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205,00

205 euro sind mir gestohlen worden. aus meinem stets behüteten geldbeutel, während er in meiner hand festgehalten war. gezogen offenbar in einem kleinen moment der unachtsamkeit, von dem ich glaubte, es hätte ihn gar nie gegeben. 3 stunden später wollte ich an anderem ort einige getränke bezahlen und da waren keine scheine mehr dort, wo sie – immer – sind. zuvor, vor dem diebstahl, war ich noch am bankautomaten gewesen, um mir einhundertfünfzig abzuheben, für tank und logie und mitbringsel. in der rekonstruktion des ereignisses kann es nur einen moment gegeben haben, nämlich denjenigen, als ich die alljährlichen skalpellklingen kaufte und bezahlte. es gibt auf dem nürnberger herbstmarkt immer einen schönen stand mit medizinischen geräten und dergleichen und dort erwerbe ich im herbst jeden jahres 20 skalpellklingen, 10 kleine und 10 größere. sie sind dort immer vorrätig, in apotheken hingegen haben sie oft nur diese einmalklingen oder sie müssten eigens bestellt werden. dort, an diesem stand, muss es also passiert sein, gegen 18.30 uhr, morgen vor einer woche. es muss ein meister der zauberei gewesen sein, oder eine meisterin. magie, beinahe anerkennenswert. nichts habe ich bemerkt, obwohl ich meinen linken daumen immer schützend über den scheinen, die im fach stecken, halte. wenn ich den beutel, so auch vergangene woche, in der linken hand halte. und nicht mal ein markgedränge war es, rempler – zieher – abdecker. eher war es leer gewesen, da der markt um 19.00 uhr ohnehin schließt. die sache gleicht einem kontrollverlustigem tagtraum mit anhängseln. dazu: es sind die teuersten skalpellklingen, die ich jemals erworben habe. ich werde sie hüten und schätzen.

Die Kirschkern erzählte, sie müsse nun unbedingt ihr Vorderlicht am Fahrrad reparieren, aber vor Ende der Woche würde sie gewiss nicht dazu kommen, leider. Tja, Termine. Morgens ist es nun dunkel, wenn sie zur Schule fährt, abends auch, wenn sie von dort kommt. Sie könne das aber nicht ändern, nein, vor nächstem Wochenende wäre einfach keine Zeit fürs Licht. Und dann grinst sie dazu, ein Schelm. Auch einen Helm aufzusetzen weigert sie sich nach wie vor. Sieht scheisse aus und überhaupt, die Haare. Sogar meine Finanzierungszusage für etwas Feines oder Ausgefallenes (aus England?) für den Kopf lehnt sie voll großer Güte und Geste ab. Und auch der ernste Hinweis auf die ebensoernste Tatsache, dass eine Person aus ihrem näheren Umfeld wegen eines Fahrradunfalles, bei dem die Verunfallte keinen Helm trug, nunmehr seit 3 Jahren im Koma liegt, hilft offenbar wenig. Gleiches gilt für das angedachte und kommunizierte Stornieren von Taschengeldzahlungen und/oder das Streichen von Urlauben und dergleichen Keulen. Hier und so entsteht wohl also jene sich entkernende fluoreszierend adoleszierende Selbstbestimmtheit, an und für sich ja etwas sehr Wertvolles und wichtig schnörkellos Schimmerndes. Jetzt muss sich dann nur noch die Reife dazugesellen. In der Zwischenzeit hoffe ich auf ihren Schutzengel bzw. den lieben Gott. Da kann man wohl nichts machen. Oder anders: Was will man da machen?

Vielleicht hat sie das ja von mir. Oder von ihrer Mutter. Oder ihrer Oma.

Bei Retouchierarbeiten in einer schönen alten Kirche an der Autobahn 9 bei G. krabbelte mir heute die ganze Zeit eine Blattwanze im angeblichen Tageslicht der Lampe hinterher. Ich überlege nun, ob es sich bei dieser um die vielleicht inzwischen reincarnierte schöne Marlene handelte, einer gebürtigen G’erin, die mir einst mein Herman-Brood-T-Shirt abreden wollte, was ihr aber nicht gelungen war. Damals fuhr ich einen dunkelblauen Lada-Kombi ohne Dachreling.

bsp. Tautreten

Die paar wenigen Nächte nun, wenn die Grillen noch zirpen einerseits, bevor sie sich in die Aufzugschächte der Krankenhäuser und Sterbebereiche von Pflegeheimen zurückziehen, dagegen ein paar Hunde schon aus der Ferne bellen und es hat 4 Grad, wie im Winter, so ein spezieller klargläserner Klang, obwohl doch noch Bienen fliegen, dann riecht man nicht Schnee, aber schon Eis oder das, was kommt. In diesen kalten Nächten jetzt fahren auch die Kleinbusse aus der Ostmark (Kriegsenkel) und laden ihre stets versicherten Frachten aus, mal haben sie mehr Herz, mal etwas weniger, und morgens bedrängt eine tiefschräge Sonne, dann kann man herrlich erfrischend Tautreten nach Abenden in Kneipen (oder auch nicht), oder man könnte jedenfalls, mit einer Tasse fair gehandelten äthiopischen Kaffees in der Hand, bevor man später nur beispielsweise ein Seminar über die vorrübergehende Beherbergung minderjähriger alleinreisender Flüchtlingskinder besucht oder – ungleich wichtiger – eigene Rechenfehler ebenso eigener Rechnungen korrigiert, voll mathematisch alleinreisender Grundgram, oder sich in Listen zur Organisation der Aufsicht von Ausstellungen hineinschreibt. Wesentlich ist immer, dass man was zu erzählen hat, wenn man – z.B. oft beispielhaft – erzählt.

FritzFranzFriederich

Die Kirschkern sagt „Papa, Du siehst aus wie ein alter Hund.“ Die K. isst mallorcinische Schweinefüße als Vorspeise (schon im Juni). Beides darf ich nicht ins Internet schreiben, sagen sie, beide. Es heisst „Brezel“ und nicht „Breze“. Das Hantieren mit Buchstaben und Wörtern. Seiten wären füllbar, oder auch nicht. Die Kirschkern hat der alten Dame deren bereits vor bald zwanzig Jahren handschriftlich verfasste Memoiren abgerungen und nach der Tortursiedlung mitgenommen, um diese dort abzutippen. Sie ist bereits auf Seite 22. Wunder, dass sie die großmütterliche Schrift lesen kann, halb noch Sütterlin gemischt mit ‚Deutsch‘. Und ich bereue die mir fehlende Anonymität. Große Dinge, kleine Dinge. Die Hände sind mir verbunden für das, was ich gerne umschreiben und schmücken wollte, ggf. an die Wände malen, nicht lichtecht, dennoch ziemlich wahr. Aber neu und ungemein beruhigend, ein paar Sachen, im Jetzt, im Damals und vielleicht auch im Morgen. Ohne Grauen, keines mehr da. Späte Genüge. Wie kleinlich. Oma, die alte Dame, ist Zeitzeugin der aussterbenden Sorte, da sind wir uns einig. Und der Spruch mit dem „alten Hund“, der gefällt mir. Da stimmt was dran. Nach ausführlichem Studium der Vaporetti zu Venezia ist mir endgültig klar: Als echter Mann musst Du vor allem ein Schiff fahren können. Ich wär ein guter Busfahrer in V., da bin ich mir sicher, ich könnte schon morgen anfangen: Das Ansteuern der Haltestelle, dann dort etwas zurücksetzen, damit der zweite Mann (oder die zweite Frau) den Tampen überwerfen kann, danach weiter ein bisschen zurück in Viertelskraft, damit sich die Leine festzurrt von alleine, und dann Ruder entgegen der Ausstiegsstelle mit Fünftelskraft, auch je nach Seegang und Wellen. Ab und an einen Ellenbogen greifen, auf dass nichts zwischen Bordwand und Ponton gerät, Kinder, Alte, Kranke, Blöde, Dumme. Und alles Diesel. Die Kirschkern erzählt, in Frankreich habe sie einmal Spätzle gemacht für die Gastgeberfamilie, woraufhin diese meinten, das seinen „Nudeln“, woraufhin sie korrigierte, „Nein“, das seien keine Nudeln, das seien „Spätzle!“. „Aha, also Nudeln?“ und sie: „Nein, Spätzle!“ Mehrfache Korrektur diesbezüglich, das gefällt mir. Beim ersten Tor gegen Polen boxte mir Ivona gegen den linken Oberschenkel und lachte laut und verzweifelte fast. Entschuldigte sich sogleich mit ehrlichem Schalk fürs Boxen, sie sei immer sehr emotional beim Fussballschauen. Während die alte Dame aus ihrem verbliebenen Auge heraus aufs Sofa herüberplierte. Ivona hat ein wirklich sehr großes Herz, die alte Dame eine gedachte Augenklappe, jedenfalls bei mir, ihr kaputtes Auge wird langsam irgendwie dunkelfarbig, wie bei Agatha Christie. Wir müssen tatsächlich irgendwann über eine Augenklappe nachdenken. Von der anderen Seite her boxt mich oft die Köchin, wenn ich sage „Und Du, Du hast Schweinefüsse gegessen! Unglaublich!“ Die Kirschkern sitzt oder saß daneben auf dem zweiten und letztverbliebenen Rattansessel (Bj. 1971), kaute an Mangoschnitzen von Alnatura und freut sich in ihrem Gemütlichschlafanzug meist oder oft an der Gesamtszenerie. So scheint mir. Wir sehnen uns jetzt alle nach dem Herbst und Winter, wenn wir wieder dreimal hintereinander „Tanz der Vampire“ ansehen können an einem Abend. Oder ‚Türkisch für Anfänger‘ oder ‚Der Tatortreiniger‘. Und wenn Oma ein Name fehlt, bezüglich einer männlichen Person, dann sagt sie immer „Na, Du weisst doch…, nu sags doch…! Der… FritzFranzFriederich!“

Immer dann, in solchen Momenten, nehme ich, von allen Anderen unbemerkt, der Köchin Hand in die meine und flüstere ihr zärtlich leise ins Ohr: FritzFranzFriederich.

Unser Badeplatz

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Abb.: Unser Badeplatz, unweit der Stelle, an der Fr. Nietzsche im August 1881 nahe Surlei beim Betrachten eines mächtigen pyramidal aufgethürmten Blocks der Gedanke der ewigen Wiederkunft kam.

Endlich regnet es, damit der Rasen wieder wächst, damit man ihn wieder mähen kann. Im Garten reagieren die notdürftig aufgethürmten Holzabfuhren der Neuorganisierung des vergreisenden Hausinnern, sie verzogen sich in der Hitze und nun von der Nässe, werden blass und manchmal kracht es nachts laut, wenn die Balken, Bälkchen und manch vernagelte Hölzchen alter wertloser Kommoden und Blumentischchen brechen.

Die Köchin hat Vordergrund in der nächsten Woche, ein Piepser wird sie nun ständig begleiten für acht Tage, kein Glas Wein am Abend muss dann genug geschuldet sein dem Privatleben. Das nennt sich Notfallseelsorge, jederzeit kann man gerufen werden zum aufgethürmten Unglück. Alles freiwillig. Möge der Herrgott also ganz generell und sowieso beschützen die örtlichen und international alle Motorradfahrer und Verkehrsteilnehmer, angedachte Selbstmörder, irgendwie Verunfallte, Baggerseespringer mit dem Kopf vorraus, sämtliche Ertrinkenden und alle Anderen auch. Am Besten nicht nur in der kommenden Woche, und nicht nur hier im ländlichen Kreis. Sie erzählte mir mal irgendwann von einer Autobahnunfallkarambolage, eine Art Großschadensereignis war das gewesen, bei dem ein überlebender Ehemann und Vater über Organspenden seitens einer nicht volljährigen und soeben verstorbenen Tochter entscheiden musste. Bei spargesteuerten Kirchenaustritten denke ich dann stets an diese Geschichte. Es gibt ja auch immer Menschen, die dann irgendwie da sind, da sein sollen gefälligst, wenn Schlimmes passiert, daran haben wir uns gewöhnt, da haben sich unsere Erwartungen aufgethürmt als Staatsbürger, wir erwarten ja sowieso immer alles.

Ist im Grunde ja auch richtig.

Äpfel gibt es keine dieses Jahr, die fallen bereits jetzt wegen Wassermängeln vom Baum. Auch recht. Dafür Tonnen von Brombeeren, die schon zu schmocker Marmelade eingekocht sind. Ein frischer heisser Toast, dick eiskalte Butter drauf und dann Marmelade vom Gartenbrombeer darüber aufgethürmt – es gibt verdammt wenig Leckereres.

juhe 13.8.15

juhe 13.8.15

Kinderstubenlose Musiker kaum über zwanzig, die ihren Open-Air-Festival-Rausch ausschlafen und die Bude zurücklassen, wie nach einem Bosnienkrieg, inklusive der Bäder, das ganze Gebäude ward durchströmt vom Geruch von Generationen ungeduschter Jugendlicher, eine Art Turnbeutelduftwolke im Fallout, die sich in Wände, Möblierung und den Linoleumboden eingefressen hat, unlöschbar. Dazu die Tatsache, dass wir uns im Spitalviertel des Städtchens befanden, in dem seit Jahrhunderten, wenn nicht sogar seit 1000 Jahren, die Kranken, Siechenden, Alten und geistig Verwirrten untergebracht waren. Man hatte also die ganze Zeit das dringende Gefühl, umgehend die Hände waschen zu müssen, sogar unmittelbar nach dem Händewaschen. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass sich keine nennenswerten Befunde aufspüren liessen. Wer schmückt schon Gebäude für diese Gruppe von Klienten. Und doch war es eine merkwürdig gute Atmosphäre im allgemeinen Feng Shui des alten Großgebäudes, vielleicht die freundliche Geduld spürbar gegenüber den Nachwachsenden, ein große Menschenliebe im Angesicht der kleinen Mallheurs, die sich schon irgendwann auswachsen werden.

Am warmen Abend unter den Linden im Tal. Erinnerungen an vergangene Arbeitsjahre ebendort. Das Flüsslein gluckst, die Mücken kommen, wenn die Wespen heimgehn. Im Sommerdunkel sieht man nicht, was im Bier schwimmt. Ich mag dieses Städtchen, trotz aller Kulissen.

Zu Hause ein Kampf der Energien der Generationen. Es ist nicht leicht. Eine Komplettverantwortung, auch wenn Teile nun ausgelagert sind. Auch die Auslagerungen jedoch müssen supervisiert werden. Vorerst ist vieles wieder in Bahnen. Das waren meine letzten fünf Monate, überwiegend. Bisschen erschöpft darf ich sein und so seh ich wohl auch aus. Einfach mal gar nichts mehr tun, das wäre schön, und trotzdem im Nichtstun ein Feierabendgefühl entwickeln können. Die Scheunen für den Winter müssen jedoch gefüllt werden, auf dass wir uns dann an langen Abenden die ganzen besonderen und schönen Geschichten erzählen können, ohne zu hungern. Zum Beispiel die Geschichten von einer Hochzeit und die einer Reise, die noch kommt. Sowieso kommt noch vieles. Auf das ich mich schon freue.

Wahrscheinlich liegt das alles an meiner Kinderstube. Anders als Andere fand ich es auf Klassenfahrten nie witzig, in einen Mülleimer zu pinkeln, den dann die südosteuropäischen Reinigungskräfte leeren hätten müssen. Ich bin dankbar für den Erhalt meiner Vorfreuden. Wahrscheinlich bin ich ein großes supernaives Kind, bis ich irgendwann umfalle.

Abb. oben: Mein erstes Handybild.

8.8.15

Diese warmen Sommernächte im Atelier am Waldrand mit Farbe an den Fingern und sonstwo sind die Schönsten, sie sind das Schönste. Könnte das immer so haben. Mit ein bisschen Winter dazwischen mit dick Schnee. Ich danke dafür.