N sagt immer „Muschi“, es gibt da wohl eine e- und i- und o- und u-Verschiebung im Farsi. „Ich jetz gehe zu Muschi…“, und ich nehm ihn beiseite und erkläre unter Männern, große Augen wir beide und …uiuiui. Dann kommt Bus und er fährt zur Moschee zum Fastenbrechen ab Halbzehn.
„Ich liebe“ und „ich lebe“. Auch so ein Ding öfters.
Die Köchin ist nun ja die „Frau Mullah“. Überhaupt auch vieleviele Sprechen über Politik und Religion und Sitten und Gebräuche. Der N sagt, vor 40 Jahren Afghanistan war eine normale Land, verstehst Du? So wie… hier, fast, Europa. /Man könnte ja noch vieleviele mehr kleine Geschichten erzählen und eigentlich immer ein bisschen auch mal rumheulen, als Synonym fürs Bewegtsein, (dann später alleine), die Frau Mullah und ich, über so viel subjektiviertes Schicksal im Hause und objektivierte Weltpolitik außerhaus, aber das mit dem mal bisschen Mitweinen muss man sich schleunigst abgewöhnen, schon geschehen.
(…)
„ich kann dir immer so schön von rechts schräg hinter dir durch deinen armausschnitt (im sommer) in dein dekolltee von schräghinten reinschauen, dann wirds ganz warm so überall und mein verliebter klitzekleiner wettbewerb ist es dann, vielleicht einen moment lang etwas mehr zu erhaschen, oder auch nicht, man weiss es nicht, das ist immer aufs neue ein so schönes kleines schwanzorientiertes alltagsgeschehnis.“
oder Mundart: „Ach, Deine Moschee, die ist so schee.“
Beim Brechen denk ich immer ans Brechen, aber was will man schon brechen, wenn man den ganzen Tag nüscht gegessen? Sie sind so jung und sie müssen so viel Geduld haben gerade bei gleichzeitig so viel Ungewissheit, wie alles Sein weitergeht, in eigentlich einem Lebensalter einer unverflochtenen Ungestühmtheit. Und so viele Pläne und Vorstellungen und Träume für besseres Leben und daheim die verbliebenen oder aktiv verstorbenen Lieben. Wie sie es schaffen, eine Nervosität über so viele Ungewissheiten wegzustecken und dennoch den Alltag mit allem Neuen zu meistern. Das bewundere ich, sehr. Neue Sprache, neue Schrift, neue Sitten, neue Regeln, alles ist neu, jeden Tag, seit Monaten. Was zählt, das ist allein der Glaube an so etwas wie milde fragende und tragende Zukunft.
Der N kokettiert nach wie vor mit „Zahnarzt“, B lacht etwas verschämt und gesamtreflektiert (sowie selbstreflektiert) über seine Zukunft als „Baggerfahrer“. Alles ein einziger großer Resilienzcontest. Und wir, wir werden nicht müde zu beschwören: Jungs, alles wird gut.
Wird es auch.
(…)
Draussen pfiepen die Amseln trunken vom Sex nachts um halbvier, ich mich freue über meine neuen Weisswandreifen an der knallroten Vespa und falle sinkend gleicherzeit ins Bett fremdhändisch reflektiert neben ebenso knallrot lackierten Fingerspitzen, es gibt eine Vorfreude auf eine Reise und James Joyce, auf eine Mullahhochzeit in Muschi (kufar) am Waldrand und so weiter und Nachtzüge im Mondschein mit seufzenden Amseln.
/und zuletzt nebenbei mehr als sehr schön, als zeichen einer derzeit fast schon altmodisch anmutenden völkerfreundschaft, dass der italienische chef des nicht ganz unedlen restaurants des geburtstagsmenues der frau mullah am heutigen abend, als er völlig eigenverantwortlich realisierte, ohne dass dies vorher thema gewesen wäre, dass die beiden Buben aus afghanistan geflohen seien, der gesamtrechnung einfach mal so zehn euro weltsolidarisch nachgelassen hat, und dies, ohne dass darüber größeres werbliches aufhebens oder erwähnung gemacht worden wäre. einfach so mit augenzwinkern.
da und das sind sie, die kleinen großen kleinen dinge.
Mal wieder so ein schöner Text. Schon der Titel.
Das Weinen muss man sich wahrscheinlich wirklich abgewöhnen, aber gerührt darf man sein, ob all der guten Dinge und der Tapferkeit und der Liebe.
Ja, es ist jede Menge los am Waldrand… *smile mit hochgezogenen Augenbrauen* – und Dank, Frau Tikerscherk ; )