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ICH TRÄUMTE, ich wäre ein alter Mann von 88 überstandenen Jahren des Lebens, der an irgendeinem zehnten April an einem kleinen und normalerweise unwesentlichen Husten erkrankte, wie wir ihn alle kennen, der sich jedoch zu einer Entzündung meiner Lungenflügel auswuchs, infolge dessen ich über dreier Wochen in einem Krankenhaus lag und nach schwerwiegender, gleichwohl glücklich überstandener, Genesung, die mich möglicherweise einige Male an die Ränder meines Sterbens führte (so meinten es die Anderen), für weitere vier Wochen in eine mir im Grunde von Anfang an ungeliebte Pflegeeinrichtung verbrachte, vorrübergehend, da ich fortan über umfangreichere häusliche Hilfe nun verfügen müsse, die es zu organisieren noch galt, da jene noch nicht gewährleistet war,
ich träumte also von diesem herbeigesehnten neunten Juni,
heute also, an dem meine Rückkehr ins von mir so geliebte Haus allerseits geplant und gewünscht war, und dabei war es beinahe unwesentlich, dass sich mein Herz und meine Nieren sonderbar kurzfristig entschlossen hatten, nunmehr Feuchtigkeit in meinen Beinen einzulagern, ein Problem, dass ich eigentlich nie hatte, wahrscheinlich eine Schwächung meiner Herzgegend durch diesen Husten ganz am Anfang, weshalb mein Hausarzt es beschloss zu meinem Wohl, mich nochmals vorrübergehend für die letzte meiner langen Wochen der Abwesenheit in jenes Krankenhaus zurück zu verlegen, währenddessen ich meinem Kind, einem erwachsenen Sohn oder einer erwachsener Tochter, den lange geplanten Jahresurlaub an einem sehr schönen südlichen Ort von Herzen gönnte,
ich träumte also, dass ich davon träumte, dass es nun nur noch sechs Tage wären – endlich – bis zur seit zwei Monaten ersehnten Rückkehr, so sicherlich auch an einem vierten Juni in den nächtlichen Stunden frühmorgens, als ich mich im Krankenhaus aus dem Bett irgendwie schwang, um auf die Toilette zu gehen mit meiner Gehhilfe (ich nenne jenes Gerät im Traum immer „Wägelchen“), obwohl sich ein Nachtstuhl neben meinem Bett befand und obwohl mich die Nachtwache bereits zweimal in jener Nacht ermahnt hatte, als ich mein Geschäft alleine erledigen wollte und das auch geschafft hatte, doch bitte für solche Gänge um Hilfe die Klingel zu betätigen,
und weiter träumte ich, ich sei dann gestürzt und hätte mir am Nachtkästchen oder anderswo die Stirn aufgeschlagen und das linke Auge, keiner wusste später, wie das genau geschah, ich träumte, ich sei da am Boden gelegen für vielleicht eine Stunde, ohne Klingel nach der Schwester oder dem Pfleger, mitten in der Nacht, und das Blut lief und lief und ich konnte nichts machen oder rufen, vielleicht habe ich ja gerufen, aber dann hat es niemand gehört, ich erinnere mich nur,
dass es mir komisch und sonderbar kalt wurde irgendwann,
und ich träumte, dass ich irgendwann gefunden wurde und ein Notarzt oder eine Notärztin ins Zimmer kamen und mir sogleich zwei Konserven gegeben wurden, fremdes Blut, um ausgerechnet mich zu retten gegen mein auslaufendes dünnes Blut, und dass alle ganz aufgeregt waren, ich träumte von einer Narbe von zwanzig Zentimetern und Stichen und dass ich in die Röhre einer anderen Klinik geschoben wurde als die Sonne aufging, ich träumte, es seien keine weiteren Brüche festgestellt worden immerhin und vor allem keine Blutung in meinem Kopfhirn, ich träumte das alles, ohne dass irgendeine Begleitung meine Hand gehalten hätte (meine Tochter oder mein Sohn waren ja doch gerade im Süden und wähnten mich sicher…)
und ich träumte, dass ich in eine weitere Klinik gefahren wurde, in der sich man dann meinem linken Auge annahm über zwei Stunden, einer linksseitigen Bulbusberstung (diese Bezeichnungen immer, keiner versteht das), währenddessen ich wieder in einer vollen Narkotisierung schlief und träumte wahrscheinlich (von meiner endlichen Rückkehr nach Hause und von meinem Leben und von Ostpreussen und von meiner lange verstorbenen Frau und wie schön diese Zweisamkeit gewesen war).
und ich träumte dann auch, dass man meine erwachsene Tochter oder meinen erwachsenen Sohn sicherlich um sechs Uhr in der Frühe im spanischen Süden benachrichtigt hatte nach deren gelöster Nacht nach Wochen der Anspannung über meine Dinge über diesen Unfall und ich träumte vielleicht auch, dass jene oder jener sich auf einem besorgten und überstürzten Rückflug befinden könnten, ich träumte ferner, dass sie oder er denken könnten, dieser Tag in meinem Leben könnte der schlimmste sein, den ich jemals trotz Krieges erlebte und ich träumte, dass ich ihnen unendlich leid täte und ich träumte, dass jene Nachgeborenen dann endlich abends des Verunfalltages an meinem Bett standen und mir die Hand hielten und weinten, so wie ich sie noch nie träumend weinend gesehen hatte.
Ich träumte weiterhin, dass es gut wäre im Traum, sich an die Einschätzungen von Beteiligten zu halten, wonach ich mich – entgegen aller sichtbaren und unsichtbaren Prognosen – nun abermals und schon wieder auf dem Weg einer vergleichsweisen Besserung befinden würde. Ganz wie es die Kirschkern im Traum vorgestern prophezeite. Ich träumte, eigentlich müsste ich jetzt schon gestorben sein seit sechs Tagen.
Auch wenn ich träumte heute, ich sei mit meinem Sohn oder meiner erwachsener Tochter (?) zum Konzil des linken Auges unterwegs gewesen beim Operateur und habe dabei erfahren, dass es wahrscheinlich ist, dass mein linkes Augenlicht wohl künftig weitgehend erloschen sein wird.
Wegen eines Hustens vor zwei Monaten (träumte ich).
Ich träumte, dem von im Grunde dringenden und kurzfristig weiteren Operationen zur komplizierten Wiederherstellung eines Auges abratenden Oberarzt der Augendinge zuzustimmen. Im Traum sagte ich ihm, ich müsse ja auch nicht mehr Autofahren und hätte ja noch ein weiteres, nämlich rechtes Auge. Wozu hat man zwei Augen. Träumte auch, ich sagte ihm und meiner Tochter oder meinem erwachsenen Sohn, dass ich in meinem Alter nur noch nach Hause will, jetzt. Träumte, meine Tochter sagt nur immer „Wir kriegen das schon, Mutter!“.
Träumte, das hat sie von mir und von der Kurischen Nehrung.
Oder dem Frischen Haff, der schwäbischen Alb oder einer glücklichen Jugend.
Mein Sohn nennt mich nun „Frau Dr. Frankenstein“, in meinem Traum. Er muss ja immer Witze machen bei allem. Wegen der künftigen Narbe auf meiner Stirn. In guten Momenten sagt mir nun mein erwachsener Sohn, ich sähe aus wie nach einer schweren Schlägerei, alles grün und blau, auch mein Kinn. Träumte auch zudem, meine Tochter (erwachsen) verpasste mir eine schwarze Augenklappe. Mein Vater, der Haudegen vom Schlachtschiff Bismarck, der würde lächeln im Traum (träumte ich). Er wäre sicherlich stolz auf mich:
Vor drei Nächten noch hatte ich nach ihm „Papa, Papa!“ gerufen, unter Morphin im Krankenhaus. Während ich träumte, mein Sohn säße neben mir und würde dabei meine Hand halten.
ich träumte auch, meine Tochter habe zwei Nächte neben mir im Krankenhaus verbracht, um mich voller Sorge zu überwachen, damit ich nicht mehr alleine aussteigen will nachts aus dem Bett zum Strand von nächtlicher Ostsee. Aber das habe ich ja schon geschrieben und geträumt, oder nein, ich glaube nicht.
Und meine Tochter – so träumte ich – meinte, sie kann nun nicht mehr weiterschreiben, so dass es noch irgendwie gut klänge und reflektiert und wenigstens ein bisschen nach ‚Schreiben‘. Träumte, es sei ihr egal. Träumte, auch mein Sohn habe geträumt, das sei jetzt und ohnehin unwesentlich. Beide, dazu auch der Koch, meinen immer liebevoll, sie seien jetzt zu erschöpft. Sie sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Das haben sie sich verdient. Ich träumte, es sei fortan die Hauptsache, dass es mit meiner Rückkehr endlich nach Hause mit Narbe und Augenklappe noch etwas werden wird.
mein sohn oder meine tochter haben mir schwüre abgenommen, dass ich nun nicht mehr alleine aufs klo gehe ohne hilfe oder aufstehe überhaupt. solange, bis ich das wieder kann.
Träumte zuletzt, übermorgen kehrte meine Enkelin aus Frankreich heim, die ist ein bisschen wie ich, und in weniger als zwei Wochen sähe ich sie endlich wieder, das wird ein schönes Wiedersehen, ich werde durchhalten bis dahin (das träume ich, immer noch).
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das träumte ich alles bitte. war nicht so, es ist so. heute wäre der neunte juni gewesen. scheisse scheisse. aber dann warten wir eben noch zwei wochen, darauf kommts dann auch nicht mehr an. die köchin sagt, alle kanäle seine offen und das sei gut so. sie hat recht, es ist gut so.
lieber schneck….
so berührend der text…. so traumhaft schön geschrieben… und ich reibe mir grad die augen und frag mich, was nun wirklich ist und lese hin und her und träume davon, das dies kein nachruf ist.
Nein, dies ist kein Nachruf, sondern eher ein Hoff-Ruf, den ich zunächst mit „Himmel. Arsch. Zwirn“ überschreiben wollte. Hauptsache, die schlimmen Sachen sind jetzt endlich mal vorrüber und Ruhe und neues Wohlbefinden kehrt ein, auch mit Narbe und Augenklappe. Und Danke, liebe Frau Rosmarin..
Einer derart formvollendet formuliert Hoffruf muss erhört werden. Ich wünsche alles Gute! Von Herzen.
Danke! Werde weiterleiten…
Bei Ihnen. Beiden! Guter Sohn, gute Mutter!
Ach Danke. Da gibts ja Parallelen, liebe Montez. Die alte Dame schafft es immerhin schon wieder, mich ab und an zu nerven, ein sehr gutes Zeichen! ; )
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ich weiß nicht, warum mir schon nach dem zweiten satz die tränen zu laufen anfingen und ich schluchzend vor dem rechner saß, ob vor rührung oder erschütterung und gar keine worte finde. dieser text ist soviel liebe und weisheit und soviel diesseits wie jenseits und voller hoffnung.
ich hoffe mit und glaube die köchin ist eine sehr sehr kluge frau.
alles gute!
lucky und tikerscherk, einfach Danke – und dies ohne große Worte. / Am kommenden Freitag nun der große Tag der Heimkehr. Und am selben Nachmittag kommt auch die Kirschkern angereist, das erste Mal wieder, nach 5 Monaten Frankreich. Und am Samstag die Verstärkung. Ich bange, dass nunmehr alles gut geht. So recht mag ich an den Frieden noch nicht glauben.