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.arbeit
15.01.2020

Mit dem Feinputz entlang der Ränder die großen Fehlstellen geschlossen. Die vergangenen zwei Tage ebendies bewerkstelligt an den Spicklöchern, die in den historischen Malputz mit einem Beil eingeschlagen wurden vor der Überputzung wohl gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum Zwecke der besseren Haftung ebendieser auf dem Altbestand. Die Malereien vermutlich aus dem letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts als Wanddekoration eines kleineren Raumes im zweiten OG mit Blick auf den Kirchplatz, vielleicht ein Bibliothekzimmerchen und/oder ein Studiolo. Landschaftsszenen mit Apfel- oder Kirschbaum, sehr graphisch angelegt. Man muss zügig arbeiten, da der Putz schnell seine Feuchtigkeit in den Grund und Unterputz abgibt, also „anzieht“ und damit fester wird. Das Nacharbeiten und Modellieren wird dann schwieriger. Eine duchaus bildhauerische Tätigkeit, die viel Konzentration erfordert. Zunächst, nach dem Antragen des Materials mit Kelle und Stuckiereisen, mit einem kleinen geeigneten Holzstückchen das Abreiben der Oberfläche, sodann mit einem harten und sehr kleinporigen nassen Schwämmchen das behutsame Glätten der Oberfläche in Feinarbeit. Fertig und noch in nassem Zustand sieht das dann immer sehr „lecker“ aus, finde ich. Wie ein wunderbarer italienischer Nachtisch.
13.01.2020
g c a d

G – C – A – D, seit sehr langer Zeit mal wieder am Klavier gesessen und darüber ein bisschen improvisiert und geklimpert, ich, in der blauen Stunde, es ist ein Hoffmann Piano von 1969, weiss lackiert, alt vertraut. Der Hall im Hause nun ein ganz anderer Klangraum, weil nicht mehr so viel herumliegt hier, bis hinauf in die Dachspitzen und der Kunststeinboden klingt wie tiefgefrorenes Eis, die Töne haben eine sonderbare Schärfe und winterliche Klarheit, draußen ist’s kalt ohne Schnee, leider immer noch.
Heute Dreikönig, die Rauhnächte sind vorbei. Dieser wohltuende Stillstand zwischen den Jahren scheint mir stets gottverordnet. Man soll ja auch keine Wäsche waschen vor dem sechsten Januar, weil sich in den zum Trocknen aufgehängten Hemden, Schlüpfern und Socken etwaige böse Geister fangen könnten. Stattdessen geht man „Stuben“, besucht also reihum Freunde und Nachbarn, um dann die Abende dem Erzählen und allerlei Handarbeiten zu widmen. So sind außerdem abwechselnd das Holz und die Kerzen gespart, heutzutage das Öl und der Strom.
Die Heizung brummt. Und irgendwo hier in den Grundmauern befinden sich Gegenstände, die einst, beim Gießen der Fundamente, von jedem damalig künftigen Bewohner in den nassen Beton gegeben werden mussten. So hatte es mein Vater offenbar bestimmt. Es sollten geliebte Sachen sein, ein ‚Opfer‘ sozusagen, beschwörend die Zukunft und das eherne Sein. Auch wir Kinder mussten so etwas beitragen. Ich selbst kann mich nicht erinnern, ich war zu klein. Meinen Bruder allerdings hat es wohl sein Leben lang beschäftigt. Die durchaus innere Kälte dieser Erwartung. Die Härte des Vaters zu sich selbst, die er von allen anderen ebenso eingeforderte. Selbst von den Jüngsten. Es war wohl sein Lieblingsspielzeug gewesen.
Die Gartenvögel lassen die Hälfte vom gemischten Vogelfutter im Häuschen liegen. Alle Sonnenblumenkerne sind weg, aber der ganze Rest ist noch da. Ich denk‘ mir also, so schlimm kann’s nicht sein mit dem Hunger. Aber wer weiss schon um die Gründe der Vögel. Ich würde auch lieber erfrieren, bevor ich Heuschrecken oder Sushi esse. Viel Rauhreif auf den Stengeln und Büschlein, es ist eine Freude, da hinzuschauen. Wenn die Sonne ins Haus scheint und wärmt, erwachen ein paar lebenserfahrene Fliegen. Um spätnachmittags gleich wieder einzudösen.
Hätte mein Vater länger gelebt, es hätte sicherlich Riesenkräche mit ihm gegeben. Zwischen ihm und mir. Wegen Geschichte, Politik, Militär und allem möglichen Anderem. Er hat aber nicht länger gelebt, daher hat es auch diese Kräche nicht gegeben. Verstanden hingegen hätten wir uns sicherlich bezüglich der Herstellung von künstlerischen Bildwerken. Das war immer sein Fenster gewesen. So wie es meines ist.
Mein schönstes Weihnachtsgeschenk übrigens: Eine Sense. Endlich!
Uebergangshelfer

Ich hatte ja irgendwie nie diese eine sichtbare skulptural-reliefartige Super-Ader, da am Bizeps. Auf die die Frauen so stehen. Weder links noch rechts. Wie zum Beispiel, wenn männliche Bedienungen im T-Shirt und besten Alter schwere Tabletts mit angewinkeltem Arm tragen. Habe zwar auch Bizeps und oft auch jede Menge schwere Sachen zu tragen, kein Problem für mich, aber jene Ader war und ist nie so richtig zu sehen. Oder ich seh‘ sie einfach nicht, weil ich nicht die ganze Zeit auf meine Bizepse achte.
Die Krähen denken bestimmt nicht darüber nach, geschweige würden sie es sogar bedauern, warum sie angeblich nicht so intelligent seien, wie Menschen. Auch Igel nicht, noch Spatzen, noch Käuzchen. Nur Menschen denken sich sowas.
Mit den Fingerspitzen der rechten Hand, mit der ich mit einem Spezialschwamm nass die Putzränder der frisch angebrachten Mörtelergänzungen nacharbeite, könnte ich nach einer halben Woche bereits Holz schmirgeln, so rauh und aufgebrochen sind sie vom ätzenden Kalk. Ich unterschätze das immer wieder auf’s Neue. Bebanthen Heilsalbe hilft, ich habe immer ein kleines Tübchen dabei. Noch besser wäre es, einen Handschuh anzuziehen. Aber das ist eben so, alles immer, und wird wohl so auch bleiben, bis ich mich verrente oder abberufen werde.
Die Kirschkern bedankt sich bei mir für die Gene, bezüglich ihrer eher kleineren Körpergröße. Ich entgegne reichlich empört, „Das hast Du natürlich von Mama!“, da ich ja ein nordischer Hüne (mit geädertem Bizeps) bin. / Ein schönes, warmes und lustiges Telefonat. So ein ‚Vater-Telefonat‘, eines jener.
Bahram und Salman haben beide ihre vor einem Jahr begonnene Ausbildung abgebrochen. Bahram besucht nun weiter die Schule, mit dem Ziel des Realschulabschlusses. Salman will endlich selbstständig sein, er hat freiwillig die Jugendhilfe verlassen und arbeitet mit einem, derzeit noch, befristeten Arbeitsvertrag als Lagerist im Baustoffhandel.
(…)
Neulich habe ich gelesen, dass die Deutschen im Durchschnitt 2.632,00 EUR an Weihnachtsgeld bekommen. Auch ich freue mich natürlich auf mein Weihnachtsgeld, dass ich mir allerdings selber ausbezahlen müsste, da ich ja die Firma, also der Chef, bin. Ich befürchte allerdings, das wird nichts. Ich erinnere mich vage, dass ich während des Zivildienstes Weihnachtsgeld bekam, ebenso zu Zeiten meiner praktischen Ausbildung, damals also ungefähr 200 Mark, soweit ich da richtig liege. Ich müsste mal in den alten Gehaltsnachweisen nachschauen. „Weihnachtsgeld“ ist für mich die alte BRD. Mitsamt SPD und solidarischen Systemen und so weiter, lange her. Umso erstaunter war ich, dass es auch heute noch ein durchschnittlich so hoher Betrag ist. Meine Empfehlung daher für Empfänger eines 13./14. Monatsgehaltes: Kaufen Sie Originale, zum Beispiel und am besten von: mir.
Zwei neue Winterreifen gestern, und sie haben beim Montieren auch entdeckt, dass die Bremsen komplett runter sind. „Sollen wir das machen?“ Ja, was soll man machen. Irgendwo muss das Weihnachtsgeld ja hin.
Während des Richtens und Machens wollte ich, wenn ich schon so früh durch die morgentliche Stadt laufe, bei der Krankenkasse nach den Möglichkeiten einer kleinen Kur, einem Kürchen also, für Selbstständige fragen. Die Krankenkasse macht aber erst um neun Uhr auf. Also habe ich einen Kaffee hier getrunken. Und mich an alte Zeiten erinnert, an Hohlstunden und Altgriechisch-Noten. Und Gespräche über Leben, Kunst, Frauen und den nächsten Kaffee.
Und die sturmfreie Bude, während die alte Dame zur Kur war und ich mit Britta in der lauwarmen Badewanne saß, in die ausversehen der Aschenbecher gefallen war.
Bald ist nun Ewigkeitssonntag. Im Gottesdienst wird dann aller im Jahr Verstorbenen gedacht. Also auch der alten Dame. Und damit natürlich irgendwie auch ihrem Mann, meinem Papa. Der mit den großen expressiven Aquarellen. Zwischenrein muss ich aber auch immer mal wieder achtgeben, mich nicht von der alten Dame zu sehr mit ins Reich der Belange der Toten ziehen zu lassen. Gerade im November. Da muss man schwer aufpassen.
Im Atelier-Nord gewesen, ebenda in der komischen Oper gewesen, bei Nosbüsch und Stucke gewesen. Das war schön. Und auch mal wieder im Würgeengel gewesen, mit Frau Mullah. Ist nicht mehr so wie früher hier in der Bar. Leider. Vielleicht liegt es an mir, an uns. Es war immer eine so schöne zeitlose Insel, drumrum der jeweilige und oft belanglose Mainstream. Vor 23 bzw. 26 Jahren verbrachten wir, ein skulpturaler Kollege und ich, in Cowboystiefelettchen fast jeden zweiten Abend dort und sinnierten am Tresen über Leben, Kunst, Frauen und das nächste Bier.
Wir benannten unsere gemeinsamen künstlerischen Vorhaben fortan als DAS DEUTSCHE HANDWERK.
Fast schon eine Liebeserklärung.
Der Chef der Rohbauer ist, einige Zeit nach jenem Unfall am Wiedervereinigungsfeiertag, nun doch überraschend und tragisch verstorben. Eigentlich ging es ihm wohl schon besser und er sollte zu seiner Frau in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Zehn Jahre jünger als ich. Auf der Baustelle hängen Zeitungsausschnitte mit Nachrufen und eine große weiße Kerze steht davor, die manchmal brennt, weil sie irgendeiner heimlich angezündet hat. Ein paar Beileidsbekundungen sind gekritzelt. Aber der schöne Bernd lacht jetzt nicht mehr.
Ein kleiner Text und eine Collage sind im „Jahrbuch der Erotik“ veröffentlicht worden. Darüber freue ich mich. Ist der Verlag doch immerhin im nahen Kreisstädtchen ansässig. „Mein heimliches Auge“, eine ganz wunderbar sündige Buchreihe, und das nun schon über so viele Jahre.
Die Blätter dieses Jahres lass ich wie immer liegen auf dem einstmaligen Rasen. Gute Nacht, ihr Insekten, bis nächstes Jahr. Im Kompost, betonummantelt, noch Asseln, die sich freuen über altes Brot und Eierschalen. Spinnen auch, die freuen sich dann über die vollgefressenen Asseln. Rauhreif auf Stengeln und Ruten, jetzt auch wieder Eiskratzen und Vögelfüttern und bald dann wohl schon wieder Schneeschippen.
Engel seien theologisch „Übergangshelfer“, erklärte mir Frau Mullah. Insofern wäre dann ein Würgeengel ein „würgender Übergangshelfer“.
Na gut, mir soll’s recht sein.
Und ein zeichnender Freund und Kollege, übrigens einer der besten Zeichner der Welt, schrieb mir: „Wieso gibt es nur sowas wie Psyche? Ohne wäre vieles einfacher. Das meiste, was da bei einem im Kopf passiert, führt doch zu nichts.“
9.11.
RG
Die Trockenbauer stammen aus Kroatien und palavern den ganzen Tag mehr als angeregt. Ihr Chef hat den Schnauz wie Nietzsche. Ein stattlicher Mann, der Bart unterstreicht. Er ist 58 Jahre alt, erzählt er mir. „Schon Enkelkinder?“ „Ja!“ meint er stolz, und lacht. Sie bauen Brandschutzplatten ein, sogenannte F-90 Platten. Das bedeutet, dass der Aufzugbereich einem Feuer theoretisch 90 Minuten lang standhalten kann. In 90 Minuten seinen dann alle evakuiert, so heißt es. So die Planung. „Aber was sind schon 90 Minuten, was heisst schon ’sicher‘?“ fragt er. „Sicher ist nie!“ Er sei gerade in Deutschland angekommen gewesen, damals in den frühen 90ern, da ging der Krieg los in Jugoslawien. Drei Jahre lang hat er dann dort mitgemacht. „300 Granaten am Tag!“ Die ‚Drei‘ mit überaus gerolltem „R“. Einmal sei eine zwanzig Meter neben ihm explodiert. Er werde das nie vergessen. Sein Schwager, damals gerade 19 Jahre alt, ist in diesem Krieg gestorben.
„Was ist sicher?“ fragt er abermals laut und schaut mich durch seinen Bart eindringlich und sichtlich bewegt an. Seine Augen sind nass. Schnell arbeitet er weiter.
Ich frage die Köchin, ob man im RG (Reich Gottes) eigentlich auch Sex haben darf. Die Antwort via WhatsApp sogleich „Ich bin mir ziemlich sicher!“ Bin erleichtert.
Der Chef und die Chefin der Rohbauer sind auf der Rückfahrt von einem Kurzurlaub im Oberbayrischen mit dem Auto verunglückt. Sie seien beide schwerst verletzt und lägen irgendwo im Krankenhaus. Der unfallgegnerische Fahrer sei tot. Nun geht es darum, wie und ob überhaupt Gehälter weiter ausbezahlt werden können. Die Beschäftigten haben eine spontane Betriebversammlung auf der Baustelle vereinbart, keiner weiss derzeit, wie es weitergeht und ob der Senior noch Prokura hat.
Auf der anderen Baustelle erzählt mir ein schwäbischer Dachdecker lustige Witze, zum Beispiel einen, in dem ein „blinder Opa an tönernen den weiblichen Brustwarzen nachempfundenen Nippeln am Kamin saugt“. Sehr hässlich. Wieso passiert es oft ausgerechnet mir, dass die Leute ihren Kram an mir abarbeiten? Ich bin zu freundlich. Er lacht dann vor allem selber drüber. Er ist nett, gewiss, ansonsten zugewandt sogar, aber seine Witze sind mehr als nur blöde. Eigentlich scheint er mir viel zu klug für solche Witze. Es sind sicherlich Übersprungswitze, so denke ich mir. Und aber ich, ich muss weiterarbeiten. Also lächle ich Witze und Fragen halbgrimmig weg, in der Hoffnung, er möge kapieren. Und sage „Ich muss jetzt weiterarbeiten!“ Alles andere Verschwendung, von Lebenszeit.
Und Arbeitszeit. Ich bin ja nicht angestellt, sondern selbstständig. Ich kann mich auch nicht krankmelden oder zwei Stunden Mittagpause im Bauwagen machen, einfach so, in der Hoffnung, keiner merkt’s. Und das Geld rieselt weiter. Oder sinnfreie Witze erzählen unter Tag.
Beim Weiterarbeiten also fragte ich die Köchin, ob es im Reich Gottes auch eine Raucherecke gäbe. Schäme mich alsbald für diesen kleinlichen Gedanken. Ich wäre jedenfalls sehr gespannt auf’s RG.
Wie ich erst vorgestern erfuhr, hat mein Vater als 19-jähriger ein Eisernes Kreuz 2. Klasse erhalten, da er „am Brückenkopf von Amiens in stärkstem Feuer einige schwerverletzte Kameraden in die eigenen Linien holte“. Ich wühle mich so durch, muss, durch diese ganzen Hinterlassenschaften. Bin zwar immer noch den überbordenden Verblichenen wohlgesonnen, aber ich hoffe, dass ich bald alles dann auch mal ablegen kann, ordnen, verpacken, zuweisen und endlich: Wegräumen. Nach diesem Jahr. Auch dann, wenn ich lesend finde oder findend lese, die alte Dame hatte es festgehalten, daß, als der Vater an den späten Folgen der Mangelernährung während seiner russischen Kriegsgefangenschaft gestorben war, „der kleine Schneck darauf wartet, daß der liebe Gott, wenn er das große Wehweh vom Papa heile gemacht hat, ihn uns zurückschickt.“
Über all solches behauptet ja die AfD, es sei ein „Vogelschiss“ gewesen. Innerparteilich unwidersprochen.
sic.
(Ich werde diese Einschätzung mal an meinen Vater in’s RG weiterleiten.)
Die Steinmetze der anderen Baustelle haben mir ihre angefangenen Säcke vom Kalkmörtel geschenkt. „Wir schmeißen das sonst eh‘ nur weg.“ Danke. Mein Lager am Material wächst. Die schönsten Rückfahrten sind diejenigen von der schwäbischen Alb hinunter nach Hause. Erst die weiten gerauhten und leeren Gegenden, dann der steile Abbruch. In engen Windungen hinunter zu harmonischeren Kurven, bis sich die Landschaft sanft glättet zwischen den Klifflinien des Jura und dem uralten Schwarzwald in mittlerer Ferne. Noch dahinter der Rhein und die Vogesen.
Und es gibt auch schöne Hinfahrten, zum Beispiel diejenige über die A9.
8.10.2019
1523

Beim Weinhändler verköstigend rundum erörtert. Die Herbstgeilheiten fangen jetzt wieder an. Merkt man an den Blicken und dem Fußgewippel unten am Stehtisch. Und dem Fingerausspreizen mit Weinglas. Und die Armbanduhr klackt öfter auf den Tisch oder sonstwas. Sowie an den feinen Stimmlagen zwischen unzusammenhängenden Balzsätzen.
Beim Bratwurstfritzen sitzen am Nebentisch zwei Russen im Gespräch, der eine graublond langhaarig meliert mit Turnschuhen und souveräner Kotelette, mein Alter, sicher Geheimdienstleute mit Kontaktgiftmordplänen, mir aber egal. Kaufe zwei Dosen Sauerkraut und fünfzehn Würste zum Verschenken. Grüße die Spione beim Gehen freundlich, die schauen mich aber nur komisch an. Schnell weg.
Einen kleinen trommelschlagenden Engel vorsichtig aufgedeckt, sowie eine Jahreszahl. „1523“. Hat man gerne, kommt ja nicht so oft vor. Habe 100 weitere Skalpellklingen bestellt und bereits postalisch erhalten. Beim Gang in den WC-Container der Großbaustelle ebendort den Toi-Toi-Kalender 2018 im Hinterzimmerchen liegen sehen. Keiner hängt ja sowas noch auf. Traut sich niemand mehr. Dabei im Grunde so rührend harmlos ggü. dem, was wirklich zu sehen ist heutzutage, wenn man das denn sehen will. Es gibt viele Malocher, immer noch, die kruppen den ganzen Tag, irgendwo in der Ferne, wochenlang. In Bauberufen. Um das Geld dann nach Hause zu tragen zur Frau und Familie. Monatelanges Wohnen in Containern oder irgendwo in billigen Monteurspensionen. Für diese und deren Sehnsüchte sind solche Kalender da. Solche Träume eben. Damit sie wenigstens wissen, wofür sie kruppen und ihre Körper runterarbeiten. Männer haben ja einst die Maschinen auch nur erfunden, damit sie schneller bei der Frau sein können. Um dann zehn Jahre früher zu sterben. Diese Kalender sind also quasi Überbrückungskalender. Übersprungskalender anderer Arbeitswelten. Da sollte man auch nicht rummachen oder zu sehr pingelig sein, finde ich.
Erinnere mich an die Fernsehbilder, als die britische Flotte zum Falklandkrieg die heimischen Häfen verließ. An der Pier standen die Ehefrauen der Matrosen und viele entblößten ihre Brüste als liebevoll flehendes Abschiedszeichen: „Komm‘ bitte wieder!“ Niemand hat sich meines Wissens damals aufgeregt. Im Gegenteil.
„Der schöne Bernd“ legt sich mittags auf eine Klappliege vor den Pipi-Containern im ehemaligen Pfarrgarten und döst. Rohbauer haben es nicht leicht. Sein Kran dümpelt solange in der Sonne, wahlweise Regen. Wenn der Kran läuft, dann macht’s „surr – surr“. Unten steht eine Kiste Bier. Wahrscheinlich alkoholfrei, alles andere ist ja verboten. Derweil die Dachdecker oben ihre Biberschwänze verlegen und mühsam auf Altbau zusägen. Bei Regen machen sie Pause. Mit dem thüringischen Steinmetz-Capo aus Erfurt über ihren Mitarbeiter Youseff aus Marokko geredet. Dieser glaube nicht an die naturwissenschaftliche Schöpfungsgeschichte, berichtet Capo. Beten tut er abends, die fünf Mal holt er dann nach, das geht irgendwie, auch auf Baustelle oder in Pensionen. „Jeder soll glauben, was er will. Ich glaub‘ an nichts“, sagt er nett. Ich stimme ersterem zu.
Für 18 mal 18 cm ungefähr drei Stunden gebraucht. War länger nicht. Penibel und mit Stirnlupe bewaffnet. Dazu auch noch eine alte Elektroleitung ausgebau, die mitten durch den Altbestand führt. Es gibt viele solcher Schlitze, die sich durch bedeutende historische Malereien oder aufwändige Dekorationen ziehen, leider. Sehr schade, oftmals. Aber woher sollten die einstigen Elektriker auch wissen, wo hinein sie da ihren Schlitz fräsen und legen? Überlege, ob der für diesen Schlitz verantwortliche Handwerker wohl noch lebt. Und was er erlebte. Wirtschaftswunder? BMW-Isetta? Und vorher Kriegsverbrechen?
Staubig ist es. Wieviel Staub ich wohl schon eingeatmet habe bei dieser beruflichen Tätigkeit über die Jahre. Und wieviel giftiges Auripigment oder Zinnober und dergleichen. Eigentlich mag ich Staub. Und renne nicht gleich weg, wenn’s irgendwo bröselt. Eher fühle mich dann immer dazu berufen, aufzukehren. Vielleicht sollte ich das, spätestens jetzt dann langsam mal, tun: Das Einatmen von Stäuben zu vermeiden. Der Mensch aber lebt ja nicht von Luft allein.
Am Arbeitstisch im Atelier derweil neue kleine Arbeiten, die mir immer undurchsichtiger werden.