Räumen, von einer Ecke in die andere, dazwischen immer irgendwo gedanklich und tätig hängenbleiben und „was wollt‘ ich jetzt eigentlich ursprünglich machen, welcher war mein Plan gerade eben noch?“, hunderte gelber Säcke, den Restmüll möglichst zerdeppert, pulverisiert, damit alles in die kleine Tonne passt, Kisten auf der Straße „zum Mitnehmen“, die sich leeren, so solls sein, Haufen bilden für die Abfuhren, Häufchen machen für dies und das, Korrespondenzen verschicken an diejenigen, die es noch interessieren könnte, auch eine Kiste für originelle Kleingeschenke (z.B. Dr. Oetker Tortenguss von 1968 zu neunzehn Pfennige). Oder Vanillestangen und Hirschhornsalz in Glasgebinden von 1972. Daneben Plastiktüten längst vergangener lokaler Einzelhandelsgrößen.
Die Kleidung ist nun abgegeben, bis auf ein paar Erinnerungsstücke. Ich bin froh, dass ich so viel Zeit habe für das alles, Verabschieden. Oder endgültig bewahren. Oder Schatzkisten vergraben im Wald. Dass mir Grabpflege irgendeinen Spaß machen könnte, hätte ich auch nie gedacht. Was heisst schon „Spaß“. Die Fuchsien, die sie immer so mochte, gedeien prächtig. Normalerweise kann ich mir Pflanzennamen nicht merken. Es ist alles in Schalen gepflanzt, da die Erde sich immer noch senkt und aber weitere Geschehnisse da tief unten mag ich mir nicht detailliert vorstellen. So ist das eben mit dem Vergehen, alles nur geliehen.
Die Brotarbeit ist interessant, aber staubig. Ein paar Tage ein sehr altes Haus, welches wir untersuchen auf die Baugeschichte hin. Abends sehe ich aus wie ein alter SPD-Kumpel nach der Arbeit unter Tage. Schwarz im Gesicht und unter der Nase. Die ältesten Stäube sind ca. 520 Jahre alt, ganz ordentlich also, und sie brechen von oben herab über mich herein beim Öffnen uralter Deckenabhängungen in den Kragen meiner Arbeitskombination – ein hellgrauer Overall übrigens – bis zur Unterhose und das Hosenbein weiter hinunter bis zu den Arbeitsschuhen und zuletzt in diese hinein. Gut, dass mir die Arbeit Spaß macht. Obwohl die Gaststätte, die sich im Erdgeschoß befand, um 1926 – also dem Geburtsjahr der alten Dame – umfangreich renoviert und ausgestattet wurde und dort sicherlich kurz später dann eine Vielzahl von Menschen bewirtet wurden, die es gut fanden, das man jüdische Mitbürger und sowjetrussische Kriegsgefangene ermordete, beispielsweise. Und auch nach 1945 tranken dort sicherlich Leute, die den Krieg überlebt hatten, ihr kühles Bier, die das immer noch gut fanden, es nur nicht mehr so laut sagten, oder wenn, dann nur nach dem vierten Schnaps. Im Grunde wie heute also.
Das Gebäude erhielt immerhin einen Bombentreffer, ein Stockwerk wurde ihm als Pfand oder als Preis oder als Strafe genommen. Gottlob nur eins, denn das Haus kann ja nichts dafür für Typen aller und jeder Coleur, die sich dort über die Zeit betranken. Wer weiß, vielleicht tranken dort auch sozialistische Weltrevolutionäre konspirativ. Zuletzt war eine Karaoke-Bar gepachtet. „Nazis raus!“-Aufkleber finden sich und alte SW-Fotos von Black-Music- und diversen Soulgrößen.
Zwei Holzöfen wurden um 1926 eingebaut, in der vorderen Gaststube eher traditionell mit grünen glasierten Speicherkacheln, im neu geschaffenen Nebenzimmer dagegen beinahe in Art Deco oder Volks-Bauhaus mit dunklen rohen Klinkern, formal überlegt gedacht und kühn gemauert. Sicher war es nach Fertigstellung ein modernes Lokal mit all den Tatsachen oder Geheimnissen der Gäste, die hier unwichtige oder wichtige Gespräche führten, die hier ein geheimes Techtelmechtel anbahnten, oder diejenigen, die nur diskutierten, ob die NSDAP wirklich eine Bedrohung für die Weimarer Republik darstellen könnte oder nicht, wobei die Mehrzahl seinerzeit sicherlich darüber lachte und den Kopf schüttelte über derlei absurde Annahmen. Im Grunde wie heute also.
Gepafft wurde ordentlich jedenfalls. Alle Bauteile im hohen Erdgeschoß sind ockrig patiniert und verklebt. Gut, dass mir die Arbeit Spaß macht. Oft muss ich dann dort mal raus gehen auf die Gasse vor dem Haus, um mich abzustauben und um ggf. kurz eine Zigarrette zu rauchen. Beim Rauchen denke ich dann oft auch an das „Neue Bauen“ der 1920er Jahre und frage mich dann immer wieder, wie es zu der Katastrophe ff. danach kommen konnte. Es ist mir ein Großrätsel. Im Grunde wie heute also. Von auch meinen Steuergeldern wird hier im Landtag von der Vogelschissfraktion ein Angestellter alimentiert, der „es kaum erwarten kann, auf Gräber zu pissen“. Das ist diese Sonderbarkeit, für mich, der Demokratie. Schwer auszuhalten. Dass der von meinem Geld sich Pizza bestellt.
Der Wald stürbe aufgrund der Trockenheit, nicht aufgrund der Hitze.
Traf neulich einen, der sich in breitem Dialekt ärgerte, dass er in Ehingen a.d.D. Diesel für unglaublich billige 1,17 Euro volltanken hätte können, jedoch nur ein paar Liter füllte, da er gerade im Begriff ist, seinen Wagen zu verkaufen. Er hätte „heulen können…“ darüber, dass er diese Sparchance verpasst habe. Das war lustig.
Das schöne Wort „Rudelbeten“ und den schönen Satz „Der betet wie Joe Cocker!“ gehört. Abends im Biergarten. Das war auch lustig, dabei liebevoll menschlich, ja fast schon zärtlich. Heute übrigens erstmals das Außenwasser angestellt und einigen im Garten zu trinken gegeben. Thermometer zeigte 40 Grad, das hätte die alte Dame gefreut, die konnte es nie warm genug haben im Sommer. Und wenn dann der Wald am Abend vom leichten warmen Wind rauschte, dann sagte sie oft „Klingt wie die Ostsee, hörst Du, gleich da hinten ist der Strand!“. Heute vor 5 Monaten ist sie gestorben.