kirschkernklasse

Die Haut der alten Hand ist wieder in Ordnung. Erstaunlich immer wieder, wie schnell Körper sich selbst zu heilen vermögen. Die Katze des Todes streicht durch den Garten, vor mir hat sie immer noch Angst.

Ein Elternabend in der Tortursiedlung. Ich bin das erste Mal hingefahren, es ist ja alles nicht so einfach. Die Klasse hat ein schönes Problem, sie findet sich in Gemeinschaft, ein großes Thema jetzt, äußerst filigran. Solidarität, aber auch zivile und andere Couragen. Was bedeutet, dass diejenigen, die Flaschen aus dem ersten Stock auf den Schulhof warfen, nicht verraten werden. Das gefällt mir. Andererseits aber backen dann ausgerechnet diejenigen, die gewiss nicht zu den Flaschenwerfern gehörten, dem Hausmeister zur großen kollektiven Entschuldigung einen sühnenden Kuchen. So sind die Verhältnisse.

Ich habe der Kirschkern in einem altmodisch-handschriftlichen Brief alles Mögliche dazu geschrieben, auch aber zuletzt besänftigend, dass sich dieses Thema durchs Leben weiterreicht, ohne jemals irgendwann kollektiv oder altersweise superwesentlich zu reifen. Es ist wie im Sandkasten auf dem Spielplatz am ersten Tage damals, wo diejenigen, die mit Sand nicht müde wurden zu werfen, gedeckelt werden mussten durchs Aufbegehren der Masse der Beworfenen. Es kann nicht sein, das einige wenige über Allgemeinwohlheiten poltern in Selbstsucht und den Hebel der Nichtpetzerei, eines vermeintlichen Verrats, für ihre Zwecke allzu geschickt sich angewöhnen einzuföderalisieren. Nichts neues zwar, aber großes Thema in der verschworenen Klassengemeinschaft.

Habe auch dazugeschrieben, dass sie es den armen Lehrern doch nicht allzu schwer machen sollten. Die haben nette Lehrer.

Aber auch die Tatsache, dass es Menschen gibt, auch Lehrer – also Erwachsene, von denen man es als Kind bisher stets gewohnt war, dass sie einen meist bedingungslos lieben – die man mag, die aber allein deshalb, weil man selbst sie als Kind mag, nicht zwangsläufig daher einen selbst auch mögen, müssen. Das ist schon ein größerer Knoten, eine große Aufgabe, im Verständnis mit dreizehn. Irgendwann festzustellen, dass Erwachsene offenbar aufhören, zu jeder Zeit Kinder oder junge Jugendliche zu lieben. Jedenfalls bedingungslos, das meint ohne Bedingungen.

Hiesse, groß werden bedeutete das Aufkommen von Bedingungen, vor allem in der Liebe.

Schön ist, dass sie, die Klasse, es bisher geschafft hat, einerseits als nicht unschwierig zu gelten, andererseits sich durch ein kollektives „Sein“ die Sympathie der Lehrer – bisher noch – zu erhalten. So, wie die Kirschkern mir dies alles immer erzählt, scheint dies ein ganz spezielles und sehr rebellisch feinsinniges Alleinstellungsmerkmal zu sein. Zu werden? Ich denke mal, das spüren sie, die Klassenkinder, ohne es bislang wirklich deuten zu können. Und auch das gefällt mir.

Wer mag es ihnen außerdem verdenken, in Jetztzeit. Wo die Eltern die Musik der Kinder hören, deren Klamotten tragen, keine noch so jugendliche Schrägheit zur Revolution mehr taugt, vielmehr diese Kreativitäten umgehend von sämtlichen Modemärkten und damit der Elterngeneration aufgesogen werden. Wen wundern angesichts dessen extremisierte und verzweifelte Selbstbestimmungsmechanismen wie Magersüchte, Fettsüchte, sonstige Spezial-Süchte, im Extremfall Nazi, Suizid oder sogar dann Amok. Aber auch das ja nichts neues.

Im gelinden Fall Fleischlosigkeit, Veganität, eine neue Medien- und Mobilitätsablehnung oder Psychologisierung in Bezug auf elterliche Haushaltsmithilfeeinforderungen, wie jüngst in der Nachbarschaft geschehen:

Jugendlicher, genervt: „Nö, ich geh’ jetzt erst mit dem Hund raus, wenn Du mir erklärst, wo Deine Aggression mir gegenüber herkommt!“

Antwort der (in diesem Fall) Mutter: „Ich äußere mich erst dazu, wenn Du ausgezogen bist.“

ein neuer MdL hat mich beglückwünscht, S21 soll jetzt doch, die neue jeans gefällt der köchin (hintern, gesäß), gartenarbeit, artKA mit dem lieblingsphotographen, grisebach – und ich brauche jetzt, nach langer selbstgewählter enthaltsamkeit, wohl doch mal wieder eine gute galerie, das wäre schön. „kommen sie mir nicht mit stil und. Gablenberg.“ und eine richtig gute gartenschere könnte ich auch gebrauchen, anstatt der billigheimer von aldi.



(noch vor zwei Jahren…)

/gebrauchte Harfe?

Ein kleines neues Atelier Süd habe ich mir angemietet, um dort die geruchsintensiveren Farben zu verwenden. Bisher, am Waldrand, mußte ich wohl oder übel in diesen Gerüchen schlafen, wenn auch gut durchlüftet in anderer Raumecke. Was die Quadratmeterfläche des Ausdampfenden aber merklich reduzierte. Das soll wieder anders werden, ich nähere mich mit Riesenschritten meinem Lieblingsformat von 100x120cm (Höhe mal Breite). Dennoch ist mein idealer Atelierzustand noch in Ferne, denn ich arbeite und lebe gerne am gleichen, am selben Ort. Als Nachtaktiver.

Die Kirschkern hat ihren ersten kleinen Schüleraustausch zur Hälfte hinter sich. P aus Strassbourg war für zwei Wochen in der Tortursiedlung zu Besuch. Und ich habe sie nicht einmal kennengelernt.

Es gibt einen Wettbewerb zur künstlerischen Gestaltung eines Denkmals/Mahnmals, einer Erinnerungsstätte, wo vor vier Jahren furchtbares geschah. Nicht weit weg von hier. Ich wollte eigentlich hinfahren, mir die Örtlichkeiten ansehen und dann am Wettbewerb teilnehmen. Nun aber habe ich das fast schon verworfen. Es ist mir wohl unmöglich, dort erinnernde und sehr der Sensibilität der Hinterbliebenen geschuldete Gedanken in ein Denkmal oder eine „Stätte“ zu fassen, die für etwas Unfassbares stehen soll. Und dabei dann noch Rücksicht auf Vandalismus nehmen zu müssen und all die anderen Dinge, die ja immer bei so etwas Öffentlichem und Begehbaren zu beachten sind.

Aber mal sehen, vielleicht fahre ich ja doch noch hin.

In einer Kommunikation mit einem guten Berliner Galeristen stellen wir beide abermals fest, wie klein doch das Zeitfenster fürs Sorichtig-Berühmtwerden ist. Plötzlich, mit 38, war ich nicht mehr „Junger Künstler“, worauf mich damals voller Häme ein stadtbekannter Stuttgarter Kunsthändler hinwies. Den Galeristen geht es ebenso, der Status „junge, hippe Galerie…“ lässt sich nicht endlos dehnen, danach dann steigen die Preise auf Messen ins Unbezahlbare und wenn sie es nicht geschafft haben, ein oder zwei Zugpferde im Programm zu haben, dann war es das im Grunde. Solide und langfristige Arbeit auch jenseits des jeweilig Angesagten gibt es daher nicht oft. Aber das wussten wir ja eigentlich alles schon. Wieso erwähne ich überhaupt. Ich lege also die Füße hoch und freue mich auf mein Alterswerk in ein paar Jahren. Bis dahin mache ich, was mir gefällt und sonst niemandem. Danach dann auch. Herrlich, so jenseits und nachhaltig sein zu dürfen. Ein Privileg, selbsterfüllend.

Der schwedische Kollege, Bildhauer, macht jetzt Messer.

Der alten Dame Hand erholt sich. Die alte Dame der Hand erholt sich. Die Hand der alten Dame erholt sich. Die alte Hand der Dame erholt sich. Und ich nutze wohlgelaunt die Zeit bis zur nächsten Großbaustelle, romanisch. Die Kirschkern wünscht sich eine eigene Harfe zur Konfirmation. Ohjeh. Weiß jemand zufällig um eine Gebrauchte? Mit Pedalen? Auch will sie im Sommer für drei Wochen auf ein Zeltlager nach Kreta. Super! Ohjeh. Jetzt kommt ja die härteste Zeit am Winter. Ich denke an Äthiopien zurück und streue großzügig Salz statt Splitt auf den Gartenweg. Damit ich die alte Dame ungestürzt ins Auto bugsiert bekomme für einen Arztbesuch wegen ihrer Hand morgen früh. Außerdem geht dann das Unkraut kaputt.

Eine Zeit mit kaum Meta, auch schön.

21.2.

langsam mal anfangen, rechteckig zu denken mit Limonade (rechtsdrehend, rechterhand, unwesentlich bunt). links: gottesbeweis in bleistift auf wuschzetteln. nachdenken über kapuzenkittel zu gräulichem stoppelbart, früher rötlich. ein riss in der handhaut wie pergament, darunter konstruierte finger, die steile treppe, die alte dame. schritt um schritt. unverschämte plagiate im umfeld, sich zu nichts zu schade (kunsterzieher). Öl auf MDF zu 60.000 gefahrenen Vitalkilometern, alles retrospektiv. ein Schmutzhorizont, abgespalten, kühl gelegt. eins ist klar: sobald es wärmer werden wird, werde ICH den kapuzenkittel anziehen und wieder mehr Busen zeigen.