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wo die fetzen fliegen

immenhof

die graefin von einst jetzt heidelberg. der wind geblieben, er könnte stärker sein. der strand mit feuerstein wie eh und je, die bojen fehlen. der hund braun anstatt schwarz. das loch ohne funk besänftigt und schmeißt mit lehm. die töne hell, ohne echo, still. fleischlose gegend, aber sehr aufmerksam die sehnen. viel regen, kitzlig. die sessel üppig, muster allerseits. das gut fürs planen gut und fürs recycling. zum tun nach lütjenbourg und timberland. eine landschaft ohne arroganz, jedoch mit viel leder, die habsucht nach geographien mit öl, sehr pflegend, oder selbst fett. man muss die menschen (leute) dort abholen, wo sie sich befinden. man kann ja nicht tiefer fallen, als in gottes hände. zuletzt stadt/land/fluss mit der bezauberndsten aller blonden beifahrerinnen, hindurch unter den ewigen kranichen.

Magerquark und Hirschhornsalz

fundstück

„(…) Sascha, der Typ mit dem Silberblick aus der oberschwäbischen Landfreak-WG, der ritt auf einem sattellosen ausgemusterten Gaul sommers wie winters barfuß ins nächste Dorf zum Brötchenholen. Dieser Sascha sagte mir einst irgendwann während beruflicher Prägephasen: „Junge, wenn du diesen Beruf erlernen willst, dann musst du wissen, du musst immer wieder deine Tasche packen. Dein ganzes Leben lang!“ Sascha war Restaurator und so begann eigentlich alles. Schon immer hatte ich „irgendwas mit den Augen“ machen wollen (so sagt man ja in diesem Alter) und schon immer war ich am bescheidenen Basteln gewesen, hatte alten Kram gesammelt und dies und das wieder recht und schlecht repariert. Außerdem hatte der tote Vater einen Haufen Farben und Bilder im Haus hinterlassen mitsamt der generellen Akzeptanz und Gnade, dass es so etwas wie bildnerische Auseinandersetzung im Leben und Alltag durchaus geben darf. Und nun war der Zivildienst vorbei, ich hatte einen Studienplatz für die Geschichte der Kunst mitsamt der Vor- und Frühgeschichte zugewiesen bekommen, zuvor jedoch noch einen Onkel in Afrika besucht, der mir als alter Praktiker und Haudegen jedoch riet: „Was studieren kannste immer noch, mach erst was Praktisches!“. Nach zwei Wochen in der Bibliothek war mir klar, dass ich unter ‚Apparat’ grundlegend etwas anderes verstehen wollte. Ich wollte die Welt von unten kennenlernen, denn ich ahnte lange schon, dass dieses verkopfte Universitätskaff, in das ich hineingeboren war, nicht die letzte Wahrheit sein konnte, schon gar nicht ohne einen Professorenvater in der Verwandtschaft und schon überhaupt nicht, wenn dieser auch noch akademisch verstorben. Abbitte hatte ich ja schon durch schulisches Latein getan. Und dem Altgriechischen, von dem ich zwar nichts mehr weiß, jedoch auf das ich stolz bin, es einmal gelernt zu haben, bis heute.

Und so war es dann, wie der halbblinde Sascha es gemeint hatte: „Kommen sie am ersten Mai um Sieben vorbei, mit gepackter Tasche!“ sagte der neue Chef, und ich konnte mich glücklich schätzen, einen der begehrten Ausbildungsplätze bekommen zu haben. Dazu muss man wissen, dass damals wie heute dieser Beruf nicht „geschützt“ ist, der übliche Weg war damals, ein dreijähriges Praktikum zu absolvieren, auch genannt „Volontariat“ (das hatte den besseren Klang), aber ohne Ausbildungsregelung oder Berufsschule, so wie das bei einer Lehre ja vorgeschrieben ist. Insofern kam es in diesem Ausbildungsbereich auch auf die Qualität der jeweiligen Firma bzw. deren Aufträge an, ob man in den drei Jahren lediglich Kirchenwände anstreichen würde, oder auch einmal an die Bearbeitung eines Objektes wenigstens mittlerer kunsthistorischer Bedeutung losgelassen werden würde. Die Sahne befand und befindet sich bis heute ohnehin in den Museen. Auch hierbei hatte ich jedoch großes Glück, war ich doch nun offizieller Praktikant in einer der angesehendsten Restauratorenfirmen der Region, wenn nicht sogar der Überregion.

Los ging’s an jenem ersten Mai in die ehemalige Reichsabtei zu Ochsenhausen, wo gerade der barocke Hochaltar freigelegt wurde. Die anderen Praktikanten schwiegen mich die ersten zwei Tage lang an, abends allein im Hotelzimmerchen, weit ab der Welt, wohlgemerkt kein Internet, kein Handy, stattdessen die gelben Telefonhäuschen, voll von Sommerspinnen und in der Hand einen Beutel voller wertvollem Kleingeld. Tagsüber in sechzehn Metern Höhe, und es dauerte ein Weilchen, bis ich die verschiedenen Farbschichten überhaupt unterscheiden konnte. Ich war neu, hatte also noch Gnadenfrist und war unantastbar, erstmal, für den Capo.

Eine andere Dauerbaustelle dieses ersten Sommers war das Münster in Zwiefalten, ebenfalls im nördlichen Oberschwaben gelegen. Die Ortschaft zeichnet sich aus durch das völlig übergestaltete barocke Münster und die Anwesenheit eines psychiatrischen Landeskrankenhauses. Die Hälfte der Einwohner des Ortes waren damals Insassen desselben und so wusste man nie genau, wen man da traf auf der Strasse, gaga oder normalo, vermeintlich. Diese Szenerie passte zu den Bussen von Gläubigen, die der Wallfahrtsmaria durch lautes Absingen ihre Ehre erwiesen. Zack rein in die Kirche, singen, zack wieder hinaus. Eine oft gehörte Frage war auf dieser öffentlichen Baustelle auch jene, ob es „alte Farben“ wären, die wir benutzen würden. Die gedachte Antwort war natürlich „Nein, wir benutzen keine alten Farben, wir benutzen ordentliches Material!“, aber man wollte ja nicht unhöflich sein.

Ganz besonders eindrucksvoll war ein Sommergewitter, während wir in der Vorhalle der Kirche den Deckenstuck reinigten, mit alten über dem Feuerzeug umgebogenen Zahnbürstchen und einer Art selbstgemixtem Spüli (Rezept wird nicht verraten). Vom Hauptraum trennte die Vorhalle ein kunstvolles Metallgitter, unsere Gerüstetage war mit einer Metallleiter erreichbar. Ich drehte mich gerade zufällig in Richtung dieser Leiter, als ich den sechs Meter langen Blitz sah, der vom Metallgitter in Richtung der Leiter zischte. Es musste in den Türmen eingeschlagen haben, gottlob befanden wir uns weit entfernt von der Leiter und nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte sich jemand darauf befunden. So also kam ich doch noch zu meinem Marienerlebnis, und eigentlich hab ich ja auch gar nichts gegen Maria.

Als im darauffolgenden Jahr die Baustelle nach sieben Jahren abgeschlossen wurde, war ich nochmals dort. Bevor die letzten Gerüste am Chorgestühl abgebaut wurden, platzierten wir kulturelle Relikte an nicht erreichbaren Stellen (Coladosen, Zeitschriften, Kondome, Zigarettenpackungen etc.), auf dass die Restauratoren in zweihundert Jahren auch etwas zu finden haben (man fängt in diesem Beruf irgendwann an, in größeren Zeiträumen zu denken). Als letztes stellten wir ein großes Glas mit frischem Kasein (Magerquark mit Hirschhornsalz, Bindemittel für Farben) uneinsehbar in der Nähe zum Hauptaltar ab. In den Deckel hatten wir Löcher gehauen. Wir wussten, dass das Zeug nach drei Tagen anfangen würde, ganz grausam zu stinken… und niemand würde wissen, warum… (ok, heute würde ich das auch nicht mehr machen…).

Und dann war da noch die Nähe zum Flecken Upflamör (der manchem Berliner vielleicht durch die Lokalität ‚san remo – upflamör’ bekannt sein mag). Oder die Nähe zum Donautal, die Orte Rechtenstein oder Obermarchtal, ebenfalls ein Klosterchen, das alles besuchten wir, nachdem wir den Kilometerzähler ausgehängt hatten beim Firmenwagen, denn private Fahrten nach Feierabend waren nicht gestattet. Immerhin sollten es ja „Lehrjahre“ sein.

Drei lange Jahre, in denen all’ die Anderen ausgeschwärmt waren zum Studieren in begehrte Orte und dort Party machten und Mädels oder Jungs ohne Ende, während unsereiner in irgendwelchen Kuhkäffern in muffigen Pensionsdoppelzimmern mit womöglich ungeliebten Mitpraktikanten wochenlang untergebracht war. Nur der Capo bekam ein Einzelzimmer, so war das. Um sieben gings los, um sechs war Feierabend. Nachdem sich die Anfangseuphorie gelegt hatte, stellte sich zunehmend das Gefühl ein, dass meine ‚besten Jugendjahre’ an mir vorrübergingen. Die Paktikantinnen waren auch im Sommer wenigstens in der Heimatstadt beschäftigt, an Gemälden und Skulpturen, die Jungs hingegen mussten eigentlich den ganzen Sommer über auf die weit entfernten Baustellen wandern. Ab und an gab es dann von Zeit zu Zeit ein begehrtes Kirchlein in der Nähe, so dass man abends wenigstens zu Hause war. Es war die Zeit von Mike Oldfields „Moonlight Shadow“ oder auch Roger Chapman. Derlei blies ich mir, nach freitäglicher Rückkehr, zuhause meist erstmal zwei Stunden in höchster Lautstärke um die Ohren. Danach noch der begehrte Samstag, am Sonntag war schon wieder Taschepacken angesagt. Aber ich hatte es ja so gewollt.

Auf den Baustellen lernte man immerhin einiges an wahrem Leben kennen, wenn auch nicht unbedingt Frauen oder sonstige Liebespartner. Aber immerhin waren es ja auch schöne Objekte und schließlich war es ja auch ein durchaus begehrter und interessanter Beruf, den man da erlernte. Man würde später vielleicht einmal damit imponieren können.

Der Chef. Der Chef war Rheinländer, promovierter Kunsthistoriker, seine üppige Frau mit großem Busen ebenso. Sie war die Chefin, eine liebevolle Matrone mit strengem Herz. Ihn mussten wir mit „Herr Doktor …“ anreden. Er hatte einen ‚Dsungenfehler’, war klein und eben ein Chef. Heute sehe ich da manches anders. Anders war auch die Qualität seiner Ausbildung, für eine private Firma keineswegs verbindlich und normal. So gab es zwei Mittelformatkameras, deren Bedienung wir natürlich zum Zwecke der (damals erst aufkommenden) Dokumentation der Arbeiten erlernen mussten. Zusätzlich ein Fotolabor, denn er legte Wert darauf, dass jeder Praktikant ein ordentliches Berichtsheft führte. UV- sowie sogar Infrarotfotografie war, wenn notwendig, erwünscht und technisch möglich. Er selbst gab uns kunsthistorische Seminare, abends im Winter, nach Feierabend. Und jeder bekam ein Referatsthema, wenn einmal wieder eine von ihm organisierte (und finanzierte) Exkursion bevorstand. So zum Beispiel nach München zur Ausstellung des damals modernst restaurierten „Kruzifix von Cimabue“, aber auch nach London, die ganze fünfzehnköpfige Firma, vier Tage lang. Schneck referierte über Tizians „Bacchus und Ariadne“ in der National Gallery.

Der Chef hatte aber auch einst bei Willy Baumeister an der Stuttgarter Kunstakademie ein paar Semester lang studiert. So redete er oft von „ich und Willy, damals…“. Und später, als ich ihm eröffnete, nicht zur Kunstgeschichte zurückzukehren, was er mir nahegelegt hatte, sondern mich für das Fach Freie Kunst zu bewerben, da war er sehr ungehalten und meinte, das mit der freien Kunst könne man ja auch nebenher machen, er selbst sei schließlich das beste Beispiel dafür, und mit diesen Worten zeigte er uns stolz seine peinlichen Kringel-Malereien und schaute dabei speziell mich väterlich wohlwollend und streng an.

Auch Maltechniken aller Art standen natürlich auf dem Programm, das lernte man eben, auch die diversen Vergoldertechniken bis hin zur sogenannten Glanzvergoldung. Ein nicht unerheblicher Grundstock meiner Material- und Werkzeugsammlung besteht auch heute noch aus, na ja, damals ‚mit nach Hause…’ genommenen Beständen der Firma, natürlich in Kleinmengen. Wenn ich diese Dinge heute benutze, dann fühlt es sich gut an. Auch ist es eine Erinnerung an die Zeit damals und den Chef, der leider nicht mehr lebt. Erst neulich hielt ich „Böhmisch Grüne Erde“ als Pigment in der Dose in Händen; soviel ich weiß, wurde bereits vor Jahren die Grabung nach diesem Farbmittel eingestellt, da es diese Erde einfach nicht mehr gibt.

Das alles überdeckt mittlerweile die weniger schönen Erinnerungen. Man war als Praktikant natürlich der Depp. In der Angestelltentoilette befand sich auch das Katzenklo. Und unvergessen bleibt mir auch mein vorletzter Arbeitstag, an dem ich mich um zehn Minuten verspätete. Der Chef zog mich vor die Eingangstüre der Werkstatt und sagte mit bösem Blick: „Herr Schneck, wir fangen um 7 Uhr an, und nicht um zehn nach sieben!“. Ich hatte mich in diesen drei Jahren lediglich viermal (unwesentlich) verspätet. Übrigens, damals beschloss ich auch, nie mehr unfreier Tätigkeit nachzugehen. Und tatsächlich, seither bin ich selbstständig.

Ja, und dann die anderen Baustellen. Wie gesagt, es war ja eine Firma, die durchaus an hochwertige Aufträge herankam. Und ich stellte mich offensichtlich auch nicht so ganz dumm an, so dass ich die Ehre hatte, nicht nur in Kuhkäffern beschäftigt zu sein, sondern auch an begehrteren Orten. So zum Beispiel im Schloss Benrath in Düsseldorf, wo im Erdgeschoss die Wände mit Kreidegrund neu gefasst wurden, einer recht komplizierten Technik, bei der mit erwärmtem Knochenleim und einer Mischung aus verschiedenen Kreiden (Champagne/Bologna) Schicht für Schicht die Wand neu gefasst wurde. Dort also gibt es eine kleine Tür, diese ist von Schneck gefasst, nach zwei Monaten Ausbildung, und ich weiß noch, wie aufgeregt und froh ich war, dass mir der „Untercapo“ damals diese Arbeit nach so kurzer Zeit schon zutraute. Mit diesem Untercapo unterwegs zu sein, das war sowieso immer ein Glück. Man hörte im Auto Mitch Ryder „Er ist nicht mein Präsident“, aufgedreht bis zum Anschlag, oder wir waren in der Düsseldorfer Tonhalle bei Chick Corea und dem einen Vibraphonisten, hieß der Gary Burdon? Und zu Mittag gab es Strammen Max und es gab ein Einzelzimmer für jeden, das hatte der Untercapo durchgesetzt, da man in Düsseldorf immer zwei Wochen lang blieb, am Stück (incl. dann Samstagsarbeit, damit es „sich lohnt…“), um die Fahrtkosten niedrig zu halten. Dieser Untercapo ist heute bei der Bayerischen Denkmalpflege angestellt, so wie überhaupt eigentlich aus fast allen, die diese Firma damals und jemals durchliefen, irgendwie etwas geworden ist, jedenfalls aus denjenigen, die bei der Restaurierung geblieben sind.

Eine andere außergewöhnliche Baustelle befand sich im Norden von London, genauer gesagt, im Stadtteil Edgware. Dort steht das Kirchlein St. Lawrence, das üppig und barock von einem Franzosen seinerzeit ausgemalt wurde. Die Süddeutschen als Barockspezialisten erhielten den mehrjährigen Auftrag, und auch ich durfte vier mal für drei Wochen dort arbeiten, was natürlich der Hammer war. Man wohnte bei den durchweg greisen ‚Churchwardens’ (so eine Art Mesner), die sich ganz british und herzlich um einen bemühten, war es das Frühstück oder der After-Work-Tea auf feinstem englischen Handtuchrasen. Die Hausfrau empfing uns nach getaner Arbeit immer mit den Worten „Hey Boys, Water’s just boiling!“ und dann gab es Conversation und Tee. Der damalige Wandmalerei-Chef und Leiter der englischen Baustelle, er konnte mich (im Gegensatz zum Mitpraktikanten R., den ich mochte, aber der mich mannigfach vom Buddhismus überzeugen wollte mitsamt seiner Guitarre…) gottlob ganz gut leiden, denn wen sein damaliger Zorn traf, der hatte nichts zu Lachen! Insofern fand ich mich auch bemüht, neben Portobello-Road, Camden-Town, Nena-Konzert (die Zeit der 99 Luftballons) im Royal Theatre oder Cool and the Gang und Elton John im Wembley („The Summer of ’84“), zu vermitteln zwischen R. und Capo. Und auch dort erinnert eine Kleinigkeit an meine Feder, nämlich innerhalb der teilweise ergänzten Grisaillemalereien an den Wänden, die vor allem illusionistische Architektur zeigen sowie florale Schmuckgehänge. Wer sich heute dorthin begibt (Schlüssel holen, beim Pfarrer), der wird irgendwo rechterhand im gemalten Eichenlaub eine kleine Eichel finden, die mir sie (ohne historisches Vorbild!) aufzumalen fast anarchistisch lächelnd erlaubt wurde. Vom damaligen Capo, der heute übrigens in Berlin lebt, jüngst ein Team leitete bei der Bearbeitung des Neuen Museums auf der Museumsinsel, vor ein paar Jahren der leitende Restaurator bei der Bearbeitung der Kuppel der Basilika zu Weingarten war und den ich als doch einigermaßen recht guten Freund bezeichnen würde mittlerweile. Na, nur so nebenbei. Ein Mensch mit Klasse und Geschichte.

Vor allem beeindruckt mich noch heute, dass man damals in der Londoner Tube noch rauchen durfte. Man stelle sich vor, Rauchen. Und das ausgerechnet in der U-Bahn. Unvorstellbar eigentlich. Abends gingen wir ins ‚Beehive’ und tranken dünnes Bier zu den Stranglers „Nice’n Sleazy“ oder „Walk on by“. Zuhause vögelten alle kreuz und quer, nur ich, ich war auf Baustelle. AIDS fing ja gerade erst an, komisch.

Schön war, dass mich W., der Wandmalereicapo, dann für ein Dreierteam auswählte für eine sog. ‚Wandabnahme’ in Südengland. In einer kleinen Kirche, der Ort heißt Little Somerford, ca. 60 Kilometer entfernt von Bristol, hatte sich am Tympanon, dem ‚Triumphbogen’ über dem Bereich, in dem sich der Kirchenraum vom Chor der Kirche architektonisch trennt, ein Stück Putz gelöst. Auf der darunterliegenden Holzkonstruktion wurden Reste einer Vorgängerbemalung sichtbar und es war beschlossen, diese freizulegen. Das ging natürlich nur, indem man die bemalte Verputzung „abnahm“. Aufgemalt war hier ein sogenanntes „Coat of Arms“, ein Wappen aus der Zeit um 1480 („honi soit qui mal i pense“) in einer Größe von immerhin ca. 5 mal 4 Metern, und dies auf einer Putzlage, die mindestens drei Zentimeter dick war. Insgesamt also ein gehöriges Gewicht. Dazu muss man wissen, dass es verschiedene Möglichkeiten der Wandabnahme gibt, zum einen in „Strappo“-Technik, bei der lediglich die Malschicht abgenommen wird, zum anderen in der „Stacco“-Technik, hier eben zusammen mit dem Putzträger.

Wir verklebten also die Oberfläche der Malerei mit diversen Materialien, zunächst dünnem Fliespapier, dann leichter Stoffgaze, dann darüber mit Leinwand, die mit einer besonderen Mischung aus heißem Knochenleim und Zucker (sog. „Coletta“) hergestellt wird, um zu verhindern, dass beim Lösen der Putzschicht vom Träger ebendiese beschädigt oder zerstört wird. Sodann zersägten wir die Putzschicht, also das bildseitig verklebte Wappen, in fünf Teile, wegen des Gewichtes der einzelnen Segmente. Letztlich einer der spannendsten Momente meines Lebens (abgesehen von der Geburt vom Kirschkern sowie meiner Scheidung und diverser Orgasmen) war der Moment, als wir das Wappen, vorsichtig und Stück um Stück, von hinten und mit langen Eisen behutsam vom darunterliegenden Träger lösten. Wir hatten zur Sicherheit die aufgeklebte Leinwand am oberen Rand um dicke Dachlatten gewickelt und diese mit Hölzern gegen den Gerüstboden abgestützt. Würde das Ding, wenn letztlich gelöst, zerbröseln und in die Tiefe rauschen, unwiederbringlich? Nein, das tat es natürlich nicht. Alles hielt und die Fragmente wurden langsam nach unten zum Kirchenboden hin abgelassen.

An den Sonntagen schauten wir uns die Kathedrale von Salisbury an und im eigens für uns ausgeräumten Kinderzimmer der Mesnerfamilie hingen die unsäglichen Poster von Duran-Duran. Was hervorkam darunter, das war natürlich spannend. Es verwies auf die Darstellung der Kreuzigung, aber auch nicht wirklich, war seltsam zeichenhaft bunt und comicähnlich gemalt und stabil, mit einer Konstruktion von Einschubtafeln (darauf applizierte Frakturschrift auf papierähnlichem Material), die wohl zu verschiedenen liturgischen Anlässen ausgetauscht werden konnten. Nach getaner Arbeit verpackten wir die einzelnen Teile, lagerten sie im VW-Transporter auf Weichfaserplatten ein und fuhren im Linksverkehr in Richtung Heimat. In Dover schauten die Grenzer nicht schlecht in den Wagen, fragten, was das sei und wir antworteten, das sei eine Wandmalerei und sie winkten uns auf die Fähre. In heimischer Werkstatt wurde ein neuer stabiler Träger von der Rückseite her aufgebracht, dann die Verklebung der Bildseite gelöst, diese konserviert und restauriert und später dann wieder vor Ort, an der dem Tympanon gegenüber liegenden Wand der Kirche angebracht, so dass fortan beide historischen Gestaltungen der Kirche sichtbar sein konnten.

Ich bin da ja auch geprägt in einer Zeit, in der die Geschichte die Gegenwart eingeholt hat. Irgendwelche Deppen haben das dann „Postmoderne“ genannt. Bin nie warm geworden damit. Ich habe noch Kunststoffe (also Plastik!) in Wände hinterspritzt, damit jene nicht herunterfallen. Aus heutiger Sicht eine Gräueltat, und das ist es, in der Tat. Das atmungsaktive Wissen trat ja erst auf den Plan. Und das Wissen darüber, dass fast alle heutigen Restaurierungen sogenannte „Ent-Restaurierungen“ sind. In den letzten einhundert Jahren wurde einfach allzu viel vorschnell falsch gemacht. Zu schnell, zu begeistert und zu unwissend über die Auswirkungen der jeweiligen materialtechnischen Maßnahmen. Jede Zeit hält sich ja für die Wichtigste. Insofern ist es auch nicht erstaunlich, dass derzeit noch immer der gegenteilige restauratorische Trend vorherrscht: Nämlich nichts zu unternehmen, bevor man um Himmels Willen etwas falsch machen könnte.

Dabei gibt es allerdings dann immer weniger Personal, was tatsächlich noch, wie wir es nennen, „die Wand auch tatsächlich anfassen kann“. Dies wiederum wird nun auch schon wieder beklagt von höheren Orten denkmalpflegerisch, aber es traut sich niemand mehr, es gibt eine Un- und Vielzahl von diplomierten Restauratoren, die alle um ihr Brot kämpfen und es wird untersucht und untersucht, geschrieben und geschrieben, geforscht und geforscht und dann allerhöchstens vielleicht noch ein wenig konserviert, aber sichtbar verändert wird kaum noch etwas. Keiner traut sich mehr. Vielleicht gut so, vielleicht.

Natürlich gab es auch ein Schneck’sches Berichtsheft, welches ich mir mit einer Schreibmaschine mit Typenrad, Marke „brother“, herstellte, im Winter in meinem runden Turmzimmer mit Jugenstilfenstern und halbrundem Hochbett, frierend, aber nicht immer. Darin ist auch erwähnt und dokumentiert die Bearbeitung des Portraits eines Abtes auf Leinwand. Nicht erwähnt habe ich darin die Erfahrung, dass man sich die Zeit um zehn Sekunden zurückgedreht wünscht. Ich war am Reinigen des barocken Gemäldes, es ging da eine Menge, denn es war komplett verrußt (ein Unding und höchst schädlich fürs Kulturgut, diese Kerzen; vor allem in katholischen Kirchenräumen… aber trotzdem schön, nicht?), und probierte meine Mittelchen aus Lösemittelpasten in eher weiß gehaltenen Bildbereichen aus. Großzügig strich ich sodann den bräunlicheren Unterarm jenes Kirchenbruders ein, ohne zu wissen oder zu bedenken, dass die rotbraunen Partien empfindlicher sind als anderes (da es sich dort um ein feineres Pigment handelt und demzufolge auch der Bindemittelanteil ebenjener Partien höher ist, weshalb sie sich bei Anwendung von Lösemitteln auch schneller komplett entfernen). Also war auf einer Fläche von zehn mal zehn Zentimetern plötzlich alles vernichtet, und ich wurde rot, schämte mich in den Boden und wollte mir den Arsch abbeißen. Der Chef kam herbei und meinte nur, „oh Herr Schneck, geben de mal nen pindel…“ (Zungenfehler), mischte auf der nächstbesten Palette ein ölgebundenes dunkelbraunes Tönchen, ergänzte die betreffende Partie und sagte nur grinsend, da habe ich mir aber „etwas geleistet!“ (das meinte er übrigens auch, als ich in einer kleinen gotischen Kapelle beim Freilegen der Wände – 1489 – vom Styroporquader gefallen war und mir dummerweise ein sich in meiner Brusttasche befindendes nagelneues Skalpell durch die Unterlippe geschnitten, besser: gerammt, hatte…).

Es ist ein nicht unschöner Zweitberuf. Das Wissen um die Maltechniken, die wie alles andere Menschheitswissen auch auf Jahrtausende altem Versuchtem beruhen. Lapislazuli? Purpur? Schellack (Läuse) und Indischgelb (echt). Stronziumgelb und Schweinfurter-Grün. Ein paar Jahre später arbeitete ich in einem Laden der Firma Kremer-Pigmente in Stuttgart. Jener Herr Kremer hatte damals angefangen, in Zusammenarbeit von und mit dem Chef, ein gemahlenes Kobaltglas herzustellen, welches – ich glaube, es war in Zwiefalten – lasierend über den barocken Stuck gezogen war und wieder werden sollte. Das kannte man damals gar nicht mehr, es war fast verloren, dieses Wissen darum, er hat es sozusagen rekonstruiert. Es nennt sich ‚Smalte’. Die heute in Aichstetten im Allgäu beheimatete Farbmühle habe ich zuletzt besucht mit W., als wir 2003 in der Sakristei im Kloster Andechs die Stuckflächen freigelegt und restauriert haben.

Und heute bin ich froh um diese Arbeit. Abgesehen davon, dass sie mich gerade und stets rettet finanziell, gibt es da ein Familiengefühl. Und auch sollte ich komplett von etwas anderem leben können, so wollte ich niemals auf diese Arbeit ganz verzichten wollen. Mit dem Sichten und Erhalten erlernt man auch das Beschreiben dessen, wenigstens innerlich. Diese Beschäftigung hat etwas Grundsätzliches. Etwas, was mit Leben, Erleben und Vergehen zu tun hat. Mit allem. Es ist eine sehr menschliche Beschäftigung, die zudem ganz automatisch hinterfragt.

Und achso, ja, da fällt mir eines noch ein. Nämlich, wie der Chef seinerzeit die Treppe vom Wohnhaus in die Werkstatt herunterkam, einen echten Spitzweg in den Händen hielt und mit den Worten „Komm’de mal her…, schaun de mal!…“ die Praktikantenschar zwinkernd herbeirief. Ein Zigarrenkistendeckel mit einer Malerei, die dann kurz von der Alphapraktikantin gereinigt wurde, um danach wieder im Schließfach einer Bank im Badischen zu verschwinden. Offiziell geltend als „Bekannt./jedoch verschollen“, „… aber das dürfen’de nich verraten!“. Hiermit sei‘s verraten, jedoch verjährt.

Ich hätte dann die Stelle eines weiterführenden Praktikums am Württembergischen Landesmuseum (Abt. Gemälde und gefasste Skulpturen) bekommen können. Gleichzeitig wurde ich jedoch an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart für das Fach ‚Freie Graphik mit Malerei’ zugelassen. Ich hatte eine schwere Woche Zeit, mir das zu überlegen. Habe mich für für die sog. Freie Kunst entschieden. Ob meine letztliche Entscheidung wohl richtig gewesen ist? Ich denke ja. Denn irgendwie muss man das Leben ja rumkriegen.

So gesehen packe ich meine Tasche mehr denn je immer wieder (auch) gerne. Es ist halt irgendwann eine Entscheidung. Über Entscheidungen muss man dann nicht mehr reden, sondern man kann davon (wenn man will): Erzählen, erlöst. Ausgehen.“

panama jack

noch gestern bin ich beim wasserholen in den fluss gefallen. überall gelbe rolltreppen, nach oben und nach unten (dachte ich). und dann diese 400.000 motels, wände aus vollkornbrot, kleine klappleiterchen mit hellgrünen stufen und frierende hände und rote schöne finger an allerdings völlig normalen handgelenken. habe abends angeschürt und beobachtete auf den drei üppigen neubauten gegenüber große buchstaben, der wind pfeift über land und von oben in die öfen durch die schiefen schlöte, auf den wiesen in augenwinkeln große orange lackierte medizinische herzen (aus metall, dachte ich), überlebensgroß, darum herum sich lagernde gesetzlose männer in warmen grauen jacken, lauernd, lungernd (jedoch durchaus nachdenklich), lauter „schwere jungs“ aus dem abendflieger von stockholm her. sie alle wollen verschwinden, aber sie wissen nicht wohin, vorher noch woher. sie sind im heute. sie beratschlagen sich und murmeln manchmal leise. sie essen frisches obst, sie dürfen sport betreiben, sie bilden und informieren sich gelegentlich. was aber beschäftigt sie wirklich? denn nur eine möglichkeit haben sie nicht: sie können nicht dann gehen, wann und wenn sie wollen. /anders ich: also heute ins wasser gerutscht. es wird ja jetzt wieder erst einmal alles kalt. der gedanke nach mailand oder südlich, der ewig wiederkehrende. nein, es ist schon alles richtig so. der kirschkern macht salat an im schwarzwald (via telefon), und er ist nicht froh beim salat anmachen. ich muss ihr von knallgelben rolltreppen berichten und vom anschüren, das könnte sie erheitern. salat ist wichtig, autobahnen sind es auch. was das vermissen angeht, es ist vor allem die vision (und natürlich das viele geld und ein dicker schöner neuer katalog). wenn alles zu bruch geht, dann hält man die vision. wenn aber die vision im salat ist, dann hilft wenig alles. jenseits von kirschkerndingen und verlustiger visionen, da bedeutet das erst einmal nur „alten frauen klaut man keine handtasche!“ oder „eltern haften für ihre kinder“ (fasse dich kurz!). natürlich bin ich nicht in den fluss gerutscht. aber das wasser am fluss zu holen, das ist eine schöne erfahrung, es gibt wahrhaftig immer wieder neues, man muss es eben nur bemerken. /heute daher nun also neue winterschuhe (caterpillar?) sowie allenfalls frische ordentliche berufsbekleidung.