Martha

St. Martha, Nürnberg

(St. Martha nach dem Brand)

Was so aussieht, als würde es sich um einen in jeder Hinsicht konstruktiven Wiederaufbau oder Ähnliches handeln, ist leider gegenteilig zu betrachten. Ein Paradoxum das Gerüst, denn es behinderte einerseits die Löscharbeiten, andererseits ist die erst kürzlich begonnene Renovierung der Kirche St. Martha zu Nürnberg vermutlich verantwortlich für deren nunmehr fast komplette Zerstörung, da sich die Brandursache wahrscheinlich und möglicherweise im Baustellenbetrieb, der jüngst begann, finden lassen werden wird.

Oder auch nicht.

Ich bin immer noch erstaunt, wie sehr mich das Geschehen von heute Nacht betroffen macht. Ich schlief selig kaum 1000 Meter entfernt und hatte nichts, gar nichts, vom nächtlichen Aufruhr mitbekommen. Morgens begab ich mich zur Arbeitsstätte, einer ebenfalls ja sehr alten Kirche, und begann zunächst alleine das Tagwerk. Gegen 8.40 Uhr rief der Kollege an und fragte mich, ob ich ihn – wie jeden Morgen – vom Weltgerichtsportal an der Südseite her einlassen könne. Ich begab mich nach unten und ein aufgewühlter Freund kam mir entgegen, der mich sofort ansprach, „ob ich es denn schon mitbekommen habe, das, was heute Nacht geschehen sei.“ „St. Martha ist abgebrannt!“ fuhr er fort und erzählte, wie er in den Morgennachrichten beim Kaffee die Meldung aus dem Radio vernahm, wonach eine alte Kirche in der historischen Nürnberger Altstadt einem verheerenden Feuer zum Opfer gefallen sei. Sofort dachte er natürlich an ‚unsere‘ Kirche, bekam allerdings schon bald durch weitere Worte und Namen entwarnend erlösende Zeichen.

Ich schlug vor, doch einfach hinüber zu gehen. Vor weiteren Spekulationen. Um uns alles anzusehen.

Vielleicht ist es das: Es ist ein anderes Arbeiten in Sakralräumen. Immer wieder bemerke ich das, besser: Es lässt sich meinerseits an mir bemerken. Beihnahe schon abstrakt im Anwurf. Es ist nicht allein so etwas Rationales wie etwa bspw. Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Architekturgeschichte oder ähnliches. Es ist ggf. auch ganz egal, welche Religion man bevorzugt. Es ist Menschengeschichte. Sakralräume sind Menschenräume. Sie wurden für die jeweiligen Seelen, Gedanken, Wünsche, Abgründe oder Hoffnungen von Menschen für Menschen geschaffen. Diese ganzen Verbundenheiten und Zugehörigkeiten, man spürt sie irgendwann, diese Hinterlassenschaften und Anhäufungen, ganz gleich, ob man denn ‚glaubt‘ oder nicht. Ob man das will, oder nicht. Gebete, Gedanken, Verwerfungen oder Widersprüche. Auch Glück. Jede Pore eins solchen Bauwerks erzählt irgendwann eine Geschichte, sofern man Menschen mag. Ein Hot-Spot. Alles bündelte sich und bündelt sich ebendort. Bis heute.

In solchen Räumen ist gut Arbeiten. Für was, wenn nicht dies.

Und gestern nun ist ein solcher Raum, eine über 600 Jahre alte Kirche, die sämtliche Kriege und sogar den letzten fast unverletzt überlebt hat, einfach so abgebrannt. Mitten in der Nacht. In heutigen Zeiten. Trotz einem modernen Brandschutz und einer umfassenden höchstmöglichen Beherrschung aller Grundübel, wie Feuer, Erdbeben oder Statik. Es ist unfassbar.

Was übrig bleibt, das ist im Grunde eine Ruine. Der gotische Dachstuhl von 1380 stürzte irgendwann heute Nacht ins Kircheninnere. Die Orgel ist komplett zerstört, ebenso wie offenbar zwei von drei Glocken. Die Giebelwände stehen nun frei, nicht mehr gehalten durch die Hölzer des Dachstuhls. Sie sind höchst einsturzgefährdet und müssen ggf. abgetragen werden. Es gibt nicht mehr so viele gotische Dachstühle auf der Welt. Das muss man auch wissen. Aber das Andere, das oben Beschriebene eines solchen Ortes, ist vielleicht ungleich wichtiger.

Die Ursache? Natürlich spekulierten wir den ganzen Tag. Es gibt ein paar Ansätze. Fundierte Annahmen, mehr aber sind dies fachliche Erklärungsversuche und das Exzerp aus Beobachtungen und Erfahrungen, wie es ja so viele Erklärungsversuche der Ist- und Dingwelt gibt. Der Mensch, selbst ein Spezialist, muss ja immer erklären und noch vor dem Erklären verstehen. Die Experten, die die Brandursache klären sollen, sie dürfen erst in das Gebäudeinnere hinein, wenn die Einsturzgefahr behoben ist. Ein Drehwurm und Abbild der Ohnmacht, ein bisschen.

Und natürlich haben wir einmal wieder geschworen, jeden Abend nach der Arbeit stets den Hauptstecker der Stromversorgung zu ziehen, obgleich wir das ja sowieso tun. Schon immer.

Hier ein behutsamer Bericht des BR vom Tag danach:
>>> http://www.br.de/nachrichten/mittelfranken/feuer-st-martha-kirche-nuernberg-102.html

7 Gedanken zu „Martha“

  1. „Sakralräume sind Menschenräume“ und so voller Menschengeschichte … so ist es, das haben Sie sehr schön gedacht und geschrieben. Heute morgen stand es auch hier in der Zeitung. Zum Glück nicht „Ihre“ Kirche, aber schlimm genug. Ob sie wieder aufgebaut wird …?

  2. Als ich die Schlagzeile ‚Kirche in Nürnberg …‘ las, hab‘ ich ja ganz schnell nachgeschaut, ob das nicht etwa Ihre ist! Immerhin nicht. Aber schon sehr schade.

    Für Ihrereins, der an derlei so viel gibt, und dies so nahebei, sicher eine schlimme Sache.

  3. Lieber Schneck. Bitte verzeih mir die Unterstellung! Kann es nicht einfach sein, dass Du bei der Arbeit in Sakralbauten einfach ein besseres Gefühl der Sinnhaftigkeit erlebst. Im Allgemeinen bleiben die Bauten ja lange in der Landschaft. Selbst wenn niemand anderer weiß, dass gerade Du eine Restaurierung vorgenommen hast, weißt Du selbst, dass Du einen Abdruck in der Geschichte hinterlassen hast. Letztes Endes kann das (mit Ausnahme der Kinder) eine wesentliche Sinnhaftigkeit des Tuns erzeugen.
    Bei Kunst weißt Du nicht, ob die Leute später einmal deine Werke wirklich schätzen. Es gibt ausgezeichnete Künstler, die in der Geschichte untergehen. Ich kenne da einige Komponisten. Handwerk oder Kunsthandwerk bleibt umso länger stehen, umso „sakraler“ der Bau ist.
    Also ich selbst würde diese Erklärung für mich annehmen, wäre ich so tätig wie Du.

  4. Lieber Steppenhund, natürlich gibt es das Moment des „Zeitlosen“ oder „Überdauernden“, wahrscheinlich ist niemand restlos gefeit dagegen, versuchen wir doch alle stets und immerdar irgendetwas zu hinterlassen in unserem immerwährenden Kampf gegen das ewige Vergehen. Allerdings: Bei der Arbeit in diesen Räumen tendiert jenes im Grunde gegen Null, denn gerade dort wird diese sinnlose Auflehnung ja ad Absurdum geführt – über den Umweg des Sich-Einreihens in eine Unzahl von gelebt habenden und lange herkömmlich vergessenen Mitarbeitern in oder an solchen Bauwerken. Was zählt und spürbar wird, das ist ja gerade das nicht mehr Zuweisbare. Und zu guter letzt bzw. für dieses Empfinden ist es für einen selbst irgendwann dann schon fast egal, ob das Bauwerk noch existiert oder eben nicht. Genau das ist es – und nicht etwa die (datierten/signierten) Graffiti oder haptischen Hinterlassenschaften, auch wenn man selbst ja oft mit solcherlei liebäugelt. Solchen Verewigungen. Ich schrieb ja hier schon einmal darüber? Ach was, das ist geheim. Das Vergraben von Schätzen ist dazu da, damit sich die Nachgeborenen dereinst ggf. freuen dürfen, weil sie etwas gefunden haben.

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