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Renault Kangoo

atelier + foto / Gasometer Schöneberg, November 2006 und 16.11.2024, zudem „vacances“, (Serie „express“), 17.10.2024, 21x13cm, Aquarell/Collage auf Buchkarton, zudem 200.000km
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…und mannigfach immer, wenn wir heimkehrten mit dem Kfz und uns nach schon langer Fahrt von allen abenteuerlich besuchten Weltgegenden her – endlich! – zurück auf der Berliner Stadtautobahn befanden, dann galt es, in ersehnter Erwartung unserer baldigen Ankunft zu Hause, der kleinen Kirschkern im Schalensitz auf der Rückbank zuzusingen:

Ma-nno-me-ter,
Schwar-zer-Peter…,
Ga-so-me-ter?:
Ja, DA STEHT er!

Eine helle Freude war es jedesmal, für allesamt im Automobil!

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kursiv: …am vergangenen Samstag habe ich die ehemalige Nachbarschaft einmal wieder erlaufen. Da ja auch die architektonischen Zeiten selten stillstehen, wie alles andere an Zeit ja meist auch, habe ich geknipst, auch den geliebten Gasometer. Mittlerweile sind offenbar Büros eingebaut worden. Wie ich das denkmalpflegerisch empfinden soll, das weiss ich nicht. D.h., ich weiss es. // Im ehem. Wohnhause gleich um die Ecke des Gasometers ist vor zwei Wochen ein Jugendlicher zu Tode gekommen, am nahen Fernbahnhof zwischen ICE und Bahnsteigkante. Es ist so tragisch und ich mag mir das alles gar nicht vorstellen. Die Meldung war auch in der Presse zu lesen. Im Hausflur, neben den Briefkästen, ist ein Foto von ihm zu sehen, viele frische Blumen stehen davor. Er wurde nur 16 Jahre alt. Es ist schrecklich. // Geliebte ehemalige Nachbarn erzählen Neuigkeiten: Ein stets verlässlicher Designer aus dem Quergebäude, den ich liebgewonnen habe über die damaligen Jahre, so hörte ich, lebte offenbar wohl jahrelang gleichzeitig in zwei Parallelfamilien, womöglich sämtlich Beteiligten überkreuz verschwiegen und unbekannt. Ich war beeindruckt ob dieser Geschichte. Vielleicht werde ich ihn irgendwann einmal dazu befragen, gewiss nicht von moralischer Leiter herab, sondern wenn schon, dann von interessierter Seite her. // In meinem ehemaligen Atelier wird vielleicht demnächst ein Afrika-Laden eröffnen. Ich stelle mir vor: Haar-Ergänzungen, bunt und eingeflochten und solche Dinge. Vorher wurden dort vom kanadischen Besitzer Perlen zum Selbermachen von Ketten angeboten. Der Besitzer selbst ist seiner weggelaufenenen Frau, die witzigerweise den selben Vornahmen hat, wie die ehemalige Frau von mir, hinterhergezogen nach Bayern, um den Kindern näher zu sein. Auch das kommt mir irgendwie bekannt vor. Alle zwei Wochen ungefähr käme er mal heim nach Berlin. Man munkelt, sie sei zusammen mit den Kindern jetzt wohnhaft im Zusammenhang mit einer Sekte oder Freikirche. Es sind alles wilde Geschichten. // Und gegenüber das „J“ der Jansenbar, wie immer, das gefällt mir. Auch das Weihnachtssingen zu Heiligabend, im Hof vom Nachbarhaus mit H. und Jean-J., das gibt es wohl noch. Auch das freut mich. Ich glaube, sollte ich jemals zurück nach Berlin ziehen müssen oder wollen, dann wollte ich keine andere Gegend als ebendiese mir abermals vorstellen und wünschen. (…)

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Mit Frau Gaga, ihrer charmanten Begleitung L.G. und vielen Anderen, auch meinem alten lieben Freund JAK, einen wunderschönen Abend während und nach der Eröffnung der ANONYMEN ZEICHNER*INNEN im Kunstraum Kreuzberg Bethanien erleben dürfen mit vielen Altbekannten, das habe ich. Endlich auch einmal Holm Friebe persönlich kennengelernt, nachdem er im Frühjahr ein Emaille-Schild von mir angekauft hatte (merci nochmals!), via SMS und in Dollars, dankenswert vermittelt von der wunderbaren Alexandra Erlhoff. Zuletzt dann im Goldenen Hahn am Heinrichplatz, wo im Minutentakt meist weibliche Gäste von den Barhockern fielen, ohne sich ernsthaft zu verletzen (was wundersam war), ebendort einige Absacker im fließend zunehmenden Rausche und danach mit C.R. über den Kottbusser Damm nach Hause gelaufen, sehr nächtlich. Dabei weitere unglaubliche Geschichten des geschehenen Lebens vernommen während des Fahradschiebens und Erzählens entlang der üblichen Routen propalästinensischer Demonstrationen. Alles konnte ich fließen und rauschen lassen, auch weil ich wusste, dass ich gegen 4.30 Uhr morgens kurz vor dem Hermannplatze nach links abbiegen werden würde können, um bei meiner Lieblingsschwägerin La N. mir eines so herzlich und geduldig wohlwollenden Quartiers sicher sein zu können. Es waren für mich 3 sehr wichtige Tage von der Herzgegend her. Außerdem riss ich auf der Rückfahrt südlich von Würzburg die 200.000er Marke, Danke für die Kilometer, lieber Kangoo-Diesel!

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das gras am waldrand ist jetzt 10cm hoch, sämtliches laub ist liegengelassen, so viel ist es eigentlich gar nicht, alles bestens also fürs überwintern von bla-bla divers, salamandern und insekten und gekreuchs. ich wünsche mir eine kleine STIHL-elektro-kettensäge zum geburtstag oder zu weihnachten, das habe ich jetzt so beschlossen, falls mich jemand fragt. bis märz muss einiges endlich einmal eingeschnitten und massakriert werden. // seit heute gibt es eine video-gegensprechanlage am waldrand. habe der alten dame im himmel berichtet und auch gleich ihr grab mit reisig winterlich abgedeckt, bald ist ja totensonntag, neudeutsch ewigkeitssonntag. ich finde „totensonntag“ schöner, und klarer. auch die „panikbeleuchtung“, so nannte es der elektriker, ist nun funktionsfähig. wenn in der nacht die diebe kommen, dann knipst man den schalter und rings ums haus gehen strahler an und schlagen die diebe in die flucht. so einfach ist das.

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UND: Johnny hat sich gestern endlich, nach 1 Woche banger Funkstille, fernmündlich bei Frau Mullah gemeldet. Er ist gottlob wohlbehalten in Hamburg angekommen. Seinen Mobilfunk hätten die Elbgrenzer ihm abgenommen. Nach einem Flug ohne Personalien und mit Backschisch von Monaco aus. Das funktioniert, weil es viele täglich pendelnde prekäre Tagelöhner von Monaco aus nach Hamburg gibt. Er berichtet ferner, die Armut in Hamburg habe erschreckend zugenommen, seitdem die Evangelikalen dort die Macht übernommen haben. Möge ihm alles gut von der Hand gehen.

Roadmovie

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Johnny ist auf dem Weg zurück nach Hamburg. Die eigene Faust in der Tasche. Er wollte, dass sie ihn endlich abschieben, aber Abschiebungen nach Hamburg sind gerade nicht erlaubt, politikseits. Eine Mehrfachironie, prosaisch schon fast, wollte man ein Epos der weltumfassenden Jetztzeit mitsamt Entwicklungsroman schreiben. Also ist er nun alleine los, wie immer im schwarzen Anzug und hellblauem Hemd, sein Markenzeichen, manchmal Krawatte und in der rechten Hand eine schwarze ausgebeulte Aktentasche. Es war im Juni, da hatte er es über Barcelona versucht, aber aus dem Flixbus nach Tanger oder Casablanca holten sie ihn heraus und schickten ihn zurück. Ein paar Wochen später waren es ungarische südliche Grenzer, die ihn heimbefahlen. Dazu muss man wissen, Johnny hat keine Papiere außer einer Duldung im Schwäbischen und einem Abschiebebescheid. Den gekauften Personalausweis hätte ihm seine hanseatische Familie eigentlich schon längst zukommen lassen sollen. Immerhin versprechen die schwäbischen Behörden ja auch ein Rückkehrergeld, zum Neustart in Hamburg.

Nun und gerade ist er in Serbien, also in Nicht-EU. Wie ihm das gelungen ist, das weiß ich nicht. Von dort will er weiter nach Dänemark, also hinein in ein abermals EU-Land reisen, um dann ggf. einen nächtlichen und wenig legalen Grenzübertritt über die Elbe nach Hamburg zu wagen. Frau Mullah und ich wälzen alte Diercke-Schulatlanten über Grenzverläufe. In Erdkunde war ich immer ganz gut: Schon in Zeiten, als es niemanden interessierte, kannte ich den Namen der Hauptstadt Albaniens, nämlich Tirana. Man könnte da heutzutage eigentlich unbedingt mal hinfahren.

Frau Zeeb-Häberle aus dem Nachbardorf hatte noch angeboten, ihn halbkonspirativ im Auto über Luxembourg und Andorra (alles EU) bis an die Hamburger Grenze zu fahren. Getarnt als „Nordsee-Urlaub, Amrum“. Ich hatte dringend abgeraten aufgrund den neuerlichen auch innereuropäischen Kontrollen. Nicht, dass eine solche Tat noch als Schlüpfer-Aktivität geahndet würde. Es kennt sich auch eigentlich keiner mehr so richtig aus mit dem gesetzlichen Migrantentum, hin oder her, vor oder zurück, von oben nach unten oder unten nach oben oder von arm nach reich und zurück. Frau Zeeb-Häberle schlug dann zusammen mit ihrem Mann (Herrn Häberle) vor, sie beide könnten doch im Fond sitzen und bei Grenzübertritten müsse Johnny dann eben im Kofferraum liegen. Aber man stelle sich nur kontrollseits vor: Guten Tag, öffnen Sie doch bitte mal den Kofferraum… an der Deutsch-Luxembourgischen Grenze. Und da läge dann grinsend – und Johnny würde gewiss grinsen in einer solchen Situation! – ein Anzugmann mit einer Dose Cola-Jack-Daniels in rechter Hand und seiner Geschichte im Kunstlederbeutel um die Hüfte.

Gestern Abend konnte ich mal wieder weinen um ihn, Johnny. Zusammen mit Frau Mullah, die sich sehr für ihn eingesetzt hat in den vergangenen 2 Jahren, anders als ich. Ich konnte irgendwann nicht mehr kommunizieren mit ihm, da alles an und von ihm eine minütlich sich ändernde ERZÄHLUNG seinerselbst war. Erfunden und oft Lüge, man konnte nie wissen. Oder wahr? Dagegen Frau Mullah, sie war auf Ämtern, bei Gerichtsterminen, Anhörungen, Krankenkassen, Jobcentern, Vermietern und vieles mehr. Schützendes Sichvorihnstellen. Bitterlich, ich wunderte mich selbst, wieviel Wasser sich da gestaut hatte in meinem Unvermögen und Groll.

/Er ist ein DESPERADO im wahren Sinn des Wortes. Hilflos, väterlich? Pflegeväterlich? Viel eigene Lebenzeit und sehr schönes Erleben sind da in und mit Johnnys Geschichte im Pfarrhaus, zusammen mit Bahram und Frau Mullah und der Kirschkern. Ich habe ihn einfach blöderweise liebgewonnen, auch wenn ich seit vielen Monaten schon nichts mehr reden konnte mit ihm. Er wuchs mir ans Herz, auch wenn ich das verschieben wollte. Einmal Herz, immer Herz.

Weil er so viel gänzlich unlogische Scheisse gebaut hat, dazu am vielfach laufenden Band. Und weil er ein notorischer Lügner ist. Traue nie einem Hamburger! Ich wünsche ihm aber sowieso, trotz allem Mist, alles Glück auf seinem Weg zurück nach – vielleicht endlich – HH. Ein stolpernd banales hypermeta-psychologisches Aquarell mit Collage habe ich dann noch angefertigt gestern, Wind & wuthering to BAQI. Wer soll das vestehen, eine super private Banal-Mythologie, dazu emotional. Ich hoffe einfach, dass er es diesmal schafft, diese endgültige Hamburgreise. Und sollte das gelingen, dann wünsche ich ihm ebensoviel Glück für die Zeit danach, an der Elbe und Außenalster. Man kann ja nichtniemals vor sich selber flüchten und wie gerne würde ich ihn, Johnny, nach vielleicht aller meiner verbliebenen Lebenszeit gerne als Greis, auf der Reeperbahn mit Rollator zufällig einst treffen und einfach in den Arm nehmen. Oder er dann vielleicht mich? Man ist irgendwann verbunden, ob man es will oder nicht. Auch als vormals Pflegevater. Und das ist schon gut so. Weil es eben einfach so ist.

Herr Merz, Herr Lindner, Frau Faeser.

Good Luck NOW, Johnny! Und Belgien liegt links von Belarus und oberhalb von Lybien, ganz weit rechts dann irgendwo Dubai, Kabul oder Istanbul. Unterhalb Afrika, nördlich weiter links davon: Hamburg am Meer.

Und erzähl endlich keinen Mist mehr, Johnny.

/(tbc.)

/Frau Mullah et Consorten