Uebergangshelfer

Wuergeengel

Ich hatte ja irgendwie nie diese eine sichtbare skulptural-reliefartige Super-Ader, da am Bizeps. Auf die die Frauen so stehen. Weder links noch rechts. Wie zum Beispiel, wenn männliche Bedienungen im T-Shirt und besten Alter schwere Tabletts mit angewinkeltem Arm tragen. Habe zwar auch Bizeps und oft auch jede Menge schwere Sachen zu tragen, kein Problem für mich, aber jene Ader war und ist nie so richtig zu sehen. Oder ich seh‘ sie einfach nicht, weil ich nicht die ganze Zeit auf meine Bizepse achte.

Die Krähen denken bestimmt nicht darüber nach, geschweige würden sie es sogar bedauern, warum sie angeblich nicht so intelligent seien, wie Menschen. Auch Igel nicht, noch Spatzen, noch Käuzchen. Nur Menschen denken sich sowas.

Mit den Fingerspitzen der rechten Hand, mit der ich mit einem Spezialschwamm nass die Putzränder der frisch angebrachten Mörtelergänzungen nacharbeite, könnte ich nach einer halben Woche bereits Holz schmirgeln, so rauh und aufgebrochen sind sie vom ätzenden Kalk. Ich unterschätze das immer wieder auf’s Neue. Bebanthen Heilsalbe hilft, ich habe immer ein kleines Tübchen dabei. Noch besser wäre es, einen Handschuh anzuziehen. Aber das ist eben so, alles immer, und wird wohl so auch bleiben, bis ich mich verrente oder abberufen werde.

Die Kirschkern bedankt sich bei mir für die Gene, bezüglich ihrer eher kleineren Körpergröße. Ich entgegne reichlich empört, „Das hast Du natürlich von Mama!“, da ich ja ein nordischer Hüne (mit geädertem Bizeps) bin. / Ein schönes, warmes und lustiges Telefonat. So ein ‚Vater-Telefonat‘, eines jener.

Bahram und Salman haben beide ihre vor einem Jahr begonnene Ausbildung abgebrochen. Bahram besucht nun weiter die Schule, mit dem Ziel des Realschulabschlusses. Salman will endlich selbstständig sein, er hat freiwillig die Jugendhilfe verlassen und arbeitet mit einem, derzeit noch, befristeten Arbeitsvertrag als Lagerist im Baustoffhandel.

(…)

Neulich habe ich gelesen, dass die Deutschen im Durchschnitt 2.632,00 EUR an Weihnachtsgeld bekommen. Auch ich freue mich natürlich auf mein Weihnachtsgeld, dass ich mir allerdings selber ausbezahlen müsste, da ich ja die Firma, also der Chef, bin. Ich befürchte allerdings, das wird nichts. Ich erinnere mich vage, dass ich während des Zivildienstes Weihnachtsgeld bekam, ebenso zu Zeiten meiner praktischen Ausbildung, damals also ungefähr 200 Mark, soweit ich da richtig liege. Ich müsste mal in den alten Gehaltsnachweisen nachschauen. „Weihnachtsgeld“ ist für mich die alte BRD. Mitsamt SPD und solidarischen Systemen und so weiter, lange her. Umso erstaunter war ich, dass es auch heute noch ein durchschnittlich so hoher Betrag ist. Meine Empfehlung daher für Empfänger eines 13./14. Monatsgehaltes: Kaufen Sie Originale, zum Beispiel und am besten von: mir.

Zwei neue Winterreifen gestern, und sie haben beim Montieren auch entdeckt, dass die Bremsen komplett runter sind. „Sollen wir das machen?“ Ja, was soll man machen. Irgendwo muss das Weihnachtsgeld ja hin.

Während des Richtens und Machens wollte ich, wenn ich schon so früh durch die morgentliche Stadt laufe, bei der Krankenkasse nach den Möglichkeiten einer kleinen Kur, einem Kürchen also, für Selbstständige fragen. Die Krankenkasse macht aber erst um neun Uhr auf. Also habe ich einen Kaffee hier getrunken. Und mich an alte Zeiten erinnert, an Hohlstunden und Altgriechisch-Noten. Und Gespräche über Leben, Kunst, Frauen und den nächsten Kaffee.

Und die sturmfreie Bude, während die alte Dame zur Kur war und ich mit Britta in der lauwarmen Badewanne saß, in die ausversehen der Aschenbecher gefallen war.

Bald ist nun Ewigkeitssonntag. Im Gottesdienst wird dann aller im Jahr Verstorbenen gedacht. Also auch der alten Dame. Und damit natürlich irgendwie auch ihrem Mann, meinem Papa. Der mit den großen expressiven Aquarellen. Zwischenrein muss ich aber auch immer mal wieder achtgeben, mich nicht von der alten Dame zu sehr mit ins Reich der Belange der Toten ziehen zu lassen. Gerade im November. Da muss man schwer aufpassen.

Im Atelier-Nord gewesen, ebenda in der komischen Oper gewesen, bei Nosbüsch und Stucke gewesen. Das war schön. Und auch mal wieder im Würgeengel gewesen, mit Frau Mullah. Ist nicht mehr so wie früher hier in der Bar. Leider. Vielleicht liegt es an mir, an uns. Es war immer eine so schöne zeitlose Insel, drumrum der jeweilige und oft belanglose Mainstream. Vor 23 bzw. 26 Jahren verbrachten wir, ein skulpturaler Kollege und ich, in Cowboystiefelettchen fast jeden zweiten Abend dort und sinnierten am Tresen über Leben, Kunst, Frauen und das nächste Bier.

Wir benannten unsere gemeinsamen künstlerischen Vorhaben fortan als DAS DEUTSCHE HANDWERK.

Fast schon eine Liebeserklärung.

Noch eine Liebeserklärung.

Der Chef der Rohbauer ist, einige Zeit nach jenem Unfall am Wiedervereinigungsfeiertag, nun doch überraschend und tragisch verstorben. Eigentlich ging es ihm wohl schon besser und er sollte zu seiner Frau in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Zehn Jahre jünger als ich. Auf der Baustelle hängen Zeitungsausschnitte mit Nachrufen und eine große weiße Kerze steht davor, die manchmal brennt, weil sie irgendeiner heimlich angezündet hat. Ein paar Beileidsbekundungen sind gekritzelt. Aber der schöne Bernd lacht jetzt nicht mehr.

Ein kleiner Text und eine Collage sind im „Jahrbuch der Erotik“ veröffentlicht worden. Darüber freue ich mich. Ist der Verlag doch immerhin im nahen Kreisstädtchen ansässig. „Mein heimliches Auge“, eine ganz wunderbar sündige Buchreihe, und das nun schon über so viele Jahre.

Die Blätter dieses Jahres lass ich wie immer liegen auf dem einstmaligen Rasen. Gute Nacht, ihr Insekten, bis nächstes Jahr. Im Kompost, betonummantelt, noch Asseln, die sich freuen über altes Brot und Eierschalen. Spinnen auch, die freuen sich dann über die vollgefressenen Asseln. Rauhreif auf Stengeln und Ruten, jetzt auch wieder Eiskratzen und Vögelfüttern und bald dann wohl schon wieder Schneeschippen.

Engel seien theologisch „Übergangshelfer“, erklärte mir Frau Mullah. Insofern wäre dann ein Würgeengel ein „würgender Übergangshelfer“.

Na gut, mir soll’s recht sein.

Und ein zeichnender Freund und Kollege, übrigens einer der besten Zeichner der Welt, schrieb mir: „Wieso gibt es nur sowas wie Psyche? Ohne wäre vieles einfacher. Das meiste, was da bei einem im Kopf passiert, führt doch zu nichts.“

2 Gedanken zu „Uebergangshelfer“

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