Kratzi-Kratzi.

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Kratzi-Kratzi. Sehr spannend. Untersuchung der bauzeitlichen Farbgebungen in einem großen ehemaligen Krankenhauskomplex, Fertigstellung 1959. Die Tatsache, dass überwiegend kunststoffgebundene Materialien verwendet wurden, erfordert eine Vielzahl von scharfen Skalpellklingen. Und Großhirnrinde. Zur Klärung und nachvollziehbaren Darstellung der Gegebenheiten. Dazu den ganzen Tag die Stirnlupe auf dem Kopf. Makrointerpretationen, ständig.

Und natürlich die Geschichte der BRD im Hinterkopf, die auch die eigene ist. Und auch diejenige der Patienten, die Glück hatten oder eben nicht. Das Gebäude genutzt seit 2015 als Flüchtlingsunterkunft. Da kommt eine Menge an Geschichten und Schicksal zusammen, eher gar schon Berge.

Das war eine ziemlich bunte Zeit damals. Beispielsweise im Flur, irgendwo, die eine Seite Hellblau, die andere im warmen Mittelgrau. Die jeweilig gegenüberliegenden Türlaibungen gestrichen in der jeweils gegenüberliegenden Wandfarbe. Und schöne Farben: Altrosa-hell, Mittelgrau-Grün, warm/kalt gebrochenes Weiß oder auch „Erbswurst-Grüngelb“. Eine Wortschöpfung der Kollegin. Die Worte gehen einem irgendwann aus. Die treffenden Buntstifte auch. Und dann noch die Vorstellung, wieviel Keime dort hinter Öffnungen, die wir öffnen, lauern könnten seit Jahrzenten, resistente Killerkeime, die nur darauf warten, endlich einmal wieder jemanden anstecken zu dürfen. Nämlich uns, jetzt. Vor allem in der Hitze der vergangenen Tage.

Gottlob gibt es fließend Wasser und man kann immer mal zwischendrin die Hände waschen. Oder sogar duschen, wenn man wollte. Drei Stockwerke sind noch von Flüchtlingen bewohnt. Viele Menschen auf wenig Raum. Alles soll geräumt sein bis Ende August, dann können wir auch diese Räume einsehen. Morgen nun noch einmal in das ehemalige Verwaltungsgebäude. In den letzten Jahren ist es als Kindergarten genutzt worden. Fröhliches Kratzi-Kratzi also, mit Kindern neben einem, die einem zuschauen und fragen: „Was machst Du da?“

Na, Kratzi-Kratzi, sag ich. Sagen wir.

Das gesamte Gelände ist mit Versorgungswegen untertunnelt, die mit einer gespenstischen Neonbeleuchtung ständig belichtet sind. Die Kollegin meint, dort geht sie nur mit Bindfaden hinein. Sie hat recht. Wir waren dann zu zweit ein bisschen unterwegs, ein sehr spukvolles Terrain und bestens geeignet für einen modernen Blutmeuchel-Tatort oder die SOKO-Stuttgart.

Heute ein ganz anderer Ort, einen Tag zu Besuch auf Schloß Solitude im Grünen. Natürlich wieder zur Klärung von Farbigkeiten an Gebäudeteilen. Kratzi-Kratzi. Die Handwerker haben bei der grundlegenden Sanierung im Jahr 1989 wenig barocke Oberflächen übriggelassen. Besser gesagt, eigentlich gar nichts. Alles wurde abgeräumt.

Im Schloss ist seit 1990 auch die sogenannte Akademie Schloss Solitude ansässig, es wohnen Stipendiaten dort aus allen möglichen künstlerischen Bereichen. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als diese Institution ins Leben gerufen wurde. Ein üppiges Stipendiatensalär und eine gute Sache mit Residenzpflicht vor den Toren Stuttgarts. Ich habe mich allerdings nie dort beworben, denn ich wohnte ja bereits in Stuttgart. Und alles war mir dort immer etwas zu avantgardistisch. Zu abgehoben, auch in Bezug auf den seinerzeit vielfach verwursteten „neuen Kunstbegriff“, der manch Halbbegabte nach oben zu spülen vermochte. Zu cool für mich und meine künstlerischen Vorhaben und Visionen. Vielleicht aber war ich auch einfach nicht klug genug.

Zuletzt war ich dort gewesen, als eine Bekannte im akademieeigenen Aufführungsraum Theater spielte. Vielleicht vor 15 Jahren. Ich saß in der zweiten Reihe auf einem harten Stuhl, es waren nicht viele Zuschauer da, und als alles ganz still wurde kurz vor Beginn des Stückes, begann mein Magen laut zu knurren. Ausgerechnet. Es war ein leises Theaterstück. Alle Zuschauer konnten und mussten also meinen Magen hören. Mir lief der Schweiß, aber ich blieb sitzen. Was soll man machen. Ich war froh, als es vorbei war. Meine Bekannte aber ist eine gute Schauspielerin. An ihr hatte es nicht gelegen.

Als wir dann heute am späten Nachmittag und frühen Abend nach getaner Arbeit und nach einem mittelschweren Gewitter mit einem Koffer voller Informationen losfuhren nach Hause, da dachte ich erneut, wie schön doch eigentlich dieses Broterwerbs-Arbeitsleben nicht erst im jetzigen Jahr ist. Und ich danke der Kollegin herzlich für’s Einbinden. Dem Kollegen H. auch, ohnehin, seit schon so vielen Jahren.

Es ist eigentlich immer spannend. Das liegt, auch, an diesen völlig unterschiedlichen Orten. Aber eben auch an der Art der Arbeit, ganz grundsätzlich. Denn stets geht es um gemeinsame Neugier. Und um Zusammenarbeit. Und es ist ja alles auch immer Lebenszeit.

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