Normalerweise würde man sich nun um ein Pseudonym für sie bemühen. Aber in ihrem Fall kann nur ihr wirklicher Name verwendet werden, will man alles noch einmal vorbeiziehen lassen, am Waldrand und vom Waldrand und vom Waldrand aus. Therese ist in der vorletzten Nacht im Nachbarhaus oben am Wald gestorben, nach langer Krankheit. Alle ihre Kinder waren dort, alles war friedlich und während dessen saß ich hier und habe dem Kirschkern in ihr Buch geschrieben, was es gerade festzuhalten gibt und nichts vom Sterben bemerkt. Oder doch? Ihr einer Sohn, mein Tierarztkumpel und gleichzeitig der beste Freund der Jugend, er hat es mir gestern mittag unten auf der Straße kurz erzählt. Es ist gut so, hat er gesagt, er ist ja Arzt. Und dass er jetzt ein paar Tage die Praxis schließt, normalerweise schließt er nie. Dann hat er kurz geweint, normalerweise weint er nie. Das ist gut so. Therese und ihr Mann waren in den Fünfzigern nach Westdeutschland gekommen, mitsamt Oma. Aus Erfurt in Thüringen. Als Architekt am gleichen Bauamt lernte mein Vater den Mann von Therese kennen und die Männer beschlossen irgendwann, zwei zu bebauende Obstwiesen am Waldrand des Sackgassendorfes nahe der heute von ausschließlich guten Menschen belebten Stadt zu erwerben, für einen Apfel damals und zwei Eier. Ohne Therese kann man sich diese Grundstücke gar nicht vorstellen. Dieses Dorf, diese Landschaft und deren Geist und Theorie. Und es gab diese Kämpfe gegen die Ureinwohner, es gab Banden und Gegen-Banden, wir hier oben waren die „Reingeschmeckten“, die Hochdeutschsprechenden, wir wurden verprügelt und wir mussten früh lernen, dieser Prügel schlau zu entweichen, mein Tierarztkumpel und ich und dabei hat uns Therese immer wertvolle Ratschläge gegeben. Hart war das, aber schön. Zwei Jahre nach Fertigstellung der Häuser zog der Tod bei den Schnecks ein, mein Vater verstarb und mein halber Bruder musste zurück zu seiner Mutter in’s entfernte Bremen übersiedeln. Die große Familie im Nachbarhause war da ein großes Netz, das ein Nest für allerlei Entwicklungen geben konnte und es gab ein Schwimmbad. „Tante Therese“, so nannte ich sie damals in Zeiten, als man als Kind noch selten die Erwachsenen mit dem reinen Vornamen ansprechen durfte. Sie war immer da, öffnete mir immer freundlich die Haustüre und immer sagte sie „Komm rein, setz Dich erstmal hin und erzähl, magst Du was trinken?“. Sie bot ein glückliches Zuhause neben dem anderen, dem zerklüfteten eigenen Zuhause. Sie hörte einem immer zu, egal, ob ich oder wir zehn oder zwanzig Jahre alt waren. Und sie konnte zu allem sehr einfühlende Ratschläge geben, waren es Probleme des Waldes und schlimmer Kinderträume oder später dann Probleme des Bereiches von Gefühlen, Berufen und Liebesdingen. Sie zündete sich dann immer eine Zigarette an, sie war eine katholische Enklave inmitten evangelisch-pietistischen Neulandes und das Rauchen hat sie erst mit siebzig aufgegeben. Es gab einen geflügelten Witz damals, der lautete folgendermaßen: „Was sitzt auf dem Dach und raucht?“. Die Antwort, eigentlich ‚ein Schornstein‘, sie war: „Therese!“. Sie war es, die den Kontakt zur Erde herstellen konnte, wie schlimm die kindlich empfundenen Vorkommnisse auch sein mochten. Noch vor fünf Jahren, als die meinige alte Dame schwer erkrankt und dem Tode auf der Schaufel lag und ich von Berlin aus überstürzt an den Waldrand gefahren war, um der Mutter Beistand zu leisten, da hatte sie oben im Haus Kartoffeln und Fleisch gekocht und brachte mir, gebückt den Gartenweg hinunterhumpelnd und zitternd schon, einen Teller mit warmen Essen an die Haustüre, „… damit Du doch auch was zu essen hast! Erzähl, wie geht’s dir?“. Sie litt unter der Parkinsonschen Krankheit. Sie sagte schon vor Jahren, mit dem ihr so eigenen Humor, sie wolle doch bitteschön endlich sterben und den Jungen Platz machen. Noch vor drei Wochen, im Rollstuhl ausgeführt polnisch und erinnerungsschwach, da drückte sie mir ihre Hand und ihre immer lachenden Augen in die meinigen. „Agathe, die Puppe kotzt!“, das war eine ihrer Redewendungen. Ich habe tatsächlich als erste Fremdsprache nicht etwa das Schwäbische erlernt, sondern das Thüringische. Sie war und ist mir eine zweite Mutter, obgleich ich ja eher väterlich verlustig ging. Da war immer bei ihr: Glück, vor allem Glück oder der Wunsch nach desselben. Da bin ich ganz einig mit ihr. Es ist schön, eine beste Freundin des Kirschkerns ist nun heutzutage eine der Enkelinnen von Therese. Und ich wünschte, so auch einmal zum Ende kommen zu können. Das Bild zeigt ihr damaliges Käfer-Cabriolet und die darin verstaute Kinderbande (hatten wir’s nicht schon mal davon? Die Klapp-Blinker?). Rechts Therese und der kleine Schneck ist auch mittenmang. Also, liebe Tante Therese, ich werde Dich und das Deinige niemals vergessen, wie könnte ich? Und wenn wir uns irgendwann dann wieder sehen, dann werden wir erst einmal eine Zigarette rauchen in der entsprechenden Küche.
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in gedanken einen hund ausführen, welcher, sollte es ihn jemals geben, etwa derzeit zur welt kommen könnte.
Christophorus
Die Winterspinnen aus den Gummistiefeln verjagen. Ins Holz vor Johannis. Auf die Baustelle in zwei Wochen, abermals in vierundzwanzig Metern Höhe. Sie wird über einige Monate frisches Obst bereithalten. Und fürs Kind bitte ein Bettchen, für mich bitte ein Frettchen, gerne im Pelz, später auch ohne. Und allseits gute Wege.
traha-lalala-
pong
gehst du rauf und wirfst den kleinen ball die treppe runter, du da oben, ich unten. pong pong pong. fang ich den ball, werf ihn rauf, du fängst ihn und wieder gehts hinunter PONG PONG PONG. ich werf ihn wieder hoch, du wirfst ihn wieder runter, pong pong pong.
Maerz
Dann war noch ein weiteres Taxenerlebnis, klein und diesmal wortlos am späten Abend. Ich bezahlte für den Halt in der Fontanestraße mit etwas Trinkgeld und wollte die letzten dreihundert Meter durch die Nacht mit Füßen gehen. Der düstere Taxiriese, ein mithin orientalischer Mittzwanziger im Muskelsaft und mit einer kühnen Ghettoglatze ausgestattet sowie allem, was einen selbst kaum weiter entfernt scheinen lassen könnte von diesem Lebensmodell, er kassierte und gab seine Wechselmünzen, um mich sodann schweigend bis direkt vor meine Haustüre zu fahren. Als kleines und stilles nächtliches kultur- oder klischeeumarmendes Geschenk? Oder hatte er diese Spreizung, die mir derzeit widerfährt, bemerkt und wollte mir einfach Gutes tun? Ich dankte es ihm und klopfte beim Aussteigen dreimal auf das Dach seiner Droschke. Wenn ich jemanden mag, dann klopfe ich ihm auf’s Dach, beim Aussteigen, das bringt demjenigen dann (in der Regel) Glück.
Nachmittags hatte ich mich nach der Übergabe der Schlüssel etwas hingelegt. Es war ein Tiefdämmern, in dem man bisweilen so schön fliegen kann. Da waren grüne Wiesen, Hänge, ein Haus und einige Schuppen und ein buntes Treiben aller meiner Lieben, auch wenn diese sich solcherart niemals treffen würden und der Kirschkern mittendrin. Wenn dann der Atem ins Kissen gedrückt seinen Rhythmus findet, vielleicht etwas zu schnell, dann mag vielleicht auch die Hyperventilation in’s Geschehen führen. Jedenfalls flog ich von hier nach da, mischte mich manchesmal ein in ausgelassene Gespräche, schlug kluge Versteckspiele vor oder pflückte einen Strauß Blumen, um ihn während grotesker und aberwitziger Luftmanöver zuletzt einer Geliebten zu schenken.
Am Mittwoch hingegen spritzte der Löwe erneut durch’s Gitter. Angesichts der gestrigen Ereignisse, kaum ein paar zweistellige Kilometer weit entfernt, konnte es nur ein kleines Rinnsal sein. Es ist ja immer entweder das große Kleine oder das kleine Kleine, was zum letztlich großen schwarzen Ereignis führt. Dieser Schwärze kann man nur immer und immer wieder das Licht entgegenschleudern und sei es dergestalt, dass man eben auch gelegentlich einmal zurückspritzt. Ich jedenfalls war froh und vor allem sehr dankbar, den Kirschkern abends wohlbehalten in seinem Bett zu sehen. Die Gedanken jenen Anderen. Demut ist keine alte Mode.
Übergabe
Stretch
Bei der Anprobe einer sommerlichen Oberbekleidung für Obenherum für Herren in leichtem Stretch und mit langen Armen und grünlich/beige/braun dünn gestreift mit südländisch weitergefasstem rundem Halsausschnitt für 24,95 bei Hertie fällt mir in der querverspiegelten Kabine einmal wieder auf, wie dermaßen scheiße mein Kopf von der Seite her gesehen aussieht, ohne Mütze. Allen Frauen und Geschäftspartnern in meinem Leben muss es genauso gegangen sein. Und keine Metapher der Welt hilft, nicht einmal diese.
verabredungen etc.
Seebühl am Bühlsee
Einen Mittagschlaf in Dahlem, die Kinder gut versorgt wissend. Auch Rechtsanwältinnen haben mitunter schöne Dekolltees, ob klein oder groß die Brüste darunter. Auch Dahlem hat schöne Bäume. Andere Männer meines Alters machen jetzt den Jagdschein. Ich dagegen verspüre (lediglich) Lust auf Groß- und Kleinschreibung. Wieso sollte man Rechtsanwaltsschreiben noch ankündigen, wenn ohnehin Krieg herrscht? Alle Soldaten sind schließlich Mörder. Hingegen beim alten Perser in Moabit gewesen, in Potsdam flanierend laboriert, dort und hie ein mittlerweile viermütterliches Wiedersehen und Erinnerungen an heftige und nicht unbedingt unkörperliche Vereinigungen vor zwanzig Jahren, es war der Kalte Krieg gerade noch und in Charlottenburg unter prachtvollem Stuck und irgendetwas mit Ketchup und Jazz. Am Waldrand dem Kirschkern erzählt, was sie erwartet, aus meiner vorsichtigen Sicht, sie schweigt und gegen Abend möchte sie dann unbedingt „Das doppelte Lottchen“ in der Originalversion sehen. Herrje, diese Art hat sie wohl von mir, jedoch für so ein Lottchen ist es nunmehr recht gründlich vorbei, dafür wurde ja hinreichend gesorgt. Kleine, heimliche Tränchen? Ach wo! Die Dachlawinen rumpeln die ganze lange Nacht, es geht mir gut dabei. Alles soll rumpeln jetzt, ich bin behütet, bewaffnet und bereit. Eine Frage des Anstandes bei Luftkämpfen. Fehlenden Anstand gleiche ich spielend aus mit meinen Anstand-Jetons, welche ich jederzeit bereitwillig verschenke. Und mit dem Arsch wackeln können sie alle, jetzt, wo die Frühlingsvögel aus den Löchern kriechen. Dies erfreut mich ganz und gar jovial und graumeliert, denn auch ich habe eine neue Hose. Suche neue Schuhe. Bis Mai muss das erledigt sein, Verluste (mitsamt Schäden) eingeschlossen. Knut hatte sich übrigens in seiner Höhle versteckt. Die Kinder waren enttäuscht, dafür gab es eine Faschingsparty ggü. dem Café, bei der sich die Theologin aus dem Doppelfenster lehnen und gemäß Vereinbarung laut in die abendliche Straße herunterrufen musste: „Ich brauche Klopapier!“. Es sollen dieses Jahr einmal wieder die Fingerspitzen regieren und wandern, manikürt und nicht zu flach, nicht zu fett, ins klitzekleine Geldtäschchen am Beinkleid, um nach der Münze für den Einkaufswagen zu suchen. Weitere spitze Wege wären gern gesehen, ein guter Geschmack auf Zunge, Blicke in böse Blusen und die Blumen dahinter. Normalbenzin wird wieder teurer und mehr, aber der Rückspiegel, der ist immer noch für alle da.