Aug.

Zwischenzeitlich in der sich seltsam verändernden Hauptstadt gewesen, mit dem Lieblingsfotografen und guten Freund endlich die neuen kleinformatigen Malereien professionell abgelichtet, vorher mit ihm über Diesel gestritten, es ist so schön, dass es noch Leute gibt, mit denen man streiten kann und gleich nachher trotzdem gemeinsam Essengehen, das fehlt mir schon sehr so ganz allgemein. Heutzutage. Wir saßen lange vor seinem Eckgewerbe auf der Grenze von Schöneberg nach Wilmersdorf, ich mag´s, dass sein Ding auf der Schöneberger Seite liegt, ist aber auch ja nun wirklich eigentlich völlig egal. Jetzt gibt es also Abbildungen aller meiner rezenten Flachware auch mit Farbkeil und in TIFF mit jeweils ungefähr 100 MB. Einen Katalog sollte ich mal wieder machen. Der hätte dann aber 200 Seiten. Kaum finanzierbar. Oder 300. Wenn man sich dem Lebenswerk nähert. Oder sogar unaufhaltsam dem Alterswerk. Um Himmels Willen.

Die Kirschkern hat ein 1a klasse Abitur hingelegt. Und nun entspannt sie. Das hat sie sich auch redlich verdient. Wir planen, ganz bald noch einmal eine TOUR in den Sommer zu legen. So wie früher. Werden dabei auch freudig noch mal allerlei Orte besuchen und begehen, an denen wir einst waren. Hodenhagen zum Beispiel. Da tanzten einst die Affen auf ausgerechnet unserer Karre und demontierten flink die Dachreling. Oder Walsrode, auf dem Stellplatz beim Vogelpark. Oder Römö und sogar vielleicht Skagen. Oder Büsum und Schleswig. Und allerlei anderes. Pennen im Wagen. Und uns spätestens alle drei Tage irgendwo zum Duschen einladen. Und wenn ich nachts im Wagen schnarche, dann klatscht sie mir eine oder hält mir die Nase zu. Das hat sie vor zehn Jahren noch nicht getan. Da war der Wagen noch grau und dann grün. Heute weiß. Wir haben eine Mobilitätsgarantie. Es ist ein Diesel. Den Kocher für meinen morgentlichen Kaffee muss ich noch mit Kartuschen bestücken. Bald schon zieht es sie nach der großen Stadt, in der sie geboren ist.

In mein Atelier-Nord/Ost. Die restliche Ferienjugend macht eifrig Sprachkurse und arbeitet. Mir fehlen in diesem Sommer die Baustellen, einiges hat sich zerschlagen oder verschoben. Dafür ist Zeit, endlich einmal alles mögliche Andere anzugehen. Sichten, Räumen, Planen, ein offenes Atelier mit vielen interessanten und gewogenen Besuchern, den Werksverkauf, die Malerei und immer wieder auch das Aufschreiben von Tatsächlichem oder halbwegs originell Erfundenem.

Und oben singt der morgendliche Pflegedienst mit der alten Dame „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Eine ziemlich dichte, aber auch sehr schöne Zeit gerade. Es fehlt allein der Lottogewinn.

FB

Dieses ewig einen anlachende US-amerikanische „Was machst Du gerade?“. Auf FB. Na gut heute. Warum auch nicht. Ich sitze abends hier jetzt an der Maschine und schreibe in Stichworten das Leben eines unbegleiteten minderjährigen Menschen auf. Und die Umstände, die Dauer, die Stationen seiner ungewollten, aber für sein Überleben wohl alternativlosen Flucht. Und die diversen Familienstände, die Zusammenhänge in seiner Familie, seinem Clan, mitsamt des geografischen und „psychosozialen“ Umfeldes (so würde man ggf. europäisch es formulieren). Und natürlich auch die Daten vom Versterben direkter Angehöriger, gewaltsam oder natürlich, recherchiert und julianisch kalenderbereinigt. Und auch einige weitere, kaum vorstellbare, Vorkommnisse. Über zwei Tage haben wir nun geredet, immer nur ein paar Stunden. Ich habe gefragt, wir haben gefragt. Und er hat nochmals alles erzählt. Am Stück, und verdichtet. Nach zwei Stunden hat er Kopfweh und braucht eine Pause. Angesichts der Dinge kein Wunder. Er, der mit fünfzehn Jahren Dinge erlebt und geleistet hat, wie man sie niemandem wünscht. Schon gar nicht in der Pubertät. Nein, er erzählt keine Märchen. Es gäbe da auch wenig zum Schmücken. Seit eineinhalb Jahren lebt er nun in unserer Familie. Zu lange, um den anderen noch Bären aufbinden zu können. Oder vielmehr – dies überhaupt je gewollt zu haben. Man lernt sich da ja sehr genau kennen in solch einem Zeitraum. Einige Erlebnisse kannten wir schon, mal nebenbei erzählt beim schönen Spaziergang durch den weihnachtlichen Winterwald oder beim lapidaren Müllwegbringen zur Deponie mit dem Auto. Oder beim sommerlichen Einkaufen von Grillware, halal oder haram, Eis und Senf, entlang von Schafherden. Oder angesichts von Kühen und Kälbern auf nächtlich ungesicherten europäischen Weiden. Oft ganz nebenbei. Man kennt dann Launen, Lieben, Defizite, Gerüche, Zorn, Gefühle, Freude und auch – gottlob – ab und an sogar endlich wieder einen gelassenen Schalk. In diesen Momenten ohne Bedenken. Ohne Schalk ist schließlich niemand ein Mensch, weltweit. Zum Schalk braucht man Mut und ein schönes Selbst, was auch einfach einmal da sein darf. Als wir uns das erste Mal sahen, da gab es noch keinerlei Schalk. Im Gegenteil. Da war Pilotenbrille, mehr nicht. Übermorgen ist seine Anhörung. Und alle archaische Angst ist wieder da. Ich bin sehr froh, als Teil von uns „Pflegeeltern“ dabei sein zu können.