Weltgedächtnis

Grau d Agde
Grau d Agde2
Grau d Agde3
La Mer nuit
Passeur Mimi
La Plage Tamarissiere
Literature
Wölkchen, Grau d Agde
Schiff wie ich

JA, die wärme zieht sich zurück, aber noch nicht ganz, nur es ist eben nun in der luft und deren feuchtigkeit und dem licht, der herbst abends, und die tage werden unmerklich kürzer, nicht ganz, aber eben doch eine prise, erstaunlich, dass das immer noch so funktioniert, bei all der veränderung in den irdenen lufträumen und der seit jahrmillionen im nichts herumeiernden kugel, damit also der erdNEIGUNG schuldig, und wieviel kleinigkeiten ein zehntelsgrad bewirkt, wie stabil aber im grunde das alles doch immer noch ist, die bauernregeln funktionieren meist noch, die pflanzen spüren genau, wann schicht ist und die viecher ebenso mitsamt den menschen und was jetzt ansteht und alle zu tun haben vor dem rauhreif, dann später. viele libellen jetzt, sie fliegen auch ins atelier mit getöse und dann irgendwann finden sie aber gottlob wieder hinaus, manchmal zeig ich ihnen den weg, ich bin ein libellenflüsterer.

diese erdkugel: als habe sie jemand beim elfmeter ganz geschickt mit außenrist angeschlenzt, damit sie unhaltbar ins obere eck flattert. nur eben ohne schwerkraft. sowas kann wohl nur gott im luftleeren raum vollbracht haben. wo man doch kugeln auch ganz normal drehen kann, ohne eiern. so kam’s dann zu winter und sommer, nur die auf dem äquator haben das nachsehen, das ganze jahr fast alles gleich und um sechs geht die sonne unter binnen zehn minuten.

zwei todesfälle, hochaltrig, gleichwohl stets traurig, in jüngster zeit. anlässlich derer: was passiert eigentlich mit den verstorbenen dementen im reich gottes? sind diese dann dort auch immer noch dement oder tun sie so, wie sie vorher einmal waren? wie muss ich mir das vorstellen, sollte ich nun, noch undement, versterben? mit wem könnte ich mich unterhalten? wahrscheinlich würde ich altenpfleger im RG, in den kaffeepausen würde ich dann konversation machen mit jüngeren verstorbenen. kann man sich im RG eigentlich verlieben? ich weiss, das sind alles irdische dinge, wahrscheinlich schaut man den ganzen tag hinab auf die erde oder hinein ins gleißende licht, während die dimension zeit nichtig und unfühlbar werden wird. das wäre ja schon mal nicht ganz untoll.

in südfrankreich gewesen. dort am strand, tags, nachts, barfuß. endlich einmal NICHTS getan. außer aufwachen, bummeln, baden im mittelmeer, in dünen herumliegen und lesen und schauen, nichtstun, zu mittag schlafen und abends am marktplatz des kleinen fleckens einen PICHÉE weissweins mit eiswürfeln getrunken im LA PLANCHA, vorher pastis. ebendort mit vielen anderen der sardinale beigewohnt, der ganze platz ist bestuhlt und alle essen frisch gegrillte sardinen (außer mir, wegen der gräten) und danach tanzen alle auf dem platz, ein wirbelndes schönes allerlei, mittenmang WIR, das war wunderschön. die alternden franzosen haben sich fast alle ihren lebensabschnittsmäßigen stolz bewahrt, auch in der bekleiderung, das ist anders als bei uns. bei uns verschwinden die älteren oder die jungen oft an gemeinsamen orten, nicht so dort. es ist viel mehr solidarität zu spüren, auch zwischen den lebensaltern, ob maghreb oder schwarz und weiss, ob reich oder arm. auch die preise. selbst am premiumort kostet der cafe eins-fünfzig. und der halbe liter weisswein sechs. das machen die gastronomen bei uns falsch. jeder MUSS sich an sozialen orten ein verweilen leisten können. alles andere spaltet und verwirft nachhaltiger, als es einem lieb sein kann.

und spätabends dann mit frau mullah auf der kleinen terrasse der BLEIBE im hafenmischgebiet sitzend die nachtwölkchen und die sterne anschauen. alte große pinien ums haus, abgestellte boote, hütten und container, wohnwägen und ruhe. und sich überlegen, ob denn alles so richtig ist zuhause. es ist.

morgens dann wecken einen die lachmöwen dort. die gibt es in süddeutschland nicht. DORT aber gibt es kein käuzchen. was soll man machen.

BLUTBUCH und SCHOSSGEBETE gelesen, endlich zeit dafür. eigene welten, andere welten, sinnlich und ehrlich, wie es mir ja sehr gefällt, teils voller abgrund und immer aber auch dem lebendigen zugewandt. gerade auch wegen des steten abgrundes. und angesichts des sinnlichen. da ist sehr viel licht in diesen büchern, auch wenn es anders scheint, wie viel meinen und meinten. das mag ich sehr. so gerne würde ich auch dinge und sachen aufschreiben, die sind, wie sie sind und waren: voller offenheit, abgrundtiefer ehrlichkeit und zuletzt liebe und zugewandtheit.

im gästehaus fernab im mittelfränkischen vorgestern, die abende allein in der ferne sind so lang, habe ich mir übers TV einmal wieder aktenzeichen XY angesehen. wie früher mit eduard zimmermann in SW, ich schon im schlafanzug auf dem schaukelstuhl mit salzstangen, auf dem sofa liegend die alte dame, die damals noch jünger als ich jetzt. nachgestellte szenen. spannend, mordfälle, 40 jahre her, bei greifswald DDR. oder einem hessischen angler ist aufgefallen, dass im diesjetzigen frühjahr seltsamerweise ein paar rote haare am köder zum vorschein kamen, mithin von einer vermissten prekären toten aus 2022, um weihnachten herum bereits vermisst, wohl wurde sie ermordet und im fluss versenkt, eine mittdreißigerin. warum weiß keiner. stelle mir sogleich vor düstere dinge am heimischen waldrand, aber es gelingt mir nicht. darüber bin ich froh, daß es mir nicht gelingt, dort ist die welt noch einigermaßen in ordnung, aber wer weiß das schon.

als in feinen beobachtungen geschult und erfahrener bildender künstler und restaurator indes könnte ich ggf. SENIORmäßig zu allen möglichen aufklärungen schlimmer geschehener dinge beitragen. empathie, penible beobachtungsgabe, moral und scharfsinn mitsamt leidlichen lebenserfahrungen (incl. psycho) führten über nunmehr dreißig jahre zur entschlüsselung mannigfach höchstkomplizierter baugeschichten, allumfassend sezessierende klärungen gehören ja seit langem zu meinem tagesgeschäft. vormachen kann man mir nichts mehr! vielleicht sollte ich mich mal ehrenamtlich zur verfügung stellen für diese dinge. verbrecher jagen, die meinen, sie seien schlau, das wollte ich schon immer.

greif mir noch schnell mal zwischen die beine, weltgedächtnis. wie schön war das. es ist. Schiff wie ich. und ich weiß nichts, was es ist nichts.